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BGH: Ein Forenbetreiber haftet jedenfalls ab Kenntnis von der Rechtsverletzung für rechtswidrige Forenbeiträge

BGH, Urteil vom 27.03.2007 - VI ZR 101/06
BGB § 823 Ah, G, § 1004, StGB § 185, TMG § 10
Forenhaftung


Der BGH hat entschieden, dass der Betreiber eines Internetforum jedenfalls ab Kenntnis von ehrverletzenden Äußerungen eines Forennutzers auf Unterlassung haftet. In dieser Entscheidung hat sich der BGH nicht mit der Frage befasst, ob bzw. welche Überprüfungs- und Überwachungspflichten ein Forenbetreiber aufgrund der allgemeinen Mitstörerhaftung hat. Der BGH hat keinesfalls entschieden, dass ein Forenbetreiber ausschließlich ab Kenntnis von einer Rechtsverletzung auf Unterlassung haftet. Dies wird fälschlicherweise leider immer wieder behauptet.

Leitsatz:
Ein Unterlassungsanspruch wegen eines in ein Meinungsforum im Internet eingestell­ten ehrverletzenden Beitrags kann auch dann gegen den Betreiber des Forums ge­geben sein, wenn dem Verletzten die Identität des Autors bekannt ist.

BGH, Urteil vom 27. März 2007 - VI ZR 101/06
OLG Düsseldorf
LG Düsseldorf


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:
Das Urteil:

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 27. März 2007 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller und die Richter Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Stöhr
für Recht erkannt:

Auf die Revision des Klägers wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen das Urteil des 15. Zivilsenats des Ober­landesgerichts Düsseldorf vom 26. April 2006 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage hinsichtlich des Klageantrags zu b) abgewiesen worden ist.

Die Anschlussrevision der Beklagten wird zurückgewiesen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger ist Mitbegründer und Vorstandsvorsitzender eines Vereins, dessen satzungsmäßiger Zweck u.a. die Bekämpfung von Kinderpornographie im Internet ist. Die Beklagte ist Betreiberin eines Internetforums, das sich mit sexuellem Missbrauch und Kinderpornographie beschäftigt. Nachdem der Klä­ger selbst einen Beitrag in das Forum eingestellt hatte, veröffentlichte ein Un­bekannter dort unter dem Pseudonym "Katzenfreund" einen Beitrag, durch den sich der Kläger in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt sieht, ebenso durch den später eingestellten Beitrag eines Autors mit dem Pseudonym "Rumtrauben", dessen Identität dem Kläger bekannt ist. Der Kläger hat die Beklagte auf Unter­lassung der Verbreitung dieser Beiträge, Zahlung einer Geldentschädigung von mindestens 2.000,00 € und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.187,38 € in Anspruch genommen.

Das Landgericht hat der Klage hinsichtlich des Unterlassungsbegehrens bezüglich beider Beiträge und eines Teils der geltend gemachten Rechtsverfol­gungskosten stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlan­desgericht die Klage hinsichtlich des Beitrags des dem Kläger bekannten Ver­fassers "Rumtrauben" und der insoweit beanspruchten Rechtsverfolgungskos­ten abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Beklagte erstrebt mit der Anschlussrevision die vollumfängliche Klageabweisung.

Entscheidungsgründe: I.

Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in AfP 2006, 267 veröffent­licht ist, beurteilt den Beitrag des Autors "Katzenfreund" als Meinungsäußerung, die den Kläger in seiner Ehre verletze. Die Diffamierung werde nicht durch die eigenen Beiträge des Klägers gerechtfertigt, mit denen dieser sich zuvor in dem Forum in negativer Weise über seine Diskussionsgegner geäußert habe. Hin­sichtlich dieses Beitrags bestehe ein Unterlassungsanspruch gegen die Beklag­te, weil sie als Betreiberin des Forums die Äußerung verbreite und sich insoweit nicht auf das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit berufen könne. Dem­gegenüber habe der Kläger keinen Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte hinsichtlich des Beitrags des ihm bekannten Autors "Rumtrauben". Im Falle der Kenntnis von der Identität des Autors sei bei einem Meinungsforum vorrangig derjenige in Anspruch zu nehmen, der sich geäußert habe. Ein Anspruch auf Ersatz von Rechtsverfolgungskosten bestehe nur in Höhe von 310,65 € hin­sichtlich des Beitrags des Autors "Katzenfreund".

II.
Das angefochtene Urteil hält den Angriffen der Revision nicht stand. Die Anschlussrevision der Beklagten hat keinen Erfolg.

1. Rechtlich zutreffend und von den Parteien im Revisionsrechtszug auch nicht angegriffen wertet das Berufungsgericht den Beitrag des Autors "Katzen­freund" als Meinungsäußerung, die den Kläger wegen ihn schmähender Inhalte in seiner Ehre verletzt und dessen Verbreitung er deshalb nicht hinnehmen muss. Im Ansatz zutreffend nimmt das Berufungsgericht auch an, dass die Be­klagte als Betreiberin des Internetforums bei Kenntniserlangung von unzulässi­gen Inhalten zum Sperren bzw. Entfernen des von einem Dritten eingestellten Beitrags verpflichtet sein kann.

a) Diese Verpflichtung ergibt sich allerdings nicht, wie es im Berufungsur­teil anklingt, aus § 11 Nr. 2 TDG oder § 9 Nr. 2 MDStV. Für die Beurteilung des in die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruchs des Klägers ist das im Zeit­punkt der Entscheidung geltende Recht maßgebend (BGHZ 131, 308, 311 f.), welches grundsätzlich auch vom Revisionsgericht zu berücksichtigen ist (BGHZ
9, 101 f.). Abzustellen ist mithin auf die mit dem Gesetz zur Vereinheitlichung von Vorschriften über bestimmte elektronische Informations- und Kommunikati­onsdienste (Elektronischer-Geschäftsverkehr-Vereinheitlichungsgesetz-ElGVG) vom 26. Februar 2007 am 1. März 2007 in Kraft getretenen Vorschriften des Telemediengesetzes (BGBl I S. 179), welches an die Stelle des Teledienstege-setzes und des Medienstaatsvertrages getreten ist. Die im Telemediengesetz enthaltenen Vorschriften zur Verantwortlichkeit von Diensteanbietern (§§ 7 bis 10 TMG) haben die Regelungen des Teledienstegesetzes und die für Medien­dienste bisher geltenden entsprechenden Regelungen des Medienstaatsvertra­ges unverändert übernommen (vgl. Begründung der Bundesregierung zum Ge­setzesentwurf vom 26. Oktober 2006, BT-Drucks. 16/3078, S. 15). Die diesbe­züglichen Vorschriften weisen keinen haftungsbegründenden Charakter auf und enthalten ebenso wie schon die §§ 8 bis 11 TDG in der Fassung von Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes vom 14. Dezember 2001 (BGBl I S. 3721) keine An­spruchsgrundlagen. Wie sich aus § 7 Abs. 1 TMG ergibt, setzen die nachfol­genden Bestimmungen des Gesetzes ebenso wie schon § 8 Abs. 1 TDG und § 5 TDG i.d.F. vom 22. Juli 1997 (BGBl I S. 1870) eine Verantwortlichkeit nach allgemeinen Vorschriften des Zivil- oder Strafrechts voraus (vgl. Senatsurteil vom 23. September 2003 - VI ZR 335/02 - VersR 2003, 1546 [zu § 5 TDG a.F.] m.w.N.; Stadler, Haftung für Informationen im Internet, 2. Aufl., Rn. 18). Nach Auffassung des Schrifttums kommt diesen Vorschriften deshalb eine Art "Filter­funktion" zu (vgl. Sobola/Kohl, CR 2005, 443, 445 m.w.N.). Vorliegend beruht der Unterlassungsanspruch des Klägers auf § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1004 Abs. 1 BGB analog sowie § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 185 StGB.

b) Eine Einschränkung der Verantwortlichkeit lässt sich vorliegend insbe­sondere nicht aus der Haftungsprivilegierung nach § 10 TMG herleiten. Diese Vorschrift findet ebenso wie § 11 TDG, worauf die Revisionserwiderung mit Recht hinweist, auf Unterlassungsansprüche keine Anwendung. Wie sich aus
§ 7 Abs. 2 TMG und dem Gesamtzusammenhang der gesetzlichen Regelung ergibt, betrifft § 10 TMG lediglich die strafrechtliche Verantwortlichkeit und die Schadensersatzhaftung (BGHZ 158, 236, 246 ff. zu § 11 S. 1 TDG). Unterlas­sungsansprüche bleiben von dieser Vorschrift - ebenso wie auch schon von §§ 8, 11 TDG bzw. § 5 TDG Abs. 1 bis 3 a.F. - unberührt (BGHZ aaO, S. 248).

c) Dem Unterlassungsanspruch steht auch nicht entgegen, dass der be­anstandete Beitrag vorliegend in ein so genanntes Meinungsforum eingestellt worden ist. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts können die Grund­sätze, die der erkennende Senat für Fernsehsendungen aufgestellt hat, die - wie etwa Live-Diskussionen - einen "Markt der Meinungen" eröffnen (Senats­urteil BGHZ 66, 182, 188, "Panorama"), auf den vorliegenden Fall nicht über­tragen werden. Bei der Frage, ob das Fernsehen allein wegen des Ausstrahlens einer ehrverletzenden Äußerung belangt werden kann, ist den Besonderheiten Rechnung zu tragen, die sich aus seiner Rolle und den Möglichkeiten und Zwängen fernsehgerechter Darstellung ergeben. Mit Rücksicht darauf hat der erkennende Senat seinerzeit entschieden, dass eine Störerhaftung der Fern­sehanstalt zu verneinen sein kann, wenn während der Live-Übertragung einer Fernsehdiskussion eine ehrverletzende Äußerung durch einen Dritten erfolgt oder wenn das Fernsehen die kritische Äußerung eines Dritten aufgreift, ohne sich mit ihr zu identifizieren (Senatsurteil BGHZ aaO, S. 189 f.).
Diese Überlegungen sind auf ein im Internet eröffnetes Meinungsforum nicht übertragbar. Die Revision weist zu Recht darauf hin, dass die für Live­Sendungen in Rundfunk und Fernsehen geltende mediale Privilegierung sich nicht auf Wiederholungen erstrecken kann, da dem Veranstalter hier die Mög­lichkeit offen steht, die (erneute) Verbreitung von Äußerungen Dritter zu verhin­dern (Jürgens, CR 2006, 188, 189; Pankoke, Von der Presse- zur Providerhaf­tung, 2000, S. 90). Entsprechendes gilt für Internetforen, sofern dem Betreiber
- wie vorliegend unstreitig - die erfolgte Rechtsverletzung bekannt ist. In dem Unterlassen, einen als unzulässig erkannten Beitrag zu entfernen, liegt eine der Wiederholung einer Rundfunk- oder Fernsehaufzeichnung vergleichbare Perpe-tuierung der Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen. Der Betrei­ber eines Internetforums ist "Herr des Angebots" und verfügt deshalb vorrangig über den rechtlichen und tatsächlichen Zugriff. Internetangebote sind - wie etwa auch Aufzeichnungen im Fernsehen - dem nachträglichen Zugriff des Anbieters in keiner Weise entzogen. Auch wenn von ihm keine Prüfpflichten verletzt wer­den, so ist er doch nach allgemeinem Zivilrecht zur Beseitigung und damit zur Unterlassung künftiger Rechtsverletzungen verpflichtet (Jürgens/Köster, AfP
2006, 219, 222).

d) Entgegen der Meinung der Anschlussrevision kann die Beklagte dem Unterlassungsanspruch auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, der Kläger habe diese Äußerungen durch von ihm selbst zuvor in das Forum eingestellte eigene Beiträge provoziert. Die Teilnahme an einem Meinungsforum kann nicht als stillschweigende Erklärung der Einwilligung in Ehrverletzungen innerhalb dieses Forums gewertet werden. Es mag sein, dass der Teilnehmer eines Forums, in dem, wie es häufig und auch vorliegend der Fall ist, Äußerungen unter einem Pseudonym eingestellt werden können, im Einzelfall damit rechnen muss, dass er dort von anonym bleibenden Personen angegriffen und möglicherweise in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt wird. Wer dieses Risiko ein­geht, verzichtet damit aber grundsätzlich nicht auf Abwehransprüche hinsicht­lich künftiger Ehrverletzungen. Unterlassungsansprüche sind ihm deshalb nicht abgeschnitten.
Der Kläger muss die in dem beanstandeten Beitrag enthaltene Ehrverlet­zung auch nicht nach den Grundsätzen der Meinungsäußerungsfreiheit im Rahmen einer öffentlichen Auseinandersetzung hinnehmen, bei der die Vermu­tung zugunsten der freien Rede sprechen kann (vgl. BVerfGE 7, 198, 212 = NJW 1958, 257; BVerfGE 54, 120, 139 = NJW 1980, 2069; BVerfGE 61, 1, 7 = NJW 1983, 1415; BVerfG NJW 1990, 1980). Der Schutz von Meinungsäuße­rungen tritt nämlich regelmäßig hinter dem Persönlichkeitsrechtsschutz zurück, wenn sich die betreffenden Äußerungen - wie vorliegend - als Schmähung dar­stellen (vgl. BVerfGE 82, 272, 281 = NJW 1991, 95).

2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt ein Unterlas­sungsanspruch vorliegend auch hinsichtlich des Beitrags b) des Autors "Rum­trauben" in Betracht.

a) Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit des Betreibers eines Internetfo­rums für dort eingestellte Beiträge entfällt nicht deshalb, weil dem Verletzten die Identität des Autors bekannt ist. Wird ein ehrverletzender Beitrag in ein Forum eingestellt, ist der Betreiber als Störer i.S.v. § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Un­terlassung verpflichtet. Ebenso wie der Verleger die Quelle einer von einem Presseerzeugnis ausgehenden Störung beherrscht und deshalb grundsätzlich neben dem Autor eines beanstandeten Artikels verantwortlich ist (vgl. Senatsur­teile BGHZ 3, 270, 275 ff. und 14, 163, 174; Löffler/Steffen, Presserecht, 5. Aufl., LPG § 6, Rn. 276 f.), kann beim Fernsehen das Sendeunternehmen als "Herr der Sendung" zur Unterlassung verpflichtet sein (Senatsurteil BGHZ 66, 182, 188). Diese Grundsätze gelten auch für den Betreiber eines Internetfo­rums, der insoweit "Herr des Angebots" ist. Der gegen ihn gerichtete Unterlas­sungsanspruch des Verletzten besteht in gleicher Weise unabhängig von des­sen Ansprüchen gegen den Autor eines dort eingestellten Beitrags.

b) An einer Sachentscheidung darüber, ob vorliegend ein Unterlas­sungsanspruch gegen die Beklagte hinsichtlich des Beitrags des Autors "Rum­trauben" besteht, ist der Senat gehindert, weil das Berufungsgericht keine Fest­stellungen zum Inhalt dieses Beitrags getroffen und diesen auch nicht rechtlich gewürdigt hat.

3. Hinsichtlich der Entscheidung des Berufungsgerichts über den An­spruch des Klägers auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten haben die beiderseitigen Rechtsmittel keinen Erfolg, da die Revision und die Anschlussrevision insoweit nicht begründet worden sind.

Müller Greiner Wellner Pauge Stöhr

Vorinstanzen:

LG Düsseldorf, Entscheidung vom 14.09.2005 - 12 O 440/04 -OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 26.04.2006 - I-15 U 180/05 -

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