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LG München: Erschlichene einstweilige Verfügung ist rechtsmissbräuchlich und aufzuheben - wahrheitswidrige Angabe wonach Gegner nicht auf Abmahnung reagiert hat

LG München
Urteil vom 24.01.2017
33 O 7366/16


Das LG München hat entschieden, dass eine einstweilige Verfügung, die dadurch erschlichen wird, dass wahrheitswidrig die Reaktion des Abgemahnten auf die Abmahnung verschwiegen wird, rechtsmissbräuchlich und somit aufzuheben ist.

Die Entscheidungsgründe:

Die einstweilige Verfügung war auf den Widerspruch der Antragsgegnerin hin aufzuheben.

I.
Ungeachtet der Frage, ob im vorliegenden Fall das Bestehen eines Verfügungsanspruchs angesichts der substantiierten Einwendungen der Antragsgegnerin überhaupt noch als hinreichend glaubhaft gemacht angesehen werden kann, ist die Beschlussverfügung schon deshalb aufzuheben, weil sie durch den Antragstellervertreter, dessen Verhalten der Antragstellerin zuzurechnen ist, rechtsmissbräuchlich unter Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) erwirkt worden ist.

1. Mit Verfügungsantrag vom 02.05.2016 hat der Antragstellervertreter für die Antragstellerin beantragt, die Verbotsverfügung wegen besonderer Dringlichkeit ohne vorherige mündliche Verhandlung zu erlassen. Diesem Antrag hat die Kammer in pflichtgemäßer Ermessensausübung mit Beschlussverfügung vom 09.05.2016 unter Zugrundelegung des Antragstellervortrags nach Abwägung der beiderseitigen Interessen entsprochen.

2. In § 937 Abs. 2 ZPO geht das Gesetz davon aus, dass die Entscheidung über den Verfügungsantrag aufgrund einer mündlichen Verhandlung den Regelfall darstellt und hiervon in besonders dringenden Fällen, in denen für den Antragsteller nach seinem glaubhaft gemachten Vorbringen die mit der Terminsanberaumung verbundene Verzögerung nicht hinnehmbar ist, abgewichen werden kann. Dem sind die Fallgestaltungen gleich zu steilen, in denen die Gefahr besteht, dass durch eine vorherige Zustellung des Verfügungsantrags der Zweck des einstweiligen Rechtsschutzes in Frage gestellt wird. Die gerichtliche Praxis im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes negiert diesen Grundsatz weitgehend, da die Beschlussverfügung in diesem Bereich den Regelfall darstellt und eine mündliche Verhandlung meist nur dann anberaumt wird, wenn es sich um einen umfangreichen oder komplex gelagerten Sachverhalt handelt, eine Zurückweisung des Antrags im Beschlusswege nicht in Betracht kommt oder aus sonstigen Gründen eine mündliche Verhandlung angezeigt erscheint. Das gesetzliche Regel-Ausnahmeverhältnis wird damit umgekehrt, wobei im Rahmen des dem Gericht zustehenden Ermessens eine Interessenabwägung für erforderlich gehalten wird, welche Nachteile und Beeinträchtigungen der Antragsgegner erleiden kann, wenn ohne mündliche Verhandlung entschieden wird und sein Anspruch auf rechtliches Gehör nur in einem nachfolgenden Widerspruchsverfahren gewahrt werden kann. Ebenso sei zu berücksichtigen, ob aufgrund der eindeutigen Sachlage hinsichtlich der Beurteilung des Verfügungsanspruchs damit gerechnet werden kann, dass die Beschlussverfügung mangels erheblicher Einwendungen des Antragsgegners voraussichtlich Bestand haben wird und deshalb die mit einer Terminierung verbundene Zeitverzögerung den Erlass des erstrebten Verbots somit nur hinauszögern würde. Bei der Frage, ob die Interessenlage der Parteien eine Entscheidung im Beschlusswege -insbesondere eine solche ohne Anhörung des Antragsgegners - erfordert bzw. sachgerecht erscheinen lässt, ist auch zu berücksichtigen, ob zuvor eine Abmahnung erfolgt ist und der Antragsgegner daher die Möglichkeit hatte, sich gegenüber dem Abmahnenden zu äußern (vgl. Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Refzer, UWG, 4. Auflage, § 12 Rdnr. 374 ff.).

3. Vorliegend hat die Kammer dem Umstand, ob und gegebenenfalls welche Reaktion der Antragsgegnerin auf die Abmahnung erfolgt ist, maßgebliche Bedeutung zugemessen, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass der Kammervorsitzende beim Antragstellervertreter vor der Entscheidung ausdrücklich nachgefragt hat, ob die Antragsgegnerin auf die Abmahnung reagiert habe. Es kann in diesem Zusammenhang offen bleiben, ob schon die Nichtvorlage der Abmahnungsbeantwortung in der Antragsschrift entgegen den üblichen Gepflogenheiten und entgegen der ausdrücklichen Bitte der Antragsgegnervertreter in dem genannten Schreiben als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist. Denn ein klarer Fall des Rechtsmissbrauchs liegt jedenfalls in der Titelerschleichung unter Umgehung der prozessualen Wahrheitspflicht (vgl. zur Titelerschleichung MüKo/Braun, ZPO, 5. Auflage, Vor § 578 Rdnr. 12): Indem der Antragstellervertreter die gerichtliche Nachfrage nach einer Reaktion der Antragsgegnerin wahrheitswidrig verneint hat, hat er die von der Kammer als relevant angesehene Beteiligung der Antragsgegnerin an der Entscheidungsfindung vereitelt (vgl. auch KG, Urteil vom 11.10.2016, Az.: 5 U 139/15 = BeckRS 2016, 20975 sowie OLG Hamburg, GRUR 2007, 614 - forum-shopping). Wäre der Kammer die Abmahnungsbeantwortung der Antragsgegnerin zur Kenntnis gelangt, hätte sie vor einer Entscheidung jedenfalls eine weitergehende Glaubhaftmachung der Aktivlegitimation und der behaupteten öffentlichen Wiedergabe verlangt. Dies wollte der Antragstellervertreter - wohl nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der bereits gegen die Antragstellerin ergangenen Entscheidungen in den gegen die Antragsgegnerin an anderen Gerichtsständen geführten Parallelverfahren - ersichtlich vermeiden. Das aber ist rechtsmissbräuchlich, weshalb die Beschlussverfügung der Kammer vom 09.05.2016 keinen Bestand haben kann.
Ob der Antragstellervertreter die Antwort auf die Abmahnung als „nicht geeignet“ angesehen hat, ist unerheblich. Zum einen obliegt die Beurteilung der Relevanz tatsächlicher und rechtlicher Ausführungen nicht dem Antragstellervertreter, sondern dem Gericht. Zum anderen rechtfertigt dies nicht den schlicht falschen Vortrag, es sei keine Reaktion der Antragsgegnerin erfolgt.

II.Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO (vgl. Musielak/Voit/Huber, ZPO, 13. Auflage, § 925 Rdnr. 7). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

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