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BGH: Keine Amtshaftungsansprüche gegen Bundesrepublik Deutschland im Dieselskandal wegen möglicherweise nicht ausreichender Umsetzung von Unionsrecht

BGH
Beschluss vom 10.02.2022
III ZR 87/21


Der BGH hat entschieden, dass keine Amtshaftungsansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland im Dieselskandal wegen möglicherweise nicht ausreichender Umsetzung von Unionsrecht bestehen.

Die Pressemitteilung des BGH:
Keine Haftung der Bundesrepublik Deutschland im sog. Diesel-Skandal für eine möglicherweise
unzureichende Umsetzung und Anwendung europäischen Rechts

Der unter anderem für das Amts- und Staatshaftungsrecht zuständige III. Zivilsenat hat entschieden, dass dem Erwerber eines mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestatteten Fahrzeugs keine Amtshaftungsansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen einer möglicherweise unzureichenden Umsetzung von Europarecht zustehen.

Sachverhalt:

Der Kläger erwarb am 12. September 2014 einen gebrauchten Audi A4 (km-Stand: 11.303 km) zu einem Kaufpreis von 35.440 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet, der eine unzulässige Abschaltvorrichtung enthält. Der Kläger wirft der beklagten Bundesrepublik Deutschland insbesondere vor, das Kraftfahrbundesamt habe für den hier in Rede stehenden Fahrzeugtyp eine fehlerhafte Typgenehmigung erteilt und Art. 46 der Richtlinie 46/2007/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Richtlinie 2007/46/EG) unzureichend umgesetzt und kein ausreichendes Sanktionssystem erlassen zu haben. Durch diese Pflichtverletzungen sei er zum Abschluss des Kaufvertrags gebracht worden, den er sonst nicht geschlossen hätte. Die Beklagte sei ihm daher zum Schadensersatz verpflichtet.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat die auf Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er hilfsweise Erstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs und Zahlung einer Nutzungsentschädigung begehrt hat, ist ohne Erfolg geblieben.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat die gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht gerichtete Beschwerde zurückgewiesen.

Insbesondere weist die Sache keine grundsätzliche Bedeutung deshalb auf, weil ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union zu der Frage gerichtet werden müsste, ob bzw. inwieweit die hier relevanten Normen der Richtlinie 2007/46/EG und der Verordnung 715/2007/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (Verordnung 715/2007/EG) den Zweck haben, dass die Typgenehmigungsbehörden die Käufer von Fahrzeugen vor Rechtsverstößen der Hersteller zu schützen.

Diese Normen schützen zwar Interessen der Verbraucher, sie bezwecken jedoch nicht den Schutz vor den vom Kläger geltend gemachten Schäden. Drittschützende Wirkung haben sie nur im Hinblick auf das Interesse der Erwerber, dass ein erworbenes Fahrzeug zur Nutzung im Straßenverkehr zugelassen wird und dass diese Nutzung nicht aufgrund mangelnder Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ bzw. den für diesen Typ geltenden Rechtsvorschriften untersagt wird. Die Verletzung dieses Interesses macht der Kläger jedoch nicht geltend. Sein Fahrzeug ist zugelassen und die Betriebserlaubnis ist nicht wieder entzogen worden. Vielmehr macht der Kläger als verletztes Schutzgut sein wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht und damit den Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrags geltend. Diese Interessen werden vom Schutzzweck der Richtlinie 2007/46/EG und der Verordnung 715/2007/EG jedoch nicht erfasst.

Der Senat hat sich insoweit den Ausführungen des VI. Zivilsenats in seinen Urteilen vom 25. Mai 2020 (VI ZR 252/19) und vom 30. Juli 2020 (VI ZR 5/20), die auch der VII. Zivilsenat teilt (Beschluss vom 1. September 2021 – VII ZR 59/21), angeschlossen.

Aus dem Umstand, dass die vorzitierten Entscheidungen Ansprüche gegen die Fahrzeughersteller betrafen, während im vorliegenden Fall ein Verstoß des Kraftfahrtbundesamts gegen die vorgenannten Regelwerke geltend gemacht wird, folgt nichts Abweichendes. Es spricht nichts dafür, dass diese Pflichten der Genehmigungsbehörden gegenüber dem geschützten Personenkreis einen weitergehenden oder anderen Inhalt hätten als die Pflichten der Hersteller. Im Gegenteil werden die Behörden in erster Linie im öffentlichen Interesse tätig und sind von dem - vom Kläger geltend gemachten - Abschluss eines (unerwünschten) Vertrags sachlich weiter entfernt als der Fahrzeughersteller. Da diese Schlussfolgerungen auf der Hand liegen und zudem durch eine Erst-recht-Wertung gestützt werden, bedurfte es nach Maßgabe der acte-clair-Doktrin keiner Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union.

Vorinstanzen:

LG Münster - Urteil vom 14. Januar 2021 - 14 O 440/19

OLG Hamm - Beschluss vom 17. Mai 2021 - I-11 U 36/21

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

Richtlinie 46/2007/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge

Art. 46 Sanktionen

Die Mitgliedstaaten legen die Sanktionen fest, die bei Verstößen gegen diese Richtlinie, insbesondere gegen die in Artikel 31 vorgesehenen oder sich daraus ergebenden Verbote und die in Anhang IV Teil I aufgeführten Rechtsakte, anzuwenden sind, und ergreifen alle für ihre Durchführung erforderlichen Maßnahmen. Diese Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission diese Vorschriften bis zum 29. April 2009 sowie etwaige Änderungen so bald wie möglich mit.




OLG Frankfurt: Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO erfordert Nachweis eines konkreten Schadens - aus Art. 17 DSGVO ergibt sich auch ein Unterlassungsanspruch

OLG Frankfurt
Urteil vom 02.03.2022
13 U 206/20


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass ein Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO den Nachweis eines konkreten Schadens erfordert. Zudem führt das Gericht aus, dass sich aus Art. 17 DSGVO auch ein Unterlassungsanspruch ergibt.

Aus den Entscheidungsgründen:

Hinsichtlich der Verurteilung im Hinblick auf den Unterlassungsanspruch ist die Berufung der Beklagten hingegen unbegründet.

Dem Kläger steht ein Anspruch gegen die Beklagte auf Unterlassung der Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten zu, sofern diese in der Form erfolgt wie mit der Nachricht vom 23.10.2018 an einen Dritten. Dies ergibt sich aus Art. 17 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung, ABl. 2016 L 119 S. 1, berichtigt in ABl. 2016 L 314 S. 72 und ABl. 2018 L 127 S. 2; im Folgenden: DS-GVO), wie zwischenzeitlich höchstrichterlich geklärt wurde (vgl. BGH, Urteile vom 12.10.2021 - VI ZR 488/19 - VI ZR 489/19 -, jeweils Rn. 10, juris; BGH, Urteil vom 27. Juli 2020 - VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 20, 23 [zur Auslistung]; BSGE 127, 181 Rn. 13), so dass ein Rückgriff auf §§ 823 Abs. 1 i.V.m. 1004 BGB nicht erforderlich ist, um einen lückenlosen Individualrechtsschutz hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten von natürlichen Personen zu gewährleisten (so noch: OLG Dresden, Urteil vom 14. Dezember 2021 - 4 U 1278/21 -, Rn. 47, juris; OLG München, Urteil vom 19. Januar 2021 - 18 U 7243/19 Pre -, Rn. 62, 65, juris).

Die Voraussetzungen des sich aus Art. 17 Abs. 1 DS-GVO (auch) ergebenden Unterlassungsanspruchs sind erfüllt.

Die DS-GVO ist vorliegend anwendbar, da sie seit dem 25.5.2018 (Art. 99 Abs. 2 DS-GVO) unmittelbar in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union Geltung erlangt hat (BGH, Urteil vom 27. Juli 2020 - VI ZR 405/18 -, BGHZ 226, 285-310, Rn. 110 - 13).

Die Beklagte hat durch die Übermittlung der Nachricht vom 23.10.2018 „personenbezogene Daten" des Klägers im Sinne von Art. Art. 4 Nr. 1 DS-GVO an einen Dritten offenbart. Insoweit sind der Name, das Geschlecht, die Tatsache des laufenden Bewerbungsverfahrens und die Gehaltsvorstellung des Klägers als personenbezogene Daten anzusehen.

Sofern die Beklagte dies hinsichtlich der Anrede „Herr B" verneint, vermag der Senat dem nicht zu folgen, da der Name in der Legaldefinition sogar ausdrücklich erwähnt wird. Art. 4 Nr. 1 DS-GVO benennt beispielhaft Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen, der Name wird im Rahmen der alternativen Aufzählung an erster Stelle aufgeführt.

Nach der Definition sind „personenbezogene Daten" alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen; als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann. Der Begriff der "personenbezogenen Daten" nach Art. 4 DS-GVO ist damit weit gefasst und umfasst nach der Legaldefinition alle Informationen, die sich auf eine identifizierbare natürliche Person beziehen.

Unter die Vorschrift fallen damit neben Identifikationsmerkmalen und äußeren Merkmalen auch sachliche Informationen wie etwa Vermögens- und Eigentumsverhältnisse, Kommunikations- und Vertragsbeziehungen und alle sonstigen Beziehungen der betroffenen Person zu Dritten und ihrer Umwelt (Klar/Kühling in Kühling/Buchner, DS-GVO/BDSG, Art. 4 DS-GVO Rn. 8; Ernst in: Paal/Pauly, DS-GVO/BDSG, Auflage 2021, Art. 4 Rn. 14; OLG Köln, Urteil vom 26. Juli 2019 - I-20 U 75/18 -, Rn. 304, juris).

Die hier offenbarten Informationen, nämlich der Nachname des Klägers und sein der Anrede zu entnehmendes Geschlecht, sowie die aus der Nachricht herauslesbaren Angaben, insbesondere die Tatsache eines laufenden Bewerbungsprozesses bei der Beklagten, stellen persönliche Informationen dar. Auch die Gehaltsvorstellung des Klägers, die sich aus der angegebenen Gehaltsobergrenze der Beklagten rückschließen lässt, stellt eine sachliche Information dar. Dabei kann die Angabe „80k + variable Vergütung" nicht mit Angaben in einer Stellenanzeige gleichgesetzt werden, wie es die Berufung meint. Eine dahingehende Interpretation lässt den Kontext der Nachricht außer Acht. Dort wird ausdrücklich erwähnt, dass die Gehaltsvorstellungen des Klägers nicht erfüllt werden können und im Anschluss äußert die Beklagte ihrerseits eine Gehaltsobergrenze. Aus diesen beiden Angaben lassen sich Rückschlüsse auf die Gehaltsvorstellungen des Klägers ziehen.

Auch die Identifizierbarkeit ist zu bejahen. Dies gilt auch dann, wenn der Nachname häufig vorkommen sollte. Sofern die Beklagte einwendet, das Landgericht habe die Anlage B 3 und die darin aufgeführten weiteren Nutzer der Plattform Xing mit gleichem Nachnamen nicht hinreichend gewürdigt, verhilft dies der Berufung nicht zum Erfolg. Insoweit kann als zutreffend unterstellt werden, dass auf der Plattform Xing mehrere Personen den Nachnamen des Klägers tragen, dies hindert jedoch die Identifizierbarkeit nicht. Es ist insbesondere nicht erforderlich, dass sich alle zur Identifizierung der betreffenden Person erforderlichen Informationen in den Händen einer einzigen Person befinden (vgl. EuGH, Urteil vom 20. Dezember 2017 - Rs. C- 434/16, NJW 2018, 767, Nowak). Der Nachname ist ein gängiges Identifikationsmerkmal, es ist nicht erforderlich, dass die Identifikation „zweifelsfrei" ermöglicht wird, eine dahingehende Voraussetzung, die die Beklagte postulieren will, besteht nicht, da eine solche Einschränkung dem Text der Verordnung nicht zu entnehmen ist. Zudem ist es vorliegend dem Dritten unmittelbar gelungen, den Kläger zu identifizieren, da er sich nach Erhalt der Nachricht direkt an diesen gewandt hat. Auf die Frage, ob dem Adressaten der Nachricht die Identifikation des Klägers aufgrund der übermittelten Angaben möglich war, oder ob er, wie es die Berufung meint, auf dessen Antwort angewiesen war, kommt es für die Qualifikation als „personenbezogene Daten" i.S. d. Art. 4 Nr. 1 DS-GVO nicht an (zu Namensangaben: BGH, Urteil vom Oktober 2021 - VI ZR 489/19 -, Rn. 26, juris; zu Name, Geschlecht, Religion und Sprache: EuGH, Urteil vom 17.07.2014 - Rs. C-141/12, Rs. C-372/12, CR 2015, 103, 104).

Die Versendung einer Nachricht, fällt, sofern sie - wie hier - personenbezogene Daten enthält, in den sachlichen Anwendungsbereich der Datenschutz Grundverordnung (Art. 2 Abs. 1 DS-GVO).

Die Beklagte ist verantwortliche Stelle für die Verarbeitung von Daten und damit "Verantwortlicher" im Sinne von Art. 4 Nr. 7 DS-GVO (Ernst in: Paal/Pauly, a.a.O., Art. 4 Rn. 55).

Indem die Beklagte die Daten im Rahmen des Bewerbungsverfahrens erhebt, erfasst, ordnet, speichert und gegenüber Dritten offenlegt, "verarbeitet" sie diese Daten im Sinne von Art. 4 Nr. 2 DS-GVO. Danach ist eine „Verarbeitung" jeder mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführte Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung, den Abgleich oder die Verknüpfung, die Einschränkung, das Löschen oder die Vernichtung.

Die Übermittlung der Nachricht mit den enthaltenen personenbezogenen Daten des Klägers an einen unbeteiligten Dritten stellt eine Verarbeitung seiner Daten in Form der beispielhaft genannten „Offenlegung durch Übermittlung" dar.

Die Berufung wendet ein, es handele sich vorliegend nicht um eine Verarbeitung, da mit dem versehentlichen „Klick", mit dem die Nachricht an den falschen Empfänger geschickt wurde, eine manuelle Handlung vorgenommen worden sei. Ein solches manuelles Verklicken stelle bereits keinen „Vorgang" im Sinne des Art. 4 Nr. 2 DS-GVO dar. Dies ist abzulehnen, da die Legaldefinition auch Vorgänge ohne Hilfe automatisierter Verfahren benennt und damit das manuelle Handeln ausdrücklich einschließt.

Auch die Versendung an einen zufälligen Adressaten schadet dabei nicht. Insoweit hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 25.11.2021 zu Inbox-Werbung klargestellt, dass eine „Verwendung elektronischer Post für die Zwecke der Direktwerbung" im Sinne der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) darstellt, ohne dass die Bestimmung der Empfänger dieser Nachrichten nach dem Zufallsprinzip von Bedeutung ist (EuGH, Urteil vom 25. November 2021 - C-102/20 -, juris). Dies gilt für die hier maßgebliche Nachricht in gleicher Weise.

Die Verarbeitung der personenbezogenen Daten des Klägers durch Versendung an einen in das Bewerbungsverfahren nicht eingebundenen Dritten war unrechtmäßig und insbesondere nicht von einer Einwilligung des Klägers erfasst. Durch den Umstand des Bewerbungsverfahrens hat der Kläger weder in die Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten durch Offenlegung gegenüber Dritten gemäß Art. 6 Abs. a) DS-GVO eingewilligt noch sind die in Art. 6 b) bis f) genannten Voraussetzungen, etwa die Notwendigkeit der Weitergabe im Bewerbungsverfahren, diesbezüglich gegeben.

Auch die für eine Begründetheit des Unterlassungsanspruchs erforderliche Wiederholungsgefahr ist gegeben. Im Umfang des vorliegenden Datenschutzverstoßes besteht insofern eine tatsächliche Vermutung (Grüneberg/Herrler, BGB 81. Aufl., § 1004, Rn. 32), welche die Beklagte nicht widerlegt hat. Denn insofern vertritt sie weiterhin die Auffassung, dass es sich nicht um einen Datenschutzverstoß handelte, keine persönlichen Daten offenbart wurden und eine Unterlassungserklärung im Umfang des Klageantrages von ihr nicht geschuldet ist (ebenso: OLG Dresden, Urteil vom 14. Dezember 2021 - 4 U 1278/21 -, Rn. 47, juris).

Soweit der Klageantrag auch Daten erfasst, die nicht Gegenstand der Nachricht vom 23.10.2018 waren, ergibt sich die insofern erforderliche Erstbegehungsgefahr aus dem unstreitigen bzw. bewiesenen Sachverhalt. Denn die Beklagte beruft sich auf ein fahrlässiges „Verklicken" einer Mitarbeiterin im Rahmen der Kommunikation über Xing. Eine bewusste Auswahl hinsichtlich der weitergegebenen Daten erfolgte hierbei nicht, da die Weiterleitung an Herrn A ja unbeabsichtigt geschah und die Mitarbeiterin, Frau D, meinte, die Nachricht an den Kläger zu senden, was datenschutzrechtlich unbedenklich gewesen wäre. Solange die Beklagte nichts unternimmt, Fehler dieser Art künftig zu vermeiden, besteht daher die Gefahr entsprechender Datenschutzverstöße. Soweit hierbei andere von dem Kläger über Xing mitgeteilte Daten betroffen sind, besteht eine erstmals ernsthaft drohende Beeinträchtigung, was für eine Unterlassungsanspruch ausreichend ist (Grüneberg/Herrler, a.a.O.).

Mangels hinreichender Unterlassungserklärung, der es im Regelfall zur Widerlegung der Wiederholungs- bzw. der Erstbegehungsgefahr bedarf (OLG München, Urteil vom 19.1.2021 - 18 U 7243/19, Rn. 63 juris), besteht diese fort. Zwar lässt eine (ordnungsgemäße) Unterlassungsverpflichtungserklärung auch ohne Annahme durch den Gläubiger die Wiederholungsgefahr grundsätzlich entfallen; hierzu muss die Erklärung den Unterlassungsanspruch nach Inhalt und Umfang aber voll abdecken (BGH, Urteil vom 21.6.2005. VI ZR 122/04, Rn. 6, juris m.w.N.). Dies ist jedoch nicht der Fall, denn die strafbewehrte Unterlassungserklärung vom 4.3.2019 (Anlage K 5, Bl. 29 d.A.) beschränkte sich auf den genauen Wortlaut der streitgegenständlichen Nachricht. Vor neuen Verletzungshandlungen schützt sie daher nicht in ausreichender Weise.

Der Kläger muss nämlich insgesamt vor der rechtswidrigen Weitergabe seiner personenbezogenen Daten geschützt werden. Diese Gefahr besteht nicht nur im Hinblick auf die konkrete Nachricht, sondern auch hinsichtlich der Weitergabe seiner Angaben an Dritte in vergleichbarer Weise. Da die Begrenzung der Unterlassungserklärung auf den konkreten Wortlaut der Nachricht zu eng gefasst ist, ist die Berufung hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs unbegründet.

Dass der konkrete Verstoß mit gleichem Wortlaut erneut erfolgen könnte, liegt angesichts der Individualität der Nachricht fern. Vergleichbare Verstöße hingegen, die bei nicht ausreichend sorgsamen Umgang mit persönlichen Daten drohen könnten, sind nicht ausgeschlossen. Sofern die Berufung einwendet, eine Wiederholung sei ausgeschlossen, da es sich um ein Augenblicksversagen einer Mitarbeiterin gehandelt habe, ist dies für die Bewertung der Wiederholungsgefahr nach Auffassung des Senats nicht der entscheidende Gesichtspunkt. Es obliegt der Beklagten als Verantwortliche für die von ihr verarbeiteten personenbezogenen Daten, ihre Mitarbeiter im Umgang ausreichend zu schulen (so auch: Golland, DSB 2020, 286-288; Gündel, Grundeigentum 2021, 1109-1111) sowie ggf. durch technische Maßnahmen vorhersehbare Fehlanwendungen zu vermeiden.

Insoweit hat das Landgericht richtigerweise Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen E zu den seitens der Beklagten im Zusammenhang mit dem Rechtsverstoß ergriffenen Maßnahmen. Es ist dabei zu der Überzeugung gelangt, dass keine Schulungsmaßnahmen oder anderweitige Vorkehrungen von der Beklagten hinsichtlich der betreffenden Mitarbeiterin oder deren Kollegen veranlasst worden sind, die mit der notwendigen Sicherheit etwaige künftige Rechtsverstöße vermeiden und damit die Vermutung widerlegen könnten. Das Landgericht hat festgestellt, dass der Zeuge nicht bestätigen konnte, dass alle relevanten Mitarbeiter hinsichtlich des Umgangs mit personenbezogenen Daten geschult worden seien. Zwischen der streitgegenständlichen Nachricht und der Benachrichtigung des Zeugen lag ein Zeitraum von mehr als sechs Wochen, so dass auch eine unverzügliche Reaktion auf den Datenschutzverstoß seitens der Beklagten nicht festgestellt werden konnte. Zudem hat die Beweisaufnahme ergeben, dass neue Mitarbeiter der Beklagten nicht im Hinblick auf die Problematik geschult werden, sondern lediglich eine Erklärung abgeben müssen, dass sie die Datenschutzbestimmungen einhalten werden.

Der Senat teilt die Einschätzung des Landgerichts, wonach diese Maßnahmen nicht ausreichen, um eine Wiederholungsgefahr auszuschließen. Denkbar wären Schulungsmaßnahmen zwecks Sensibilisierung der Mitarbeiter hinsichtlich konkreter Fehlerquellen oder die Vorgabe anderer Kommunikationswege als die direkt über das Portal Xing zugeleitete Nachricht, die ein hohes Risiko der Falschadressierung birgt. Die Berufung greift die Feststellungen des Landgerichts zum Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme nicht an.

Die Wiederholungsgefahr entfällt schließlich auch nicht teilweise im Umfang der abgegebenen Erklärung. Zwar sind - im Falle einer sachlich teilbaren Wiederholungsgefahr - Teilunterwerfungserklärungserklärungen möglich (BGH, Urteil vom 21.6.2005, a.a.O). Dies ist vorliegend jedoch nicht in relevanter Weise gegeben. Denn ein nochmaliges Versenden der gleichen Nachricht, was allein Gegenstand der abgegebenen Unterlassungserklärung ist, steht nicht in Rede. Zwar sind Unterlassungserklärungen der Auslegung zugänglich. Eine Auslegung dahingehend, dass die Beklagte sich strafbewehrt zur Unterlassung jeder künftigen Verletzung der in der Nachricht vom 23.10.2018 gegenständlichen Daten (Nachname, Geschlecht, Umstand der Bewerbung, Gehaltsvorstellung) verpflichtet hat, lässt sich dieser aufgrund des ausdrücklich eng beschränkten Wortlauts jedoch nicht entnehmen. Hiergegen spricht zudem die von der Beklagten nach wie vor vertretenen Auffassung, es liege überhaupt kein Datenschutzverstoß vor und sie dürfe die genannten Daten daher weiterverarbeiten.

Die Geltendmachung des Anspruchs innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach dem Verstoß ist nicht zu beanstanden. Das Abwarten des Bewerbungsprozesses ist nicht rechtsmissbräuchlich. Der Anspruchsinhaber darf die Durchsetzung seines Rechts zunächst zurückstellen, ohne dass die sich anschließende Geltendmachung als missbräuchlich darstellt. Die Enttäuschung über die Nichtberücksichtigung im Bewerbungsverfahren mag für die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs mitursächlich sein, den Einwand des Rechtsmissbrauchs vermag sie nicht auszulösen.

Im Hinblick auf den zugesprochenen Schadenersatzanspruch hat die Berufung der Beklagten Erfolg, zugleich ist der Anschlussberufung des Klägers der Erfolg zu versagen, da die Zahlungsklage unbegründet ist.

Dem Kläger steht kein Anspruch aus Art. 82 DS-GVO gegen die Beklagte auf Ersatz des von ihm geltend gemachten immateriellen Schadens im Zusammenhang mit der rechtswidrigen Datenverarbeitung zu.

Nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadensersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter. Jeder an einer Verarbeitung beteiligte Verantwortliche haftet für den Schaden, der durch eine nicht dieser Verordnung entsprechende Verarbeitung verursacht wurde, Art. 82 Abs. 2 Satz 1 DSGVO. Der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter wird von der Haftung gemäß Absatz 2 befreit, wenn er nachweist, dass er in keinerlei Hinsicht für den Umstand, durch den der Schaden eingetreten ist, verantwortlich ist, Art. 82 Abs. 3 DSGVO.

Die Voraussetzungen für einen Geldentschädigungsanspruch in Bezug auf einen dem Kläger zugefügten immateriellen Schaden liegen nach Auffassung des Senats nicht vor, da es jedenfalls an der Darlegung des Eintritts eines Schadens bei dem Kläger fehlt.

Zwar liegt, wie ausgeführt, ein Verstoß durch Übermittlung von personenbezogenen Daten an einen unbeteiligten Dritten vor. Zudem ist das Landgericht auch richtigerweise zusätzlich von einem Verstoß gegen Art. 34 Abs. 1 DS-GVO ausgegangen und hat ein durch die Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten voraussichtlich hohes Risiko für die persönlichen Rechte und Freiheiten angenommen. Die Information des Klägers über den Datenschutzverstoß erfolgte nicht unverzüglich, sondern erst auf dessen Nachfrage.

Die Frage, ob bereits der Datenschutzverstoß als solcher für das Entstehen eines Schadensersatzanspruchs ausreicht oder es darüber hinaus der Darlegung und des Nachweises eines konkreten (auch: immateriellen) Schadens bedarf, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten (für ein Ausreichen des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht: z.B. OLG München, Urteil vom 4.2.2019 - 15 U 3688/18 -, juris, Rn. 19 ff., Ehmann/Selmayr/Nemitz, Datenschutz-Grundverordnung, 2. Aufl., Art. 82 DS-GVO Rn. 11-13; für das Erfordernis eines nachgewiesenen Schadens z.B. LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 25.02.2021, 17 Sa 37/20, zit. nach juris, Rn. 96, LG Karlsruhe, Urt. v. 02.08.2019, 8 O 26/19, zit. nach juris, Rn. 19, Ernst, juris PR-ITR 1/2021 Anm. 6 in einer Anmerkung zu dem vorliegend angefochtenen Urteil des Landgerichts Darmstadt v. 26.05.2020, 13 O 244/19, m.w.N.). Insbesondere von den Verfechtern eines Anspruchs ohne Nachweis eines konkreten Schadens wird zudem vertreten, dass die Beeinträchtigung über eine bloße Bagatellverletzung hinausgehen muss (vgl. hierzu die Quellenangaben bei Ernst, a.a.O.).

Sowohl der österreichische Oberste Gerichtshof (Vorabentscheidungsersuchen vom 12.05.2021, ZD 2021, S. 631, wobei der Gerichtshof die Auffassung vertritt, es sei der Nachweis eines Schadens erforderlich) als auch das Bundesarbeitsgericht (Vorabentscheidungsersuchen vom 26.08.2021, 8 AZR 253/20-A, wobei das BAG den Nachweis eines Schadens nicht für notwendig hält) haben die hiermit zusammenhängenden Fragen dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Der Senat folgt im Ergebnis der Auffassung, wonach über den festgestellten Verstoß gegen die Vorschriften des DS-GVO hinaus Voraussetzung für eine Entschädigung in Geld der Nachweis eines konkreten (auch immateriellen) Schadens ist. Hierfür spricht zunächst bereits der Wortlaut von Art. 82 Abs. 1 DS-GVO, der über den Verstoß hinaus ausdrücklich die Entstehung eins Schadens („...Schaden entstanden ist") voraussetzt (Eichelberger, WRP 2021, 159-167; Wybitul/Brams, ZD 2020, 644-646). Hätte der Verordnungsgeber eine nur an den Rechtsverstoß anknüpfende, vom Nachweis eines konkreten Schadens unabhängige Zahlungspflicht anordnen wollen, hätte es demgegenüber nahegelegen, dies - wie z.B. im Luftverkehrsrecht gem. Art. 7 Abs. 1 FluggastrechteVO (EG) 261/2004 - durch Pauschalen zu regeln (Eichelberger, aaO. Rn. 24). In dem Erwägungsgrund 146 S. 3 zu der DS-GVO heißt es zwar, dass der Begriff des Schadens im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs weit auf eine Art und Weise ausgelegt werden soll, die den Zielen der Verordnung in vollem Umfang entspricht. Der Anspruch soll nach Erwägungsgrund 146 S. 6 sicherstellen, dass die betroffenen Personen einen vollständigen und wirksamen Schadensersatz für den erlittenen Schaden erhalten. Das schließt ein, dass Schadensersatzforderungen abschrecken und weitere Verstöße unattraktiv machen sollen. Der Begriff des Schadens in Art. 82 DSGVO ist autonom auszulegen, mithin kommt es nicht darauf an, ob ein bestimmter Schaden nach nationalem Recht als Schaden angesehen werden könnte (Bergt in: Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, 3. Aufl. 2020, Art. 82 Rn. 17; vgl. in diesem Zusammenhang auch: BVerfG 14.1.2021 - 1 BvR 2853/19 - Rn. 20, juris).

Auch hiernach ist der Schaden jedoch nicht mit der zugrundeliegenden Rechtsgutsverletzung gleichzusetzen. Denn ausdrücklich muss der Schaden „erlitten" werden, woraus folgt, dass dieser tatsächlich entstanden sein muss und nicht lediglich befürchtet wird (LAG Baden-Württemberg, Urte. v. 25.02.2021, 17 Sa 37/20, zit. nach juris, Rn. 96 unter Bezug auf Frenzel in: Paal/Pauly, a.a.O., Art. 82, Rn. 10 und Klein GRUR-Prax 2020, 433). Der bloße Verstoß gegen Bestimmungen der DS-GVO reicht daher nicht aus.

Hinzu kommt schließlich, dass weder Art. 82 DS-GVO noch dessen Erwägungsgründe einen Hinweis darauf enthalten, dass geringfügige (Bagatellschäden) nicht auszugleichen wären; vielmehr sieht Erwägungsgrund 148 Satz 2 vor, dass lediglich ausnahmsweise bei geringfügigen Verstößen auf die Verhängung einer Geldbuße verzichtet werden kann (LAG Baden-Württemberg, a.a.O. m.w.N.).

Das Erfordernis des Nachweises eines tatsächlich erlittenen Schadens ist daher auch der Sache nach erforderlich, um ein vom Verordnungsgeber nicht gewolltes Ausufern von Schadensersatzforderungen in allen Fällen eines - tatsächlich für den Betroffenen folgenlosen - Datenschutzverstoßes zu vermeiden (so insbesondere auch Ernst, a.a.O.).

Das Vorliegen eines konkreten -immateriellen- Schadens, wozu auch Ängste, Stress sowie Komfort- und Zeiteinbußen zählen (Bergt in: Kühling/Buchner, DS- GVO BDSG, 3. Auflage 2020, Rn. 18 b), hat der Kläger nicht dargetan. Der Vortrag in seinem auf einen entsprechenden Hinweis des Senats eingereichten Schriftsatz vom 11.1.2022 (Bl. 326 ff. d. A.) erschöpft sich in der - erneuten- Darlegung des Datenschutzverstoßes. Insofern führt der Kläger an, dass der Schaden nicht in dem bloßen, abstrakten Kontrollverlust über die offenbarten Daten, sondern in der Tatsache liege, dass nunmehr mindestens eine weitere Person, die den Kläger und potentielle wie ehemalige Arbeitgeber kenne, über Umstände Kenntnis habe, die der Diskretion unterlägen. Zudem empfinde der Kläger das „Unterliegen" in den Gehaltsverhandlungen als Schmach, die er nicht an Dritte - vor allem nicht an potentiellen Konkurrenten - weitergegeben hätte.

Nähere Ausführungen zu einem Schaden erfolgen klägerseits nicht. Selbst bei Unterstellung einer „Schmach", vermag der Senat diese nicht als einen immateriellen Schaden zu bewerten. Denn der Kläger hat schon nicht mitgeteilt, welche Größenordnung des Gehaltsrahmens angestrebt, ob die angebotene Summe, die durch variable Anteile ohnehin nicht die Obergrenze bildete und im noch laufenden Bewerbungsverfahren vorläufig war, mit einer Diskreditierung verbunden war.

Dem Kläger steht ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten aus dem Gegenstandswert der berechtigt geltend gemachten Unterlassungsansprüche und damit aus der Gebührenstufe bis 15.000,- € zu. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts war notwendig, da es sich um schwierige Rechtsfragen handelt, für deren Klärung eine anwaltliche Beratung erforderlich ist. Der Anspruch beläuft sich gemäß §§ 2 Abs. 2, 13 RVG Nr. 2300 VV RVG auf 1.029,35 €. Da die Anschlussberufung den erstinstanzlich zuerkannten Betrag von 1.025,55 € nicht angreift, hat es bei diesem zu verbleiben.

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Senat nicht gehalten, das vorliegende Verfahren auszusetzen und die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung nach Art. 267 Abs. 2, 1 AEUV über die Auslegung von Art. 15 DS-GVO vorzulegen.

Die hier maßgeblichen Rechtsfragen liegen dem EuGH bereits in anhängigen Verfahren (BAG, EuGH-Vorlage vom 26. August 2021 - 8 AZR 253/20 (A) -, Rn. 33, juris; Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs (Österreich) eingereicht am 12. Mai 2021 - juris) vor. Zudem besteht eine Pflicht zur Vorlage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV im vorliegenden Verfahren schon deshalb nicht, weil das vorliegende Urteil hier nicht als Entscheidung eines Gerichts ergeht, dessen Entscheidungen selbst im Sinne von Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können. Dem Kläger steht es infolge der diesbezüglich zuzulassenden Revision - dazu unten - frei, die Entscheidung durch den Bundesgerichtshof überprüfen zu lassen (s. OLG Köln, Urteil vom 26. Juli 2019 - I-20 U 75/18 -, Rn. 328, juris).


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LG Köln: Schuhe bzw. Sandalen können als Werke der angewandten Kunst nach § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG urheberrechtlich geschützt sein

LG Köln
Urteil vom 03.03.2022
14 O 366/21


Das LG Köln hat entschieden, dass Schuhe bzw. Sandalen als Werke der angewandten Kunst nach § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG urheberrechtlich geschützt sein können.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Verfügungsklägerin hat das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen des aus § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG i.V.m. §§ 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, 15 Abs. 1 Nr. 2, 17 Abs. 1 UrhG folgenden Unterlassungsanspruchs gegen die Verfügungsbeklagte dargelegt und glaubhaft gemacht.

1. Die streitgegenständlichen Schuhmodelle „B “ und „H “ stellen persönliche geistige Schöpfungen im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG dar.

a) Nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG gehören Werke der bildenden Kunst einschließlich der Werke der Baukunst und der angewandten Kunst und Entwürfe solcher Werke zu den urheberrechtlich geschützten Werken, sofern sie nach § 2 Abs. 2 UrhG persönliche geistige Schöpfungen sind. Eine persönliche geistige Schöpfung ist eine Schöpfung individueller Prägung, deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht hat, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise von einer »künstlerischen« Leistung gesprochen werden kann (BGH, Urteil vom 29.4.2021 – I ZR 193/20, ZUM 2021, 1040, 1047 – Zugangsrecht des Architekten; st. Rspr.; vgl. BGH GRUR 1983, 377, 378, juris Rn. 14 – Brombeer-Muster; GRUR 1987, 903, 904, juris Rn. 28 – Le-Corbusier-Möbel; ZUM-RD 2011, 457, Rn. 31 – Lernspiele; ZUM 2012, 36 Rn. 17 – Seilzirkus; BGHZ 199, 52 = ZUM 2014, 225 Rn. 15 – Geburtstagszug). Dabei kann die ästhetische Wirkung der Gestaltung einen Urheberrechtsschutz nur begründen, soweit sie auf einer künstlerischen Leistung beruht und diese zum Ausdruck bringt (BGH ZUM 2012, 36 Rn. 36 – Seilzirkus; BGHZ 199, 52 = ZUM 2014, 225 Rn. 41 – Geburtstagszug). Mit Blick auf die Neugestaltung des Geschmacksmusterrechts durch das Geschmacksmusterreformgesetz vom 12.03.2004 und auf die europäische Urheberrechtsentwicklung hat der BGH seine zuvor bestehende Rechtsprechung aufgegeben, wonach bei Werken der angewandten Kunst höhere Anforderungen an die Gestaltungshöhe eines Werks zu stellen sind als bei Werken der zweckfreien Kunst (BGHZ 199, 52 = ZUM 2014, 225 Rn. 17 bis 41 – Geburtstagszug). Für einen urheberrechtlichen Schutz von Werken der angewandten Kunst und der bildenden Kunst ebenso wie für alle anderen Werkarten ist allerdings gleichwohl eine nicht zu geringe Gestaltungshöhe zu fordern (vgl. BGHZ 199, 52 = ZUM 2014, 225 Rn. 40 – Geburtstagszug; BGH ZUM 2015, 996 Rn. 44 – Goldrapper).

b) In der Sache sollen diese Maßstäbe dem unionsrechtlichen Begriff des urheberrechtlich geschützten Werkes im Sinne der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft entsprechen (vgl. Koch GRUR 2021, 273 [274 f.]).

Dabei handelt es sich nach der Rechtsprechung des EuGH um einen autonomen Begriff des Unionsrechts, der in der gesamten Union einheitlich auszulegen und anzuwenden sein soll (EuGH, ZUM 2019, 56 Rn. 33 – Levola Hengelo; ZUM 2019, 834 Rn. 29 – Cofemel). Für eine Einstufung eines Objekts als Werk müssen danach zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen muss es sich bei dem betreffenden Gegenstand um ein Original in dem Sinne handeln, dass er eine eigene geistige Schöpfung seines Urhebers darstellt (EuGH, ZUM 2019, 56 Rn. 36 – Levola Hengelo; ZUM 2019, 834 Rn. 29 – Cofemel; ZUM 2020, 609 Rn. 22 – Brompton). Ein Gegenstand kann erst dann, aber auch bereits dann als ein Original in diesem Sinne angesehen werden, wenn er die Persönlichkeit seines Urhebers widerspiegelt, indem er dessen freie kreative Entscheidung zum Ausdruck bringt. Wurde dagegen die Schaffung eines Gegenstands durch technische Erwägungen, durch Regeln oder durch andere Zwänge bestimmt, die der Ausübung künstlerischer Freiheit keinen Raum gelassen haben, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Gegenstand die für die Einstufung als Werk erforderliche Originalität aufweist (EuGH ZUM 2019, 834 Rn. 30 f. – Cofemel; ZUM 2020, 609 Rn. 23 f. – Brompton). Zum anderen ist die Einstufung als Werk Elementen vorbehalten, die eine solche Schöpfung zum Ausdruck bringen (EuGH ZUM 2019, 56 Rn. 37 – Levola Hengelo; ZUM 2019, 834 Rn. 29 – Cofemel; ZUM 2020, 609 Rn. 22 – Brompton). Dafür ist ein mit hinreichender Genauigkeit und Objektivität identifizierbarer Gegenstand Voraussetzung (EuGH, ZUM 2019, 834 Rn. 32 – Cofemel; ZUM 2020, 609 Rn. 25 – Brompton), auch wenn diese Ausdrucksform nicht notwendig dauerhaft sein sollte (EuGH ZUM 2019, 56 Rn. 40 – Levola Hengelo).

c) Gegen die Annahme eines unionsrechtlich vereinheitlichten Werkbegriffs bestehen jedoch – jedenfalls für den Bereich der angewandten Kunst – grundsätzliche Bedenken. Die Richtlinie 2001/29/EG regelt in ihren Art. 2 bis 4, dass die Mitgliedstaaten ausschließliche Rechte für die Urheber in Bezug auf ihre „Werke“ vorsehen. Art. 5 der Richtlinie 2001/29/EG nennt eine Reihe von Ausnahmen und Beschränkungen dieser Rechte. Soweit der EuGH davon ausgeht, aus dem Umstand, dass die Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.05.2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft für die Ermittlung des Sinnes und der Tragweite des Begriffs „Werk“ nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweise, müsse im Hinblick auf die Erfordernisse sowohl der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des Gleichheitssatzes gefolgert werden, dass dieser Begriff in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müsse, überschreitet er seine Kompetenzen (Schack, GRUR 2019, 75). Denn die Mitgliedsstaaten wollten den Werkbegriff in der Richtlinie 2001/29/EG gerade nicht vereinheitlichen. Generell einen ausdrücklichen Vorbehalt zugunsten der Mitgliedstaaten zu fordern, ist mit den in Art. 5 EU-Vertrag niedergelegten Prinzipien der begrenzten Einzelermächtigung und der Subsidiarität nicht vereinbar (vgl. Röthel, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 11 Rn. 7). Andernfalls ließe sich aus jeder Teilregelung in einer Richtlinie oder Verordnung praktisch stets eine vollständige Rechtsvereinheitlichung folgern, was offensichtlich nicht gewollt sein kann. Die Erwägungsgründe 21 ff. Richtlinie 2001/29/EG führen nur einzelne Verwertungsrechte auf und erwähnen mit keinem Wort eine Vereinheitlichung des Werkbegriffs über die in Erwägungsgrund 20 genannten Richtlinien hinaus.

Für den vorliegend relevanten Schutz von Werken der angewandten Kunst ist zudem Art. 17 Richtlinie 98/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1998 über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen zu berücksichtigen, der das Verhältnis zum Urheberrecht regelt:

„Das nach Maßgabe dieser Richtlinie durch ein in einem oder mit Wirkung für einen Mitgliedstaat eingetragenes Recht an einem Muster geschützte Muster ist auch nach dem Urheberrecht dieses Staates von dem Zeitpunkt an schutzfähig, an dem das Muster geschaffen oder in irgendeiner Form festgelegt wurde. In welchem Umfang und unter welchen Bedingungen ein solcher Schutz gewährt wird, wird einschließlich der erforderlichen Gestaltungshöhe von dem einzelnen Mitgliedstaat festgelegt.“

Folglich sind die nationalen Gerichte zur Beurteilung der für die urheberrechtliche Schutzfähigkeit von Werken der angewandten Kunst maßgeblichen Gestaltungshöhe und der Werkqualität kompetent. Jedenfalls steht den nationalen Gerichten – auch wenn man einen einheitlichen, unionsweiten Werkbegriff grundsätzlich anerkennt – bei der Anwendung des Werkbegriffs bei den einzelnen Werkarten ein umfassender Beurteilungsspielraum zu. Denn mit der autonomen Auslegung des unionsrechtlichen Werkbegriffs steht es im Einklang, wenn ein Beurteilungsspielraum der nationalen Gerichte bei der Anwendung des Werkbegriffs bei den einzelnen Werkarten anerkannt wird (vgl. v. Ungern-Sternberg, GRUR 2010, 273). Wann Spielräume im Einzelfall in individueller Weise genutzt werden, überlässt der EuGH den nationalen Gerichten (EuGH, GRUR 2020, 736, Rn. 38 – Brompton).

d) Das Vorhandensein einer Schöpfung, von Individualität und Originalität lässt sich nicht allein aus den objektiven Eigenschaften des jeweiligen Werkes herleiten. Vielmehr sind diese Merkmale anhand ihrer Relation zum konkreten Schaffensprozess zu betrachten. Die Werk-Schöpfer-Beziehung kann weder aus einer einseitigen Betrachtung der Person des Urhebers heraus noch durch Analyse seines Werkes allein adäquat erfasst werden (grundlegend Haberstumpf, GRUR 2021, 1249, 1251; Barudi, Autor und Werk – eine prägende Beziehung?, 2013, 32 f.). Maßgeblich ist vielmehr, nach welchen Regeln der Urheber eines bestimmten Werkes gearbeitet hat, wohingegen keine Rolle spielt, ob er sich dessen bewusst war. Erst dann, wenn keine bestehenden Regeln vorgeben, wie der Erschaffer eines Produkts auf einem bestimmten Gebiet dieses zu fertigen hat – etwa anhand von erlernten Verarbeitungstechniken und Formgestaltungsregeln – bestehen keine Gestaltungsspielräume mehr, mit der Folge, dass die Entfaltung von Individualität dann nicht mehr möglich ist, selbst wenn ein handwerklich in Perfektion gefertigtes Produkt neu und eigenartig ist, also durchaus Designschutz beanspruchen könnte. Die rein handwerkliche oder routinemäßige Leistung trägt nicht den Stempel der Individualität, mag sie auch noch so solide und fachmännisch erbracht sein (Leistner, in: Schricker/Loewenheim, 6. Aufl. 2020, § 2, Rn. 53). Der Hersteller muss den bestehenden Gestaltungsspielraum indes auch durch eigene kreative Entscheidungen ausfüllen, um zum Urheber zu werden (BGH, GRUR 2014, 175, Rn. 41 – Geburtstagszug). Dies bedeutet, dass das schöpferische Individuum kein Produkt aus Regeln ist, sondern selbst eine Regel für das Urteil über andere Produkte, also exemplarisch sein muss.

Die technische Bedingtheit eines Produkts durch die Anwendung technischer Regeln und Gesetzmäßigkeiten kann den Spielraum des Gestalters beschränken, wenn eine technische Idee mit einer bestimmten Ausdrucksform zusammenfällt, diese Ausdrucksform technisch notwendig ist und damit schöpferisches Gestalten unmöglich macht (vgl. Zech, ZUM 2020, 801, 803). Technische Lehren können Spielräume des Gestalters aber auch erweitern, etwa, wenn dieser sich die kausalen Eigenschaften bestimmter Materialien oder vorhandener Gegenstände gerade zunutze macht, um mit diesen zu experimentieren, sie zu kombinieren und auszuloten, welche Gestaltungsmöglichkeiten sie bieten (Haberstumpf, GRUR 2021, 1249, 1253). So kann beispielsweise die Licht- und Farbwirkung von geschliffenem Kristallglas dazu beitragen, Tierfiguren als schutzfähig anzusehen (BGH, GRUR, 1988, 690, 692 f.).

Technische Regeln und Gesetzmäßigkeiten stehen einer schöpferischen Gestaltung also nur dann entgegen, wenn sie zwingende Wirkung entfalten, indem der Gestalter sich an bestehende Konventionen hält und diese befolgt, ohne von ihnen abzuweichen, sie zu modifizieren oder sich über sie hinwegzusetzen. Der Gestalter eines Produkts nutzt die ihm eröffneten Gestaltungsspielräume nicht, wenn er sich an vorgegebenen Techniken und Regeln orientiert. Zu einem schöpferischen Werk wird sein Produkt erst dann, wenn er von vorhandenen und praktizierten Gestaltungsgepflogenheiten abweichende Regeln in das jeweils in Anspruch genommene Kommunikationssystem explizit oder implizit einführt und danach handelt, indem er ein materielles Erzeugnis produziert, das als Beispiel oder Muster für seine selbstgesetzten Regeln dienen kann (Haberstumpf, GRUR 2021, 1249, 1256). Abzustellen ist nicht in erster Linie auf einzelne Gestaltungselemente, sondern auf den Gesamteindruck, den das Werk dem Betrachter vermittelt (OLG Hamburg, GRUR 2002, 419, 420).

Der Schöpfungsprozess ist daraufhin zu analysieren, ob der Urheber sich ausschließlich an Vorgegebenem orientiert und die Spielräume nicht durch eigene Entscheidungen ausgefüllt hat. Lässt sich ausschließen, dass ein Gestalter vollständig nach vorgegebenen Regeln gearbeitet hat, ist zu folgern, dass er jedenfalls in gewissem Umfang eigene schöpferische Entscheidungen getroffen hat. Dann spricht eine Vermutung dafür, dass er den gegebenen Gestaltungsspielraum tatsächlich genutzt hat, um sein geistiges Produkt hervorzubringen. Der anspruchstellende Urheber genügt danach seiner Obliegenheit, die Schutzfähigkeit seines Werkes darzulegen, und glaubhaft zu machen, regelmäßig dadurch, dass er ein Werkexemplar vorlegt und seine Besonderheiten präsentiert (vgl. BGH, GRUR 1981, 820, 822 – Stahlrohrstuhl III). Verteidigt sich der wegen Urheberrechtsverletzung in Anspruch Genommene mit dem Einwand, das streitgegenständliche Werk sei nicht schutzfähig oder der Schutzumfang sei eingeschränkt, weil der Urheber auf vorbekannte Gestaltungen zurückgegriffen habe, muss dieser die Existenz und das Aussehen solcher Gestaltungen darlegen und beweisen.

e) Nach Maßgabe dieser Grundsätze sind streitgegenständlichen Sandalenmodelle „B “ und „H “ urheberrechtlich geschützt. Die Einwände der Verfügungsbeklagten aus der Widerspruchsbegründung und dem Schriftsatz vom 10.01.2022 sowie dem vorgelegten Gutachten von Frau Dr. O vermögen dies im Ergebnis nicht in Zweifel zu ziehen. L C hat mit bestimmten Materialien und Gestaltungselementen derart experimentiert und diese miteinander kombiniert, dass sein jeweiliges Ergebnis schöpferischen Charakter besitzt. Die gilt unabhängig davon, dass einzelne dieser Gestaltungselemente bereits vorbekannt waren und sich in Sandalenmodellen anderer Hersteller wiederfanden. Denn in ihrer einheitlichen Zusammenführung liegt die Originalität der von L C ersonnenen Gestaltung. Er hat sich dabei individuell hinreichend von den auf seinem Schaffensgebiet bestehenden, üblichen und bekannten Darstellungsformen für Sandalenmodelle entfernt und über die von der Funktion vorgegebene Form hinaus künstlerische Gestaltungen vorgenommen. Die von der Verfügungsbeklagten eingewandten anderweitigen Sandalenmodelle, die der Schutzfähigkeit der Modelle „B “ und „H “ entgegenstehen sollen, illustrieren vielmehr, dass es im Bereich der Sandalen vielfältige Gestaltungsspielräume und zahlreiche Möglichkeiten zu deren Ausfüllung gibt. L C hat insoweit eigenständige Regeln der Sandalengestaltung gefunden und sie u.a. in seinen Sandalenmodellen „B “ und „H “ umgesetzt.

Folgende Gestaltungsmerkmale sind prägend für das Sandalen-Konzept der Verfügungsklägerin und damit auch für die hier streitgegenständlichen Modelle „B “ und „H “ (Gutachten C2, S. 6; Gutachten O, S. 11).

1.) Das Fußbett

a. Eine gerade innere Sohlenkante

b. Eine Laufsohle aus Kunststoff mit C -Linienprofil

c. Veloursleder-bezogene Sohlenbahn

d. Zehengreifer / Bestandteil der Sohlenplastik

e. Fersenmulde / Bestandteil der Sohlenplastik

f. Tieffußbett aus Korkschrotmischung / unverkleideter Sohlenschnitt

2.) Das Befestigungssystem

a. Offenkantige, ungefütterte Schaft-Verarbeitung

b. Schaft im Cutout-Schnitt / aus einem Stück Leder geschnitten

c. Zwischen Tieffußbett und Laufsohle gefasster Zwickeinschlag des Oberleders

d. Eckige Schnalle mit geprägtem C -Schriftzug sowie

e. Oberteil mit zwei breiten Riemen in Cut-out-Schnittführung für das Modell „B “

f. Asymmetrisch geformter Y-Schaft für das Modell H

g. Gegossener Zehensteg mit Niete für das Modell H

Dass gerade diese hervorgehobenen Gestaltungsmerkmale ausschließlich technisch bedingt oder sonst durch handwerkliche Regeln und Konventionen erzwungen sein sollten, ist nicht erkennbar. Die Schöpfung trägt eine persönliche Handschrift, die sich auch bei weiteren – hier nicht streitgegenständlichen – von L C geschaffenen Sandalenmodellen wiederfindet.

Keines der von der Verfügungsbeklagten als vorbekannt angeführten Sandalenmodelle Dritter entspricht in der konkreten Kombination der Gestaltungsmerkmale den Modellen „B “ und „H “ der Verfügungsklägerin. Die Modelle „B “ und „H “ heben sich demgegenüber von der Formensprache vorbekannter Sandalen – auch bereits zum Zeitpunkt ihrer Markteinführung – ab.

Die als Beleg für eine vorbekannte gerade Sohleninnenkantenlinie angeführten antiken und traditionellen Sandalen:

[...]

verfügen jedenfalls nicht über ein Tieffußbett und zeichnen sich durch teils überbordende Ornamentik und Zierelemente aus, die schon dem schlichten, schnörkellosen Eindruck der Modelle der Verfügungsklägerin diametral entgegenstehen.

Die „C3 des Friedens-Sandale:

[...]

verfügt zwar über eine mit Velourleder ummantelte Sohlenbahn, die aber bereits optisch deutlich breiter und markanter ausfällt als bei „B “ und „H “, wo der bezogene Sohlenteil deutlich schmaler ausfällt als der unverkleidete Sohlenschnitt aus der Korkschrotmischung.

Bei den von der Verfügungsbeklagten eingewandten Fußgymnastik und Fussformsandalen:

[...]

lässt sich deren tatsächliches Aussehen und Gestaltung anhand der vorgelegten Katalogzeichnungen nicht eindeutig bestimmen. Die einschnallige Befestigungsvorrichtung weicht jedenfalls deutlich von den hier streitgegenständlichen Modellen „B “ und „H “ ab.

Gleiches gilt für die ornamentalistisch verzierten und an der Ferse geschlossenen WeekendSneaker:

[...]

und die kreuzriemengeschnürten Plastikfußbettsandalen:

[...]

Auch wenn diese über ein Naturkork-Fußbett oder eine Plastiksohle aus Korkschrot verfügen, haben die jeweiligen Gestalter völlig unterschiedliche Befestigungs- und Riemenkonstruktionen im Vergleich zu den Modellen der Verfügungsklägerin gewählt.

Der Umstand, dass sowohl die Sohlenschnitte den Sohlen antiker Sandalen entsprächen als auch der Velourlederbezug von Fußbrandsohlen sowie die Merkmale der Tieffußbettsohle aus Korkschrot mit Zehengreifer jeweils als Einzelelemente vorbekannt gewesen sein sollen, belegt nicht, dass die Kombination dieser Elemente, für deren Vorbekanntheit die Verfügungsbeklagte keine Anhaltspunkte liefert, bereits vorgegebenen Konventionen oder Regeln technischer respektive ästhetischer Art entsprochen hätte.

Gleichermaßen ist der von der Verfügungsbeklagten hervorgehobene Umstand, dass das Material Kork bereits für Schuhsohlen:

[...]

Verwendung fand und auch bei Sandalen eingesetzt wurde:

[...]

per se unbehelflich, da die angeführten Schuhmodelle sich in ihrem durch die Verwendung von Block- und Keilabsätzen geprägten Gesamteindruck deutlich von den streitgegenständlichen Sandalenmodellen unterscheiden.

Die technischen Darstellungen aus der eingewandten Patentschrift Nr. 0000 vom 07.04.1942 (Anlage SSM21):

[...]

illustrieren ein von den streitgegenständlichen Sandalenmodellen deutlich abweichendes Fußbett. Ausweislich der Patentansprüche (Bl. 769 d.A.) handelt es sich um eine Sandale zur therapeutischen Behandlung des menschlichen Fußes mit nach den Rändern zu abfallender Sohlenoberfläche und einem von dem Fersenende aus bis etwa zur Fußmitte parallel zur Sohlenunterseite verlaufenden Einschnitt oder entsprechenden Abstufungen, dadurch gekennzeichnet, dass für die Zehen ein vertieftes Bett in der Oberfläche der Sohle vorgesehen ist, welches, an der Zehenwurzel beginnend, eine steil nach unten abfallende Fläche aufweist. Die Sandale der Patentschrift sollte dadurch gekennzeichnet sein, dass für die Großzehe, den Ballen und die Ferse ein besonderes Bett vorgesehen ist. Weiterhin sollte die Sandale dadurch gekennzeichnet sein, dass die Sohlenoberfläche mit quer zur Fußrichtung verlaufenden Aufrauhungen versehen ist. Diese Betten sollten zwar in einem besonderen weichen Stoff, beispielsweise Kork, angebracht sein, welcher in die Sohle eingelassen ist. Die vorangegangene Beschreibung und die Zeichnung zeigen aber, dass es sich um eine gänzlich andere Ausformung der Sohle handelt als das typische C -Tieffußbett, dass bei den streitgegenständlichen Sandalen der Verfügungsklägerin Verwendung findet. Die innere Sohlenkannte ist zudem nicht gerade gehalten, sondern weist eine deutlich Krümmung auf. Eine Fersenmulde scheint nicht vorgesehen.

Für die Gebrauchsmusteranmeldung Anlage SSM22 (Bl. 771 ff. d.A.):

[...]

gelten vergleichbare Erwägungen. Die Neuerung sollte hier einen Zehengreifwulst für das Fußbett von Gymnastik-Sandalen betreffen, die aus einem einstückigen Schuhboden aus Holz, Kunststoff oder ähnlichem Material und einem einzigen Halteriemen etwa in der Gegend der Zehengrundgelenke des Fußes bestehen. Das Halten der Sandale am Fuß sollte hierbei nicht allein durch den einzigen, in der Gegend der Grundgelenke vorgesehenen Riemen gewährleistet werden, sondern vielmehr sollte es dazu einer zusätzlichen Greifbewegung und Greifkraft der Zehen gegen den vorderen Teil des Schuhbodens bedürfen. Durch das Greifen und Entspannen beim Aufsetzen des Fußes sollte eine ständige gymnastische Übung und daher eine günstige therapeutische Wirkung erzielt werden. Einen vergleichbaren Zehengreifwulst weisen die streitgegenständlichen Sandalen schon nicht auf und unterscheiden sich optisch deutlich von der Skizze der Gebrauchsmusteranmeldung.

Auch hinsichtlich des Befestigungssystems zeigt die Verfügungsbeklagte nicht auf, dass vorbekannte Gestaltungsmuster der Schutzfähigkeit der Sandalenmodelle „B “ und „H “ entgegenstehen würden.

Die von der Verfügungsbeklagten angeführten Drei- und Mehrbandsandalen weichen von den hier streitgegenständlichen Modellen deutlich ab:

[...]

Soweit C selbst Dreibandmodelle hergestellt hat, sind diese hier nicht streitgegenständlich.

Die von der Verfügungsbeklagten bemühten Zweibandmodelle sind weitestgehend gänzlich abweichend von den C -Modellen gestaltet:

[...]

Einzig ein Zweiriemen-Model der „sandali per l’uomo sportiva“:

[...]

kommt der Riemengestaltung des streitgegenständlichen Modells „B “ nahe, weist aber wiederum ein deutlich abweichendes Fußbett und eine stark unterschiedliche Sohle auf.

Schließlich vermag auch die vermeintliche Vorbekanntheit der T- respektive Y-Gestaltung des Sandalenmodells „H “ nicht zu belegen, dass hier kein Gestaltungsspielraum bestanden und von L C individuell-schöpferisch ausgefüllt worden wäre.

Die entgegengehaltenen altägyptischen Sandalentypen:

[...]

weisen zwar bereits die Typik auf, dass die Sandale hoch auf dem Rist durch eine Querbandage fest am Fuß gehalten wird. Keines der Beispiele vereint aber die Charakteristika der streitgegenständlichen Sandale „H “, da zumeist bereits das Fußbett, aber auch die Schnallenbindung abweichend gestaltet ist.

Nicht anders verhält es sich mit den moderneren Varianten, die zwar durchaus im Grundsatz vergleichbare Bindungsriemen, aber im Übrigen stark unterschiedliche Sohlenplastiken und Fußbettgestaltungen aufweisen:

[...]

oder aber eine abweichende Gestaltung mit Fersenriemen:

[...]

f) Subjektive Verlautbarungen der Verfügungsklägerin oder ihrer Rechtsvorgänger sind für die Beurteilung der eigenschöpferischen Qualität – wie aufgezeigt – unbeachtlich, wenn gleichwohl ein künstlerischer Gestaltungsspielraum bestand und im Rahmen des Schaffensprozesses genutzt wurde, auch wenn dies möglicherweise zunächst als rein handwerklich wahrgenommen wurde. Ein zusätzlicher Nachweis einer bestimmten Motivation des Schöpfers würde die Anforderungen an den Schutz eines Werkes der angewandten Kunst gegenüber einem solchen der bildenden Kunst erhöhen. Dies erscheint mit einem gleichrangigen Beurteilungsmaßstab kaum vereinbar. Die Aussage des Schöpfers L C , Mode habe ihn überhaupt nicht interessiert, gibt vor diesem Hintergrund keinen Anlass für eine abweichende Bewertung.

2. Die Verfügungsklägerin ist zur Geltendmachung der hier streitgegenständlichen urheberrechtlichen Ansprüche aktivlegitimiert.

a) Dazu hat sie durch Vorlage der Anlage ASt 8 (Bl. 161 f. d.A.) glaubhaft gemacht, dass der ehemalige Geschäftsführer und Gesellschafter der Rechtsvorgängerin der Verfügungsklägerin, Herr L C , allein verantwortlicher Gestalter und damit alleiniger Schöpfer der hier gegenständlichen Schuhmodelle war und alle damit zusammenhängenden Immaterialgüterrechte an die C Sales GmbH übertragen hat. Die weitere Übertragung von der C Sales GmbH auf die Verfügungsklägerin ist ebenfalls durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherung des Legal Counsel IP der C Gruppe in Anlage ASt 6 (Bl. 157 d.A.) glaubhaft gemacht.

Soweit die Verfügungsbeklagte geltend macht, weder aus dem Vortrag der Verfügungsklägerin noch aus den Feststellungen in der angegriffenen Beschlussverfügung sei erkennbar, ob Herr L C der weiteren Übertragung der ausschließlichen Nutzungsrechte auf die Verfügungsklägerin gemäß § 34 Abs. 1 UrhG zugestimmt habe, dringt sie damit nicht durch.

In der Erklärung vom 05.11.2020 heißt es:

„Wir bestätigen uns wechselseitig dass alle etwaigen uns allen (zusammen oder einzelnen von uns) zustehenden Marken-, Design-, Patent-, Urheber- und sonstige Rechte des geistigen Eigentums an allen C -Produkten von jeher exklusiv der C Sales GmbH bzw. den jeweiligen Vorgängergesellschaften (wie etwa der C.B. Orthopädie GmbH und der C Orthopädie GmbH) übertragen wurden und die C -Gruppe daher ausschließlich legitimiert ist, Rechte hieran auszuüben und zu verwerten. Dies umfasst die, soweit noch nicht geschehen hiermit exklusiv der C GmbH & Co. KG eingeräumten, auf Dritte (weiter)übertragbaren, ausschließlichen sowie zeitlich, inhaltlich und räumlich unbeschränkten Rechte, insbesondere entsprechende Produkte herzustellen, zu vervielfältigen, auf der gesamten Welt zu vertreiben, zu vermarkten sowie weiter zu entwickeln und zu bearbeiten. Selbstverständlich sind hiervon auch damals noch unbekannte Vertriebsformen und Nutzungsarten, wie bspw. der Online-Vertrieb, erfasst. Anderen Personen oder Unternehmen wurden keine Rechte an C -Produkten eingeräumt.“

Daraus geht hervor, dass die Weiterübertragung auf Dritte bereits von der ursprünglichen Rechteeinräumung an die C Sales GmbH umfasst war, so dass es jedenfalls keiner Zustimmung zur weiteren Übertragung an die Verfügungsklägerin durch L C bedurfte.

b) Soweit die Verfügungsbeklagte geltend macht, es sei fraglich, ob es sich bei den streitgegenständlichen Modellen um die Sandalen handele, die von Herrn L C ursprünglich entworfen worden seien; es fehle an einer Darstellung der „Ur-Werke“, vermag dies keine erheblichen Zweifel an der Aktivlegitimation der Verfügungsklägerin zu begründen. Nach dem von der Verfügungsbeklagten selbst vorgelegten und zum Gegenstand ihres Sachvortrags gemachten Gutachten Dr. O s wurde das streitgegenständliche Sandalenmodell „B “ im Jahr 0000 von der Fa. C in den Markt eingeführt, sowie das Modell „H “ im Jahr 0000. Grundlage für beide Modelle bilde die kurz nach 0000 durch D C entwickelte und seit 0000 – mit der Einbandsandale „N“ auf den Markt gebrachte – in Schuhen fest verbaute Korkinnensohle (vgl. Bl. 717 d.A.). Danach ergeben sich keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass die ursprünglich hergestellten Sandalenmodelle in streiterheblichem Umfang von den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Modellen abwichen, und solche Anhaltspunkte werden von der Verfügungsbeklagten auch im Übrigen nicht aufgezeigt. Der Vortrag der Verfügungsklägerin deckt sich insoweit mit den Aussagen in den beiderseits vorgelegten Gutachten. Jedenfalls für den Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens besteht daher ein überwiegendes Maß an Wahrscheinlichkeit dafür, dass die aktuell vorgelegten Modelle den ursprünglich hergestellten und vertriebenen Modellen entsprechen.

3. Der Vertrieb der angegriffenen, streitgegenständlichen Sandalenmodelle:
[...]

durch die Verfügungsbeklagte verletzt die ausschließlichen Verbreitungsrechte der Verfügungsklägerin aus § 17 Abs. 1 UrhG an den urheberrechtlich geschützten Sandalenmodellen „B “ und „H “. Die angegriffenen, von der Verfügungsbeklagten angebotenen Sandalen übernehmen sämtliche relevanten Gestaltungsmerkmale der Sandalenmodelle „B “ und „H “.

Die Abweichung zwischen den Sandalenmodellen der Verfügungsklägerin „B “ und „H “ und den angegriffenen Sandalenmodellen der Verfügungsbeklagten im Laufsohlenprofil führt nicht schon aus deren Schutzbereich heraus. Der neuartige Gesamteindruck der streitgegenständlichen Schuhmodelle „B “ und „H “ wird nach dem Vorgesagten nicht in einem Maße durch die Sohlengestaltung mitgeprägt, dass die Abweichung hiervon bei den angegriffenen Sandalenmodellen allein die im Wesentlichen fast identische Übereinstimmung in den übrigen, den Gesamteindruck maßgeblich prägenden Gestaltungsmerkmalen ausgleichen könnte.

4. Die für das Bestehen des Unterlassungsanspruchs erforderliche Wiederholungsgefahr wird durch die vorangegangene Rechtsverletzung indiziert. Diese Gefahr kann grundsätzlich nur durch Abgabe einer geeigneten, strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung ausgeräumt werden. Eine solche hat die Verfügungsbeklagte nicht abgegeben.

II. Es besteht auch ein Verfügungsgrund.

1. Die Dringlichkeit wird im Urheberrecht – anders als im Lauterkeitsrecht nach § 12 Abs. 1 UWG – zwar nicht vermutet. Der Antragsteller hat vielmehr darzutun und gegebenenfalls glaubhaft zu machen, dass die Voraussetzungen der §§ 935, 940 ZPO vorliegen und der Weg ins Hauptsacheverfahren unzumutbar ist (vgl. OLG Köln, ZUM-RD 2021, 431 f.; OLG Nürnberg GRUR-RR 2019, 64; OLG München BeckRS 2008, 42109). Bei einer fortbestehenden Rechtsverletzung wird sich die Dringlichkeit aber auch ohne Vermutung des § 12 Abs. 1 UWG in der Regel aus der Lage des Falles selbst ergeben (vgl. OLG Köln, ZUM-RD 2021, 431 f.; OLG Köln, BeckRS 2016, 09601; OLG München BeckRS 2008, 42109; GRUR 2007, 184; OLG Köln, WRP 2014, 1085). So liegt der Fall hier. Die Rechtsverletzung dauert noch an.

2. Soweit die Verfügungsbeklagte geltend macht, die Verfügungsklägerin versuche erst in jüngerer Zeit, auf Grundlage urheberrechtlicher Vorschriften gegen Konkurrenzprodukte vorzugehen, so steht dies der Dringlichkeit nicht entgegen. Der Anspruchsteller ist zunächst frei darin, auf welche Rechtsgrundlagen er sich beruft und mögen hier auch taktische Erwägungen – etwa aufgrund von Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung – eine Rolle spielen. Der Umstand, dass die Verfügungsklägerin zunächst gegen ein an den Endverbraucher gerichtetes Angebot im Onlineshop der P C1G GmbH & Co. KG vorgegangen ist, und nicht unmittelbar gegen den Hersteller, ist gleichfalls nicht zu beanstanden. Dafür, dass die Verfügungsklägerin sicher wusste, dass die streitgegenständlichen Sandalen von der Verfügungsbeklagten für P produziert wurden, bestehen keine aktenkundigen Anhaltspunkte. Es war der Verfügungsklägerin also nicht verwehrt, zunächst einen Testkauf zu lancieren und Auskunft über den Lieferanten zu begehren. Für ihre Vermutung, dass die Verfügungsklägerin weit länger als einen Monat vor der Abmahnung vom 12.10.2021 bereits Kenntnis von der Verfügungsbeklagten als Hersteller der angegriffenen Sandalen hatte respektive hätte haben müssen, bestehen keine handfesten Anhaltspunkte. Eine generelle Marktbeobachtungspflicht des Antragstellers besteht auch im Urheberrecht nicht (Rojahn/Rektorschek, in: Loewenheim, Handbuch des Urheberrecht, 3. Aufl. 2021, § 98, Rn. 20).

Die Verfügungsklägerin hat durch eidesstattliche Versicherung ihres Legal Counsel IP vom 22.10.2021 (Anlage ASt 6) glaubhaft gemacht, Kenntnis von der konkreten Rechtsverletzung erstmals am 24.09.2021 erlangt zu haben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist am 22.10.2021 bei Gericht eingegangen. Die Verfügungsbeklagte zeigt keine konkreten Anhaltspunkte dafür auf, dass tatsächlich bereits zuvor Kenntnis vorlag, ebenso wenig ist dargetan, dass und weshalb die Verfügungsklägerin bereits zuvor Kenntnis von dem Herstellerhinweis auf den Kartons der angegriffenen Sandalen genommen haben sollte. Dafür, dass die Verfügungsklägerin im vorliegenden Fall zugewartet hätte, während sie gegen Dritte unmittelbar vorging, fehlen ebenso konkrete Anhaltspunkte.

3. Schließlich fällt auch eine Interessenabwägung nicht dergestalt zu Gunsten der Verfügungsbeklagten aus, dass ein Verfügungsgrund hier zu verneinen wäre.

a) Die einstweilige Verfügung muss notwendig sein, um wesentliche Nachteile in Bezug auf das Rechtsverhältnis abzuwenden oder um die Vereitelung bzw. wesentliche Erschwerung der Rechtsverwirklichung zu verhindern. Hierauf kann auch bei (vermeintlich) einfach festzustellenden Rechtsverletzungen nicht verzichtet werden. Dies setzt nicht nur eine Dringlichkeit im zeitlichen Sinne, sondern grundsätzlich auch eine Abwägung zwischen den schutzwürdigen Belangen des Antragstellers und den schutzwürdigen Interessen des Antragsgegners voraus. Im Rahmen der Interessensabwägung ist eine Folgenabschätzung vorzunehmen. Einerseits ist zu fragen, welche Folgen beim Antragsteller eintreten, wenn die einstweilige Verfügung nicht erlassen wird. Hierbei steht im Vordergrund, welche konkreten (wirtschaftlichen) Nachteile dem Antragsteller (nicht einem Dritten) aus der Rechtsverletzung bis zum Erlass einer Entscheidung in der Hauptsache erwachsen, ob diese Nachteile bzw. Schäden nachträglich angemessen kompensiert werden können und wann mit einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu rechnen ist. Andererseits sind die Folgen, die auf den Antragsgegner bei Erlass der einstweiligen Verfügung zukommen, zu berücksichtigen. Bei der Interessensabwägung sind überdies das Verhalten der Parteien und der Umstand in Rechnung zu stellen, dass es sich bei dem einstweiligen Verfügungsverfahren um ein summarisches Verfahren handelt, das nur begrenzte Erkenntnismöglichkeiten zur Verfügung stellt. Je stärker der Eingriff in die Rechtspositionen des Antragsgegners ist, desto sicherer muss festgestellt werden und desto schwerer müssen die Gründe wiegen, die für den Erlass der einstweiligen Verfügung sprechen (Voß, in: Cepl/Voß Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2. Aufl. 2018, § 940 ZPO, Rn. 64).

b) Ein Überwiegen der Interessen der Verfügungsbeklagten im vorstehenden Sinne kann die Kammer hier nicht erkennen. Anhaltspunkte dafür, dass die Verfügungsbeklagte durch das Verbot im einstweiligen Verfügungsverfahren bereits einen Schaden erlitte, der auch im Falle eines späteren abweichenden Ausgangs des Hauptsacheverfahrens nicht mehr – nach § 945 ZPO – kompensiert werden könnte und etwa existenzgefährdend wäre, ist nichts dargetan. Dass die Verfügungsbeklagte ihrer Geschäftstätigkeit durch das Verbot nicht mehr nachgehen könnte oder darin durch das Verbot ganz erheblich eingeschränkt wäre, ist nichts ersichtlich. Soweit die Verfügungsbeklagte auf eine etwaig zu leistende nachträgliche Kompensation gegenüber der Verfügungsklägerin hinweist, macht sie ebenfalls nicht geltend, dass diese eine existenzbedrohende Größenordnung erreichen könnte.

Ein Vertrauensschutz in eine bestimmte Rechtsprechung besteht für Wettbewerber ebenfalls nicht. So konnten konkurrierende Anbieter von Sandalen nicht darauf vertrauen, dass die Verfügungsklägerin nach dem erfolglosen Versuch, in der Vergangenheit auf lauterkeitsrechtlicher Grundlage gegen Nachahmungen vorzugehen, sich damit dauerhaft zufrieden geben und auch von der Rechtsdurchsetzung mittels urheberrechtlicher Ansprüche Abstand nehmen würde. Vielmehr steht es jedem Rechteinhaber selbstverständlich offen, Spielräume, die sich durch Entwicklungen in einem Rechtsgebiet – hier namentlich die unionsrechtliche Ausformung des Werkbegriffs durch den EuGH und die dadurch angestoßene Diskussion in Rechtsprechung und Lehre – eröffnen, auch nach einem Unterliegen vor Gericht zukünftig für sich zu nutzen. Dies kann weder die Annahme einer Verwirkung rechtfertigen, noch konnten andere Marktteilnehmer nach einer für die Verfügungsklägerin abschlägigen erstinstanzlichen Entscheidung einen „relevanten Besitzstand“ erwerben, der sie gegenüber einer Inanspruchnahme auf urheberrechtlicher Grundlage „absichern“ würde.

Zur effektiven Rechtsdurchsetzung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums ist die Erlangung von einstweiligem Rechtsschutz auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die urheberrechtliche Schutzfähigkeit eines Werkes – hier im Bereich der angewandten Kunst – und damit der langfristige Rechtsbestand höchstrichterlich noch nicht geklärt ist.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Keine Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüche gegen Bundesland Brandenburg wegen coronabedingter flächendeckender Betriebsschließungen im Frühjahr 2020

BGH
Urteil vom 17.03.2022
III ZR 79/21


Der BGH hat entschieden, dass keine Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüche gegen das Bundesland Brandenburg wegen coronabedingter flächendeckende Betriebsschließungen im Frühjahr 2020 bestehen.

Die Pressemitteilung des BGH:
Weder Entschädigungs- noch Schadensersatzansprüche für coronabedingte flächendeckende
Betriebsschließungen im Frühjahr 2020

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute über die Frage entschieden, ob der Staat für Einnahmeausfälle haftet, die durch flächendeckende vorübergehende Betriebsschließungen oder Betriebsbeschränkungen auf Grund von staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2 und der dadurch verursachten COVID-19-Krankheit entstanden sind.

Sachverhalt:

Der Kläger ist Inhaber eines Hotel- und Gastronomiebetriebs. Am 22. März 2020 erließ das beklagte Land Brandenburg eine Corona-Eindämmungsverordnung, wonach Gaststätten für den Publikumsverkehr zu schließen waren und den Betreibern von Beherbergungsstätten untersagt wurde, Personen zu touristischen Zwecken zu beherbergen.

Der Betrieb des Klägers war in dem Zeitraum vom 23. März bis zum 7. April 2020 für den Publikumsverkehr geschlossen, ohne dass die COVID-19-Krankheit zuvor dort aufgetreten war. Der Kläger erkrankte auch nicht. Während der Zeit der Schließung seiner Gaststätte bot er Speisen und Getränke im Außerhausverkauf an. Im Rahmen eines staatlichen Soforthilfeprogramms zahlte die Investitionsbank Brandenburg 60.000 € als Corona-Soforthilfe an ihn aus.

Der Kläger hat geltend gemacht, es sei verfassungsrechtlich geboten, ihn und andere Unternehmer für die durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erlittenen Umsatz- und Gewinneinbußen zu entschädigen.

Prozessverlauf:

Das Landgericht hat die auf Zahlung von 27.017,28 € (Verdienstausfall, nicht gedeckte Betriebskosten, Arbeitgeberbeiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung) nebst Prozesszinsen sowie auf Feststellung der Ersatzplicht des Beklagten für alle weiteren entstandenen Schäden gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist vor dem Oberlandesgericht erfolglos geblieben.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der III. Zivilsenat hat die Revision des Klägers zurückgewiesen.

Die Entschädigungsvorschriften des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) gewähren Gewerbetreibenden, die im Rahmen der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie als infektionsschutzrechtliche Nichtstörer durch eine auf § 28 Abs. 1 IfSG gestützte flächendeckende Schutzmaßnahme, insbesondere eine Betriebsschließung oder Betriebsbeschränkung, wirtschaftliche Einbußen erlitten haben, weder in unmittelbarer noch in entsprechender Anwendung einen Anspruch auf Entschädigung. § 56 Abs. 1 IfSG ist von vornherein nicht einschlägig, weil die hier im Verordnungswege nach § 32 IfSG angeordneten Verbote gegenüber einer unbestimmten Vielzahl von Personen ergangen sind und der Kläger nicht gezielt personenbezogen als infektionsschutzrechtlicher Störer in Anspruch genommen wurde. Ein Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung ergibt sich auch nicht aus § 65 Abs. 1 IfSG. Nach ihrem eindeutigen Wortlaut ist die Vorschrift nur bei Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten einschlägig. Im vorliegenden Fall dienten die Corona-Eindämmungsverordnung vom 22. März 2020 sowie die Folgeverordnungen vom 17. April 2020 und 24. April 2020 jedoch der Bekämpfung der COVID-19-Krankheit. Diese hatte sich bereits zum Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung vom 22. März 2020 deutschlandweit ausgebreitet. § 65 Abs. 1 IfSG kann auch nicht erweiternd dahingehend ausgelegt werden, dass der Anwendungsbereich der Norm auf Bekämpfungsmaßnahmen, die zugleich eine die Ausbreitung der Krankheit verhütende Wirkung haben, erstreckt wird.

Eine verfassungskonforme Auslegung der beiden Regeln dahingehend, dass auch in der vorliegenden Fallgestaltung eine Entschädigung zu gewähren ist, wie es in einem gestern veröffentlichten Beschluss einer Kammer des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 10. Februar 2022 – 1 BvR 1073/21) kursorisch in Erwägung gezogen wurde, scheidet aus. Die verfassungskonforme Auslegung einer Norm setzt voraus, dass mehrere Deutungen möglich sind. Sie findet ihre Grenze an dem klaren Wortlaut der Bestimmung und darf nicht im Widerspruch zu dem eindeutig erkennbaren Willen des Gesetzes stehen. Der Wortlaut von § 56 und § 65 IfSchG ist klar und lässt eine ausdehnende Auslegung nicht zu. Zudem würde der eindeutige Wille des Gesetzgebers konterkariert, nur ausnahmsweise aus Gründen der Billigkeit eine Entschädigung für Störer im infektionsschutzrechtlichen Sinn vorzusehen.

Der Kläger kann den geltend gemachten Entschädigungsanspruch auch nicht auf eine analoge Anwendung von § 56 Abs. 1 oder § 65 Abs. 1 IfSG stützen. Es fehlt bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Den infektionsschutzrechtlichen Entschädigungstatbeständen liegt, was sich insbesondere aus ihrer Entstehungsgeschichte und der Gesetzgebungstätigkeit während der Corona-Pandemie ergibt, die abschließende gesetzgeberische Entscheidung zugrunde, Entschädigungen auf wenige Fälle punktuell zu begrenzen und Erweiterungen ausdrücklich ins Gesetz aufzunehmen ("Konzept einer punktuellen Entschädigungsgewährung"). Darüber hinaus fehlt es auch an der Vergleichbarkeit der Interessenlage zwischen den Entschädigungsregelungen nach §§ 56, 65 IfSG und flächendeckenden Betriebsschließungen, die auf gegenüber der Allgemeinheit getroffenen Schutzmaßnahmen beruhen.

Das Berufungsgericht hat einen Entschädigungsanspruch aus § 38 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. § 18 des Ordnungsbehördengesetzes für das Land Brandenburg zu Recht abgelehnt. Als spezialgesetzliche Vorschriften der Gefahrenabwehr haben die Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes Anwendungsvorrang und entfalten eine Sperrwirkung gegenüber den Regelungen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts.

Ansprüche aus dem richterrechtlich entwickelten Haftungsinstitut des enteignenden Eingriffs scheitern daran, dass das den §§ 56, 65 IfSG zugrundeliegende und gesetzgeberisch als abschließend gedachte Konzept einer punktuellen Entschädigung im Bereich der Eigentumseingriffe nicht durch die Gewährung richterrechtlicher Ansprüche unterlaufen werden darf. Unabhängig davon ist der Anwendungsbereich des Rechtinstituts des enteignenden Eingriffs nicht eröffnet, wenn es darum geht, im Rahmen einer Pandemie durch flächendeckende infektionsschutzrechtliche Maßnahmen, die als Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG anzusehen sind, verursachte Schäden auszugleichen. Es stünde – wie der Senat wertungsmäßig vergleichbar bereits in dem Waldschädenurteil vom 10. Dezember 1987 (III ZR 220/86, BGHZ 102, 350, 361 ff) ausgesprochen hat – in einem offenen Widerspruch zum Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Entschädigung, wenn die Gerichte – gestützt auf das richterrechtliche Institut des enteignenden Eingriffs – im Zusammenhang mit einer Pandemiebekämpfung im Anwendungsbereich von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG massenhafte und großvolumige Entschädigungen zuerkennen würden.

Ebenso wenig kann dem Kläger unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der sogenannten ausgleichspflichtigen Inhaltsbestimmung des Eigentums eine Entschädigung zuerkannt werden. Es erscheint dem Senat bereits sehr zweifelhaft, ob dieses Rechtsinstitut, das bislang vor allem auf Härtefälle bei unzumutbaren Belastungen einzelner Eigentümer angewandt worden ist, geeignet ist, auf Pandemielagen sachgerecht im Sinne einer gerechten Lastenverteilung zu reagieren. Jedenfalls wäre es im Hinblick auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Entschädigung nicht zulässig, dem Kläger vorliegend einen Ausgleichsanspruch kraft Richterrechts unter dem Gesichtspunkt der ausgleichspflichtigen Inhaltsbestimmung zu gewähren.

Hilfeleistungen für von einer Pandemie schwer getroffene Wirtschaftsbereiche sind keine Aufgabe der Staatshaftung. Vielmehr folgt aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG), dass die staatliche Gemeinschaft Lasten mitträgt, die aus einem von der Gesamtheit zu tragenden Schicksal entstanden sind und nur zufällig einen bestimmten Personenkreis treffen. Hieraus folgt zunächst nur die Pflicht zu einem innerstaatlichen Ausgleich, dessen nähere Gestaltung weitgehend dem Gesetzgeber überlassen ist. Erst eine solche gesetzliche Regelung kann konkrete Ausgleichsansprüche der einzelnen Geschädigten begründen. Dieser sozialstaatlichen Verpflichtung kann der Staat zum Beispiel dadurch nachkommen, dass er – wie im Fall der COVID-19-Pandemie geschehen – haushaltsrechtlich durch die Parlamente abgesicherte Ad-hoc-Hilfsprogramme auflegt ("Corona-Hilfen"), die die gebotene Beweglichkeit aufweisen und eine lageangemessene Reaktion zum Beispiel durch kurzfristige existenzsichernde Unterstützungszahlungen an betroffene Unternehmen erlauben.

Ansprüche aus Amtshaftung (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG) und enteignungsgleichem Eingriff sowie nach § 1 Abs. 1 des Staatshaftungsgesetzes des Landes Bandenburg hat das Berufungsgericht zu Recht abgelehnt. Die Corona-Eindämmungsverordnung vom 22. März 2020 und die Folgeverordnungen vom 17. und 24. April 2020 waren als solche rechtmäßig. Die getroffenen Schutzmaßnahmen, insbesondere die angeordneten Betriebsschließungen, waren erforderlich, um die weitere Ausbreitung der COVID-19-Krankheit zu verhindern. Dies wurde von der Revision auch nicht in Frage gestellt.

Vorinstanzen:

Landgericht Potsdam - Urteil vom 24. Februar 2021 – 4 O 146/20

Brandenburgisches Oberlandesgericht - Urteil vom 1. Juni 2021 – 2 U 13/21

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

Art. 14 GG – Eigentum, Erbrecht und Enteignung

1Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. 2Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

§ 28 IfSG - Schutzmaßnahmen

(1) 1Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in § 28a und in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. 2Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen.

§ 32 IfSG – Erlass von Rechtsverordnungen

1Die Landesregierungen werden ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28, 28a und 29 bis 31 maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. 2Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf andere Stellen übertragen.

§ 56 IfSG – Entschädigung

(1) 1Wer auf Grund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet, erhält eine Entschädigung in Geld.

§ 65 IfSG – Entschädigung bei behördlichen Maßnahmen

(1) 1Soweit auf Grund einer Maßnahme nach den §§ 16 und 17 Gegenstände vernichtet, beschädigt oder in sonstiger Weise in ihrem Wert gemindert werden oder ein anderer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil verursacht wird, ist eine Entschädigung in Geld zu leisten; eine Entschädigung erhält jedoch nicht derjenige, dessen Gegenstände mit Krankheitserregern oder mit Gesundheitsschädlingen als vermutlichen Überträgern solcher Krankheitserreger behaftet oder dessen verdächtig sind. 2§ 254 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist entsprechend anzuwenden.

§ 18 Ordnungsbehördengesetz des Landes Brandenburg – Inanspruchnahme nicht verantwortlicher Personen

(1) Die Ordnungsbehörde kann Maßnahmen gegen andere Personen als die nach den §§ 16 oder 17 Verantwortlichen richten, wenn

1. eine gegenwärtige erhebliche Gefahr abzuwehren ist,

2. Maßnahmen gegen die nach den §§ 16 oder 17 Verantwortlichen nicht oder nicht rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg versprechen,

3. die Ordnungsbehörde die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig selbst oder durch Beauftragte abwehren kann und

4. die Personen ohne erhebliche eigene Gefährdung und ohne Verletzung höherwertiger Pflichten in Anspruch genommen werden können.

§ 38 Ordnungsbehördengesetz des Landes Brandenburg – Zur Entschädigung verpflichtende Maßnahmen

(1) Ein Schaden, den jemand durch Maßnahmen der Ordnungsbehörden erleidet, ist zu ersetzen, wenn er

a) infolge einer Inanspruchnahme nach § 18 oder

b) durch rechtswidrige Maßnahmen, gleichgültig, ob die Ordnungsbehörden ein Verschulden trifft oder nicht,

entstanden ist.




BVerfG: Erneut Verstoß gegen prozessuale Waffengleichheit bei Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne vorherige Anhörung

BVerfG
Beschluss vom 11.01.2022
1 BvR 123/21


Das Bundesverfassungsgericht hat erneut in einem weiteren Verfahren einen Verstoß gegen die prozessuale Waffengleichheit bei Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne vorherige Anhörung angenommen.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:

Verfassungsbeschwerde wegen Verstoß gegen prozessuale Waffengleichheit bei Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne vorherige Anhörung erfolgreich

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass das Landgericht Berlin die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichem Recht auf prozessuale Waffengleichheit gemäß Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz verletzt hat, indem es ohne vorherige Anhörung eine einstweilige Verfügung erlassen hat.

Das zugrundeliegende Verfahren betrifft die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen. Das Landgericht hatte im Ausgangsverfahren ohne vorherige Anhörung der Beschwerdeführerin in einer äußerungsrechtlichen Sache eine einstweilige Verfügung erlassen. Vor deren Erlass waren mehrere gerichtliche Hinweise an die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens ergangen, infolge derer sie ihren Vortrag ergänzte und die Anträge teilweise zurückgenommen hatte, ohne dass die Beschwerdeführerin hiervon Kenntnis hatte oder ihr Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt worden wäre. Dies verletzt die Beschwerdeführerin offenkundig in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit. Den wiederholten Verstoß der Fachgerichte gegen das Gebot der Waffengleichheit bei einstweiligen Anordnungen nahm die Kammer im Anschluss an den Beschluss vom 1. Dezember 2021 - 1 BvR 2708/19 - (Pressemitteilung Nr. 11/2022 vom 11. Februar 2022) erneut zum Anlass, auf die rechtliche Bindungswirkung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hinzuweisen.

Sachverhalt:

Gegenstand des zugrundeliegenden Verfahrens war die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen. Im September 2020 berichtete die Beschwerdeführerin – ein Presseverlag – in Wort und Bild über die Feier eines Richtfestes für das im Bau befindliche Anwesen der prominenten Antragstellerin des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: die Antragstellerin). Auf mehreren Fotos waren neben der Antragstellerin und ihrem Lebensgefährten der Rohbau des Hauses und die Gäste bei der Feierlichkeit zu sehen. Die Berichterstattung befasste sich unter anderem kritisch mit der Art und Weise der Durchführung der Feier während der aktuellen Corona-Pandemie.

Die Antragstellerin mahnte die Beschwerdeführerin hinsichtlich bestimmter Teile der Wortberichterstattung sowie der gesamten Bildberichterstattung ab und forderte die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung. Die Beschwerdeführerin wies die geltend gemachten Ansprüche zurück. Im Oktober 2020 stellte die Antragstellerin beim Landgericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Die Pressekammer des Landgerichts erteilte einen gerichtlichen Hinweis, worin sie Bedenken äußerte, allein der Antragstellerin und gewährte nur ihr Gelegenheit zur Stellungnahme. Nach Erwiderung der Antragstellerin erging erneut ein allein an sie gerichteter Hinweis des Gerichts, worauf hin die Antragstellerin den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung teilweise zurücknahm. Das Landgericht erließ anschließend „wegen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung“ die angegriffene einstweilige Verfügung, die der Beschwerdeführerin Teile der Wort- und Bildberichterstattung untersagte. Die einstweilige Verfügung wurde der Beschwerdeführerin am 7. Dezember 2020 zugestellt.

Am 8. Dezember 2020 baten die Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin das Landgericht um Übersendung etwaiger gerichtlicher Schreiben oder Aktennotizen in der vorliegenden Sache. Die Unterlagen gingen erst am 5. Januar 2021 bei den Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin ein.

Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung ihres Anspruchs auf prozessuale Waffengleichheit sowie ihrer Rechte aus Art. 5 Abs. 1 GG.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Der Erlass der einstweiligen Verfügung durch das Landgericht hat die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt.

1. Die prozessuale Waffengleichheit steht im Zusammenhang mit dem Gehörsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 1 GG, der eine besondere Ausprägung der Waffengleichheit ist. Als prozessuales Urrecht gebietet dieser, in einem gerichtlichen Verfahren der Gegenseite grundsätzlich vor einer Entscheidung Gehör und damit die Gelegenheit zu gewähren, auf eine bevorstehende gerichtliche Entscheidung Einfluss zu nehmen. Entbehrlich ist eine vorherige Anhörung nur in Ausnahmefällen. Eine stattgebende Entscheidung über den Verfügungsantrag kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Gegenseite die Möglichkeit hatte, auf das mit dem Antrag und weiteren an das Gericht gerichteten Schriftsätzen geltend gemachte Vorbringen zu erwidern. Gehör ist insbesondere auch zu gewähren, wenn das Gericht dem Antragsteller Hinweise nach § 139 ZPO erteilt, von denen die Gegenseite sonst nicht oder erst nach Erlass einer für sie nachteiligen Entscheidung erfährt. Ein einseitiges Geheimverfahren über einen mehrwöchigen Zeitraum, in dem sich Gericht und Antragsteller über Rechtsfragen austauschen, ohne den Antragsgegner in irgendeiner Form einzubeziehen, ist mit den Verfahrensgrundsätzen des Grundgesetzes unvereinbar.

2. Nach diesen Maßstäben verletzt der angegriffene Beschluss die Beschwerdeführerin offenkundig in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit.

Durch Erlass der einstweiligen Verfügung ohne jegliche Einbeziehung der Beschwerdeführerin war vorliegend keine Gleichwertigkeit ihrer prozessualen Stellung gegenüber der Verfahrensgegnerin gewährleistet. Das Landgericht äußerte sich im Rahmen seiner schriftlichen Hinweise allein gegenüber der Antragstellerin zu seiner vorläufigen Rechtsauffassung in der Sache. Die Antragstellerin hatte daraufhin Gelegenheit Stellung zu nehmen, ergänzte ihren Vortrag und nahm ihren Antrag auf den zweiten richterlichen Hinweis hin teilweise zurück. Die Beschwerdeführerin hingegen erfuhr erst nach Erlass der sie belastenden einstweiligen Verfügung, dass ein Verfahren anhängig war und dass das Gericht Hinweise erteilt hatte. Auch eine Gelegenheit, sich zum weiteren Vorbringen der Antragstellerin zu äußern, wurde ihr nicht gegeben. Erschwerend kommt hinzu, dass das Landgericht der Beschwerdeführerin erst nach mehrmaliger Nachfrage und zudem acht Wochen nach Erlass der gegen sie gerichteten einstweiligen Verfügung die gerichtlichen Hinweise zukommen ließ, so dass der Beschwerdeführerin erst ab diesem Zeitpunkt das gesamte Prozessgeschehen bekannt war. Vorliegend wäre die Einbeziehung der Beschwerdeführerin durch das Gericht vor Erlass der Verfügung offensichtlich geboten gewesen.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


LG München: Wettbewerbswidriger Verstoß gegen § 312i Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB wenn Online-Shop nach Bestellung nicht unverzüglich eine elektronische Eingangsbestätigung zusendet

LG München I
Urteil vom 15.02.2022
33 O 4638/21

Das LG München hat entschieden, dass wettbewerbswidriger Verstoß gegen § 312i Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB vorliegt, wenn ein Online-Shop dem Kunden nach der Bestellung nicht unverzüglich eine elektronische Eingangsbestätigung zusendet.

Aus den Entscheidungsgründen:
Durch die Nichtversendung einer elektronischen Eingangsbestätigung hat die Beklagte gegen die verbraucherschützende Pflicht aus § 312i Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB verstoßen (§ 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 lit b) UKlaG, vgl. KöhlerlBornkammlFeddersenlKöhler, UWG, 40. Aufl. 2022, § 2 UKlaG Rn. 4).

1. Der Anwendungsbereich der besonderen Vorschriften über Verbraucherverträge ist gem. § 312 Abs. 1 BGB eröffnet. Hiergegen erinnert auch die Beklagte nichts.

2. Nach § 312i Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB hat ein Unternehmer, der sich zum Zwecke des Abschlusses eines Vertrags über die Lieferung von Waren oder über die Erbringung von Dienstleistungen der Telemedien bedient, dem Kunden den Zugang von dessen Bestellung unverzüglich auf elektronischem Wege zu bestätigen. Gegen diese Pflicht hat die Beklagte im Hinblick auf die streitgegenständliche Bestellung verstoßen.

a. Da streitgegenständlich vorliegend eine über den Online-Shop der Beklagten geschlossene Bestellung ist, liegt die Voraussetzung des Gebrauchs von Telemedien i.S.d. § 312i Abs. 1 BGB vor.

b. Die Bestellung ist der Beklagten auch zugegangen. Dies folgt schon daraus, dass diese den Verbraucher mit E-Mail vom 30.09.2020 (Anlage SL 6) zur Zahlung des offenen Betrags aufforderte.

c. Die Beklagte hat dem beschwerdeführenden Verbraucher entgegen §312i Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB dessen Bestellung nicht unverzüglich auf elektronischem Wege bestätigt. Unverzüglich bedeutet ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 BGB, vgl. zur entsprechenden Anwendung im Rahmen von § 312i Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB etwa MüKoBGB/Wendehorst, BGB, 8. Aufl. 2019, § 312i Rn. 97). Diese Voraussetzung ist allenfalls dann erfüllt, wenn die elektronische Eingangsbestätigung wenige Stunden nach der Bestellung, bei Bestellungen in den späten Abendstunden am nächsten Tag zu den üblichen Geschäftszeiten des Unternehmers, beim Verbraucher eingeht. Diesen Anforderungen genügt die erst fünf Tage nach der fraglichen Bestellung versandte elektronische Bestellbestätigung offenkundig nicht.

3. Die Beklagte ist für den Verstoß auch verantwortlich. Denn vorliegend war die Beklagte gehalten, dafür Sorge zu tragen, dass trotz objektiv erwartbar hohen Bestellvolumens im Zusammenhang mit Bestellungen
des infrage stehenden Produkts die gesetzlich geforderten Bestellbestätigungen verschickt werden können.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


LAG Berlin-Brandenburg: 2.000 EURO Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO wegen verspäteter oder unvollständiger Auskunft nach Art. 15 DSGVO

LAG Berlin-Brandenburg
Urteil vom 18.11.2021
10 Sa 443/21

Das LAG Berlin-Brandenburg hat dem Betroffenen in diesem Fall 2.000 EURO Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO wegen verspäteter bzw. unvollständiger Auskunft nach Art. 15 DSGVO zugesprochen.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Berufung des Klägers ist aber nur teilweise begründet.

Zutreffend hat die Beklagte in der Berufungserwiderung die jeweiligen Prüffragen für den geltend gemachten Anspruch aufgeworfen.

1. Liegt ein Verstoß gegen Art. 15 DSGVO vor?
2. Ist die Beklagte für einen etwaigen Verstoß verantwortlich?
3. Ist beim Kläger ein Schaden entstanden?
4. Gibt es eine Kausalität zwischen einem etwaigen Verstoß der Beklagten gegen Art. 15 Abs. 1 DSGVO und einem etwaigen beim Kläger eingetretenen Schaden?
5. Trifft den Kläger ein etwaiges Mitverschulden bzw. ist der etwaige Anspruch verwirkt oder rechtsmissbräuchlich geltend gemacht?
6. Ist ggf. die geltend gemachte Entschädigungssumme angemessen?

1. Nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO hat der Kläger grundsätzlich das Recht, von der Beklagten eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie ihn betreffende personenbezogene Daten verarbeitet und ggf. auf Auskunft über diese personenbezogenen Daten und u.a. auf folgende Informationen:

a) die Verarbeitungszwecke;
b) die Kategorien personenbezogener Daten, die verarbeitet werden;
c) die Empfänger oder Kategorien von Empfängern, gegenüber denen die personenbezogenen Daten offengelegt worden sind oder noch offengelegt werden, insbesondere bei Empfängern in Drittländern oder bei internationalen Organisationen;
d) falls möglich die geplante Dauer, für die die personenbezogenen Daten gespeichert werden, oder, falls dies nicht möglich ist, die Kriterien für die Festlegung dieser Dauer;
e) das Bestehen eines Rechts auf Berichtigung oder Löschung der sie betreffenden personenbezogenen Daten oder auf Einschränkung der Verarbeitung durch den Verantwortlichen oder eines Widerspruchsrechts gegen diese Verarbeitung;
f) das Bestehen eines Beschwerderechts bei einer Aufsichtsbehörde;
g) wenn die personenbezogenen Daten nicht bei der betroffenen Person erhoben werden, alle verfügbaren Informationen über die Herkunft der Daten;

Diese Informationen hat die Beklagte dem Kläger nur teilweise erteilt.

2. Es mag sein, dass die Beklagte große Mengen Daten über den Kläger verarbeitet hat. Konkrete Angaben dazu hat die Beklagte nicht gemacht. Anders als das Arbeitsgericht meint, ist das in diesem Fall aber auch unerheblich, da der Kläger keine generelle Auskunft hinsichtlich der von der Beklagten über ihn gespeicherten Daten verlangt hat, sondern beschränkt auf zwei Sachverhalte.

2.1 Zum einen ging es um die Anhörung des Betriebsrates und dessen Zustimmung. Durch die Bezugnahme auf Art. 15 DSGVO war aber in jedem Fall klar und eindeutig, dass der Kläger nicht nur um das Anhörungsschreiben der Arbeitgeberin und das Antwortschreiben des Betriebsrates ging, sondern zugleich auch um die in der Vorschrift genannten weiteren Aspekte. Mit der erteilten Auskunft durch Übersendung der beiden Schreiben hat die Beklagte allenfalls die Auskunftspflicht nach Art. 15 Abs. 1 a) und b) DSGVO erfüllt. Den weitergehenden Anspruch nach Buchst. c) bis g) hat die Beklagte mit ihrer Antwort vom 23. August 2019 offensichtlich nicht erfüllt.

Weder hat die Beklagte mitgeteilt, ob und ggf. gegenüber welchen Personen oder Stellen sie den Versetzungsvorgang offengelegt hat oder noch offenlegen werde noch wann bzw. nach welchen Kriterien eine Löschung der Daten erfolgen werde. Auch auf das Bestehen eines Rechts auf Berichtigung oder Löschung der den Kläger betreffenden personenbezogenen Daten oder auf Einschränkung der Verarbeitung durch die Beklagte oder eines Widerspruchsrechts gegen diese Verarbeitung und das Bestehen eines Beschwerderechts bei einer Aufsichtsbehörde hat die Beklagte nicht hingewiesen. Da die Daten offenbar nicht beim Kläger erhoben worden waren, hätte es auch einer Information über die Herkunft der Daten bedurft, also wer jeweils an dem Vorgang beteiligt war.

2.2 Zum anderen ging es um die Abmahnung vom 29. Mai 2019. Auch hier hat die Beklagte durch die Übersendung des Antrags des Herrn A auf Erteilung einer Abmahnung und dem sogenannten Logbuch-Eintrag allenfalls die Auskunftspflicht nach Art. 15 Abs. 1 a) und b) DSGVO erfüllt. Den weitergehenden Anspruch nach Buchst. c) bis g) hat die Beklagte mit ihrer Antwort vom 23. August 2019 auch zu diesem Vorgang offensichtlich nicht erfüllt.

Weder hat die Beklagte mitgeteilt, ob und ggf. gegenüber welchen Personen oder Stellen sie den Abmahnungsvorgang offengelegt hat oder noch offenlegen werde noch wann bzw. nach welchen Kriterien eine Löschung der Daten erfolgen werde. Auch auf das Bestehen eines Rechts auf Berichtigung oder Löschung der den Kläger betreffenden personenbezogenen Daten oder auf Einschränkung der Verarbeitung durch die Beklagte oder eines Widerspruchsrechts gegen diese Verarbeitung und das Bestehen eines Beschwerderechts bei einer Aufsichtsbehörde hat die Beklagte den Kläger nicht hingewiesen. Da die Daten offenbar nicht beim Kläger erhoben worden waren, hätte es auch einer Information über die Herkunft der Daten bedurft, also wer jeweils an dem Vorgang beteiligt war.

3. Dass diese Informationen fehlen, ist offensichtlich. Denn durch einen einfachen Blick in den Text des Art. 15 Abs. 1 DSGVO hätte die Beklagte feststellen können, was der Kläger von ihr verlangt. Insofern ist die Beklagte auch für die unzureichende Information und damit den Verstoß gegen Art. 15 Abs. 1 DSGVO verantwortlich.

4. Wie der Kläger zutreffend ausgeführt hat, liegt bei ihm ein Schaden vor. Unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des LAG Niedersachsen vom 22. Oktober 2021 – 16 Sa 761/20 besteht unabhängig von dem Erreichen einer Erheblichkeitsschwelle bei Verstößen gegen Regelungen der DSGVO ein immaterieller Schadensersatzanspruch. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass gerade ausgehend von Erwägungsgrund 146 Satz 3 zur DSGVO eine weite Auslegung geboten ist, um den Zielen der Verordnung in vollem Umfang zu entsprechen. Hiermit wäre es unvereinbar, würde eine Schadensersatzpflicht nur bei erheblichen Rechtsverstößen eintreten, da dann eine Vielzahl von Fallgestaltungen denkbar wäre, in denen Betroffene trotz Verstößen gegen die Regelungen der DSGVO keine Kompensation erhielten. Ferner kann, um die Regelungen der DSGVO effektiv durchzusetzen, auch auf eine abschreckende Wirkung des Schadensersatzes abgestellt werden (vgl. EuGH 17. Dezember 2015 – C-407/14 – Rn. 44). Zudem sollen die betroffenen Personen nach Erwägungsgrund 146 Satz 3 einen vollständigen und wirksamen Schadenersatz für den erlittenen Schaden erhalten. Dass ein Schaden erlitten ist, ergibt sich nicht erst bei Überschreiten einer gewissen Erheblichkeitsschwelle - der Schwere der Pflichtverstöße und damit einhergehenden Beeinträchtigungen kann vielmehr effektiv auf Ebene der Höhe des Schadensersatzes begegnet werden.

Indem die Beklagte ihrer Auskunftsverpflichtung inhaltlich nicht hinreichend nachgekommen ist, hat der Kläger keine ausreichenden Kenntnisse über die Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten erlangt. Insofern ist ein Kontrollverlust eingetreten und ihm wurde die Möglichkeit der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten unmöglich gemacht oder erschwert.

5. Die Kausalität zwischen der unzureichenden Auskunft der Beklagten und der Ungewissheit beim Kläger, welche Daten bei der Beklagten bezüglich der zwei konkret benannten Sachverhalte verarbeitet worden sind, liegt auf der Hand. Es bedurfte keines ergänzenden Auskunftsverlangens, da allein der Blick in den Verordnungstext ausreicht, um die Unvollständigkeit der Auskunft zu erkennen.

6. Der Anspruch des Klägers ist auch nicht verwirkt oder aus anderem Grunde rechtsmissbräuchlich geltend gemacht worden. Zwar ist es ungewöhnlich, dass der Kläger bereits mit der Klageschrift sein Schreiben vom 22. Juli 2019 und das Antwortschreiben der Beklagten vom 23. August 2019 eingereicht hat, ohne diesbezüglich einen Streitgegenstand hinsichtlich Art. 15 DSGVO zu eröffnen. Dadurch mag ein für die Verwirkung erforderliches Zeitmoment zwischen dem 23. August 2019 und dem 21. Dezember 2020 entstanden sein. Ein darüber hinaus erforderliches Umstandsmoment ist jedoch weder vorgetragen noch ersichtlich. Da sich die beiden Schreiben nicht nur mit Art. 15 DSGVO, sondern auch mit der Rückgängigmachung der Versetzung und der Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte des Klägers beschäftigten, war es für eine vollständige Sachverhaltsdarstellung erforderlich, diese der Klageschrift beizufügen. Denn in der Klageschrift ging es zunächst (nur) um diese beiden Sachverhalte.

Angesichts des offensichtlich nicht vollständig erfüllten Auskunftsanspruchs bedurfte es entgegen der Ansicht der Beklagten auch keines Hinweises des Klägers, dass der Anspruch mit dem Schreiben vom 23. August 2019 nicht erfüllt sei.

7. Dem Kläger ist in Anbetracht der Pflichtverstöße der Beklagten nach richterlichem Ermessen gem. § 287 Abs. 1 ZPO ein immaterieller Schadensersatz in Höhe von 2.000,-- Euro zuzusprechen.

Die Schadensersatzansprüche sollen, worauf auch das LAG Niedersachsen in dem Urteil vom 22. Oktober 2021 – 16 Sa 761/20 unter Bezugnahme auf Entscheidungen anderer Gerichte hingewiesen hat, generell eine Abschreckungswirkung haben. Unter Berücksichtigung des Erwägungsgrundes 146 Satz 6 zur DSGVO soll die betroffene Person einen vollständigen und wirksamen Schadensersatz für den erlittenen Schaden erhalten. Verstöße müssen effektiv sanktioniert werden. Schadenersatz bei Datenschutzverstößen sollen eine abschreckende Wirkung haben, um der Datenschutzgrundverordnung zum Durchbruch zu verhelfen.

Gemessen an der Zweckrichtung des Schadensersatzes hält die Kammer unter Berücksichtigung und Abwägung der Umstände des vorliegenden Falls einen immateriellen Schadensersatz in Höhe von 1.000,-- Euro je unvollständig beantwortetem Auskunftsverlangen für angemessen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Auskunft der Beklagten offensichtlich unvollständig erfolgte. Auch nach der Klageerweiterung vom 21. Dezember 2020 hat die Beklagte die Auskunft nicht vervollständigt. Durch die unzureichende Auskunft hatte der Kläger keine umfassende Kenntnis über die Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten durch die Beklagte bei zwei für ihn nachteiligen Sachverhalten (Versetzung und Abmahnung).

Durch einen Schadenersatz von jeweils 1.000,-- EUR wird ausreichend sichergestellt, dass durch die Zahlung eines spürbaren Betrages der Regelung des Art. 15 DSGVO zur Geltung verholfen wird und die Verpflichteten angehalten werden, die entsprechenden Maßgaben einzuhalten.


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EU-Kommission: Untersuchung zu möglichen wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen von Google und Meta im Bereich Display-Werbung

Die EU-Kommission hat eine Untersuchung zu möglichen wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen von Google und Meta im Bereich Display-Werbung eingeleitet.

Die Pressemitteilung des EU-Kommission:
Kartellrecht: Kommission leitet Untersuchung zu mutmaßlich wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen von Google und Meta im Bereich Display-Werbung ein

Die Europäische Kommission hat ein förmliches Kartellverfahren eingeleitet, um zu prüfen, ob eine Vereinbarung von Google und Meta (ehemals Facebook) in Bezug auf Display-Werbung möglicherweise gegen die EU-Wettbewerbsvorschriften verstößt.

Die für Wettbewerbspolitik zuständige Exekutiv-Vizepräsidentin der Kommission Margrethe Vestager erklärte dazu: „Viele Publisher greifen auf Display-Werbung zurück, um die Bereitstellung von Online-Inhalten für Verbraucher zu finanzieren. Die Vereinbarung zwischen Google und Meta, die sie „Jedi Blue“ nannten, könnte darauf abzielen, mit dem Google-Dienst „Open-Bidding“ konkurrierende Technologien zu schwächen und vom Markt für Display-Werbung auf Websites und in Apps von Publishern auszuschließen. Sollte sich dieser Verdacht im Rahmen unserer Untersuchung bestätigen, würde dies eine Beschränkung und Verzerrung des Wettbewerbs auf dem bereits konzentrierten Markt für Werbetechnologien zum Nachteil konkurrierender Technologien, von Publishern und letztlich der Verbraucher darstellen.“

Google bietet Werbetechnologiedienste an, die Werbetreibende auf der einen Seite und Publisher auf der anderen Seite zusammenführen. Das Unternehmen versteigert unter anderem über seinen Dienst „Open Bidding“ in Echtzeit Online-Werbeflächen auf Websites oder in mobilen Apps. Meta bietet Display-Werbedienste an und nimmt über sein „Audience Network“ an Auktionen für Online-Werbeflächen von Publishern unter Nutzung der Werbetechnologiedienste von Google und anderen Wettbewerbern teil.

Die Untersuchung der Kommission betrifft eine von Google und Meta im September 2018 geschlossene Vereinbarung mit dem Code-Namen „Jedi Blue“, die die Teilnahme des „Audience Network“ von Meta an den Auktionen des Google-Dienstes „Open Bidding“ betrifft. Die Kommission befürchtet, dass die Vereinbarung ein Bestandteil umfassenderer Bemühungen sein könnte, Werbetechnologiedienste (sogenannte „Ad Tech Services“), die mit dem Google-Dienst „Open Bidding“ im Wettbewerb stehen, auszuschließen und somit den Wettbewerb auf den Märkten für Display-Werbung zum Nachteil der Publisher und letztlich der Verbraucher einzuschränken oder zu verfälschen.

Diese Praktiken könnten gegen die EU-Vorschriften über wettbewerbswidrige Vereinbarungen zwischen Unternehmen (Artikel 101 AEUV) und/oder die EU-Vorschriften über den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (Artikel 102 AEUV) verstoßen.

Die Kommission wird diese eingehende Untersuchung vorrangig behandeln. Das Verfahren wird ergebnisoffen geführt.

Die britische Wettbewerbsbehörde („CMA“) hat eine eigene Untersuchung der Vereinbarung zwischen Google und Meta eingeleitet. Wie üblich steht die Kommission mit der CMA in Kontakt und beabsichtigt, bei dieser Untersuchung gemäß den geltenden Vorschriften und Verfahren eng mit ihr zusammenzuarbeiten.

Hintergrund

Nach Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sind Vereinbarungen zwischen Unternehmen und Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des EU-Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, verboten. Artikel 102 AEUV verbietet die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung. Wie diese Bestimmungen umzusetzen sind, ist in der EU-Kartellverordnung (Verordnung Nr. 1/2003 des Rates) festgelegt, die auch von den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten angewendet werden kann.

Nach Artikel 11 Absatz 6 der Kartellverordnung entfällt mit der Verfahrenseinleitung durch die Kommission die Zuständigkeit der mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden für die Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts in der jeweiligen Sache. Artikel 16 Absatz 1 dieser Verordnung besagt ferner, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten keine Entscheidungen erlassen dürfen, die einem Beschluss zuwiderlaufen, den die Kommission in einem von ihr eingeleiteten Verfahren zu erlassen beabsichtigt. Die Kommission hat die betroffenen Unternehmen und die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten von der Einleitung eines Verfahrens in dieser Sache unterrichtet.

Für den Abschluss einer kartellrechtlichen Untersuchung gibt es keine verbindliche Frist. Ihre Dauer hängt von mehreren Faktoren ab, so etwa von der Komplexität des jeweiligen Falles, der Bereitschaft der betroffenen Unternehmen zur Zusammenarbeit mit der Kommission sowie der Ausübung der Rechte auf Verteidigung.

Die Einleitung eines förmlichen Verfahrens greift dem Ergebnis der Untersuchung nicht vor. Mit der Verfahrenseinleitung entfällt die Zuständigkeit der jeweiligen mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden für die Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts in der Sache.

Weitere Informationen zu diesem Kartellfall können auf der Website der Generaldirektion Wettbewerb der Kommission über das öffentlich zugängliche Register unter der Nummer AT.40774 eingesehen werden.



OLG Brandenburg: Berechtigtes Interesse nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DGSVO - Datenübermittlung zur Überprüfung der Einhaltung der Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohns durch einen Subunternehmer

OLG Brandenburg
Urteil vom 23.02.2022
4 U 111/21


Das OLG Brandenburg hat entschieden, dass ein berechtigtes Interesse nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DGSVO vorliegt, wenn die Datenverarbeitung der Überprüfung der Einhaltung der Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohns durch einen Subunternehmer

Aus den Entscheidungsgründen:
b) Die Klägerin ist durch die Vorschriften der seit 2018 geltenden Regelungen der Datenschutzgrundverordnung (im Folgenden DSGVO) nicht gehindert, gegenüber der Beklagten Nachweise über die Zahlung des Mindestlohns an die Mitarbeiter, die sie zur Erfüllung von Aufträgen der Beklagten eingesetzt hat, zu erbringen. Diese Form der Verarbeitung personenbezogener Daten der Mitarbeiter der Klägerin ist vielmehr, soweit dabei die Grenzen der Erforderlichkeit und der Datensparsamkeit eingehalten werden, gemäß Art 6 Abs. 1 lit f. DSGVO erlaubt.

aa) Dabei verkennt der Senat nicht, dass Vereinbarungen zwischen einem Generalunternehmer – wie der Beklagten – und einem Subunternehmer – wie der Klägerin – über Vorlagepflichten und Einsichtsrechte zur Überprüfung der Einhaltung des Mindestlohngesetztes (im Folgenden MiLoG) zwar einerseits mit Blick auf die Haftung des Generalunternehmers aus § 13 MiLoG i.V.m. § 14 AEntG üblich sind und in der Literatur zum MiLoG sogar empfohlen werden (vgl. nur: Grimm in Tschöpe, Arbeitsrecht Handbuch, 12. Aufl. 2021, E. Arbeitnehmerentsendung und Mindestlohn Rn. 128; Bissels/Falter, Gesetzlicher Mindestlohn – Fallstricke bei der Haftung für Subunternehmer nach dem MiLoG) – DB 2015, 65, 67; Rittweger/Zieglmeier, Checkliste Mindestlohn, NZA 2015, 976,977), andererseits datenschutzrechtlich durchaus als problematisch (Tschöpe a.a.O., Datenschutzbeauftragte des Bundes du der Länger, z.B. Internetauftritt des Sächsischen Datenschutzbeauftragten), teilweise sogar als schlichtweg unzulässig (Frank/Krause, Datenschutzrechtliche Aspekte des Mindestlohngesetztes, DB 2015, 1285, 1286) erachtet werden.

Datenschutzrechtlich stellt sich die Rechtslage bezogen auf den für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgeblichen Zeitraum August/September 2019 wie folgt dar:

Trotz Inkrafttretens der DSGVO mit Wirkung ab dem 25.05.2018 ist die Frage des Umgangs eines Unternehmers mit personenbezogenen Daten der bei ihm Beschäftigten grundsätzlich zunächst nach § 26 BDSG a.F. zu beurteilen, da die Bundesrepublik Deutschland mit dieser Vorschrift von der in Art. 88 DSGVO eingeräumten Befugnis, zur Gewährleistung des Schutzes der Rechte und Freiheiten hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Beschäftigtendaten im Beschäftigungskontext spezifischere Vorschriften zu erlassen, Gebrauch gemacht hat. Dabei gehört zur Verarbeitung im Sinne des BDSG aufgrund der Begriffsdefinition in Art. 4 Ziff. 2 DSGVO auch die „Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung“. Gemäß § 26 Abs. 1 BDSG a.F. ist die Verarbeitung personenbezogener Daten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses zulässig, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach Begründung des Beschäftigungsverhältnisses für dessen Durchführung oder Beendigung oder zur Ausübung bestimmter Rechte und Pflichten der Interessenvertretung von Beschäftigten erforderlich ist. Die Überprüfung der Einhaltung der Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohns durch einen Generalunternehmer als Auftraggeber der Beschäftigten eines Unternehmens, mag sie auch im Interesse der Beschäftigten liegen, gehört nicht zu der danach erlaubten Verarbeitung persönlicher Daten. Erlaubt ist die Verarbeitung personenbezogener Daten der Beschäftigten darüber hinaus auf der Grundlage einer Einwilligung (§ 26 Abs. 2 BDSG a.F.). Derartige Einwilligungen der Mitarbeiter der Klägerin liegen indes – unbestritten – (jedenfalls bislang) nicht vor. Ebenso wenig gibt es einen Anhaltspunkt für das Vorliegen einer Kollektivvereinbarung (§ 26 Abs. 4 BDSG a.F.). Schließlich geht es auch nicht um die Verarbeitung personenbezogener Daten im Sinne von Art 9 DSGVO, für die § 26 Abs. 3 BDSG eine gesonderte Regelung trifft.

Der Umstand, dass danach die Regelungen in § 26 BDSG eine Übermittlung von Stundennachweisen und Lohnabrechnungen – dass diese personenbezogene Daten der Mitarbeiter der Klägerin enthalten, steht außer Frage - nicht erlauben, bedeutet gleichwohl nicht zwingend, dass die Beklagten sich mit pauschalen Versicherungen der Klägerin oder deren Steuerberaters in Bezug auf die Einhaltung der Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohns zufrieden geben muss. Zulässig ist vielmehr – ebenso wie dies im Verhältnis zwischen § 32 BDSG a.F. und § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGSG a.F. der Fall war (BAG, Urteil vom 29.06.2017 – 2 AZR 597/16 – Rn. 25 ff.) – ein Rückgriff auf Art. 6 DSGVO (Plath DSGVO/BDSG, 3. Aufl. 2018 Rn. 13 m.w.N.). Gemäß Art 6 Abs. 1 lit f. DSGVO ist jedoch eine Verarbeitung rechtmäßig, wenn sie zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen.

bb) Die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 lit. f DGSVO liegen für einen Nachweis der Einhaltung der Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohns durch einen Subunternehmer an den Generalunternehmer im Hinblick auf zur Nachweisführung erforderlichen persönliche Daten der Beschäftigten des Subunternehmers vor.

Der Generalunternehmer hat – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – ein berechtigtes Interesse, von dem Subunternehmer einen Nachweis zur Einhaltung der Mindestlohnzahlung zu verlangen. Dieses ergibt sich daraus, dass der Generalunternehmer gemäß § 13 MiLoG i.V.m. § 14 AEntG wie ein Bürge für die Verpflichtung des Subunternehmers gegenüber seinen Beschäftigten für die Zahlung des Mindestlohns einzustehen hat.

Die durch das Verlangen von Nachweisen über die Zahlung des Mindestlohns ermöglichte Kontrolle des Generalunternehmers gegenüber dem Subunternehmer ist zur Wahrung des berechtigten Interesses des Generalunternehmers auch erforderlich. Dem steht nicht entgegen (so aber Frank/Krause, Datenschutzrechtliche Aspekte des Mindestlohngesetztes, DB 2015, 1285, 1286), dass dem Generalunternehmer auch andere Möglichkeiten zur Minimierung seines Haftungsrisikos zur Verfügung stehen, so etwa die – hier von der Beklagten gemäß § 4 Abs. 3 und 4 des Nachunternehmervertrages auch ergriffenen - Möglichkeiten, sich durch vertragliche Vereinbarung im Verhältnis zu dem Subunternehmer freizuzeichnen oder sich im Falle des Verstoßes gegen das MiLoG ein Kündigungsrecht einräumen zu lassen. Daneben werden Vertragsstrafenregelungen oder, um auch das Insolvenzrisiko des Subunternehmers auszuschließen, die Möglichkeit des Verlangens der Absicherung einer Inanspruchnahme nach dem MiLoG durch eine Bürgschaft oder einen Sicherheitseinbehalt vorgeschlagen (vgl. nur etwa: Bissels/Falter, Gesetzlicher Mindestlohn – Fallstricke bei der Haftung für Subunternehmer nach dem MiLoG – DB 2015, 65, 67/68). Bei all diesen alternativen Maßnahmen muss der Generalunternehmer jedoch entweder in Kauf nehmen, dass der Subunternehmer von vornherein eine höhere Vergütung verlangt, etwa um Avalkosten oder Liquiditätseinbußen durch Sicherheitseinbehalte abzudecken, oder er kann lediglich reaktiv bei Verstößen das Vertragsverhältnis beenden und Ersatz seiner Aufwendungen/Schäden verlangen. Eine Vereinbarung, wonach sich der Subunternehmer verpflichtet, dem Generalunternehmer Unterlagen zum Nachweis der Mindestlohnzahl vorzulegen, wirkt dagegen allein wegen der damit verbundenen Kontrollfunktion präventiv, d.h. sie vermeidet – in den Grenzen einer im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen gebotenen Praktikabilität -, dass es überhaupt zu seiner Inanspruchnahme des Generalunternehmers durch die Beschäftigten des Subunternehmers kommen kann. Auch dieses Haftungsvermeidungsinteresse des Generalunternehmers ist jedoch gerade wegen des Gleichlaufs mit den Zwecken des Mindestlohngesetzes als berechtigt zu erachten.

Einer Weitergabe zur Kontrolle der Einhaltung der Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohns erforderlicher personenbezogener Daten der Beschäftigten des Subunternehmers an den Generalunternehmer stehen schließlich auch keine Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der Beschäftigten des Subunternehmers entgegen, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern und das berechtigte Interesse des Generalunternehmers überwiegen. Den Rechten und Interessen der Beschäftigten des Subunternehmers kann nämlich im Rahmen der insoweit vorzunehmenden Interessenabwägung dadurch Rechnung getragen werden, dass die zur Erfüllung des – in seiner Präventivwirkung gerade auch die Beschäftigten des Subunternehmers in ihrem Interesse an der Zahlung des Mindestlohns schützenden - Kontrollinteresses des Generalunternehmers erforderliche Offenlegung ihrer personenbezogenen Daten so datensparsam wie eben möglich erfolgt, was – wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat – ggf. durch Anonymisierungen, Pseudonymisierungen oder Schwärzungen sicherzustellen ist.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



LfDI Bremen: Bußgeld von rund 1,9 Millionen Euro nach Art. 83 DSGVO gegen Wohnungsbaugesellschaft wegen diskriminierender Datenerhebung und Datenverarbeitung

Die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (LfDI) Bremen hat ein Bußgeld von rund 1,9 Millionen Euro nach Art. 83 DSGVO gegen eine Wohnungsbaugesellschaft wegen diskriminierender Datenerhebung und Datenverarbeitung verhängt.

Die Pressemitteilung der LfDI Bremen:
LfDI verhängt gegen die BREBAU GmbH Geldbuße nach DSGVO

Am heutigen Tage hat die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (LfDI) als datenschutzrechtliche Aufsichtsbehörde die BREBAU GmbH mit einer Geldbuße nach Artikel 83 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) belegt.

Die BREBAU GmbH hat mehr als 9.500 Daten über Mietinteressent:innen verarbeitet, ohne dass es hierfür eine Rechtsgrundlage gab. Beispielsweise Informationen über Haarfrisuren, den Körpergeruch und das persönliche Auftreten sind für den Abschluss von Mietverhältnissen nicht erforderlich.

Bei mehr als der Hälfte der Fälle handelte es sich darüber hinaus um Daten, die nach der DSGVO besonders geschützt sind. Rechtswidrig verarbeitet wurden auch Informationen über die Hautfarbe, die ethnische Herkunft, die Religionszugehörigkeit, die sexuelle Orientierung und über den Gesundheitszustand. Auch hat die BREBAU GmbH Anträge Betroffener auf Transparenz über die Verarbeitung ihrer Daten bewusst konterkariert.

Die nach Artikel 83 DSGVO verhängte Geldbuße beläuft sich auf rund 1,9 Millionen Euro. Der außerordentlichen Tiefe der Verletzung des Grundrechts auf Datenschutz wäre eine deutlich höhere Geldbuße angemessen gewesen. Weil die BREBAU GmbH im datenschutzrechtlichen Aufsichtsverfahren umfassend kooperierte, sich um Schadensminderung, eigene Aufklärung des Sachverhalts und darum bemühte, dass entsprechende Verstöße sich nicht wiederholen, konnte die Höhe der Geldbuße erheblich reduziert werden.

Anlässlich dieses Aufsichtsverfahrens äußerte die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Dr. Imke Sommer: "Im Zusammenhang mit der öffentlichen Diskussion über den Fall, der diesem datenschutzrechtlichen Aufsichtsverfahren zugrunde liegt, bin ich häufig gefragt worden, ob die DSGVO Diskriminierungen verbietet. Die Antwort auf diese Frage ist kompliziert, weil die DSGVO in spezifischer Weise auf Sachverhalte schaut. Nach der DSGVO ist es nur in wenigen Ausnahmefällen überhaupt erlaubt, Daten über Hautfarbe, ethnische Herkunft, Religionszugehörigkeit, sexuelle Orientierung und über den Gesundheitszustand zu verarbeiten. Damit sorgt die DSGVO dafür, dass diese besonders geschützten Daten in den allermeisten Fällen gar nicht erst erhoben und gespeichert werden dürfen. Nicht erhobene Daten können nicht missbraucht werden. In diesem Sinne schützt die DSGVO auch vor Diskriminierungen.



BGH: Für Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB ist eine Gesamtschau aller Umstände bis zum Eintritt des Schadens beim konkret Geschädigten durchzuführen

BGH
Urteil vom 08.02.2022
VI ZR 543/20
BGB § 826

Der BGH hat entschieden, dass für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB eine Gesamtschau aller Umstände bis zum Eintritt des Schadens beim konkret Geschädigten durchzuführen ist.

Leitsatz des BGH:
Für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB ist in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln und das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen.

BGH, Urteil vom 8. Februar 2022 - VI ZR 543/20 - OLG Köln - LG Aachen

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

IHK-Magazin - Ostwestfälische Wirtschaft - Interview mit Rechtsanwalt Marcus Beckmann zur BGH-Rechtsprechung zum Influencer-Marketing bei Instagram und Co.

In Ausgabe Januar/Februar 2022, Seiten 36-37 des IHK-Magazins - Ostwestfälische Wirtschaft erschien ein Interview mit Rechtsanwalt Marcus Beckmann zur BGH-Rechtsprechung zum Influencer-Marketing bei Instagram und Co.

In Heft 12/21-1/22 der com! professional - Statements von Rechtsanwalt Marcus Beckmann zum Thema Homeoffice

In Ausgabe 12/21-1/22, S. 15 ff. der Zeitschrift com! professional erschien ein Beitrag von Konstantin Pfliegel mit dem Titel "Streitfall Homeoffice - Das Büro stirbt auch mit Corona nicht aus" mit einigen Statements von Rechtsanwalt Marcus Beckmann zu den relevanten rechtlichen Aspekten.

OLG Frankfurt: Anspruch auf Schadensersatz wegen unberechtigter Abmahnung aufgrund angeblicher Markenrechtsverletzung durch Google Adwords

OLG Frankurt
Urteil vom 10.02.2022
6 U 126/21


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass ein Anspruch auf Schadensersatz wegen unberechtigter Abmahnung aufgrund angeblicher Markenrechtsverletzung durch Google Adwords besteht.

Aus den Entscheidungsgründen:
2. Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB, da die unberechtigte Abmahnung des Beklagten vom 11.10.2019 einen Eingriff in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb darstellt. Dabei kann sowohl dahinstehen, ob die Klägerin zu Unrecht als Täterin in Anspruch genommen worden ist, obwohl insoweit davon auszugehen ist, dass Google die Zuordnung zwischen dem Suchwort „Polzar“ und der Anzeige der Klägerin autonom hergestellt hat, als auch ob Google als Beauftragte nach § 15 Abs. 6 MarkenG haften würde, da sich die Abmahnung des Beklagten schon allein deshalb als rechtswidrig erweist, weil es der Anzeige an einer kennzeichenmäßigen Verwendung im Sinne von § 15 Abs. 2 MarkenG fehlt.

a) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in aller Regel keine Beeinträchtigung der herkunftshinweisenden Funktion vor, wenn die Werbeanzeige in einem von der Trefferliste eindeutig getrennten und entsprechend gekennzeichneten Werbeblock erscheint und selbst weder die Marke noch sonst einen Hinweis auf den Markeninhaber oder die unter der Marke angebotenen Produkte enthält (vgl. BGH GRUR 2014, 182, Rn 20 ff. - Fleurop; BGH GRUR 2013, 290 Rn 26 - MOST-Pralinen, m.w.N.).

Der verständige Internetnutzer erwartet in einem von der Trefferliste räumlich, farblich oder auf andere Weise deutlich abgesetzten und mit dem Begriff „Anzeigen“ gekennzeichneten Werbeblock nicht ausschließlich Angebote des Markeninhabers oder mit ihm verbundener Unternehmen. Ihm ist klar, dass eine notwendige Bedingung für das Erscheinen der Anzeige vor allem deren Bezahlung durch den Werbenden ist. Ihm ist zudem bekannt, dass regelmäßig auch Dritte bezahlte Anzeigen bei Suchmaschinen schalten. Er hat daher keinen Anlass zu der Annahme, eine bei Eingabe einer Marke als Suchwort in der Anzeigenspalte erscheinende AdWords-Anzeige weise allein auf das Angebot des Markeninhabers oder eines mit ihm wirtschaftlich verbundenen Unternehmens hin. Rechnet der Internetnutzer mit Angeboten, die nicht vom Markeninhaber oder von mit ihm verbundenen Unternehmen stammen, bedarf es daher keines Hinweises auf das Fehlen einer wirtschaftlichen Verbindung zwischen dem Werbenden und dem Markeninhaber, um eine Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion auszuschließen.

Für geschäftliche Bezeichnungen kann insoweit nichts anderes gelten.

Diese Voraussetzungen sind bei der streitgegenständlichen Anzeige erfüllt. Sie befand sich in einem vom generischen Suchergebnis abgetrennten Bereich und war mit „Anzeige“ gekennzeichnet.

Soweit nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei Vorliegen besonderen Umstände ausnahmsweise auch für den Fall, dass die Werbeanzeige in einem von der Trefferliste eindeutig getrennten und entsprechend gekennzeichneten Werbeblock erscheint und selbst weder die Marke noch sonst einen Hinweis auf den Markeninhaber oder die unter der Marke angebotenen Produkte enthält, ein Hinweis auf das Fehlen einer wirtschaftlichen Verbindung zwischen dem Werbenden und dem Markeninhaber erforderlich ist, um eine Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion der Marke auszuschließen, liegen diese Umstände hier nicht vor.

(1) Der EuGH hat in der Sache „Interflora“ ausgeführt, es könne in Fällen, in denen das Vertriebsnetz des Markeninhabers aus zahlreichen Einzelhändlern zusammengesetzt sei, für den normal informierten und angemessen aufmerksamen Internetnutzer besonders schwer sein, ohne Hinweis des Werbenden zu erkennen, ob dieser zu diesem Vertriebsnetz gehöre oder nicht (EuGH GRUR 2011, 1124 Rn 52 - Interflora/M&S). Deshalb habe das nationale Gericht unter Berücksichtigung dieses Umstands und anderer Faktoren, die es als relevant erachte, zu beurteilen, ob ein solcher Internetnutzer, der in seinem Suchbegriff die Marke verwende, auf Grund der in der Werbeanzeige verwendeten Formulierungen erkennen könne, dass der Einzelhändler nicht zum Vertriebsnetz des Markeninhabers gehöre (EuGH GRUR 2011, 1124 Rn 53). Die Rechtsprechung des EuGH ist zwar für das rein nationale Recht des Unternehmenskennzeichens nicht bindend; indes verlangt der Grundsatz der Einheitlichkeit der Kennzeichenrechte bei der Anwendung originär dem Schutz geschäftlicher Bezeichnungen gewidmeter Normen die Berücksichtigung originär markenrechtlicher Wertungen (vgl. BGH GRUR 2001, 344, 345 - DB Immobilienfonds).

(2) Der Senat hat in einer Parallelsache (…/19) - in der zwar nicht der Markeninhaber das Vertriebsnetz betrieb, sondern der Verantwortliche für die AdWords-Anzeige - eine kennzeichenmäßige Verwendung bejaht. Auch in dieser Konstellation komme es dazu, dass der Verkehr keinen Aufschluss darüber erhalte, ob eine wirtschaftliche Verbindung zwischen Markeninhaber und Nutzer der Marke besteht (vgl. EuGH GRUR 2011, 1124, Rn 49 - Interflora/M&S). Für eine Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion sei ausreichend, dass die Ad-Words-Anzeige hinsichtlich der Herkunft der fraglichen Ware oder Dienstleistung so vage gehalten sei, dass ein normal informierter und angemessen aufmerksamer Internetnutzer auf Grund des Werbelinks und der ihn begleitenden Werbebotschaft nicht erkennen könne, ob der Werbende im Verhältnis zum Markeninhaber Dritter oder mit ihm wirtschaftlich verbunden ist (vgl. EuGH GRUR 2010, 445 Rn 89 f. - Google France und Google; EuGH GRUR 2011, 1124 Rn 45 - Interflora/M&S). Dieser Effekt trete sowohl in der der Fleurop-Rechtsprechung zugrunde liegenden Konstellation eines Vertriebssystems auf der Markeninhaberseite als auch in einem gleichsam „umgedrehten“ Fall auf, indem der Markeninhaber einem Vertriebssystem zugeordnet werde, dem er tatsächlich nicht angehöre. Der Verkehr nehme an, der - offensichtlich mit dem Markeninhaber nicht identische - Werbende stehe mit diesem in wirtschaftlicher Verbindung.

Allerdings hat der Senat die Anwendung der „Fleurop“-Grundsätze nur für möglich gehalten, wenn der Verkehr auch Kenntnis von dem Vertriebssystem hat, zu dem fälschlich eine Zuordnung erfolgen soll. In der Fleurop-Entscheidung war dem Verkehr das Vertriebssystem „bekannt“; in der Senatsentscheidung ergab sich dies aus der Anzeige selbst, da dort das Vertriebssystem des Werbenden ausdrücklich erwähnt wurde und so für den Verkehr erkennbar war. Derartiges findet sich in der Anzeige der Klägerin nicht. Die Anzeige beschränkt sich auf eine allgemeine Bewerbung von „unsichtbaren Zahnspangen“, so dass eine Ausnahme von den Adwords-Grundsätzen ausscheidet und es dabei bleibt, dass hier eine kennzeichenmäßige Benutzung nicht vorliegt.

b) Es fehlt auch nicht an der erforderlichen Rechtswidrigkeit des Eingriffs in den Gewerbebetrieb der Klägerin.

Ein Schadensersatzanspruch setzt neben einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung zur Feststellung der Rechtswidrigkeit eine Interessenabwägung voraus (BGH GRUR 2009, 878 - Fräsautomat; BGH GRUR 2006, 432 - Verwarnung aus Kennzeichenrecht II; BGH GRUR 2006, 433 - unbegründete Abnehmerverwarnung), da das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ein offener Tatbestand ist, dessen Inhalt und Grenzen sich erst aus einer Interessen- und Güterabwägung mit der im Einzelfall konkret kollidierenden Interessensphäre anderer ergeben. Diese geht hier zu Lasten des Beklagten aus.

Zugunsten des Abgemahnten ist grundsätzlich sein Interesse zu berücksichtigen, davor geschützt zu werden, zur Vermeidung von Schadenersatzansprüchen wegen der vermeintlichen Verletzung der Schutzrechte einschneidende unternehmerische Entscheidungen zu treffen, wie etwa die Einstellung oder Modifizierung von Herstellung und Vertrieb. Hier hätte die Klägerin zur Einstellung der behaupteten Verletzungshandlung zwar lediglich das Wort „Polzar“ bei Google auf die Blacklist setzen lassen müssen, so dass die Interessen der Klägerin durch die unberechtigte Abmahnung nicht so schwerwiegend beeinträchtigt wurden, wie in Fällen, in denen es um die Einstellung von Produktion oder Vertrieb schlechthin geht. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass derjenige, der fahrlässig zu Unrecht ein Ausschließlichkeitsrecht geltend macht und damit schuldhaft unberechtigterweise mit einschneidenden Rechtsfolgen droht, die das Gesetz zugunsten des Inhabers eines solchen vorsieht, „näher dran“ ist als derjenige, der - und sei es gleichfalls fahrlässig - nicht erkannt hat, dass das Ausschließlichkeitsrecht zu Unrecht geltend gemacht worden ist (BGH, NJW 2005, 3141, 3144 - Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung).

c) Schließlich hat der Beklagte auch schuldhaft, nämlich fahrlässig, gehandelt.

Für unberechtigte Schutzrechtsverwarnungen gilt wegen der damit verbundenen weitreichenden Konsequenzen ein strenger Verschuldensmaßstab (BGH GRUR 2006, 432, 433 - Verwarnung aus Kennzeichenrechten II). Darin liegt der Ausgleich für den strengen Sorgfaltsmaßstab, dem Dritte zur Vermeidung von Schutzrechtsverletzungen unterliegen. Die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des Verwarners dürfen andererseits nicht so groß sein, dass er wegen des drohenden Haftungsrisikos von der Geltendmachung berechtigter Ansprüche abgehalten wird.

Art und Umfang der Sorgfaltspflichten eines Verwarners werden maßgeblich dadurch bestimmt, inwieweit er auf den Bestand und die Tragfähigkeit seines Schutzrechts vertrauen darf (BGH GRUR 2006, 432 Rn 25 - Verwarnung aus Kennzeichenrecht II; BGH WRP 2018, 950 Rn 89 - Ballerinaschuh). Bei geprüften wie ungeprüften Rechten handelt schuldhaft, wer bei sorgfältiger Prüfung zu der Erkenntnis gelangen muss, dass kein Eingriff in sein Schutzecht vorliegt. Allerdings gilt bei der Beurteilung, ob in den Schutzumfang des Rechts eingegriffen wird, ein etwas großzügigerer Maßstab als bei der Prüfung, ob überhaupt ein Schutzrecht besteht (Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Omsels UWG, 5. Aufl. 2021, § 4 Rn 506 - 509).

Danach kann hier ein Verschulden nicht verneint werden. Die fehlende Berechtigung der Abmahnung ergibt sich nicht aus einem fehlenden Bestand des Schutzrechts, sondern aus der fehlenden markenmäßigen Benutzung. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur markenmäßigen Nutzung in Adword-Fällen ist seit Jahren bekannt und gefestigt. Soweit für Fälle von Vertriebssystemen Ausnahmen gemacht werden, liegt ein solcher Ausnahmefall ersichtlich nicht vor. Bei einer sorgfältigen und gewissenhaften Prüfung wäre diese fehlende Rechtsverletzung zu erkennen gewesen.

Soweit nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1974 (BGH GRUR 1974, 290, 292 - Maschenfestser Strumpf) ein Verschulden zu verneinen sein kann, wenn sich der Abmahnende auf den Rat seiner fach- und rechtskundigen Berater verlassen hat, die nach eingehender Untersuchung die der Verwarnung zugrunde liegenden Schutzrechte für schutzfähig gehalten und die abgemahnte Handlungsweise als schutzrechtsverletzend angesehen habe, fehlt es hier an entsprechendem Vortrag zu Art und Umfang der fachkundigen Prüfung. Insbesondere ist nicht vorgetragen, ob und warum bei einer Prüfung durch einen Rechtsanwalt die Problematik der markenmäßigen Nutzung nicht erkannt worden wäre, die rechtlich hier nicht einmal als umstritten angesehen werden kann.

3. Im Hinblick auf die Gegenabmahnung vom 14.4.2020 sind die hierdurch entstandenen Kosten dem Grunde nach ebenfalls ersatzfähig.

a) Allerdings sind grundsätzlich die Kosten der Gegenabmahnung unter dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag nicht ersatzfähig, da der Abgemahnte bei der Gegenabmahnung ausschließlich im eigenen Interesse handelt und nicht zugleich im Interesse des Abmahners (Harte/Henning/Brüning UWG, § 12 Rn 112.; MüKoUWG/Ottofülling UWG, 2. Aufl. 2014, § 12 Rn 111 - 113).

Eine Gegenabmahnung kann jedoch vor Erhebung einer negativen Feststellungsklage ausnahmsweise dann erforderlich sein, wenn dafür ein besonderer Grund vorliegt. Ein solch besonderer Anlass für die Gegenabmahnung ist z.B. in Fällen bejaht worden, in denen der Abmahnende erkennbar von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen war (BGH GRUR 2004, 790, 792 - Gegenabmahnung; OLG München WRP 1996, 928, 929; OLG München WRP 1997, 979, 80) oder in denen seit der Abmahnung ein längerer Zeitraum verstrichen ist und der Abmahnende in diesem entgegen seiner Androhung keine gerichtlichen Schritte eingeleitet hat. Denn nur in solchen Fällen entspricht eine Gegenabmahnung dem mutmaßlichen Willen und dem Interesse des Abmahnenden und kann der Abgemahnte daher die Kosten der Gegenabmahnung erstattet verlangen (BGH GRUR 2004, 790).

b) Ein solcher Fall, in dem eine Abmahnung ausnahmsweise dem mutmaßlichen Willen und Interesse des Beklagten entsprach, lag hier vor.

Seit der Abmahnung durch den Beklagten war bereits ein längerer Zeitraum verstrichen (fünf Monate), ohne dass der Beklagten die angedrohte gerichtliche Geltendmachung vorgenommen hatte oder von der Abmahnung ausdrücklich Abstand genommen hatte. Die Klägerin musste daher davon ausgehen, dass es im Interesse des Beklagten lag, ihm durch eine Abmahnung den Weg zu weisen, von seiner Berühmung ohne Durchführung eines Gerichtsverfahrens Abstand zu nehmen.

Die Behauptung des Beklagten, sein Prozessbevollmächtigter hätte bereits direkt nach der Abmahnung mündlich erklärt, die Ansprüche nicht weiter geltend machen zu wollen, ist zum einen bestritten und nicht mit einem Beweisangebot unterlegt; zum anderen ist die allein mündliche Verzichtserklärung nicht geeignet, der Klägerin die nötige Rechtssicherheit zu verschaffen.

4. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch allerdings nur in Höhe von 2.348,94 €, basierend auf einer 1,3 Gebühr aus 100.000 € zu, da die Abmahnung vom 11.10.2019 und die Gegenabmahnung vom 14.4.2020 zwei Gegenstände anwaltlicher Tätigkeit, aber eine Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG darstellen.

a) Gemäß § 15 Abs. 2 RVG kann der Rechtsanwalt die Gebühren „in derselben Angelegenheit nur einmal fordern“. Weisungsgemäß erbrachte anwaltliche Leistungen sind in der Regel dieselbe Angelegenheit, wenn zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und sie sowohl inhaltlich als auch in der Zielsetzung so weitgehend übereinstimmen, dass von einem einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit gesprochen werden kann (BGH GRUR 2019, 1044 Rn 24 - Der Novembermann; BGH GRUR 2019, 763 Rn 17 - Ermittlungen gegen Schauspielerin). Die Angelegenheit ist von dem Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit abzugrenzen, der das konkrete Recht oder Rechtsverhältnis bezeichnet, auf das sich die anwaltliche Tätigkeit bezieht. Eine Angelegenheit kann durchaus mehrere Gegenstände umfassen (BGH GRUR 2019, 1044 Rn 24 - Der Novembermann; BGH GRUR 2019, 763 Rn 17 - Ermittlungen gegen Schauspielerin). Für einen einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit reicht es grundsätzlich aus, wenn die verschiedenen Gegenstände in dem Sinn einheitlich vom Anwalt bearbeitet werden können, dass sie verfahrensrechtlich zusammengefasst oder in einem einheitlichen Vorgehen geltend gemacht werden können. Ein innerer Zusammenhang zwischen den anwaltlichen Leistungen ist zu bejahen, wenn die verschiedenen Gegenstände bei objektiver Betrachtung und unter Berücksichtigung des mit der anwaltlichen Tätigkeit nach dem Inhalt des Auftrags erstrebten Erfolgs zusammengehören (BGH GRUR 2019, 1044 Rn 24 - Der Novembermann; BGH GRUR 2019, 763 Rn 17 - Ermittlungen gegen Schauspielerin).

Eine Angelegenheit kann auch vorliegen, wenn ein dem Rechtsanwalt zunächst erteilter Auftrag vor dessen Beendigung später ergänzt wird. Ob eine Ergänzung des ursprünglichen Auftrags vorliegt oder ein neuer Auftrag erteilt wurde, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzustellen (BGH GRUR 2019, 1044 Rn 25 - Der Novembermann). Allerdings kann es an einem inneren Zusammenhang und damit einer einheitlichen Angelegenheit dann fehlen, wenn ein großer zeitlicher Abstand zwischen den einzelnen Abmahnungen liegt.

b) Nach diesen Grundsätzen ist hier von einer Angelegenheit auszugehen.

Der notwendige innere Zusammenhang besteht. Dem Betroffenen einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung ist mit der Abwehr der Abmahnung allein nicht gedient. Vielmehr gewinnt er die nötige Rechtssicherheit nur dadurch, dass der Gegner entweder auf seinen Unterlassungsanspruch verzichtet oder im Wege der negativen Feststellungsklage rechtskräftig festgestellt wird, dass der begehrte Unterlassungsanspruch nicht besteht.

Die für die anspruchsbegründenden Tatsachen darlegungs- und beweisbelastete Klägerin hat jedenfalls nicht vorgetragen, dass abweichend hiervon zunächst nur ein Auftrag zur Abwehr der Abmahnung erteilt worden wäre und später die Klägerin erneut beauftragt hätte. Selbst in diesem Fall wäre aber eine nachträgliche Erweiterung des bereits bestehenden Auftrages anzunehmen, so dass auch in diesem Fall nur eine Angelegenheit vorliegen würde.

Der Annahme einer Angelegenheit steht auch nicht ein zu großer zeitlicher Abstand entgegen. Die Abwehr der Abmahnung erfolgte am 15.11.2019, die Gegenabmahnung am 14.4.2020. Der hierin liegende Abstand von fünf Monaten ist nicht geeignet, den notwendigen Zusammenhang aufzulösen.

c) Dies führt dazu, dass der Wert des Abwehrschreibens in Höhe von 50.000 € sowie der Gegenabmahnung in Höhe von 50.000 € zu addieren sind. Der sich hieraus ergebende Wert der Angelegenheit in Höhe von 100.000 € bildet die Grundlage für die Berechnung einer 1,3 Gebühr zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer; dies führt zu einem Betrag in Höhe von 2.348,94 €.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Frankfurt: Schiedsspruch über Unwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung eines Fernsehverwertungsvertrags wegen coronoabedingter Unterbrechung des Bundesligaspielbetriebs nicht aufzuheben

OLG Frankfurt
Urteil vom 03.03.2022
26 Sch 2/21


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass der Schiedsspruch über die Unwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung eines Fernsehverwertungsvertrags wegen coronoabedingter Unterbrechung des Spielbetriebs der Bundesliga nicht aufzuheben ist.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Keine Aufhebung eines Schiedsspruchs über Unwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung eines Fernsehverwertungsvertrags wegen Corona-bedingter Unterbrechung des Spielbetriebs der Bundesliga

Nach den Feststellungen des Schiedsgerichts begründet die Unterbrechung des Spielbetriebs der Bundesliga und der 2. Bundesliga infolge der Corona-Pandemie kein außerordentliches Kündigungsrecht für einen medialen Verwertungsvertrag über die Übertragung dieser Spiele. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat mit heute verkündeter Entscheidung den Antrag auf Aufhebung dieses Schiedsspruchs, mit dem die Unwirksamkeit der Kündigung und die Schadensersatzpflicht festgestellt worden waren, zurückgewiesen.

Die Antragstellerin zu 1 ist ein französisches auf Sportberichterstattung spezialisiertes Unternehmen; die mit ihr verbundene Antragstellerin zu 2 ist u.a. für den Erwerb von Verwertungsrechten zuständig. Der Antragsgegner ist ein in Frankfurt am Main ansässiger Verein, in dem die Vereine und Kapitalgesellschaften der Fußballbundesliga und der 2. Fußballbundesliga zusammengeschlossen sind. Neben der Organisation des Spielbetriebs vermarktet er die Medienrechte an den Bundesligaspielen.

Die Antragstellerin zu 1 schloss mit dem Antragsgegner einen Vertrag über näher umrissene mediale Verwertungsrechte der Spielzeiten 2017/2018 bis 2020/2021 für das

Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gegen Zahlung einer jährlichen Servicepauschale sowie pro Spielzeit fälliger Vergütung. Die Antragstellerin zu 2 übernahm diesen Vertrag nachfolgend und übertrug später Rechte an die Antragstellerin zu 1 zurück.

Infolge der Corona-Epidemie stellte der Antragsgegner den gesamten Spielbetrieb ab dem 13.3.2020 ohne Bestimmung von Ersatzterminen ein. Nach gescheiterten Gesprächen kündigten die Antragstellerinnen den Vertrag Ende April 2020. Der Spielbetrieb wurde Mitte Mai 2020 wiederaufgenommen.

Der Antragsgegner widersprach der Kündigung und erhob am 11.5.2020 Schiedsklage. Das Schiedsgericht stellte mit Schiedsspruch vom 12.11.2020 u.a. die Unwirksamkeit der Kündigungen und eine daran anknüpfende Schadensersatzverpflichtung der Antragstellerin zu 1 fest. Es habe kein Leistungshindernis, sondern nur eine Leistungserschwernis für den Antragsgegner vorgelegen. Die Wiederaufnahme der Spiele sei zum Kündigungszeitpunkt bereits vorhersehbar gewesen. Der Antragsgegner habe unter Nutzung der ihm eingeräumten Freiheiten bei der Spielplanfestlegung seine vertraglichen Pflichten erfüllen können.

Ohne Erfolg haben die Antragstellerinnen vor dem OLG die Aufhebung dieses Schiedsspruches begehrt. Das OLG stellte fest, dass kein Aufhebungsgrund (§ 1059 Abs. 2 ZPO) vorliegt.

Das Schiedsgericht habe insbesondere nicht den Anspruch der Antragstellerinnen auf rechtliches Gehör verletzt. Die zahlreichen von den Antragstellerinnen erhobenen Einwände begründeten im Ergebnis in keinem Fall eine Gehörsverletzung. Das Schiedsgericht habe vielmehr den aus seiner Sicht entscheidungserheblichen Vortrag in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht hinreichend gewürdigt.

Das Ergebnis des Schiedsspruchs halte auch einer kartellrechtlichen Kontrolle stand, wobei zur Wahrung der Anerkennung der Schiedsfähigkeit kartellrechtlicher Streitigkeiten nur eine auf das Ergebnis des Schiedsspruchs bezogene eingeschränkte Kontrolle erfolge. Angesichts der baldigen Wiederaufnahme des Spielbetriebs und der im Hinblick auf die Dauer des Vertrags nur geringen Dauer der Unterbrechung sei die weitere Bindung an den Vertrag zumutbar.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.
[...]
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 03.03.2022, Az. 26 Sch 2/21

Erläuterungen:

§ 1059 ZPO Aufhebungsantrag

(1) Gegen einen Schiedsspruch kann nur der Antrag auf gerichtliche Aufhebung nach den Absätzen 2 und 3 gestellt werden.

(2) Ein Schiedsspruch kann nur aufgehoben werden,

wenn der Antragsteller begründet geltend macht, dass
a) eine der Parteien, die eine Schiedsvereinbarung nach den §§ ZPO § 1029, ZPO § 1031 geschlossen haben, nach dem Recht, das für sie persönlich maßgebend ist, hierzu nicht fähig war, oder dass die Schiedsvereinbarung nach dem Recht, dem die Parteien sie unterstellt haben oder, falls die Parteien hierüber nichts bestimmt haben, nach deutschem Recht ungültig ist oder
b) er von der Bestellung eines Schiedsrichters oder von dem schiedsrichterlichen Verfahren nicht gehörig in Kenntnis gesetzt worden ist oder dass er aus einem anderen Grund seine Angriffs- oder Verteidigungsmittel nicht hat geltend machen können oder
c) der Schiedsspruch eine Streitigkeit betrifft, die in der Schiedsabrede nicht erwähnt ist oder nicht unter die Bestimmungen der Schiedsklausel fällt, oder dass er Entscheidungen enthält, welche die Grenzen der Schiedsvereinbarung überschreiten; kann jedoch der Teil des Schiedsspruchs, der sich auf Streitpunkte bezieht, die dem schiedsrichterlichen Verfahren unterworfen waren, von dem Teil, der Streitpunkte betrifft, die ihm nicht unterworfen waren, getrennt werden, so kann nur der letztgenannte Teil des Schiedsspruchs aufgehoben werden; oder
d) die Bildung des Schiedsgerichts oder das schiedsrichterliche Verfahren einer Bestimmung dieses Buches oder einer zulässigen Vereinbarung der Parteien nicht entsprochen hat und anzunehmen ist, dass sich dies auf den Schiedsspruch ausgewirkt hat; oder
wenn das Gericht feststellt, dass
a) der Gegenstand des Streites nach deutschem Recht nicht schiedsfähig ist oder
b) die Anerkennung oder Vollstreckung des Schiedsspruchs zu einem Ergebnis führt, das der öffentlichen Ordnung (ordre public) widerspricht.