OLG Karlsruhe: Anspruch aus Betriebsschließungsversicherung bei Schließung wegen Corona-Lockdowns hängt von Formulierung und Transparenz der Versicherungsbedingungen ab
OLG Karlsruhe
Urteil vom 30.06.2021 - 12 U 4/21
Urteil vom 30.06.2021 - 12 U 11/21
Das OLG Karlsruhe hat entschieden, dass ein möglicher Anspruch aus einer Betriebsschließungsversicherung bei Schließung wegen des Corona-Lockdowns von Formulierung und Transparenz der Versicherungsbedingungen abhängt.
Die Pressemitteilung des Gerichts:
Leistungspflicht von Betriebsschließungsversicherungen bei Schließung in Folge der Corona-Pandemie
Der für Rechtsstreitigkeiten über Versicherungsverhältnisse zuständige 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe hat in zwei heute verkündeten Urteilen darüber entschieden, ob eine Betriebsschließungsversicherung auch dann eingreift, wenn die Schließung eines Hotel- bzw. Gaststättenbetriebs im „Lock-down“ aufgrund der Corona-Pandemie erfolgt ist. In einem Fall hat der Senat dabei einen Leistungsanspruch bejaht und in dem anderen Fall – bei anders formulierten Versicherungsbedingungen – einen Anspruch des Betriebsinhabers verneint. Entscheidend war jeweils die Frage, ob es der Versicherung gelungen war, die von ihr gewollte Beschränkung des Versicherungsschutzes auf einen Katalog von Krankheiten und Erregern, welcher das neuartige Corona-Virus nicht umfasst, in ihren Versicherungsbedingungen ausreichend klar und verständlich – und damit wirksam – zu regeln.
Der erste Fall (Aktenzeichen 12 U 4/21) betraf die vorübergehende pandemiebedingte Schließung eines Hotels mit angeschlossener Gaststätte in Heidelberg mit einer zum 1. Januar 2020 abgeschlossenen Betriebsschließungsversicherung. In den Versicherungsbedingungen wird mehrfach auf das Infektionsschutzgesetz (IfSG) Bezug genommen und bestimmt, dass eine Entschädigung für eine Betriebsschließung „beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)“ geleistet wird, wobei der in dieser Nr. 2 enthaltene Katalog auf die „folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten oder Krankheitserreger“ verweist. Die COVID-19-Krankheit bzw. der SARS-CoV-2-Krankheitserreger sind dort nicht aufgeführt.
Die Begrenzung des Versicherungsschutzes auf einen abschließenden Katalog von Krankheiten und Krankheitserregern, welcher hinter dem Umfang des Infektionsschutzgesetzes zurückbleibt, ist hier nach der Beurteilung des Senats nicht hinreichend klar und verständlich erfolgt, so dass sie wegen Verstoßes gegen das gesetzliche Transparenzgebot für Allgemeine Geschäftsbedingungen unwirksam ist. Durch die in den Versicherungsbedingungen zunächst erfolgte wiederholte Bezugnahme auf das Infektionsschutzgesetz wird dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer der Eindruck vermittelt, dass jede Betriebsschließung auf Grund des Infektionsschutzgesetzes vom Versicherungsschutz erfasst sei. Dass der Versicherungsschutz demgegenüber durch den abschließenden Katalog meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger eingeschränkt ist, wird dem Versicherungsnehmer nicht deutlich genug vor Augen geführt. Der Versicherungsnehmer erkennt nicht, dass der Katalog in den Versicherungsbedingungen bereits bei seiner Erstellung nicht mehr dem Stand des Infektionsschutzgesetzes entsprach und der gewährte Versicherungsschutz darüber hinaus maßgeblich von dem Verständnis meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger im Infektionsschutzgesetz mit den dort in §§ 6 und 7 IfSG enthaltenen Generalklauseln abweicht.
Die Unwirksamkeit der Klausel, die den Versicherungsschutz auf einen abschließenden Katalog von Krankheiten und Krankheitserregern begrenzt, führt dazu, dass gemäß der allgemeinen Regelung in den Versicherungsbedingungen jede Betriebsschließung „beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger“ versichert ist. Da eine Meldepflicht der COVID-19-Krankheit bzw. von SARS-CoV-2-Krankheitserregern nach den Generalklauseln in §§ 6 und 7 IfSG – unabhängig von der späteren ausdrücklichen Aufnahme in die Listen des Infektionsschutzgesetzes – bereits zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles im März 2020 bestand, war die Betriebsschließung aufgrund der Corona-Pandemie auch vom Versicherungsumfang umfasst.
Der Senat hat klargestellt, dass der Versicherungsschutz sich nicht auf behördliche Einzelfallanordnungen bei im Betrieb aufgetretenen Infektionen beschränkt, sondern auch den „Lock-down“ durch Verordnung der Landesregierung mit Wirkung zum 21. März 2020 umfasst. Diese Verordnung hat sich trotz der noch möglichen begrenzten Beherbergung von Geschäftsleuten oder dem noch möglichen Außer-Haus-Verkauf von Speisen faktisch wie eine Betriebsschließung ausgewirkt.
Der Senat hat das klageabweisende Urteil des Landgerichts teilweise abgeändert und den beklagten Versicherer antragsgemäß zur Zahlung von ca. 60.000 € verurteilt. Die Revision zum Bundesgerichtshof hat der Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung und unter Berücksichtigung abweichender Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen.
Im zweiten Fall (Aktenzeichen 12 U 11/21) ging es um eine Hotel- und Gaststättenanlage in Hessen, für die im Jahr 2019 eine Betriebsschließungsversicherung abgeschlossen wurde. Die dortigen Versicherungsbedingungen erwähnen das Infektionsschutzgesetz an keiner Stelle und enthalten die ausdrückliche und mit einer hervorgehobenen Überschrift versehene Regelung, dass meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieses Vertrags „nur“ die in einem nachfolgenden Katalog aufgezählten sind, wobei weder die Krankheit COVID-19 noch der Krankheitserreger SARS-CoV-2 in dem Katalog enthalten ist.
Der Senat hat das klageabweisende Urteil des Landgerichts Mannheim bestätigt und entschieden, dass bei in dieser Weise formulierten Versicherungsbedingungen kein Versicherungsschutz für eine Betriebsschließung in Folge der Corona-Pandemie besteht. Angesichts der eindeutig gefassten Klausel ist die Risikobegrenzung durch den abschließenden Katalog von Krankheiten und Krankheitserregern weder mehrdeutig noch überraschend. Die Klausel begründet auch keine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers, weil sie – anders als im ersten Fall – den Anforderungen des Transparenzgebotes entspricht und auch darüber hinaus nicht vom wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung abweicht oder wesentliche Rechte und Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.
Die Revision hat der Senat im zweiten Fall nicht zugelassen, da zu der streitgegenständlichen Klausel in Literatur und Rechtsprechung keine abweichenden Auffassungen vertreten werden.
Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 30. Juni 2021, Aktenzeichen 12 U 4/21
Vorinstanz: Landgericht Heidelberg, Urteil vom 8. Dezember 2020, Aktenzeichen 2 O 156/20
Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 30. Juni 2021, Aktenzeichen 12 U 11/21
Vorinstanz: Landgericht Mannheim, Urteil vom 4. Dezember 2020, Aktenzeichen 11 O 113/20
Urteil vom 30.06.2021 - 12 U 4/21
Urteil vom 30.06.2021 - 12 U 11/21
Das OLG Karlsruhe hat entschieden, dass ein möglicher Anspruch aus einer Betriebsschließungsversicherung bei Schließung wegen des Corona-Lockdowns von Formulierung und Transparenz der Versicherungsbedingungen abhängt.
Die Pressemitteilung des Gerichts:
Leistungspflicht von Betriebsschließungsversicherungen bei Schließung in Folge der Corona-Pandemie
Der für Rechtsstreitigkeiten über Versicherungsverhältnisse zuständige 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe hat in zwei heute verkündeten Urteilen darüber entschieden, ob eine Betriebsschließungsversicherung auch dann eingreift, wenn die Schließung eines Hotel- bzw. Gaststättenbetriebs im „Lock-down“ aufgrund der Corona-Pandemie erfolgt ist. In einem Fall hat der Senat dabei einen Leistungsanspruch bejaht und in dem anderen Fall – bei anders formulierten Versicherungsbedingungen – einen Anspruch des Betriebsinhabers verneint. Entscheidend war jeweils die Frage, ob es der Versicherung gelungen war, die von ihr gewollte Beschränkung des Versicherungsschutzes auf einen Katalog von Krankheiten und Erregern, welcher das neuartige Corona-Virus nicht umfasst, in ihren Versicherungsbedingungen ausreichend klar und verständlich – und damit wirksam – zu regeln.
Der erste Fall (Aktenzeichen 12 U 4/21) betraf die vorübergehende pandemiebedingte Schließung eines Hotels mit angeschlossener Gaststätte in Heidelberg mit einer zum 1. Januar 2020 abgeschlossenen Betriebsschließungsversicherung. In den Versicherungsbedingungen wird mehrfach auf das Infektionsschutzgesetz (IfSG) Bezug genommen und bestimmt, dass eine Entschädigung für eine Betriebsschließung „beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)“ geleistet wird, wobei der in dieser Nr. 2 enthaltene Katalog auf die „folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten oder Krankheitserreger“ verweist. Die COVID-19-Krankheit bzw. der SARS-CoV-2-Krankheitserreger sind dort nicht aufgeführt.
Die Begrenzung des Versicherungsschutzes auf einen abschließenden Katalog von Krankheiten und Krankheitserregern, welcher hinter dem Umfang des Infektionsschutzgesetzes zurückbleibt, ist hier nach der Beurteilung des Senats nicht hinreichend klar und verständlich erfolgt, so dass sie wegen Verstoßes gegen das gesetzliche Transparenzgebot für Allgemeine Geschäftsbedingungen unwirksam ist. Durch die in den Versicherungsbedingungen zunächst erfolgte wiederholte Bezugnahme auf das Infektionsschutzgesetz wird dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer der Eindruck vermittelt, dass jede Betriebsschließung auf Grund des Infektionsschutzgesetzes vom Versicherungsschutz erfasst sei. Dass der Versicherungsschutz demgegenüber durch den abschließenden Katalog meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger eingeschränkt ist, wird dem Versicherungsnehmer nicht deutlich genug vor Augen geführt. Der Versicherungsnehmer erkennt nicht, dass der Katalog in den Versicherungsbedingungen bereits bei seiner Erstellung nicht mehr dem Stand des Infektionsschutzgesetzes entsprach und der gewährte Versicherungsschutz darüber hinaus maßgeblich von dem Verständnis meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger im Infektionsschutzgesetz mit den dort in §§ 6 und 7 IfSG enthaltenen Generalklauseln abweicht.
Die Unwirksamkeit der Klausel, die den Versicherungsschutz auf einen abschließenden Katalog von Krankheiten und Krankheitserregern begrenzt, führt dazu, dass gemäß der allgemeinen Regelung in den Versicherungsbedingungen jede Betriebsschließung „beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger“ versichert ist. Da eine Meldepflicht der COVID-19-Krankheit bzw. von SARS-CoV-2-Krankheitserregern nach den Generalklauseln in §§ 6 und 7 IfSG – unabhängig von der späteren ausdrücklichen Aufnahme in die Listen des Infektionsschutzgesetzes – bereits zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles im März 2020 bestand, war die Betriebsschließung aufgrund der Corona-Pandemie auch vom Versicherungsumfang umfasst.
Der Senat hat klargestellt, dass der Versicherungsschutz sich nicht auf behördliche Einzelfallanordnungen bei im Betrieb aufgetretenen Infektionen beschränkt, sondern auch den „Lock-down“ durch Verordnung der Landesregierung mit Wirkung zum 21. März 2020 umfasst. Diese Verordnung hat sich trotz der noch möglichen begrenzten Beherbergung von Geschäftsleuten oder dem noch möglichen Außer-Haus-Verkauf von Speisen faktisch wie eine Betriebsschließung ausgewirkt.
Der Senat hat das klageabweisende Urteil des Landgerichts teilweise abgeändert und den beklagten Versicherer antragsgemäß zur Zahlung von ca. 60.000 € verurteilt. Die Revision zum Bundesgerichtshof hat der Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung und unter Berücksichtigung abweichender Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen.
Im zweiten Fall (Aktenzeichen 12 U 11/21) ging es um eine Hotel- und Gaststättenanlage in Hessen, für die im Jahr 2019 eine Betriebsschließungsversicherung abgeschlossen wurde. Die dortigen Versicherungsbedingungen erwähnen das Infektionsschutzgesetz an keiner Stelle und enthalten die ausdrückliche und mit einer hervorgehobenen Überschrift versehene Regelung, dass meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieses Vertrags „nur“ die in einem nachfolgenden Katalog aufgezählten sind, wobei weder die Krankheit COVID-19 noch der Krankheitserreger SARS-CoV-2 in dem Katalog enthalten ist.
Der Senat hat das klageabweisende Urteil des Landgerichts Mannheim bestätigt und entschieden, dass bei in dieser Weise formulierten Versicherungsbedingungen kein Versicherungsschutz für eine Betriebsschließung in Folge der Corona-Pandemie besteht. Angesichts der eindeutig gefassten Klausel ist die Risikobegrenzung durch den abschließenden Katalog von Krankheiten und Krankheitserregern weder mehrdeutig noch überraschend. Die Klausel begründet auch keine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers, weil sie – anders als im ersten Fall – den Anforderungen des Transparenzgebotes entspricht und auch darüber hinaus nicht vom wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung abweicht oder wesentliche Rechte und Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.
Die Revision hat der Senat im zweiten Fall nicht zugelassen, da zu der streitgegenständlichen Klausel in Literatur und Rechtsprechung keine abweichenden Auffassungen vertreten werden.
Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 30. Juni 2021, Aktenzeichen 12 U 4/21
Vorinstanz: Landgericht Heidelberg, Urteil vom 8. Dezember 2020, Aktenzeichen 2 O 156/20
Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 30. Juni 2021, Aktenzeichen 12 U 11/21
Vorinstanz: Landgericht Mannheim, Urteil vom 4. Dezember 2020, Aktenzeichen 11 O 113/20