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LG Essen: Wettbewerbswidriger Verstoß gegen Artikel 72 Abs. 3 S. 2 Biozidverordnung durch Bewerbung eines Handdesinfektionsmittels mit "Hautfreundlichkeit" und "Natürlichkeit"

LG Essen
Urteil vom 19.05.2022
43 O 51/21


Das LG Essen hat entschieden, dass ein nach § 3 Abs. 1 UWG wettbewerbswidriger Verstoß gegen Artikel 72 Abs. 3 S. 2 Biozidverordnung durch Bewerbung eines Handdesinfektionsmittels mit "Hautfreundlichkeit" und "Natürlichkeit" vorliegt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Unlautere geschäftlichen Handlungen sind unzulässig, § 3 Abs. 1 UWG. Unlauter handelt, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen, § 3a UWG.

C. Die hier in Rede stehende Werbung verstößt gegen Art. 72 Abs. 1 und 3 VO (EU) 528/2012 [Biozid-VO] und stellt insofern einen Rechtsbruch im Sinne von § 3a UWG dar.

aa. Bei dem Produkt "I1" handelt es sich um ein "Biozidprodukt" im Sinne von Art. 3 Abs. 1 S. 1 lit. a Biozid-VO. Nach der genannten Vorschrift ist ein "Biozidprodukt" jeglicher Stoff oder jegliches Gemisch in der Form, in der er/es zum Verwender gelangt, und der/das aus einem oder mehreren Wirkstoffen besteht, diese enthält oder erzeugt, der/das dazu bestimmt ist, auf andere Art als durch bloße physikalische oder mechanische Einwirkung Schadorganismen zu zerstören, abzuschrecken, unschädlich zu machen, ihre Wirkung zu verhindern oder sie in anderer Weise zu bekämpfen. Eine behandelte Ware mit einer primären Biozidfunktion gilt als Biozidprodukt, Art. 3 Abs. 1 S. 2 Biozid-VO. Gem. Art. 2 Abs. 1 S. 2 Biozid-VO i.V.m. Anhang V unterfallen Biozidprodukte, die für die menschliche Hygiene zum Zwecke der Hautdesinfektion verwendet werden, der genannten Verordnung. Das Produkt der Beklagten besteht nach den werblichen Aussagen zu 70 % aus Bioethanol und beseitigt behüllte Viren wie das Coronavirus (gem. EN 14476) sowie Bakterien (gem. EN 1040, EN 1276 und EN 1500). Es stellt mithin ein aus mehreren Wirkstoffen bestehendes Gemisch dar, welches dazu bestimmt ist, auf andere Art als durch physikalische oder mechanische Einwirkung auf menschlichen Händen Schadorganismen zu zerstören bzw. unschädlich zu machen.

Demgegenüber stellt das Handprodukt der Beklagten kein kosmetisches Mittel im Sinne von Art. 2 Abs. 1 S. 1 lit. a) VO (EG) 1223/2009 [Kosmetik-VO] dar. Nach der genannten Vorschrift sind "kosmetische Mittel", Stoffe oder Gemische, die dazu bestimmt sind, äußerlich mit den Teilen des menschlichen Körpers (Haut, ...) ... in Berührung zu kommen, und zwar zu dem ausschließlichen oder überwiegenden Zweck, diese zu reinigen, zu parfümieren, ihr Aussehen zu verändern, sie zu schützen, sie in gutem Zustand zu halten oder den Körpergeruch zu beeinflussen.

Der ausschließliche und überwiegende Zweck des Produkts der Beklagten besteht nicht darin, die menschliche Haut an den Händen zu reinigen, zu parfümieren, zu schützen oder sie in gutem Zustand zu halten. Der "hand sanitizer" (engl. Handdesinfetionsmittel/Händedesinfektinsmittel) enthält nach den werblichen Aussagen den "Hauptinhaltsstoff' Bioethanol, welcher in seiner Wirkung die Viren und Bakterien beseitigt. Diese desinfizierende Wirkung geht über eine bloße Reinigung der Hände (etwa mit Seife), über eine Parfümierung, einen Schutz oder eine Pflege der Hände hinaus. Der überwiegende Zweck des Produkts ist insoweit kein kosmetischer. Die Ausnahme des Art. 72 Abs. 2 S. 1 lit. j) Biozid-VO ist deshalb nicht einschlägig.

Das Produkt ist nach dem Vorstehenden auch nicht als dualuse Produkt zu klassifizieren, sondern als reines Biozidprodukt.

bb. Die in Rede stehende Werbung verstößt gegen Art. 72 Abs. 1 S. 1 Biozid-VO. Nach der genannten Vorschrift ist jeder Werbung für Biozidprodukte folgender Hinweis hinzuzufügen: "Biozidprodukte vorsichtig verwenden. Vor Gebrauch stets Etikett und Produktinformation lesen." Diese Sätze müssen sich von der eigentlichen Werbung deutlich abheben und gut lesbar sein, Art. 72 Abs. 1 S. 2 Biozid.-VO. Einen solchen Hinweis enthält die Werbung der Beklagten nicht.

cc. Darüber hinaus verstößt die Werbung gegen Art. 72 Abs. 3 Biozid-VO. Die Vorschrift bestimmt, dass das Produkt nicht in einer Art und Weise dargestellt werden darf, die hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch und Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit irreführend ist. Die Werbung für ein Biozidprodukt darf auf keinen Fall die Angaben "Biozidprodukt mit niedrigem Risikopotential", "ungiftig", "unschädlich", "natürlich", "umweltfreundlich", "tierfreundlich" oder ähnliche Hinweise enthalten, Art. 72 Abs. 3 S. 2 Biozid-VO.

Die in der Werbung der Beklagten enthaltenen Angaben

- "natürlicher, hautpflegender hand sanitizer"

- ,,99,6% natürliche inhaltsstoffe"

- ,,... und pflegt zugleich die hände (etest: sehr gut), natürliche feuchtigkeitsspender wie aloe vera und pflanzliches glycerin regenerieren beanspruchte hände und sorgen für ein zartes und seidenweiches hautgefühl."

- ,,unser handsanitizer besteht zu 99,7% aus natürlichen inhaltsstoffen, wobei der hauptinhaltsstoff (bioethanol) aus nachhaltiger landwirtschaft gewonnen wird"

- ,,99,6% natürliche inhalte: natürliche feuchtigkeitsspender wie aloe vera und pflanzliches glycerin wirken dem austrocknen der haut entgegen, ätherische öle sorgen für zusätzliche hautpflege."

- ,,99,6% natürliche inhaltsstoffe, vegane formulierung"

- ,,natürliche feuchtigkeitsspender wie aloe vera und pflanzliches glycerin"

- ,,feuchtigkeitsspendend"

- ,,vegane formulierung"

- ,,pflegend"

stellen "ähnliche Hinweise" im Sinne von Art. 72 Abs. 3 S. 2 Biozid-VO dar. Sie relativieren die Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch und Umwelt.

d. Der Anspruch ist nicht gem. § 11 UWG verjährt. Nach der genannten Vorschrift verjährt der Anspruch in sechs Monaten, die Verjährungsfrist beginnt, wenn der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste, § 11 Abs. 1 und 2 UWG. Vorliegend hat der Kläger nach seinem Vortrag Mitte Mai 2021 von dem Internetauftritt der Beklagten Kenntnis erlangt, das erste Abmahnschreiben datiert vom 21.05.2021. Die Klage ist bereits am 23.08.2021 in unverjährter Zeit zugestellt worden. Die Beklagte, welche für einen früheren Verjährungsbeginn bzw. die diesem zugrunde liegenden Tatsachen darlegungs- und beweisbelastet ist, hat eine frühere Kenntniserlangung hingegen nicht substantiiert vorgetragen.

3. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz der erforderlichen Aufwendungen in Höhe von 374,50 € aus § 13 Abs. 3 UWG.

Nach der genannten Vorschrift kann der Abmahnende von dem Abgemahnten den Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen, wenn die Abmahnung berechtigt ist und den Anforderungen des § 13 Abs. 2 UWG genügt. Beides ist vorliegend der Fall.

Gem. § 13 Abs. 2 UWG muss in der Abmahnung klar und verständlich der Name des Abmahnenden, die Voraussetzungen der Anspruchsberechtigung nach § 8 Abs. 3 UWG, ob und in welcher Höhe ein Aufwendungsersatzanspruch geltend gemacht wird und wie sich dieser berechnet sowie die Rechtsverletzung unter Angabe der tatsächlichen Umstände angegeben werden. Dabei muss der Sachverhalt, der den Vorwurf rechtswidrigen Verhaltens begründen soll, genau angegeben und der darin erblickte Verstoß so klar und eindeutig bezeichnet wird, dass der Abgemahnte die gebotenen Folgerungen ziehen kann (BGH, GRUR 2021, 752). Die Abmahnung des Klägers vom 21.05.2021 genügt diesen Anforderungen. Zwar ist darin die Internetseite der Beklagten mit "www...de" und nicht mit "www...de" bezeichnet worden. Dennoch war für die Beklagte aufgrund der detaillierten weiteren Angaben zu der beanstandeten Werbung (insbesondere der Beschreibung der bildlichen Darstellung) und dem betroffenen Produkt ohne weiteres ersichtlich, dass es sich um eine versehentliche Falschbezeichnung der Internetseite handelte. Aus dem objektiven Empfängerhorizont heraus war für die Beklagte eindeutig ersichtlich, welches wettbewerbswidrige Verhalten ihr vorgeworfen wird.

Die von Seiten des Klägers für das Abmahnschreiben vom 07.10.2020 geltend gemachte Pauschale in Höhe von 374,50 € hält das Gericht entsprechend § 287 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO für angemessen. Der Kläger hat zu den kalkulatorischen Grundlagen des geltend gemachten Betrages im Einzelnen vorgetragen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

VG Münster: Vollstreckungsmaßnahmen zur Beitreibung rückständiger Rundfunkbeiträge in Form von Vermögensauskunft bzw. Haft zur Erzwingung der Vermögensauskunft rechtmäßig

VG Münster
Urteil vom 13.05.2022 - 7 K 1552/21
Urteil vom 08.06.2022 - 7 K 1553/21

Das VG Münster hat entschieden, dass Vollstreckungsmaßnahmen zur Beitreibung rückständiger Rundfunkbeiträge in Form von Vermögensauskunft bzw. Haft zur Erzwingung der Vermögensauskunft rechtmäßig sein können.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Vollstreckungsmaßnahmen wegen ausstehender Rundfunkbeiträge rechtmäßig

Das Verwaltungsgericht Münster hat durch jetzt bekannt gegebene Urteile vom 13. Mai 2022 und 8. Juni 2022 die Klagen eines Mannes aus Borken abgewiesen, der sich gegen Vollstreckungsmaßnahmen zur Beitreibung rückständiger Rundfunkbeiträge gewandt hatte.

Mit Bescheiden vom 2. Juli und 1. August 2015 hatte der für den Einzug des Rundfunkbeitrags zuständige Beitragsservice gegen den Kläger rückständige Rundfunkbeiträge seit 2013 in Höhe von insgesamt 465,50 Euro festgesetzt. Nachdem der Kläger gegen diese Bescheide keinen Widerspruch erhoben, die Beiträge aber auch nicht gezahlt hatte, beauftragte der Westdeutsche Rundfunk Köln (WDR) die Stadt Borken im Wege der Amtshilfe, die rückständigen Beiträge beim Kläger zu vollstrecken. Im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens beantragte die Stadt Borken Anfang 2020 beim Amtsgericht Borken, die Vermögensauskunft des Klägers abzunehmen. Nachdem der Kläger diese verweigert hatte, beantragte die zuständige Gerichtsvollzieherin beim Amtsgericht Borken einen Haftbefehl zur Erzwingung der Vermögensauskunft. Dieser wurde am 25. Februar 2021 vollstreckt. Der Kläger wurde in die Justizvollzugsanstalt Münster gebracht, wo er bis zum 24. August 2021 inhaftiert war. In dieser Zeit erhob der Kläger Klage gegen die Stadt Borken sowie gegen den WDR. Zur Begründung machte er unter anderem geltend: Da er seit 2010 weder ein Radio- noch ein Fernsehgerät besitze, sei er nicht verpflichtet, Rundfunkbeiträge zu zahlen. Er habe die seit 2013 erhaltenen Briefe des Beitragsservice für Werbung gehalten und sie ungeöffnet wieder an den Absender zurückgeschickt. Außerdem hätten die Voraussetzungen für die einzelnen Vollstreckungsmaßnahmen nicht vorgelegen. Auch stehe ihm wegen der unzulässigen Inhaftierung ein Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld zu.

Dem folgte das Verwaltungsgericht Münster jedoch nicht und wies beide Klagen des Klägers ab. In den Entscheidungsgründen heißt es unter anderem: Die Klagen seien überwiegend bereits unzulässig. Soweit sich der Kläger gegen die ursprünglichen Rundfunkbeitragsbescheide wende, seien diese bereits bestandskräftig, weil der Kläger innerhalb der dafür vorgesehenen Fristen keine Rechtsmittel eingelegt habe. Für die erstrebte Feststellung der Rechtswidrigkeit der Inhaftierung des Klägers sowie für den geltend gemachten Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld seien nicht die Verwaltungsgerichte, sondern die Zivilgerichte zuständig. Im Übrigen sei nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen für die Vollstreckung der Rundfunkbeiträge nicht erfüllt gewesen seien. Der Kläger könne auch nicht mehr verlangen, dass die Vollstreckung eingestellt werde, weil der WDR bereits erklärt habe, die Zwangsvollstreckung gegen den Kläger nicht weiter zu betreiben.

Gegen die Urteile kann jeweils innerhalb eines Monats nach Zustellung die Zulassung der Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen beantragt werden.

(Az.: 7 K 1552/21 und 7 K 1553/21 – nicht rechtskräftig)


OVG Münster: Ministerium bzw. Behörde darf bei IFG-Anfrage über fragdenstaat.de nicht standardmäßig die Angabe der Postanschrift des Antragstellers verlangen

OVG Münster
Urteil vom 15.06.2022
16 A 857/21


Das OVG Münster hat entschieden, dass ein Ministerium bzw. eine Behörde bei einer IFG-Anfrage über fragdenstaat.de nicht standardmäßig die Angabe der Postanschrift des Antragstellers verlangen darf.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Standardmäßige Erhebung der Postanschrift des Antragstellers bei IFG-Antrag über „fragdenstaat.de“ unzulässig

Das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) darf nicht standardmäßig die Angabe der Postanschrift des Antragstellers verlangen, der über die Internetplattform „fragdenstaat.de“ einen Antrag auf Informationszugang nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) stellt. Dies hat das Oberverwaltungsgericht mit heute verkündetem Urteil entschieden und die vorangegangene Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln geändert.

Ein Bürger stellte mittels einer von der Internetplattform „fragdenstaat.de“ generierten, nicht personalisierten E-Mail-Adresse beim BMI einen Auskunftsantrag nach dem IFG. Das Ministerium forderte ihn dazu auf, seine Postanschrift mitzuteilen, da andernfalls der verfahrensbeendende Verwaltungsakt nicht bekanntgegeben und das Verfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden könne. Aufgrund dessen sprach der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) eine datenschutzrechtliche Verwarnung gegenüber dem BMI aus. Das Verwaltungsgericht Köln gab der dagegen gerichteten Klage des BMI statt und hob die Verwarnung auf. Die Berufung des BfDI hatte nun Erfolg.

Zur Begründung hat der 16. Senat des Oberverwaltungsgerichts ausgeführt: Die Verwarnung des Ministeriums durch den BfDI ist rechtmäßig. Die Erhebung der Postanschrift war im Zeitpunkt der Datenverarbeitung für die vom BMI verfolgten Zwecke nicht erforderlich. Weder aus den maßgeblichen Vorschriften des IFG noch aus den Grundsätzen des Allgemeinen Verwaltungsrechts geht hervor, dass ein Antrag nach dem IFG stets die Angabe einer Postanschrift erfordert. Anhaltspunkte dafür, dass eine Datenerhebung im vorliegenden Einzelfall erforderlich war, liegen ebenfalls nicht vor.

Das Oberverwaltungsgericht hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen.

In einem weiteren, auf einem vergleichbaren Sachverhalt beruhenden Verfahren hatten der BfDI und die beigeladene Open Knowledge Foundation, die die Internetplattform „fragdenstaat.de“ betreibt, mit ihren Berufungen hingegen keinen Erfolg. Der BfDI hatte dem BMI die datenschutzrechtliche Anweisung erteilt, in Verfahren nach dem IFG über die vom Antragsteller übermittelten Kontaktdaten hinaus nur noch dann zusätzliche personenbezogene Daten zu verarbeiten, wenn ein Antrag ganz oder teilweise abzu­lehnen sein wird oder wenn Gebühren zu erheben sind. Wie schon das Verwaltungsgericht Köln hielt auch das Oberverwaltungsgericht mit heute verkündetem Urteil diese Anweisung für rechtswidrig - allerdings aus anderen Gründen: Der streitgegenständliche Bescheid weist jedenfalls einen zu weitreichenden Regelungsgehalt auf, weil er eine Datenverarbeitung auch für die Fälle verbietet, in denen sie ausnahmsweise gerechtfertigt sein könnte.

In diesem Verfahren hat das Oberverwaltungsgericht die Revision nicht zugelassen. Dagegen ist Beschwerde möglich, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.

Aktenzeichen: 16 A 857/21 (Verwarnung; I. Instanz: VG Köln 13 K 1190/20), 16 A 858/21 (Anweisung; VG Köln 13 K 1189/20)



EuG: Beschluss der EU-Kommission gegen Qualcomm wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung auf dem Markt für LTE-Chipsätze nichtig

EuG
Urteil vom 15.06.2022
T-235/18
Qualcomm ./. EU-Kommission (Qualcomm – Ausschließlichkeitszahlungen)


Das EuG hat entschieden, dass Beschluss der EU-Kommission gegen Qualcomm wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung auf dem Markt für LTE-Chipsätze nichtig ist.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Missbrauch einer beherrschenden Stellung auf dem Markt für LTE-Chipsätze: Das Gericht erklärt den Beschluss der Kommission, mit dem Qualcomm eine Geldbuße von rund einer Milliarde Euro auferlegt wurde, für nichtig

Es stellt fest, dass mehrere Verfahrensfehler die Verteidigungsrechte von Qualcomm beeinträchtigt haben und entkräftet die Analyse der Kommission bezüglich des diesem Unternehmen vorgeworfenen Verhaltens Qualcomm ist ein US- merikanisches Unternehmen, das Basisband-Chipsätze entwickelt und liefert, mit denen Smartphones und Tablets ausgestattet werden, damit diese eine Verbindung zu Mobilfunknetzen herstellen können, und die sowohl für Sprachdienste als auch für die Datenübertragung verwendet werden. So werden die Chipsätze an Originalgeräte-Hersteller, darunter Apple, verkauft, die sie in ihre Geräte einbauen.

Mit Beschluss vom 24. Januar 20182 verhängte die Kommission gegen Qualcomm eine Geldbuße in Höhe von fast einer Milliarde Euro wegen Missbrauchs einer beherrschenden Stellung auf dem Weltmarkt für Chipsätze, die mit dem Standard Long Term Evolution (LTE) kompatibel sind. Der Zeitraum der Zuwiderhandlung erstreckte sich von Februar 2011 bis September 2016.

Nach Ansicht der Kommission war dieser Missbrauch durch Anreizzahlungen gekennzeichnet, aufgrund deren Apple seinen Bedarf an LTE-Chipsätzen ausschließlich durch Lieferungen von Qualcomm habe decken müssen. Unter diesen Umständen war die Kommission der Auffassung, dass diese Zahlungen, die sie als Ausschließlichkeitszahlungen einstuft, geeignet gewesen seien, wettbewerbswidrige Wirkungen zu entfalten, da sie Apples Anreize verringert hätten, sich an konkurrierende Anbieter von LTE-Chipsätzen zu wenden.

Mit seinem Urteil von heute erklärt das Gericht den Beschluss der Kommission insgesamt für nichtig. Es stützt sich zum einen auf die Feststellung mehrerer Verfahrensfehler, die die Verteidigungsrechte von Qualcomm beeinträchtigt haben, und zum anderen auf eine Analyse der wettbewerbswidrigen Auswirkungen der Anreizzahlungen.

Was die Nichtbeachtung der Verteidigungsrechte von Qualcomm anbelangt, stellt das Gericht mehrere Fehler fest, die die Kommission bei der Erstellung der Fallakte begangen hat. Es weist darauf hin, dass die Kommission verpflichtet ist, den genauen Inhalt jeder Unterredung, die zur Sammlung von Informationen über den Gegenstand einer Untersuchung erfolgt ist, in der von ihr gewählten Form aufzuzeichnen. Im vorliegenden Fall ist die Kommission dieser Verpflichtung u. a. in Bezug auf die Abhaltung von Sitzungen und Telefonkonferenzen mit Dritten nicht in vollem Umfang nachgekommen.

Außerdem stellt das Gericht fest, dass sich der angefochtene Beschluss darauf beschränkt, einen Missbrauch einer beherrschenden Stellung allein auf dem Markt für LTE-Chipsätze festzustellen, während die Mitteilung der Beschwerdepunkte einen Missbrauch sowohl auf diesem Markt als auch auf dem Markt für UMTS-Chipsätze (UMTS = Universal Mobile Telecommunications System) betraf. Da sich eine solche Änderung der Beschwerdepunkte nach Ansicht des Gerichts auf die Relevanz der Daten auswirkte, auf die sich die wirtschaftliche Analyse von Qualcomm stützte, mit der die Eignung ihres Verhaltens, Verdrängungswirkungen zu entfalten, bestritten werden sollte, hätte die Kommission Qualcomm Gelegenheit geben müssen, dazu gehört zu werden und gegebenenfalls ihre Analyse anzupassen. Folglich hat die Kommission, da sie das Unternehmen zu diesem Punkt nicht angehört hat, dessen Verteidigungsrechte verletzt.

Was die Analyse anbelangt, ob die Zahlungen geeignet waren, wettbewerbswidrige Wirkungen zu entfalten, stellt das Gericht zum einen fest, dass die Kommission für ihre Feststellung, dass die betreffenden Zahlungen den Wettbewerb für den gesamten Bedarf von Apple an LTE-Chipsätzen sowohl für iPhones als auch für iPads beschränken konnten, nicht alle relevanten tatsächlichen Umstände berücksichtigt hat. Das Gericht stellt nämlich fest, dass die Kommission zwar zu dem Ergebnis gelangte, dass die Anreizzahlungen die Anreize für Apple, sich an konkurrierende Anbieter zu wenden, um sich mit LTE-Chipsätzen zu versorgen, verringert haben, jedoch aus dem Beschluss der Kommission hervorgeht, dass Apple für den überwiegenden Teil seines Bedarfs im relevanten Zeitraum, d. h. des Bedarfs, der im Wesentlichen iPhones entsprach, keine technische Alternative zu den LTE-Chipsätzen von Qualcomm hatte. Es gelangt zu dem Ergebnis, dass die Analyse der Kommission nicht unter Berücksichtigung aller relevanten tatsächlichen Umstände vorgenommen wurde und daher rechtswidrig ist.

Zum anderen stellt das Gericht fest, dass die Schlussfolgerung, dass die fraglichen Zahlungen die Anreize für Apple, sich an Wettbewerber von Qualcomm zu wenden, um sich für den Bedarf für bestimmte iPad-Modelle der Jahre 2014 und 2015 mit LTE-Chipsätzen zu versorgen, tatsächlich verringert hätten, nicht genügt, um die Wettbewerbswidrigkeit dieser Zahlungen für den gesamten Bedarf von Apple nachzuweisen. Eine solche begrenzte Analyse kann nämlich die fehlende Berücksichtigung aller relevanten tatsächlichen Umstände im Rahmen des allgemeinen Nachweises der Kommission, dass die fraglichen Zahlungen geeignet seien, im betreffenden Zeitraum wettbewerbswidrige Wirkungen im Hinblick auf den Gesamtbedarf von Apple an LTE-Chipsätzen für iPhones und iPads zu entfalten, nicht heilen. Außerdem stellt das Gericht fest, dass die Kommission jedenfalls keine Analyse entwickelt hat, die den Schluss zuließe, dass die betreffenden Zahlungen die Anreize für Apple, sich an Wettbewerber von Qualcomm zu wenden, um für bestimmte iPad-Modelle der Jahre 2014 und 2015 LTE-Chipsätze zu beziehen, tatsächlich verringert hätten.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



BGH: Sandsteinrelief "Wittenberger Sau" muss nicht von Außenfassade der Wittenberger Stadtkirche entfernt werden

BGH
Urteil vom 14.06.2022
VI ZR 172/20


Der BGH hat entschieden, dass das Sandsteinrelief "Wittenberger Sau" nicht von Außenfassade der Wittenberger Stadtkirche entfernt werden muss.

Bundesgerichtshof zur Wittenberger Sau

Der unter anderem für das allgemeine Persönlichkeitsrecht zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass das an der Außenfassade der Wittenberger Stadtkirche angebrachte Sandsteinrelief - die "Wittenberger Sau" - nicht entfernt werden muss.

Sachverhalt:

Die beklagte Kirchengemeinde ist Eigentümerin der Wittenberger Stadtkirche, an deren Außenfassade sich seit etwa dem Jahr 1290 ein Sandsteinrelief befindet. Es zeigt eine Sau, an deren Zitzen zwei Menschen saugen, die durch ihre Spitzhüte als Juden identifiziert werden. Ein ebenfalls durch seinen Hut als Jude zu identifizierender Mensch hebt den Schwanz der Sau und blickt ihr in den After. Im Jahr 1570 wurde in Anlehnung an zwei von Martin Luther 1543 veröffentlichte antijudaistische Schriften über der Sau die Inschrift "Rabini Schem Ha Mphoras" angebracht. Im Jahr 1983 entschied der Gemeindekirchenrat im Rahmen von Sanierungsarbeiten an der Stadtkirche, das Relief an seinem Ort zu belassen und ebenfalls zu sanieren. Am 11. November 1988 wurde unter dem Relief eine in Bronze gegossene quadratische Bodenreliefplatte mit einer Inschrift eingeweiht. Der Text der Inschrift lautet: "Gottes eigentlicher Name, der geschmähte Schem Ha Mphoras, den die Juden vor den Christen fast unsagbar heilig hielten, starb in 6 Millionen Juden unter einem Kreuzeszeichen". In Hebräischer Schrift ist darüber hinaus der Beginn von Psalm 130 wiedergegeben, der – übersetzt - lautet: "Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir". Auf einem in unmittelbarer Nähe angebrachten Schrägaufsteller heißt es unter der Überschrift "Mahnmal an der Stadtkirche Wittenberg":

"An der Südostecke der Stadtkirche Wittenberg befindet sich seit etwa 1290 ein Hohn- und Spottbild auf die jüdische Religion. Schmähplastiken dieser Art, die Juden in Verbindung mit Schweinen zeigen - Tiere, die im Judentum als unrein gelten - waren besonders im Mittelalter verbreitet. Es existieren noch etwa fünfzig derartige Bildwerke.

Judenverfolgungen fanden in Sachsen Anfang des 14. Jahrhunderts und 1440 statt, 1536 wurde Juden der Aufenthalt in Sachsen grundsätzlich verboten.

Martin Luther veröffentlichte 1543 die antijudaistischen Schriften "Von den Juden und ihren Lügen" und "Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht Christi", auf die sich die Inschrift der Schmähplastik bezieht. Sie wurde 1570 angebracht wie der lateinische Text an der Traufe, der die von Martin Luther angestoßene Reformation mit der Tempelreinigung Jesu (Matthäus 21) gleichsetzt und gegen "Papisten" polemisiert.

Das Mahnmal unterhalb der Schmähplastik wurde im November 1988 enthüllt, fünfzig Jahre nach dem Beginn der Judenpogrome im nationalsozialistisch beherrschten Deutschland. Die in Bronze gegossene Bodenplatte zeigt vier gegeneinander verkippte Trittplatten, die aussehen, als seien sie in morastigem Untergrund verlegt. Die Fugen ergeben ein Kreuzeszeichen. Der umlaufende Text verbindet die Inschrift der Schmähplastik mit dem Holocaust: "Gottes eigentlicher Name / der geschmähte Schem Ha Mphoras / den die Juden vor den Christen / fast unsagbar heilig hielten / starb in sechs Millionen Juden / unter einem Kreuzeszeichen." Dazu steht in hebräischer Schrift der Beginn von Psalm 130: "Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir". Die Bronzeplatte entwarf der Bildhauer Wieland Schmiedel. Die Umschrift verfasste der Schriftsteller Jürgen Rennert."

Der Kläger ist Jude und Mitglied einer jüdischen Gemeinde in Deutschland. Mit seiner Klage verlangt er von der Beklagten in erster Linie die Entfernung des Sandsteinreliefs; für den Fall, dass der Beklagten dies aus Denkmalschutzgründen nicht möglich sein sollte, begehrt er hilfsweise die Feststellung, dass das Relief den objektiven und subjektiven Tatbestand der Beleidigung gemäß § 185 StGB erfülle.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die Revision hatte keinen Erfolg. Der Kläger kann von der Beklagten nicht die Entfernung des beanstandeten Sandsteinreliefs verlangen. Es fehlt an der für einen derartigen Anspruch erforderlichen gegenwärtigen Rechtsverletzung.

Zwar wies das Relief jedenfalls bis zur Verlegung der in Bronze gegossenen Bodenreliefplatte am 11. November 1988 einen das jüdische Volk und seine Religion massiv diffamierenden Aussagegehalt auf und brachte Judenfeindlichkeit und Hass zum Ausdruck. Es diente zur Zeit seiner Entstehung und auch noch im 16. Jahrhundert, als es durch die Inschrift "Rabini Schem Ha Mphoras" ergänzt wurde, dazu, Juden verächtlich zu machen, zu verhöhnen und auszugrenzen. Das Schwein gilt im Judentum bekanntlich als unrein; in der christlichen Kunst des Mittelalters verkörpert es den Teufel. Den diffamierenden Aussagegehalt hatte das Relief jedenfalls auch noch bis zur Verlegung der Bronzeplatte. Der Kläger ist auch aktivlegitimiert; er ist berechtigt, den Aussagegehalt des Reliefs gerichtlich zu beanstanden. Isoliert betrachtet verhöhnt und verunglimpft das Relief das Judentum als Ganzes. Durch eine solche Darstellung wird unmittelbar auch der Geltungs- und Achtungsanspruch eines jeden in Deutschland lebenden Juden angegriffen. Denn diese Personengruppe ist durch den nationalsozialistischen Völkermord zu einer Einheit verbunden, die sie aus der Allgemeinheit hervortreten lässt. Die in dem beanstandeten Relief jedenfalls bis zur Verlegung der Bronzeplatte zum Ausdruck kommende diffamierende Aussage ist der Beklagten zuzurechnen. Dabei konnte offenbleiben, ob dies allein deshalb der Fall ist, weil die Beklagte das Relief nicht von der Fassade ihres Kirchengebäudes entfernt hat. Denn die Beklagte hat sich durch ihren Gemeindekirchenrat im Jahr 1983 entschieden, das Relief im Rahmen von Sanierungsarbeiten an der Stadtkirche an seinem Ort zu belassen und zu sanieren.

Die Beklagte hat den jedenfalls bis zum 11. November 1988 bestehenden rechtsverletzenden Zustand aber dadurch beseitigt, dass sie unter dem Relief eine nach den örtlichen Verhältnissen nicht zu übersehende, in Bronze gegossene Bodenplatte mit der oben dargestellten Inschrift enthüllt und in unmittelbarer Nähe dazu einen Schrägaufsteller mit der Überschrift "Mahnmal an der Stadtkirche Wittenberg" angebracht hat, der den historischen Hintergrund des Reliefs und die Bronzeplatte näher erläutert. Aus der maßgeblichen Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Betrachters hat sie das bis dahin als Schmähung von Juden zu qualifizierende Sandsteinrelief - das "Schandmal" - in ein Mahnmal zum Zwecke des Gedenkens und der Erinnerung an die jahrhundertelange Diskriminierung und Verfolgung von Juden bis hin zur Shoah umgewandelt und sich von der diffamierenden und judenfeindlichen Aussage - wie sie im Relief bei isolierter Betrachtung zum Ausdruck kommt - distanziert. Anders als der Kläger meint, kann der von dem Sandsteinrelief ausgehende rechtsverletzende Zustand nicht allein durch Entfernung des Reliefs beseitigt werden. Auch wenn das Relief von Anfang an und immer nur der Diffamierung und Verunglimpfung von Juden diente und kaum eine bildliche Darstellung denkbar ist, die in höherem Maße im Widerspruch zur Rechtsordnung steht, gebietet die Rechtsordnung nicht seine Beseitigung. Vielmehr bestand mehr als diese eine Möglichkeit, die von ihm ausgehende rechtswidrige Beeinträchtigung für die Zukunft abzustellen. Die Umwandlung des "Schandmals" in ein Mahnmal und in ein Zeugnis für die Jahrhunderte währende judenfeindliche Geisteshaltung der christlichen Kirche ist eine der Möglichkeiten, den rechtsverletzenden Aussagegehalt zu beseitigen.

Aber auch wenn man annähme, die Beklagte habe sich durch die Enthüllung der in Bronze gegossenen Bodenplatte und die Aufstellung des Schrägaufstellers noch nicht hinreichend von der im Relief bei isolierter Betrachtung zum Ausdruck kommenden Aussage distanziert, könnte der Kläger nicht die - allein begehrte - Entfernung des beanstandeten Sandsteinreliefs verlangen. Bestehen, wie im Streitfall, mehrere Möglichkeiten, eine rechtswidrige Beeinträchtigung für die Zukunft abzustellen, muss es dem Schuldner überlassen bleiben, wie er den Störungszustand beseitigt.

Vorinstanzen:

LG Dessau-Roßlau - 2 O 230/18 – Urteil vom 24. Mai 2019

OLG Naumburg - 9 U 54/19 – Urteil vom 4. Februar 2020



BVerwG: Art. 16 Satz 1 DSGVO ist Anspruchsgrundlage für Berichtigung des Geburtsdatums im Melderegister - Beweislast für Unrichtigkeit trägt Anspruchsteller

BVerwG
Urteil vom 02.03.2022
6 C 7.20

Das BVerwG hat entschieden, dass Art. 16 Satz 1 DSGVO die Anspruchsgrundlage für die Berichtigung des Geburtsdatums im Melderegister ist. Die Beweislast für die Unrichtigkeit bzw. das richtige Datum trägt Anspruchsteller.

Aus den Entscheidungsgründen:

a) Das Berufungsgericht hat die Klage im Hinblick auf den Hauptantrag zu Recht als zulässig angesehen. Allerdings hat es unzutreffend angenommen, dass das auf Art. 16 Satz 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (ABl. L 119 S. 1) - Datenschutz-Grundverordnung, DSGVO - gestützte Begehren des Klägers, das Melderegister der Beklagten zu berichtigen, im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage geltend zu machen sei. Statthafte Klageart für diesen Anspruch ist vielmehr die Verpflichtungsklage.

Die Verpflichtungsklage ist gemäß § 42 Abs. 1 VwGO statthaft, wenn die Verurteilung einer Behörde zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt wird. Sie ist auch dann einschlägig, wenn eine Klage auf ein tatsächliches Handeln einer Behörde gerichtet ist, dem begehrten tatsächlichen Handeln der Behörde aber ein Verwaltungsakt vorausgeht. In diesen Fällen ist der rechtliche Schwerpunkt der behördlichen Tätigkeit nicht in der tatsächlichen Handlung als solcher, sondern in der zugrundeliegenden Entscheidung zu sehen, die in der Form eines Verwaltungsakts ergeht (BVerwG, Urteile vom 28. November 2007 - 6 A 2.07 - BVerwGE 130, 29 Rn. 13 und vom 16. September 2020 - 6 C 10.19 - Buchholz 403.1 Allg DatenschutzR Nr. 21 Rn. 12). Dies ist etwa der Fall, wenn die Behörde vor der tatsächlichen Handlung eine Entscheidung trifft, die auf der Grundlage eines gesetzlichen Prüfprogramms zu treffen ist und bei der die Behörde besondere verfahrensrechtliche Vorkehrungen wie etwa Begründungs- oder Anhörungspflichten zu beachten hat (BVerwG, Urteil vom 16. September 2020 - 6 C 10.19 - Buchholz 403.1 Allg DatenschutzR Nr. 21 Rn. 12). Dabei setzt der für einen Verwaltungsakt erforderliche Regelungscharakter der Entscheidung voraus, dass diese nach ihrem objektiven Erklärungsgehalt darauf gerichtet ist, eine Rechtsfolge zu setzen. Sie muss für den Betroffenen rechtsverbindlich Rechte oder Pflichten begründen, inhaltlich ausgestalten, ändern, aufheben, feststellen oder einen derartigen Ausspruch rechtsverbindlich ablehnen. Ein feststellender Verwaltungsakt liegt demnach vor, wenn das Ergebnis der behördlichen Rechtsanwendung rechtsverbindlich festgeschrieben wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2017 - 6 C 3.16 - BVerwGE 159, 148 Rn. 12 m.w.N.).

Hiervon ausgehend ist der Anspruch auf Berichtigung des Melderegisters auf Grund der nach Maßgabe der folgenden Darlegungen anzuwendenden Vorschrift des Art. 16 Satz 1 DSGVO nicht allein auf ein tatsächliches Verwaltungshandeln - die Änderung des Melderegisters -, sondern auf einen zuvor ergehenden Verwaltungsakt gerichtet. Rechtlicher Schwerpunkt des begehrten hoheitlichen Handelns ist nicht die tatsächliche Änderung des Eintrags im Melderegister. Der Schwerpunkt liegt vielmehr in der dem Prüfprogramm des Art. 16 Satz 1 DSGVO entsprechenden Entscheidung über diese Änderung, in deren Rahmen die Behörde insbesondere eine Aussage über die Richtigkeit bzw. Unrichtigkeit der in Rede stehenden Daten trifft. Damit regelt die Behörde die Konfliktlage, die durch das Aufeinandertreffen des "alten", bereits gespeicherten Datums und des durch den Antragsteller an die Behörde herangetragenen "neuen" Datums gekennzeichnet ist. Das durch das Berichtigungsbegehren entstandene streitbefangene Rechtsverhältnis wird damit einer - dem Interesse der Rechtssicherheit dienenden - Klärung zugeführt, der Berichtigungsanspruch verbindlich festgestellt. Die Auflösung dieser spezifischen Konfliktlage unterscheidet die durch den Berichtigungsantrag geschaffene Situation von anderen Konstellationen wie etwa der Fortschreibung des Melderegisters von Amts wegen oder der Ersteintragung eines Datums ins Register (vgl. zu diesen Konstellationen etwa OVG Koblenz, Beschluss vom 29. Januar 1993 - 7 A 11526/92 - juris Rn. 19 f.; OVG Greifswald, Beschluss vom 21. Juni 1999 - 1 M 63/99 - NVwZ-RR 2009, 93 <93 f.>; OVG Lüneburg, Beschluss vom 25. April 2014 - 11 ME 64/14 - juris Rn. 7 f. und OVG Münster, Beschluss vom 24. Mai 2017 - 16 E 1119/16 - juris Rn. 11). Die mit der Entscheidung verbundene Feststellung der Richtigkeit des in Rede stehenden Datums betrifft den jeweiligen Anspruchsteller als außerhalb der Verwaltung stehende natürliche Person in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und entfaltet damit auch unmittelbare Außenwirkung.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich insoweit jedoch aus anderen Gründen als richtig dar, § 144 Abs. 4 VwGO. Auch bei Zugrundelegung der Verpflichtungsklage als statthafte Klageart ist die Klage zulässig. Insbesondere hat der Kläger das Vorverfahren nach § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO erfolglos durchgeführt und danach fristgerecht Klage erhoben.

b) Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht die Klage mit ihrem Hauptantrag als unbegründet abgewiesen. Zutreffend hat es als Anspruchsgrundlage Art. 16 Satz 1 DSGVO herangezogen (aa)) und im Ergebnis zu Recht angenommen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Berichtigungsanspruchs nicht erfüllt sind (bb)).

aa) Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers, sein Geburtsjahr im Melderegister der Beklagten zu ändern, ist Art. 16 Satz 1 DSGVO.

(1) Der Anwendung der Datenschutzgrundverordnung steht nicht entgegen, dass diese am 25. Mai 2018 und damit erst während des Berufungsverfahrens in Kraft getreten ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich die für die gerichtliche Entscheidung maßgebliche Rechtslage aus dem materiellen Recht, dem nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Ermächtigungsgrundlage oder eines Anspruchs selbst, sondern auch die Antwort auf die Frage zu entnehmen ist, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen erfüllt sein müssen (BVerwG, Urteile vom 31. März 2004 - 8 C 5.03 - BVerwGE 120, 246 <250> und vom 16. September 2020 - 6 C 10.19 - Buchholz 403.1 Allg. DatenschutzR Nr. 21 Rn. 13). Maßgeblich ist daher, welche Rechtsvorschriften sich nach ihrem Geltungswillen im Zeitpunkt der Entscheidung für die Beurteilung des Klagebegehrens Geltung beimessen und zwar gleichgültig, ob es sich um eine Feststellungsklage, eine Leistungsklage, eine Anfechtungsklage oder eine Verpflichtungsklage handelt (BVerwG, Urteil vom 16. September 2020 - 6 C 10.19 - Buchholz 403.1 Allg. DatenschutzR Nr. 21 Rn. 13). Dies wird bei der hier vorliegenden Leistungskonstellation, in der von der Behörde ein Handeln verlangt wird, in der Regel die letzte mündliche Verhandlung sein, wenn sich aus dem materiellen Recht kein Anhaltspunkt für einen abweichenden Zeitpunkt ergibt (vgl. BVerwG, Urteile vom 9. Juni 2010 - 6 C 5.09 - BVerwGE 137, 113 Rn. 23, vom 4. Dezember 2014 - 4 C 33.13 - BVerwGE 151, 36 Rn. 18 und vom 16. September 2020 - 6 C 10.19 - Buchholz 403.1 Allg. DatenschutzR Nr. 21 Rn. 14).

Der Datenschutz-Grundverordnung selbst lässt sich kein Hinweis darauf entnehmen, dass über Auskunftsanträge, die vor ihrem Inkrafttreten gestellt worden sind, noch nach altem Recht zu entscheiden wäre (vgl. auch EuGH, Urteil vom 1. Oktober 2019 - C-673/17 [ECLI:​EU:​C:​2019:​801] - Rn. 41). Vielmehr beansprucht sie gemäß ihrem Art. 99 Abs. 2 ab dem 25. Mai 2018 unmittelbar in allen Mitgliedstaaten uneingeschränkte Geltung (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. September 2020 - 6 C 10.19 - Buchholz 403.1 Allg. DatenschutzR Nr. 21 Rn. 14; BGH, Urteil vom 12. Juli 2018 - III ZR 183/17 - BGHZ 219, 243 Rn. 66). Anders verhält es sich nur in Bezug auf abgeschlossene Sachverhalte, über die die Behörde bereits nach altem Recht entschieden hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. September 2020 - 6 C 10.19 - Buchholz 403.1 Allg. DatenschutzR Nr. 21 Rn. 14 mit Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 27. März 2019 - 6 C 2.18 - BVerwGE 165, 111 Rn. 8 ff.; vgl. hierzu auch EuGH, Urteil vom 11. November 2020 - C-61/19 [ECLI:​EU:​C:​2020:​901] - Rn. 31). Der hier maßgebliche Sachverhalt, die Verarbeitung des Geburtsdatums des Klägers im Melderegister, ist jedoch noch nicht abgeschlossen, sondern wirkt fort. Auch dem Bundesmeldegesetz in der seit dem 26. November 2019 geltenden Fassung des Zweiten Gesetzes zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Zweites Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungsgesetz EU - 2. DSAnpUG-EU) vom 20. November 2019 (BGBl. I 1626) lässt sich nicht entnehmen, dass vor Inkrafttreten der Änderungen gestellte Berichtigungsanträge noch nach alter Rechtslage, d.h. nach § 12 BMG a.F., zu beurteilen sein sollten.

(2) Der sachliche Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung ist gemäß Art. 2 DSGVO eröffnet. Bei der Speicherung des Geburtsdatums des Klägers im Melderegister der Beklagten handelt es sich um eine Datenverarbeitung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 DSGVO. Die Ausnahmetatbestände des Art. 2 Abs. 2 DSGVO greifen nicht ein. Insbesondere ist die Anwendung der Datenschutz-Grundverordnung nicht nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. a DSGVO ausgeschlossen. Hiernach findet die Verordnung keine Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen einer Tätigkeit, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden: EuGH) ist diese Ausnahmevorschrift eng auszulegen und in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Buchst. b DSGVO sowie ihrem 16. Erwägungsgrund zu lesen. Danach gilt diese Verordnung nicht für die Verarbeitung personenbezogener Daten im Zusammenhang mit Tätigkeiten, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, weil sie etwa die nationale Sicherheit betreffen oder im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Union erfolgen. Überdies ist dieser Ausnahmegrund im Lichte seiner Vorgängerregelung zu verstehen, an die er teilweise anknüpft. Bereits zu Art. 3 Abs. 2 erster Gedankenstrich der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. L 281 S. 31) - Datenschutz-Richtlinie, DSRL - war anerkannt, dass diese Richtlinie keine Anwendung fand u.a. bei der Ausübung von Tätigkeiten, die nicht in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fielen und ausdrücklich in der Norm genannt waren, beispielsweise Verarbeitungen betreffend die öffentliche Sicherheit, die Landesverteidigung oder die Sicherheit des Staates (vgl. dazu EuGH, Urteile vom 27. September 2017 - C-73/16 [ECLI:​EU:​C:​2017:​725] - Rn. 37 und vom 10. Juli 2018 - C-25/17 [ECLI:​EU:​C:​2018:​551] - Rn. 38). Daher reicht der bloße Umstand, dass eine Tätigkeit eine spezifische Tätigkeit des Staates oder einer Behörde ist, nach Ansicht des EuGH auch für den Ausnahmetatbestand des Art. 2 Abs. 2 Buchst. a DSGVO nicht aus. Für sein Eingreifen ist vielmehr erforderlich, dass es sich um eine Verarbeitung personenbezogener Daten durch staatliche Stellen im Rahmen einer Tätigkeit handelt, die der Wahrung der nationalen Sicherheit dient, oder einer Tätigkeit, die derselben Kategorie zugeordnet werden kann. Die auf die Wahrung der nationalen Sicherheit abzielenden Tätigkeiten umfassen insbesondere solche, die den Schutz der grundlegenden Funktionen des Staates und der grundlegenden Interessen der Gesellschaft bezwecken (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Juni 2021 - C-439/19 [ECLI:​EU:​C:​2021:​504] - Rn. 62 ff.).

Um solche Datenverarbeitungen geht es hier jedoch ersichtlich nicht. Vielmehr dient die Führung des Melderegisters neben der in § 2 Abs. 1 des Bundesmeldegesetzes (BMG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 3. Mai 2013 (BGBl. I S. 1084), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 28. März 2021 (BGBl. I S. 591) bestimmten Pflicht zur Identifizierung der Einwohner als Informationsgrundlage für eine Vielzahl öffentlicher Stellen, wie sich aus § 2 Abs. 3 BMG entnehmen lässt. Ungeachtet der damit einhergehenden großen praktischen Bedeutung des Melderegisters ist nicht erkennbar, dass hierbei der Schutz der grundlegenden Funktionen des Staates oder ebensolcher Interessen der Gesellschaft bzw. eine gleich gewichtige Tätigkeit in Rede steht. Im Übrigen ist auch der nationale Gesetzgeber von der Anwendung der Datenschutz-Grundverordnung im Bereich des Meldewesens ausgegangen, wie aus § 12 BMG in der aktuell geltenden Fassung des Zweiten Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungsgesetzes EU sowie aus der Gesetzesbegründung hierzu (BT-Drs. 19/4674 S. 224) hervorgeht.

bb) Bei der Prüfung des Anspruchs des Art. 16 Satz 1 DSGVO hat das Berufungsgericht zutreffend angenommen, dass zwar der persönliche und sachliche Anwendungsbereich der Vorschrift eröffnet ist ((1)), sich aber nicht feststellen lässt, dass das vom Kläger angegebene Geburtsjahr 1953 richtig ist ((2)). Es ist dabei von einem zutreffenden Begriff der Richtigkeit ausgegangen ((a)) und hat ohne Rechtsfehler eine hinreichende Überzeugung vom Vorliegen dieser Voraussetzung verneint ((b)). Die daraufhin getroffene Beweislastentscheidung hat es im Ergebnis zutreffend zu Lasten des Klägers getroffen ((c)).

(1) Nach Art. 16 Satz 1 DSGVO hat die betroffene Person das Recht, von dem Verantwortlichen unverzüglich die Berichtigung sie betreffender unrichtiger personenbezogener Daten zu verlangen.

Die Vorschrift ist hier anwendbar, denn bei der Angabe des Geburtsjahres des Klägers handelt es sich um eine Information, die sich auf eine identifizierte natürliche Person bezieht, mithin um ein personenbezogenes Datum im Sinne des Art. 4 Nr. 1 DSGVO. Der Kläger ist auch betroffene Person im Sinne des Art. 16 Satz 1 DSGVO und die Beklagte Verantwortliche für die in Rede stehende Datenverarbeitung in ihrem Melderegister. Verantwortlich in diesem Sinne ist nach Art. 4 Nr. 7 DSGVO die natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet. Die Beklagte als für die Führung des in Rede stehenden kommunalen Melderegisters zuständige Meldebehörde (vgl. § 1 BMG i.V.m. § 1 Abs. 2 des baden-württembergischen Ausführungsgesetzes zum Bundesmeldegesetz und § 107 Abs. 4 PolG BW) ist damit Verantwortliche im Sinne der Vorschrift.

(2) Voraussetzung für den Berichtigungsanspruch des Art. 16 Satz 1 DSGVO ist weiter, dass er sich auf die Ersetzung eines unrichtigen Datums durch ein richtiges Datum richtet (vgl. zum Berichtigungsanspruch nach dem früher geltenden Melderechtsrahmengesetz BVerwG, Urteil vom 30. September 2015 - 6 C 38.14 - BVerwGE 153, 89 Rn. 10; siehe auch Meents/Hinzpeter in: Taeger/Gabel, DSGVO - BDSG - TTDSG, 4. Aufl. 2022, Art. 16 Rn. 15).

(a) Maßstab für die Qualifizierung eines Datums als "richtig" oder "unrichtig" im Sinne des Art. 16 Satz 1 DSGVO ist zunächst die objektive Wirklichkeit. Richtig ist ein Datum, das mit der Wirklichkeit übereinstimmt; unrichtig ist es, wenn es ihr nicht entspricht (so auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. Juli 2020 - 3 S 24/20 - juris Rn. 6; LSG Essen, Urteil vom 24. Juli 2020 - L 21 AS 195/19 - juris Rn. 24; Meents/Hinzpeter, in: Taeger/Gabel, DSGVO - BDSG - TTDSG, 4. Aufl. 2022, Art. 16 Rn. 8; Paal, in Paal/Pauly, Datenschutz-Grundverordnung, 3. Aufl. 2021, Art. 16 DSGVO Rn. 15; Peuker, in: Sydow, Europäische Datenschutzverordnung, 2. Auflage 2018, Art. 16 Rn. 11; vgl. zum Berichtigungsanspruch nach § 20 Abs. 1 Satz 1 BDSG a.F. auch BVerwG, Beschluss vom 4. März 2004 - 1 WB 32.03 - BVerwGE 120, 188 <190>).

Inwieweit der jeweilige Zweck der Datenverarbeitung die Beurteilung der Richtigkeit der Daten beeinflusst, kann hier dahinstehen. Zwar hat der EuGH zu dem im Wortlaut mit Art. 5 Abs. 1 Buchst. d DSGVO im Wesentlichen übereinstimmenden Art. 6 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 95/46/EG entschieden, dass die Richtigkeit und Vollständigkeit personenbezogener Daten im Hinblick auf den Zweck zu beurteilen sind, für den die Daten erhoben wurden (EuGH, Urteil vom 20. Dezember 2017 - C-434/16 [ECLI:​EU:​C:​2017:​944] - Rn. 53). Das bedarf aber hier keiner Vertiefung, da der Zweck der Führung des Melderegisters nicht verlangt, für die Bestimmung der Richtigkeit eines eingetragenen Geburtsdatums von der objektiven Richtigkeit abweichende Bezugspunkte heranzuziehen.

Insbesondere führt die nach § 2 Abs. 1 BMG bestehende Identifizierungsfunktion des Melderegisters entgegen der Auffassung des Klägers nicht dazu, bei eine Person identifizierenden Merkmalen für die Richtigkeit nicht auf die Realität, sondern auf die Eintragungen in Ausweispapieren abzustellen. Den Zwecken des Melderegisters, insbesondere der Unterstützungsfunktion für andere behördliche Tätigkeitsbereiche durch Vorhaltung der zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Informationen (vgl. hierzu Gamp, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, S. 1408 Rn. 336) wird in aller Regel am besten durch die Realität möglichst zutreffend abbildende Daten Genüge getan. Dies gilt angesichts zahlreicher Bereiche, für die das Alter des jeweiligen Einwohners maßgebend ist - wie z.B. die Aufstellung von Wählerlisten (vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 1 BMG) oder die Erfassung zur Erfüllung der Schulpflicht -, insbesondere für das Geburtsdatum einer Person. Ein aus der Identifizierungsfunktion fließendes Bedürfnis für das vom Kläger geforderte Abweichen vom Kriterium der objektiven Wirklichkeit zugunsten der Angaben in Ausweispapieren besteht angesichts der Möglichkeiten, etwaige Abweichungen in verschiedenen Dokumenten offen zu legen und zu dokumentieren - wie dies hier etwa beim Kläger durch den Hinweis in seiner Niederlassungserlaubnis erfolgt ist - nicht.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Nürnberg: Bei objektiv unwahrer Werbebehauptung ist eine Eignung zur Täuschung keine Voraussetzung für eine wettbewerbswidrige Irreführung

OLG Nürnberg
Urteil vom 24.05.2022
3 U 4652/21


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass nach RL 2005/29/EG bei einer objektiv unwahren Werbebehauptung die Eignung zur Täuschung keine Voraussetzung für eine wettbewerbswidrige Irreführung ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Die Werbebehauptung ist irreführend gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 UWG.

a) Die Werbung der Beklagten ist objektiv unwahr.

aa) Nach § 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 UWG ist eine geschäftliche Handlung irreführend, wenn sie unwahre Angaben enthält. Dies setzt zum einen voraus, dass es sich bei der streitgegenständliche Angabe um eine Tatsachenbehauptung handelt, über die Beweis erhoben werden kann (BGH, GRUR 2020, 886 Rn. 38 - Preisänderungsregelung). Zum anderen muss die Angabe unwahr sein. Das ist dann der Fall, wenn das Verständnis, das sie bei den Verkehrskreisen erweckt, an die sie sich richtet, mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht übereinstimmt. Dabei kommt es für diese Beurteilung darauf an, welchen Gesamteindruck sie bei den angesprochenen Verkehrskreisen hervorruft (BGH, GRUR 2019, 1202 Rn. 18 - Identitätsdiebstahl).

Die Verkehrsauffassung kann durch gesetzliche Vorschriften grundsätzlich in der Form beeinflusst werden, dass sie den bestehenden Normen entspricht (BGH, GRUR 2009, 970 Rn. 25 - Versicherungsberater; KG, GRUR 1989, 850 [851] - Speisequarkzubereitung; vgl. auch BGH, GRUR 2020, 432 Rn. 30 - Kulturchampignons II). Wird das Verständnis einer Angabe durch gesetzliche Definitionen beeinflusst, leitet der angesprochene Verkehr sein Verständnis aus diesen Prägungen ab. Denn regelmäßig formuliert der Verkehr seine Vorstellungen nicht eigenständig, sondern normativ aufgrund der Vorgaben durch Dritte (Pfeifer/Obergfell, in Fezer/Büscher/ Obergfell, UWG, 3. Aufl. 2016, § 5 Rn. 241).

bb) Im vorliegenden Fall erwecken die angegriffenen Werbebehauptungen bei einem maßgeblichen Teil der angesprochenen Verkehrskreise den Eindruck, als führte die Beklagte Krankentransporte mit medizinisch-fachlicher Betreuung durch.

(1) Die streitgegenständliche Werbung wendet sich an Verbraucher, die sich für Fahrten in das Krankenhaus durch einen Dienstleister interessieren, somit an das allgemeine Publikum. Dessen Verständnis kann der Senat als Mitglied der angesprochenen Verkehrskreise aus eigener Sachkunde selbst beurteilen.

(2) Der von der Beklagten in der Werbung mehrfach verwendete Begriff des Krankentransportes ist gesetzlich definiert. Nach Art. 2 Abs. 5 S. 1 BayRDG ist ein Krankentransport „der Transport von kranken, verletzten oder sonstigen hilfsbedürftigen Personen, die keine Notfallpatienten sind, aber während der Fahrt einer medizinisch fachlichen Betreuung durch nichtärztliches medizinisches Fachpersonal oder der besonderen Einrichtungen des Krankenkraftwagens bedürfen oder bei denen solches aufgrund ihres Zustands zu erwarten ist. Er wird vorwiegend mit Krankentransportwagen durchgeführt.“ Für die Durchführung von Krankentransporten in diesem Sinne ist gemäß Art. 21 Abs. 1 BayRDG eine Genehmigung erforderlich, über die die Beklagte nicht verfügt.

Unter den Begriff der Krankenfahrten fällt hingegen die „Beförderung von kranken, verletzten oder sonstigen hilfsbedürftigen Personen, die während der Fahrt nicht der medizinisch fachlichen Betreuung durch medizinisches Fachpersonal oder der besonderen Einrichtungen eines Krankenkraftwagens bedürfen und bei denen solches auf Grund ihres Zustands nicht zu erwarten ist“ (Art. 3 Nr. 6 BayRDG).

Vor diesem Hintergrund versteht im vorliegenden Fall ein nicht unmaßgeblicher Teil der Verbraucher die streitgegenständliche Werbung auf der Homepage, in der die Beklagte unter der Überschrift „Krankenhaustransporte“ zweimal den Begriff „Krankentransporte“ verwendet, dahingehend, dass die Beklagte auch Transporte mit medizinisch-fachlicher Betreuung während der Fahrt durchführt. Dies ergibt sich insbesondere auch aus der klaren gesetzlichen Definition, die insoweit die Verkehrsauffassung mit beeinflusst. Verstärkt wird dieser Eindruck durch den Zusatz in der Werbung, in welcher der Leser aufgefordert wird, „die gesetzlichen Vorgaben bzw. ggf. Anpassungen“ zu beachten. Gleiches gilt für die Verwendung der Formulierung, dass „als Krankentransporte […] aktuell Fahrten zu ambulanten Behandlungen, ambulanten Operationen oder in die Tagesklinik, stationären Behandlungen, Chemo- oder Strahlentherapie [gelten]; damit wird der Anschein einer gesetzlichen Definition hervorgerufen. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass ein nicht unerheblicher Teil der Verbraucher, die im konkreten Fall nach der Dienstleistung eines Krankentransportes nachfragen, aufgrund beispielsweise vorangegangener Korrespondenz mit der Krankenkasse über die gesetzlichen Begrifflichkeiten informiert sind.

(3) Dieser durch die mehrfache Verwendung des Begriffs „Krankentransport“ erweckte Eindruck wird nicht durch die sonstigen für die Beurteilung maßgeblichen Gesamtumstände durch eine irrtumsausschließende Aufklärung korrigiert.

In der Leistungsbeschreibung - wonach als Krankentransporte „aktuell Fahrten zu ambulanten Behandlungen, ambulanten Operationen oder in die Tagesklinik, stationären Behandlungen, Chemo- oder Strahlentherapie“ gelten - wird nicht darauf hingewiesen, dass eine medizinische Betreuung während der Fahrt nicht erfolgt.

Das von der Beklagten verwendete Lichtbild mit einem Großraumtaxi mit einer in einem Rollstuhl sitzenden Patientin, die gerade in dieses Taxi verbracht werden soll, ist ebenfalls nicht geeignet, aus der entstandenen Irreführung heraus zu führen, weil daraus nicht mit der notwendigen Klarheit ersichtlich ist, dass eine medizinische Betreuung während der Fahrt nicht erfolgt. Vielmehr kann der Fotografie nicht mit der notwendigen Klarheit entnommen werden, ob es sich um ein „normales“ Taxi und bei der abgebildeten Person nicht um medizinisch geschultes Personal handelt.

Auf die Firmierung der Beklagten sowie die Tatsache, dass die streitgegenständliche Werbung lediglich in einem untergeordneten Abschnitt unter dem Menüpunkt „Leistungen“ auf der Homepage der Beklagten auftaucht, kommt es dabei entgegen der Rechtsauffassung des Erstgerichts nicht an.

cc) Dieser erweckte Eindruck ist objektiv unzutreffend. Denn die Beklagte bietet unstreitig keine Krankentransporte i.S.v. Art. 2 Abs. 5 S. 1 BayRDG an und hat auch nicht die dafür erforderliche Genehmigung nach Art. 21 Abs. 1 BayRDG.

b) Bei einer objektiv unwahren Werbebehauptung ist eine Eignung zur Täuschung keine Tatbestandsvoraussetzung von § 5 UWG.

aa) Die vom Bundesgerichtshof bislang offengelassene Frage, ob auch unwahre Angaben zur Täuschung geeignet sein müssen oder ob bei unwahren Angaben das Erfordernis der Täuschungseignung entfällt (vgl. BGH, GRUR 2022, 170 Rn. 14 - Identitätsdiebstahl II), ist umstritten.

Nach einer Ansicht entfällt bei unwahren Angaben das Erfordernis der Täuschungseignung. Dies soll sich aus dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 der RL 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken vom 11.05.2005 (UGP-RL) ergeben, der ausdrücklich unterscheidet zwischen einer Geschäftspraxis, die „falsche Angaben enthält und somit unwahr ist“ und einer Geschäftspraxis, die „in irgendeiner Weise, einschließlich sämtlicher Umstände ihrer Präsentation, selbst mit sachlich richtigen Angaben den Durchschnittsverbraucher in Bezug auf einen oder mehrere der nachstehend aufgeführten Punkte täuscht oder ihn zu täuschen geeignet ist“ (Dreyer, in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/, UWG, 5. Aufl. 2021, § 5 Rn. 316; Pfeifer/Obergfell, in Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, 3. Aufl. 2016, § 5 Rn. 231).

Nach einer anderen Auffassung würde ein derartiges Verständnis auf ein - wenig sinnvolles - per-se-Verbot unwahrer Angaben hinauslaufen (Bornkamm/Feddersen, in Köhler/Bornkamm/ Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 5 Rn. 1.52). Vielmehr komme es immer auf das Verständnis der angesprochenen Verkehrskreise an; wird eine objektiv unrichtige Angabe richtig verstanden, bestehe daher kein Grund, sie zu verbieten (Diekmann, in Seichter, jurisPK-UWG, 5. Aufl., Stand 15.01.2021, § 5 UWG Rn. 120). Der Tatbestand des § 5 Abs. 1 S. 2 UWG, der sich auf unwahre und sonstige zur Täuschung geeignete Angaben bezieht, sei daher - da die zur Täuschung geeigneten Angaben als „sonstige“ bezeichnet werden - dahingehend auszulegen, dass die Eignung zur Täuschung in beiden Fällen gegeben sein muss (Sosnitza, in Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl. 2016, § 5 Rn. 158).

bb) Der Senat schließt sich der erstgenannten Ansicht an, wonach bei einer objektiv unwahren Werbebehauptung eine Eignung zur Täuschung keine Tatbestandsvoraussetzung von § 5 UWG ist. Dies ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut der § 5 UWG zugrundeliegenden Richtlinie.

Die UGP-RL strebt für den Bereich der unlauteren Geschäftspraktiken von Unternehmern gegenüber Verbrauchern eine Vollharmonisierung des Lauterkeitsrechts an. Sie enthält daher in Art. 6 Mindest- und Maximalstandards, von denen die Mitgliedstaaten weder in die eine noch in die andere Richtung abweichen dürfen (Bornkamm/Feddersen, in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 5 Rn. 0.27).

Nach dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 UGP-RL kommt es, wenn die Geschäftspraxis falsche Angaben enthält und somit unwahr ist, nicht darauf an, ob sie den Durchschnittsverbraucher in Bezug auf einen oder mehrere der nachstehend aufgeführten Punkte täuscht oder ihn zu täuschen geeignet ist. Diese Unterscheidung zwischen falschen und täuschenden Angaben, wobei das Erfordernis der Täuschungseignung nur für Letztere besteht, ergibt nur Sinn, wenn bei unwahren Angaben die Prüfung entbehrlich ist, ob diese geeignet sind, den Verbraucher zu täuschen. Ob sich diese Unterscheidung - aufgrund der Verwendung des Wortes „sonstige“ - so in § 5 Abs. 1 S. 2 UWG wiederfindet, kommt es aufgrund der Vollharmonisierung durch die UGP-RL nicht an.

Den von der Gegenansicht verwendeten Argumenten - insbesondere, dass ein per-se-Verbot unwahrer Angaben wenig sinnvoll ist - ist dadurch Rechnung zu tragen, dass auch bei unwahren Angaben das Relevanzerfordernis gilt. Versteht ein durchschnittlich informiertes, verständiges und aufmerksames Mitglied des angesprochenen Verkehrskreises eine unwahre Angabe richtig, kann es an der geschäftlichen Relevanz fehlen (vgl. dazu nachfolgend unter Ziffer III.2.)

c) Die Täuschung bezieht sich auf wesentlichen Merkmale der von der Beklagten angebotenen Dienstleistung i.S.v. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 UWG, nämlich den Umfang der im Zusammenhang mit Kranken verfügbaren Transportdienstleistungen.

2. Die streitgegenständliche Werbung ist auch geeignet, die angesprochenen Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die sie andernfalls nicht getroffen hätten.

a) Nach § 5 Abs. 1 S. 1 UWG muss die geschäftliche Handlung geeignet sein, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Erforderlich ist, dass die betroffene Angabe geeignet ist, bei einem erheblichen Teil der umworbenen Verkehrskreise irrige Vorstellungen über marktrelevante Umstände hervorzurufen und die zu treffende Marktentschließung in wettbewerblich relevanter Weise zu beeinflussen (BGH, GRUR 2021, 1422 Rn. 16 - Vorstandsabteilung).

b) Im vorliegenden Fall ist die angegriffene Werbung geeignet, die Verbraucher über die Leistungen der Beklagten zu täuschen. Denn es wird damit suggeriert, dass die Beklagte auch die gesondert genehmigungsbedürftige Dienstleistung der Durchführung von Krankentransporten durchführt. Anhaltspunkte dafür, dass die angesprochenen Verkehrskreise die - objektiv unrichtige - Werbung der Beklagten zutreffend verstehen, bestehen nicht.

In diesem Zusammenhang ist zum einen zu berücksichtigen, dass bei objektiv falschen Angaben schon niedrigere Irreführungsquoten genügen, um die Verbotsfolge der §§ 3, 5 UWG auszulösen. Denn es ist schwer vorstellbar ist, wie mit einer objektiv unzutreffenden Angabe gleichwohl ein schutzwürdiges Kommunikations- und Informationsinteresse verbunden sein soll (Ruess, in MüKoUWG, 3. Aufl. 2020, § 5 UWG Rn. 188).

Zum anderen muss der Werbende im Fall der Mehrdeutigkeit seiner Werbeaussage die verschiedenen Bedeutungen gegen sich gelten lassen (BGH, GRUR 2012, 1053 Rn. 17 - Marktführer Sport). Selbst wenn daher die Bezeichnung „Krankentransport“ die Beförderung von kranken, verletzten oder sonstigen hilfsbedürftigen Personen sowohl mit als auch ohne medizinisch-fachlicher Betreuung während der Fahrt verstanden werden kann, muss die Beklagte die ungünstigere, aber verständigerweise mögliche Auslegung - nämlich, dass damit ein Krankentransport i.S.v. Art. 2 Abs. 5 S. 1, Art. 21 Abs. 1 BayRDG gemeint ist - gegen sich gelten lassen.

Schließlich ist zu beachten, dass - wie bereits ausgeführt - sich die streitgegenständliche Werbung an Verbraucher wendet, die sich für Fahrten in das Krankenhaus durch einen Dienstleister interessieren. Diesen sind oftmals - beispielsweise aufgrund vorangegangener Korrespondenz mit der Krankenkasse - die gesetzlichen Begrifflichkeiten bekannt. Dieser informierte angesprochene Personenkreis interpretiert das Dienstleistungsangebot der Beklagten falsch und vermutet, dass die Beklagte Krankentransporte - als die im Vergleich zur einfachen Krankenfahrt höherwertige Leistung - anbietet.

c) Die hervorgerufenen irrigen Vorstellungen können die angesprochenen Verbraucher auch zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlassen, die sie andernfalls nicht getroffen hätten.

aa) Als geschäftliche Entscheidung ist nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Nr. 9 UWG jede Entscheidung darüber anzusehen, ob, wie und unter welchen Bedingungen der Verbraucher ein Geschäft abschließen will, unabhängig davon, ob er sich entschließt, tätig zu werden. Erfasst ist nicht nur die Entscheidung über die Inanspruchnahme einer Dienstleistung, sondern auch damit unmittelbar zusammenhängende, aber vorgelagerte Entscheidungen wie insbesondere das Betreten des Geschäfts (EuGH, GRUR 2014, 196 Rn. 36 - Trento Sviluppo) oder das Aufsuchen eines Verkaufsportals im Internet (BGH, GRUR 2017, 1269 Rn. 19 - MeinPaket.de II). Nach diesen Maßgaben kann also auch eine Irreführung relevant sein, die lediglich einen „Anlockeffekt“ bewirkt, selbst wenn es nicht zur endgültigen Marktentscheidung - etwa dem Kauf der Ware oder der Inanspruchnahme der Dienstleistung - kommt (Bornkamm/Feddersen, in Köhler/ Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 5 Rn. 1.195).

bb) Die Klägerin legte im vorliegenden Fall als Anlage K 7 ein Suchergebnis auf Google vor. Dieser erstmals in der Berufungsinstanz erfolgte Vortrag der Klägerin ist - da unstreitig - zu berücksichtigen (vgl. BGH, NJW 2018, 2269 Rn. 25). Diesem Suchergebnis ist zu entnehmen, dass wenn ein Verbraucher im Internet-Browser Google nach „Krankentransporten Ostbayern“ sucht, sich die Beklagte neben anderen Unternehmen wie dem Deutschen Roten Kreuz als Anlaufstelle für die Durchführung von Krankentransporten wiederfindet. Der Verbraucher, der auf der Suche nach einem Unternehmen ist, welches Krankentransporte durchführt ist, stößt also auch auf die Beklagte, nicht jedoch auf deren Wettbewerber, welche ihre Leistung (zutreffend) als Krankenfahrten bezeichnen. Bei der Trefferliste auf Google wird auch ein Auszug der Homepage der Beklagten mit der streitgegenständlichen Werbeanzeige, welche die Durchführung von Krankentransporten bewirbt, gezeigt.

Daraus folgt, dass die Verwendung des Begriffs Krankentransport in der streitgegenständlichen Werbung zu einem Anlockeffekt führt, da der nach Krankentransporten im Internet suchende Verbraucher über die Suchmaschine Google auch auf die Homepage der Beklagten verwiesen wird. Dies führt dazu, dass sich der Verbraucher mit dem Dienstleistungsangebot der Beklagten befasst, was für die geschäftliche Relevanz der Irreführung ausreicht.

IV. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob ein Unterlassungsanspruch auch auf der Grundlage einer Zuwiderhandlung gegen die Marktverhaltensvorschrift des Art. 21 Abs. 1 BayRDG und damit eines unlauteren Verhaltens nach § 3a UWG gegeben ist.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Kein Unterlassungsanspruch von Anwohnern gemäß § 1004 Abs. 1 BGB bei Verstößen gegen Lkw-Durchfahrtsverbot nach dem Luftreinhalteplan der Stadt Stuttgart

BGH
Urteil vom 14.06.2022
VI ZR 110/21


Der BGH hat entschieden, dass kein Unterlassungsanspruch von Anwohnern gegen eine Spedition gemäß § 1004 Abs. 1 BGB bei Verstößen gegen das Lkw-Durchfahrtsverbot nach dem Luftreinhalteplan der Stadt Stuttgart besteht.

Die Pressemitteilung des BGH:

Bundesgerichtshof verneint einen Unterlassungsanspruch von Anwohnern bei Verstößen gegen das nach dem Luftreinhalteplan der Landeshauptstadt Stuttgart bestimmte Lkw-Durchfahrtsverbot

Sachverhalt

Die Kläger sind Eigentümer von innerhalb der Stuttgarter Umwelt- und Lkw-Durchfahrtsverbotszone gelegenen Grundstücken an bzw. in unmittelbarer Nähe der H. Straße. Sie machen geltend, die Beklagte, die eine Spedition betreibt, verstoße mehrmals täglich gegen das Durchfahrtsverbot, indem sie das Gebiet mit Lkw befahre, und nehmen die Beklagte deshalb unter Berufung auf die mit der Feinstaub- und Stickoxidbelastung verbundene Gesundheitsgefährdung auf Unterlassung des Befahrens der H. Straße in Anspruch.

Bisheriger Prozessverlauf

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger ist vor dem Landgericht erfolglos geblieben. Dagegen haben die Kläger die vom Landgericht zugelassene Revision eingelegt und ihr Klagebegehren weiterverfolgt.

Entscheidung des Senats:

Der unter anderem für das Recht der unerlaubten Handlungen zuständige VI. Zivilsenat hat die Revision zurückgewiesen. Den Klägern steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.

Die Kläger wenden sich nicht gegen die Beurteilung des Landgerichts, wonach sich das Unterlassungsbegehren nicht auf § 1004 Abs. 1 i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB aufgrund einer Gesundheitsverletzung stützen lässt. Diese Beurteilung ist rechtlich auch nicht zu beanstanden. Sie nehmen auch die Annahme des Landgerichts hin, dass der Beklagten auf der Grundlage des klägerischen Vortrags keine wesentliche Beeinträchtigung der Benutzung der klägerischen Grundstücke im Sinne des § 906 BGB zuzurechnen ist. Auch insoweit sind Rechtsfehler des Landgerichts nicht ersichtlich. Damit scheidet ein auf die Eigentümerstellung der Kläger gestützter Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 906 BGB ebenfalls aus.

Ein Unterlassungsanspruch analog § 823 Abs. 2 i.V.m. § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB wegen der Verletzung eines Schutzgesetzes steht den Klägern auch bei einem unterstellten Verstoß von Mitarbeitern der Beklagten gegen das Lkw-Durchfahrtsverbot nicht zu. Das auf der Grundlage von § 40 Abs. 1 Satz 1 BImSchG in Verbindung mit dem Luftreinehalteplan für die Landeshauptstadt Stuttgart angeordnete Durchfahrtsverbot ist kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der einzelnen Anwohner innerhalb der Durchfahrtsverbotszone, das es diesen ermöglicht, dem Verbot Zuwiderhandelnde zivilrechtlich auf Unterlassung in Anspruch zu nehmen.

Eine Rechtsnorm ist ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, wenn sie zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsgutes oder eines bestimmten Rechtsinteresses zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt, Zweck und Entstehungsgeschichte des Gesetzes an, also darauf, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zugunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mitgewollt hat. Es reicht nicht aus, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm als Reflex objektiv erreicht werden kann; er muss vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen.

Im Streitfall wurde das Lkw-Durchfahrtsverbot nicht für bestimmte Straßen zur Reduzierung der die dortigen Anlieger beeinträchtigenden Schadstoffkonzentrationen, sondern grundsätzlich für das gesamte Stadtgebiet angeordnet, um allgemein die Luftqualität zu verbessern und der Überschreitung von Immissionsgrenzwerten entgegenzuwirken. Die Kläger sind insoweit nur als Teil der Allgemeinheit begünstigt. Bereits dies spricht gegen die Annahme, ein Schutz von Einzelinteressen in der von den Klägern begehrten Weise sei Intention des streitgegenständlichen Lkw-Durchfahrtsverbots. Unter dem potentiell drittschützenden Aspekt des Gesundheitsschutzes käme auch ein Unterlassungsanspruch des Einzelnen hinsichtlich des Befahrens der gesamten Verbotszone nicht in Betracht. Denn schon angesichts der Größe der Verbotszone kann nicht angenommen werden, dass die an einer beliebigen Stelle der Verbotszone durch Kraftfahrzeuge verursachten Immissionen für jeden Anlieger innerhalb dieser Zone die unmittelbare Gefahr einer Überschreitung der Immissionsgrenzwerte an seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort und damit eine potentielle Gesundheitsbeeinträchtigung verursachen. Im Ergebnis lässt sich daher im Streitfall kein Personenkreis bestimmen, der durch das Lkw-Durchfahrtsverbot seinem Zweck entsprechend im Wege der Einräumung eines individuellen deliktischen Unterlassungsanspruchs bei Verstößen gegen das Verbot geschützt werden sollte. Es ist nichts ersichtlich dafür, dass § 40 Abs. 1 Satz 1 BImSchG i.V.m. der streitgegenständlichen Planmaßnahme einen Anspruch auf Normvollzug zwischen einzelnen Bürgern begründen will.

Vorinstanzen:

Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt - Urteil vom 8. September 2020 - 5 C 2071/19

Landgericht Stuttgart - Urteil vom 11. März 2021 - 5 S 180/20

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 823 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines Anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.

§ 1004 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.

§ 906 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

Der Eigentümer eines Grundstücks kann die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähnliche von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt.

§ 40 Abs. 1 Satz 1 Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG)

Die zuständige Straßenverkehrsbehörde beschränkt oder verbietet den Kraftfahrzeugverkehr nach Maßgabe der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften, soweit ein Luftreinhalteplan oder ein Plan für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen nach § 47 Absatz 1 oder 2 dies vorsehen.

BGH: Legal-Tech-Anbieter Financialright GmbH kann Schadensersatzansprüche eines Schweizers im VW-Dieselskandal auf Grundlage einer deutschen Inkassolizenz nach Abtretung einklagen

BGH
Urteil vom 13.06.2022
VIa ZR 418/21


Der BGH hat entschieden, dass der Legal-Tech-Anbieter Financialright GmbH Schadensersatzansprüche eines Schweizers im VW-Dieselskandal auf Grundlage einer deutschen Inkassolizenz nach Abtretung einklagen kann

Die Pressemitteilung des BGH:

Bundesgerichtshof entscheidet über die Zulässigkeit eines "Sammelklageninkassos" für Schweizer
Erwerber im sogenannten Dieselskandal

Der vom Präsidium des Bundesgerichtshofs vorübergehend als Hilfsspruchkörper eingerichtete VIa. Zivilsenat (vgl. Pressemitteilung Nr. 141/2021 vom 22. Juli 2021) hat heute entschieden, dass ein Inkassodienstleister sich wirksam Schadensersatzforderungen abtreten lassen kann, deren sich Schweizer Erwerber von Kraftfahrzeugen gegen die beklagte Volkswagen AG berühmen.

Sachverhalt:

Einer dieser Erwerber, ein Schweizer mit Wohnsitz in der Schweiz, kaufte – so im Revisionsverfahren zu unterstellen – im Februar 2015 in der Schweiz von einer Schweizer Vertragshändlerin der beklagten Fahrzeugherstellerin einen VW Tiguan mit Erstzulassung 2015. In das Fahrzeug ist ein Dieselmotor der Baureihe EA 189 eingebaut. Der Motor war mit einer Software ausgestattet, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wurde. In diesem Fall schaltete sie vom regulären Abgasrückführungsmodus 0 in einen Stickoxid-optimierten Abgasrückführungsmodus 1 (Prüfstanderkennungssoftware). Es ergaben sich dadurch auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Das Kraftfahrt-Bundesamt bewertete diese Software als unzulässige Abschalteinrichtung und ordnete für die betroffenen Fahrzeuge einen Rückruf an. In der Schweiz erließ das Bundesamt für Straßen (ASTRA) im Oktober 2015 ein vorläufiges Zulassungsverbot für bestimmte Fahrzeuge mit Dieselmotoren der Baureihe EA 189, von dem das Fahrzeug des Zedenten nicht betroffen war. Der Erwerber ließ Ende 2016 ein Software-Update aufspielen.

Am 18. Dezember 2017 trat der Erwerber – so wiederum im Revisionsverfahren zu unterstellen – seine Forderungen gegen die Beklagte an die Klägerin, eine nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) registrierte Inkassodienstleisterin in der Rechtsform einer in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung, treuhänderisch zur Einziehung ab. Die Klägerin sollte die Forderung zunächst außergerichtlich geltend machen. Im Falle des Scheiterns der außergerichtlichen Geltendmachung sollte die Klägerin die Ansprüche im eigenem Namen gerichtlich geltend machen, wobei ihr im Erfolgsfall eine Provision zukommen sollte. Der Erwerber sollte für etwaige Kosten der Rechtsverfolgung nicht aufkommen müssen.

Bisheriger Prozessverlauf:

Die Klägerin, die sich in über 2000 Fällen in entsprechender Weise Forderungen von Schweizer Erwerbern treuhänderisch zur Einziehung hat abtreten lassen, hat bei dem Landgericht 2019 eine Klage erhoben, in der sie sämtliche Forderungen zum Gegenstand von Feststellungsbegehren gemacht hat. Das Landgericht hat das Verfahren die Ansprüche des einen Erwerbers betreffend abgetrennt. Auf richterlichen Hinweis hat die Klägerin sodann ihren Antrag umgestellt und die Beklagte auf Zahlung eines der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestellten Betrags, mindestens jedoch CHF 5.394 (15% des Kaufpreises als Minderwert) zuzüglich Zinsen ab Übergabe des Fahrzeugs, in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, der Klägerin fehle für die Geltendmachung der Schadensersatzforderung des Erwerbers die Aktivlegitimation. Die Klägerin habe für die Geltendmachung der Forderung, die Schweizer Recht unterfalle, einer Erlaubnis nicht nur – wie vorhanden – nach § 2 Abs. 2 Satz 1, §§ 3, 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG, sondern nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG bedurft, über die sie nicht verfüge. Folge des Fehlens der Erlaubnis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG sei, dass die Klägerin durch ihr Tätigwerden gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz verstoßen habe. Dieser Verstoß führe nicht nur zur Nichtigkeit des der Abtretung zugrundeliegenden schuldrechtlichen Dienstleistungsvertrags mit dem Zedenten, sondern auch zur Nichtigkeit der Forderungsabtretung.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin hatte Erfolg.

Der Bundesgerichtshof hat anhand einer am Wortlaut, an der Systematik und an Sinn und Zweck des Rechtsdienstleistungsgesetzes sowie an der Gesetzgebungsgeschichte orientierten Auslegung klargestellt, dass ein nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG registrierter Inkassodienstleister auch dann keiner weiteren Erlaubnis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG bedarf, wenn er eine ihm treuhänderisch übertragene und einem ausländischen Sachrecht unterfallende Forderung außergerichtlich geltend macht. Dabei hat der Bundesgerichtshof die Entscheidungen des VIII. Zivilsenats vom 27. November 2019 (VIII ZR 285/18, BGHZ 224, 89, vgl. Pressemitteilung Nr. 153/2019) und des II. Zivilsenats vom 13. Juli 2021 (II ZR 84/20, BGHZ 230, 255, vgl. Pressemitteilung Nr. 127/2021) berücksichtigt. Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass das Abhängigmachen der Tätigkeit der Klägerin von einer zusätzlichen Erlaubnis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG zur Erreichung des Schutzzwecks des Rechtsdienstleistungsgesetzes nicht erforderlich ist.

Weil sich schon deshalb die Auffassung des Berufungsgerichts als rechtsfehlerhaft erwies, der Klägerin fehle wegen einer aus einem Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz folgenden Nichtigkeit der Abtretung die Aktivlegitimation, hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Das Berufungsgericht wird sich nunmehr mit der inhaltlichen Berechtigung der Forderung des Zedenten zu befassen haben.

Vorinstanzen:

Landgericht Braunschweig – Urteil vom 30. April 2020 – 11 O 3092/19

Oberlandesgericht Braunschweig – Urteil vom 7. Oktober 2021 – 8 U 40/21

Die maßgeblichen Vorschriften des Rechtsdienstleistungsgesetzes lauten:

§ 10 Rechtsdienstleistungen aufgrund besonderer Sachkunde

(1) Natürliche und juristische Personen sowie Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, die bei der zuständigen Behörde registriert sind (registrierte Personen), dürfen aufgrund besonderer Sachkunde Rechtsdienstleistungen in folgenden Bereichen erbringen:

1. Inkassodienstleistungen (§ 2 Abs. 2 Satz 1),

2. […]

3. Rechtsdienstleistungen in einem ausländischen Recht; ist das ausländische Recht das Recht eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, darf auch auf dem Gebiet des Rechts der Europäischen Union und des Rechts des Europäischen Wirtschaftsraums beraten werden.

Die Registrierung kann auf einen Teilbereich der in Satz 1 genannten Bereiche beschränkt werden, wenn sich der Teilbereich von den anderen in den Bereich fallenden Tätigkeiten trennen lässt und der Registrierung für den Teilbereich keine zwingenden Gründe des Allgemeininteresses entgegenstehen.




LG Dortmund: Wettbewerbsverstoß wenn bei Werbung für Split-Klimaanlage nicht auf Pflicht zur Montage durch zertifizierten Fachbetrieb hingewiesen wird

LG Dortmund
Urteil vom 23.05.2022
13 O 15/21

Das LG Dortmund hat entschieden, dass ein Wettbewerbsverstoß nach § 5a UWG vorliegt, wenn bei der Werbung für Split-Klimaanlage nicht auf die Pflicht zur Montage durch einen zertifizierten Fachbetrieb nach Art. 11 Abs. 5 der F-Gase-Verordnung hingewiesen wird. Geklagt hatte die Wettbewerbszentrale.

OLG Frankfurt: Unlautere getarnte Werbung durch Amazon wenn Gesamtbewertung eines Produkts bezahlte Produktrezensionen berücksichtigt - Hinweispflicht unter Angabe des Anteils bezahlter Bewertungen

OLG Frankfurt
Urteil vom 09.06.2022
6 U 232/21


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass eine unlautere getarnte Werbung durch Amazon vorliegt, wenn die Gesamtbewertung eines Produkts bezahlte Produktrezensionen berücksichtig, ohne dass die Nutzer über diesen Umstand und den Anteil bezahlter Bewertungen informiert werden.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Unlautere getarnte Werbung bei Berücksichtigung bezahlter Produktrezensionen innerhalb des Gesamtbewertungsergebnisses eines Produktes

Fließen in das Gesamtbewertungsergebnis für Produkte, die auf eine Verkaufsplattform angeboten werden, auch Rezensionen ein, für die an den Rezensenten ein - wenn auch geringes - Entgelt gezahlt wird, liegt unlautere getarnte Werbung vor, sofern die Berücksichtigung dieser bezahlten Rezensionen nicht kenntlich gemacht wird. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat mit heute verkündeter Entscheidung die vom Landgericht ausgeurteilte Unterlassungsverpflichtung bestätigt.

Die Klägerin bietet im Internet die entgeltliche Vermittlung von Kundenrezensionen an. Die Kunden der Klägerin sind ausschließlich Händler auf Online-Verkaufsplattformen. Die Beklagte betreibt die Verkaufsplattform amazon.de. Die Produkte werden dort mit einem Gesamtsterne-Bewertungssystem bewertet. Die Beklagte vermittelt zudem ihren Verkaufspartnern gegen Entgelt Kundenrezensionen im Rahmen des sog. Early Reviewer Programms (i.F.: ERP). Dabei handelt es sich um Bewertungen ausländischer Rezensenten gegen Entgelt oder Gutscheine für Produkte, die zuvor auf dem US-, UK- oder Japan-Marketplace gekauft wurden. Diese Bewertungen werden auch deutschen Käufern angezeigt und fließen in das Gesamtbewertungsergebnis ein.

Die Klägerin wendet sich gegen die Veröffentlichung von ERP-Rezensionen, wenn diese Teil des Gesamtbewertungsergebnisses werden und nicht darauf hingewiesen wird, dass die Rezensionen bezahlt wurden und wie viele dieser Rezensionen Teil des Gesamtbewertungsergebnisses sind.

Die gegen die vom Landgericht ausgesprochene Unterlassungsverpflichtung gerichtete Berufung der Beklagten hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Es liege eine unlautere getarnte Werbung vor, bestätigte das OLG. ERP-Rezensionen zu veröffentlichen, ohne darauf hinzuweisen, dass die Rezensionen bezahlt wurden und wie viele Rezensionen Teil des Gesamtbewertungsergebnisses sind, sei unlauter.

Die Berücksichtigung dieser ERP-Rezensionen - und damit auch nicht ihr Anteil - würde von der Beklagten nicht kenntlich gemacht und ergebe sich auch nicht aus den Umständen. Ob Internetnutzer damit rechneten, dass in ein Gesamtbewertungsergebnis auch immer Rezensionen einfließen, die nicht sachlich begründet sein, könne offenbleiben. Dies dürfe jedenfalls „kein Freibrief dafür sein ... , beeinflusste Rezensionen zu verwenden“, stellte das OLG klar.

Die Berücksichtigung von ERP-Rezensionen habe hier auch geschäftliche Relevanz. Die Rezensenten des ERP erhielten eine kleine Belohnung für die Abfassung der Rezension. „Daraus folgt zwangsläufig, dass sie bei Abgabe ihrer Bewertung nicht frei von sachfremden Einflüssen sind“, betont das OLG. Es bestehe vielmehr die konkrete Gefahr, dass ein nicht geringer Anteil der Teilnehmer an dem Programm sich veranlasst sehe, ein Produkt positiver zu bewerten als dies tatsächlich seiner Meinung entspreche, um weiterhin an dem Programm teilnehmen zu dürfen.

Die im Eilverfahren ergangene Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 09.06.2022, Az. 6 U 232/21
(vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 21.09.2021, Az. 3-06 O 26/21)




OLG Schleswig-Holstein: Verstoß gegen DSGVO wenn Schufa Daten eines Insolvenzschuldners länger verwertet als sie im Insolvenzbekanntmachungsportal veröffentlicht werden

OLG Schleswig-Holstein
Urteil vom 03.06.2022
17 U 5/22


Das OLG Schleswig-Holstein hat abermals entschieden, dass ein Verstoß gegen die Vorgaben der DSGVO vorliegt, wenn die Schufa Daten eines Insolvenzschuldners länger verwertet als sie im Insolvenzbekanntmachungsportal veröffentlicht werden. Die Revision zum BGH wurde zugelassen.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Der 17. Zivilsenat hält daran fest, dass dem Insolvenzschuldner regelmäßig ein Löschungsanspruch gegen die Schufa Holding AG zusteht, wenn diese Daten aus dem Insolvenzbekanntmachungsportal ohne gesetzliche Grundlage länger speichert und verarbeitet als in der Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet (InsoBekVO) vorgesehen. Auch bei der Berechnung eines Score-Wertes darf die Schufa die Daten zum Insolvenzverfahren danach nicht mehr berücksichtigen. Das hat der 17. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts am vergangenen Freitag entschieden.

Zum Sachverhalt: Über das Vermögen des Klägers wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und am 25. März 2020 wurde das Verfahren durch Beschluss des Amtsgerichts aufgehoben. Diese Information wurde im amtlichen Internetportal veröffentlicht. Die Schufa pflegte diese Daten von dort in ihren Datenbestand ein, um diese ihren Vertragspartnern bei laufenden Vertragsbeziehungen und Auskunftsanfragen zum Kläger mitzuteilen. Der Kläger begehrte Ende 2020 die Löschung der Daten von der Schufa, da die Verarbeitung zu erheblichen wirtschaftlichen und finanziellen Nachteilen bei ihm führe. Eine uneingeschränkte Teilhabe am Wirtschaftsleben sei ihm nicht möglich. Er könne u.a. nur noch gegen Vorkasse bestellen und keine neue Wohnung anmieten.

Die Schufa wies die Ansprüche des Klägers zurück und verwies darauf, dass sie die Daten entsprechend der Verhaltensregeln des Verbandes "Die Wirtschaftsauskunfteien e.V." erst drei Jahre nach Speicherung lösche. Die Daten seien bonitätsrelevante Informationen und daher für die Schufa und ihre Vertragspartner von berechtigtem Interesse. Das Landgericht Kiel hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers vor dem 17. Zivilsenat des Oberlandesgerichts hatte Erfolg.

Aus den Gründen: Der Kläger kann von der Schufa die Unterlassung der Verarbeitung der Informationen zu seinem Insolvenzverfahren sechs Monate nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens verlangen. Nach Ablauf dieser Frist überwiegen die Interessen und Grundrechte des Klägers gegenüber den berechtigten Interessen der Schufa und ihrer Vertragspartner an einer Verarbeitung, so dass sich die Verarbeitung nicht mehr als rechtmäßig im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit. f) Datenschutz-Grundverordnung darstellt.

Es ist eine konkrete Abwägung zwischen den Interessen der Schufa und ihrer Vertragspartner an der Verarbeitung der Daten und den durch die Verarbeitung berührten Grundrechten und Interessen des Klägers anzustellen. Der Kläger hat ein Interesse daran, möglichst ungehindert am wirtschaftlichen Leben teilnehmen zu können, nachdem die Informationen über sein Insolvenzverfahren aus dem Insolvenzbekanntmachungsportal gelöscht worden sind. Dieses Interesse geht dem eigenen wirtschaftlichen Interesse der Schufa als Anbieterin von bonitätsrelevanten Informationen vor. Auch gegenüber typisierend zu betrachtenden Interessen der Vertragspartner sind die Interessen des Klägers vorrangig, da keine besonderen Umstände in der Person des Klägers oder seines Insolvenzverfahrens erkennbar sind, die eine Vorratsdatenspeicherung bei der Schufa über den Zeitraum der Veröffentlichung im Insolvenzbekanntmachungsportal hinaus rechtfertigen könnten.

Die Schufa kann sich nicht auf die in den Verhaltensregeln des Verbandes der Wirtschaftsauskunfteien genannte Speicherfrist von drei Jahren berufen. Diese Verhaltensregeln entfalten keine Rechtswirkung zulasten des Klägers. Sie vermögen auch keine Abwägung der Interessen vorzuzeichnen oder zu ersetzen. (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 3. Juni 2022, Az. 17 U 5/22, Revision ist zugelassen)



LG Frankfurt: Streitigkeiten im Zusammenhang mit eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmustern sind Handelssachen gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c) GVG

LG Frankfurt
Beschluss vo 19.05.2022
2-03 O 94/22


Das LG Frankfurt hat entschieden, dass Streitigkeiten im Zusammenhang mit eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmustern Handelssachen gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c) GVG sind.

Entscheidungsgründe:

Der Rechtsstreit ist nach § 98 ZPO auf Antrag der Antragsgegnerin an die Kammer für Handelssachen zu verweisen.

Der Antrag gehört nach § 95 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c) GVG (ggf. in analoger Anwendung) vor die Kammer für Handelssachen. Handelssachen sind nach § 95 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c) bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, in denen durch die Klage ein Anspruch aus den „Rechtsverhältnissen, die sich auf den Schutz der Marken und sonstigen Kennzeichen sowie der eingetragenen Designs beziehen“, geltend gemacht wird. Es ist davon auszugehen, dass auch Ansprüche, die ihre Grundlage auf ein eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster nach der VO (EG) Nr. 6/2002 (nachfolgend: GGV) haben, als Handelssachen anzusehen sind. Der Wortlaut steht dem nicht entgegen. Denn die Begriffe „Design“ und „Geschmacksmuster“ sind synonym zu verstehen. Dies ergibt bereits die Gegenüberstellung der entsprechenden Definitionen in § 1 DesignG und Art. 3 Buchst. a) GGV. In § 1 DesignG (bzw. § 1 GeschmMG a.F.) wird bzw. wurde in Nr. 1 ein „Design“ (bzw. ein „Muster“) als „die zweidimensionale oder dreidimensionale Erscheinungsform eines ganzen Erzeugnisses oder eines Teils davon, die sich insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur oder der Werkstoffe des Erzeugnisses selbst oder seiner Verzierung ergibt“, definiert. Nach Art. 3 Buchst. a) GGV ist ein Geschmacksmuster „die Erscheinungsform eines Erzeugnisses oder eines Teils davon, die sich insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur und/oder der Werkstoffe des Erzeugnisses selbst und/oder seiner Verzierung ergibt“. Dass es zwischen den beiden Begriffen einen Unterschied geben soll, ist nicht ersichtlich. So gesehen kann auch ein Anspruch aus einem eingetragen Gemeinschaftsgeschmacksmuster grundsätzlich als ein Anspruch aus einem Rechtsverhältnis, das sich auf den Schutz der eingetragenen Designs bezieht, subsumiert werden. Denn der Wortlaut des GVG stellt nicht auf die Begrifflichkeiten wie „Designstreitsache“ oder „Gemeinschaftsgeschmacksmusterstreitsache“ ab. Im Übrigen wird – insbesondere zur historischen Auslegung – auf den Beitrag Bomba, GRUR-Prax 2014, 452 ff. verwiesen, den sich die Kammer zu eigen macht.

Der Verweisungsantrag ist nach § 101 GVG rechtzeitig gestellt worden. Da die Antragsgegnerin bei Erlass der einstweiligen Verfügung nicht angehört worden ist, ist der Verweisungsantrag mit dem Widerspruch rechtzeitig.




EuG: Apple-Marke THINK DIFFERENT durfte vom EUIPO wegen Verfalls gelöscht werden - kein Nachweis der ernsthaften Benutzung

EuG
Urteile vom 08.06.2022
T-26/21, T-27/21 und T-28/21


Das EuG hat entschieden, dass Apple-Marke THINK DIFFERENT vom EUIPO wegen Verfalls gelöscht werden durfte, da kein Nachweis der ernsthaften Benutzung geführt werden konnte.

Die Pressemitteilung des EUG:
Apple und Swatch „THINK DIFFERENT“

Das Gericht weist die Klagen der Apple Inc. gegen die Entscheidungen des EUIPO ab, mit denen das Wortzeichen THINK DIFFERENT für verfallen erklärt wurde

In den Jahren 1997 (T-26/21), 1998 (T-27/21) und 2005 (T-28/21) erwirkte die Klägerin, die Apple Inc., die Eintragung des Wortzeichens THINK DIFFERENT als Marke der Europäischen Union. Zu den Waren, für die die Eintragung beantragt wurde, gehören unter anderem Computerprodukte wie Computer, Computerterminals, Tastaturen, Computerhardware, -software und Multimediaerzeugnisse.

Im Jahr 2016 reichte die Streithelferin, die Swatch AG, beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) drei Anträge auf Erklärung des Verfalls der angegriffenen Marken ein. Das Unternehmen machte geltend, die angegriffenen Marken seien für die betreffenden Waren innerhalb eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren nicht ernsthaft benutzt worden.

Am 24. August 2018 erklärte die Löschungsabteilung des EUIPO die angegriffenen Marken für alle betreffenden Waren ab dem 14. Oktober 2016 für verfallen. Die Beschwerden von Apple gegen die Entscheidungen der Löschungsabteilung wurden von der Vierten Beschwerdekammer zurückgewiesen. Im Januar 2021 reichte Apple drei Klagen beim Gericht der Europäischen Union ein.

Mit seinem heutigen Urteil in diesen drei Rechtssachen weist das Gericht die Klagen ab. Es stellt fest, dass Apple vor dem EUIPO die ernsthafte Benutzung dieser Marken für die betreffenden Waren in den fünf Jahren vor dem 14. Oktober 2016 (Tag der Einreichung der Anträge auf Verfallserklärung), d. h. vom 14. Oktober 2011 bis zum 13. Oktober 2016, hätte nachweisen müssen. Mit ihren Klagen rügte Apple u. a., dass die Beschwerdekammer im Rahmen der Beurteilung der ernsthaften Benutzung der angegriffenen Marken den hohen Aufmerksamkeitsgrad der maßgeblichen Verkehrskreise nicht
berücksichtigt habe. Insbesondere bestritt sie die Schlussfolgerung der Beschwerdekammer, wonach die maßgeblichen Verkehrskreise die Etiketten auf der Verpackung eines iMac Computers, auf denen die angegriffenen Marken abgebildet seien, leicht übersähen. Nach Ansicht des Gerichts hat Apple nicht dargetan, dass die Berücksichtigung eines hohen Aufmerksamkeitsgrades die Beschwerdekammer zu der Feststellung veranlasst hätte, der Verbraucher hätte die Verpackung bis ins kleinste Detail geprüft und sehr genau auf die angegriffenen Marken geachtet. Darüber hinaus weist das Gericht die Rüge von Apple zurück, wonach die Beschwerdekammer die in der Zeugenerklärung vom 23. März 2017 vorgetragenen Verkaufszahlen der iMac Computer in der gesamten Europäischen Union zu Unrecht nicht berücksichtigt habe. Die dieser Erklärung beigefügten Jahresberichte für die Jahre 2009, 2010, 2013 und 2015 enthalten nur Informationen über den weltweiten Nettoabsatz der iMac Computer, liefern aber keine näheren Angaben zu den Verkaufszahlen der iMac Computer in der Europäischen Union Ferner rügte Apple die Schlussfolgerung der Beschwerdekammer, dass die angegriffenen Marken nicht unterscheidungskräftig seien. Das Gericht stellt fest, dass dieses Vorbringen auf einem verfehlten Verständnis der angefochtenen Entscheidungen beruht, und stellt klar, dass die Beschwerdekammer dem Ausdruck „THINK DIFFERENT“ nicht jedwede Unterscheidungskraft absprach, sondern ihm eine eher schwache Unterscheidungskraft zusprach.

Das Gericht führt aus, dass die Schlussfolgerungen der Beschwerdekammer zur Unterscheidungskraft der angegriffenen Marken entgegen dem Vorbringen von Apple nicht durch ein Bündel von Beweisen zum Nachweis ihrer ernsthaften Benutzung widerlegt sind. Es trifft zwar zu, dass zu den dem EUIPO vorgelegten Beweisen für die ernsthafte Benutzung zahlreiche Presseartikel gehören, die auf den Erfolg der Werbekampagne „THINK DIFFERENT“ bei ihrer Einführung im Jahr 1997 verweisen, diese Artikel stammen allerdings aus einer Zeit, die mehr als zehn Jahre vor dem relevanten Zeitraum liegt.

Das Gericht stellt fest, dass sich im vorliegenden Fall keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör erkennen lässt. Darüber hinaus hat die Beschwerdekammer die angefochtenen Entscheidungen in Bezug auf die Frage, ob Apple die ernsthafte Benutzung der angegriffenen Marken nachgewiesen hat, rechtlich hinreichend begründet.


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OLG Schleswig-Holstein: Facebook darf auf Grundlage der aktuellen Nutzungsbedingungen Nutzerkonto bei Hassposting sperren und rechtswidrigen Beitrag löschen

OLG Schleswig-Holstein
Beschluss vom 01.03.2022
7 U 152/20


Das OLG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass Facebook (Meta) auf Grundlage der aktuellen Nutzungsbedingungen ein Nutzerkonto bei einem Hassposting sperren und den rechtswidrigen Beitrag löschen darf.

Die Berufung des Klägers hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 522 Abs. 2 ZPO.

Rechtsfehler zulasten des Klägers weist das angefochtene Urteil nicht auf; auch die zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen keine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).

Mit dem Feststellungsantrag Ziffer 2 ist die Klage bereits unzulässig; im Übrigen hat das Landgericht die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen.

1. Unabhängig davon, ob die zeitweise Sperrung des Kontos des Klägers und die (behauptete) Löschung seines inkriminierten Beitrages zu Recht erfolgt sind, ist das Feststellungsbegehren zu Ziffer 2 schon unzulässig, denn gemäß § 256 Abs. 1 ZPO kann Gegenstand einer Feststellungsklage nur die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines gegenwärtigen Rechtsverhältnisses sein (Zöller-Greger, ZPO, 33. Aufl. § 256 Rn. 3 a m. w. N.).

Darauf zielt das Feststellungsbegehren des Klägers in der beantragten Form aber nicht ab. Vielmehr möchte er eine Vorfrage für seine Anträge Ziffer 4 und 7 (Unterlassung und Schadenersatz) geklärt sehen. Soweit sich aus der möglichen Rechtswidrigkeit der zeitweisen Kontensperrung bzw. der Löschung Rechtsfolgen in der Gegenwart ergeben, ist der Kläger auf die vorrangige Leistungsklage - die er auch erhoben hat - zu verweisen, ohne dass es einer isolierten Feststellung der Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Maßnahmen bedarf. Eine Fortsetzungsfeststellungsklage ist dem Zivilprozessrecht, anders als dem Verwaltungsprozessrecht, unbekannt.

2. Auf der Grundlage der wirksam in das zwischen den Parteien bestehende Vertragsverhältnis einbezogenen aktuellen Nutzungsbedingungen hat die Beklagte zu Recht den Beitrag gelöscht und eine 30-tägige Sperre verhängt.

Die geänderten Nutzungsbestimmungen sind aufgrund der Zustimmung des Klägers durch Anklicken der Schaltfläche wirksam geworden. Die allen Nutzern als „pop-up“ bei Aufruf des Dienstes der Beklagten zugegangene Mitteilung über die beabsichtigte Änderung der Nutzungsbedingungen in Verbindung mit der Aufforderung, die „ich stimme zu“ - Schaltfläche anzuklicken, ist dabei als an den einzelnen Nutzer gerichtetes Angebot auf Abschluss eines Änderungsvertrages im Sinne von § 145 BGB zu sehen. Ein durch Anklicken erfolgter Vertragsabschluss hat grundsätzlich individuellen Charakter, auch wenn die Willenserklärungen, aus denen er sich zusammensetzt, vorformulierte Bestandteile besitzen. Entgegen der von der Berufung vertretenen Rechtsansicht wird die Neufassung der AGB in einem solchen Fall nicht aufgrund einer vorformulierten Änderungsklausel, sondern aufgrund eines nach allgemeinen Regeln über Willenserklärungen und Rechtsgeschäfte zwischen den Parteien geschlossenen Änderungsvertrages einbezogen (Münchener Kommentar - Basedow, BGB 8. Aufl. 2019,§ 305, Rn 86; 90 m.w.N.; JurisPK-BGB - Lapp, 2. A. § 305, Rz. 57). Daher kommen solche Erklärungen als Gegenstand einer AGB-rechtlichen Prüfung nicht in Betracht (BGH, Urteil vom 07.11.2001 – VIII ZR 13/01 –, Rn. 42 - 43, Juris). Das individuelle Angebot im Sinne des § 145 BGB hat der Kläger unstreitig durch Anklicken der Schaltfläche angenommen. Dass die „neue Datenschutzgrundverordnung“ als Grund für die Änderung benannt und lediglich verklausuliert darauf hingewiesen wird, dass neben der Datenschutzrichtlinie der Beklagten auch die Nutzungsbedingungen aktualisiert wurden um „zu erklären, ... was wir von allen Nutzern erwarten“, steht einer wirksamen Annahme dieser Nutzungsbedingungen, die über den am Ende eingebetteten Link Bestandteil des Angebots der Beklagten auf Abschluss eines Änderungsvertrages geworden sind, nicht entgegen. Es kann daher dahinstehen, ob die Änderungsklausel in den Altbedingungen hinreichend transparent gewesen und ob für die vorgenommene Änderung ein triftiger Grund bestand, den die Beklagte hinreichend kommuniziert hat.

Das Angebot der Beklagten, der Kläger möge entweder die Nutzungsbedingungen akzeptieren oder seinen Vertrag mit der Beklagten beenden, ist auch nicht als sittenwidrig anzusehen. Auch wenn die Beklagte im Bereich der sozialen Netzwerke in Deutschland eine überragend wichtige Stellung einnimmt, unterliegt sie zum einen keinem Kontrahierungszwang, sondern ist bei der Auswahl ihrer Vertragspartner im Rahmen allgemeiner Diskriminierungsverbote frei. Entgegen den Ausführungen der Berufungsbegründung hat das Landgericht auch die marktbeherrschende Stellung der Beklagten im Blick gehabt und mit berücksichtigt. Dies ergibt sich aus den Ausführungen auf Seite 8 des angefochtenen Urteils. Zudem ist auch nicht ersichtlich, weshalb die Annahme der geänderten Bedingungen für den Kläger so unzumutbar sein sollte, dass eine de-facto erzwungene Zustimmung als sittenwidrig anzusehen sein sollte. Die mit der Änderung erfolgte Präzisierung u. a. des Begriffes der Hassrede und des bei Verstößen geltenden Sanktionsregimes begünstigt im Gegenteil die Nutzer, weil sie das zuvor bestehende uferlose und damit rechtlich bedenkliche (vgl. hierzu OLG München, Beschluss v. 17.07.2018 - 18 W 858/18) Sanktionsermessen auf eine AGB-rechtlich unbedenkliche Form zurückführt. Es ist daher - soweit ersichtlich - in der Rechtsprechung auch allgemein anerkannt, dass die Änderungen der Nutzungsbedingungen durch die derzeit geltende Fassung keinen Bedenken unterliegen (vgl. nur OLG Nürnberg, Urteil v. 04.08.2020 - 3 U 3641/19 Juris Rn. 78).

Die neuen, geänderten AGB der Beklagten halten auch der Wirksamkeitskontrolle stand. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hier zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil (dort S. 10 f.) verwiesen.

Die in den Nutzungsbedingungen normierten Verhaltensregeln sind jedenfalls nicht überraschend im Sinne des § 305 c BGB, und zwar gerade weil die Debatte um die Einhaltung von Regeln im Internet breiten Raum in der Öffentlichkeit einnimmt und die Normierung von „Benimmregeln“ bei Inanspruchnahme sozialer Kommunikationsplattformen allgemein bekannt ist (vgl. OLG Dresden Beschluss v. 08.08.2018 - 4 W 577/18 - Juris Rn. 20 m.w.N.). Dass sich das Verbot von Hassrede in Ziff. 12 der Gemeinschaftsstandards auf die Meinungsfreiheit der Nutzer auswirkt, aber keine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 BGB darstellt, hat das Landgericht in zutreffender Weise unter Hinweis auf die Entscheidung des 9. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 26.02.2020 (9 U 125/19) ausgeführt.

Diese rechtliche Würdigung gilt sowohl für die Voraussetzungen, unter denen sich die Beklagte Sanktionen vorbehält, als auch hinsichtlich der Sanktionen als solchen. Richtig ist zwar, dass sich die klägerseits zitierte Sperrvorschrift unter Ziffer 3.2 der Nutzungsbedingungen nicht im Einzelnen mit der Frage befasst, bei welchen Verstößen genau welche Sanktionen vorgesehen sind. Wie im angefochtenen Urteil ausgeführt genügt es aber, wenn der Nutzer weiß, dass ihn ein abgestuftes Sanktionssystem erwartet und die Beklagte je nach Schwere des Verstoßes eine Sanktion bis hin zur Deaktivierung des gesamten Kontos verhängen kann. Damit ist dem Nutzer hinreichend klar, dass ihn eine Sanktion treffen kann, an deren Ende bei wiederholten Zuwiderhandlungen gegen die Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards die komplette Deaktivierung des Kontos steht. Dies ist hinreichend transparent und benachteiligt den Kläger auch nicht unangemessen. Eine unangemessene Benachteiligung eines Vertragspartners des Verwenders im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB, bei der der Verwender durch seine einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (BGH, Urteil v. 17.09.2009 - III ZR 207/08 Juris Rn. 18 m.w.N.), liegt hierin schon deshalb nicht vor, weil hierdurch keine wesentlichen Rechte der Nutzer verletzt oder unangemessen beschränkt werden, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben. Nach der Natur des Nutzungsvertrages möchte die Beklagte eine Plattform zur Verfügung stellen, auf der die Nutzer einen respektvollen Umgang miteinander wahren und auf der sich jeder Nutzer „sicher“ fühlt (vgl. Gemeinschaftsstandards, dort unter „Einleitung“). Dies ist der Geschäftszweck, der dem Kunden bei Inanspruchnahme der Leistungen vor Augen geführt wird und zu dessen Definition die Beklagte als privater Anbieter berechtigt ist.

Innerhalb eines solchermaßen definierten Vertragszwecks liegt keine unzulässige Einschränkung darin, bei Verstößen gegen die an diesem Vertragszweck orientierten Standards ein abgestuftes Sanktionssystem bis hin zur Deaktivierung des Kontos auszusprechen.

Die Auffassung des Klägers, für eine Sperrung dürften nur Sachverhalte herangezogen werden, die zugleich einen Straftatbestand verwirklichten, trifft schon für das allgemeine Äußerungsrecht nicht zu. Für die hier in Rede stehende Frage, unter welchen Bedingungen der Betreiber eines sozialen Netzwerkes unter Bezug auf seine AGB Meinungsäußerungen löschen und Nutzer sperren darf, verkennt sie die anzuwendenden Maßstäbe grundlegend. Sie wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung so auch nirgends vertreten (OLG Schleswig aaO Juris Rn. 75 ff m.w.N.).

3. Die Beklagte war wegen eines Verstoßes des Klägers gegen die Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards nach Ziff. 3.2 der Nutzungsbedingungen, der Einleitung der Gemeinschaftsstandards und der Regelung zu „Hassreden“ innerhalb der Gemeinschaftsstandards (Nr. 12) berechtigt, den Beitrag nicht nur vorübergehend zu entfernen, wie das Landgericht mit zutreffenden Erwägungen ausgeführt hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die Gründe der angegriffenen Entscheidung Bezug. Entgegen der Ansicht der Berufung hat das Landgericht den streitgegenständlichen Post nicht rechtsfehlerhaft ausgelegt. Der Post des Klägers - seinen Vortrag als richtig unterstellt - lautet im Wortlaut: „Das deutsche Parlaments-Pack unterzeichnet den Pakt. Schlimmer das deutsche Pack hat ihn gepackt.“

Der Kläger verunglimpft damit - wie sich nicht zuletzt nachhaltig auch aus seiner als Anlage zum Protokoll vom 17.06.2020 gereichten „Argumentation“ ergibt - ganz bewusst sowohl die deutschen Parlamentarier (jedenfalls soweit sie den sog. Migrationspakt unterstützt haben) als auch die deutsche Bevölkerung sowie Migranten und Flüchtlinge. Damit erfüllt der Beitrag, wie vom Landgericht zutreffend ausgeführt (S.11/12 VU), die Kriterien der Schweregrade 2 und 3 nach Teil III Nr. 12 der Gemeinschaftsstandards der Beklagten.

Vor diesem Hintergrund ist auch die 30-tägige Versetzung in den read only-Modus nicht als unverhältnismäßig anzusehen. Sie ist weder willkürlich festgesetzt worden noch wird der Kläger hierdurch vorschnell oder dauerhaft gesperrt. Die Sanktionierung eines klaren Verstoßes gegen Ziff.12 der Gemeinschaftsstandards mit einer zeitlich begrenzten Sperre für die aktive Nutzung ist vielmehr als verhältnismäßige Sanktion anzusehen. Dem Vorbringen des Klägers lässt sich weder entnehmen, dass er hierdurch einen wirtschaftlichen Schaden erlitten haben will, noch ist eine wirkliche Beeinträchtigung seiner Kommunikationsfreiheit erkennbar geworden. Dabei stand es dem Kläger frei, sein Kommunikationsbedürfnis ggf. in anderen „sozialen“ Netzwerken wie Twitter, Instagram oder Youtube (um nur einige zu nennen) zu befriedigen.

Selbst wenn man den Beitrag als eine noch zulässige Meinungsäußerung ansehen wollen würde, wäre die Beklagte dennoch berechtigt, eine solche Äußerung gemäß ihren Gemeinschaftsstandards zu sanktionieren und stünde dem ein wirksamer Grundrechtsschutz nicht entgegen. Der Senat schließt sich insoweit den Ausführungen des 9. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts (aaO juris Rn 76 ff) an, die auch im Einklang mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung stehen und denen zufolge das Gebot der praktischen Konkordanz gebietet, nicht nur dem Meinungsäußerungsgrundrecht des Klägers zur Geltung zu verhelfen, sondern in gleicher Weise auch die Grundrechte der anderen Nutzer und nicht zuletzt der Beklagten selbst zu schützen.

4. Weil die Beklagte mit der Sperrung keine Rechtsverletzung begangen hat, stehen dem Kläger weder Wiederherstellungs-, noch Unterlassungs-, noch Schadensersatzansprüche zu. Mangels unerlaubter Handlung stehen dem Kläger auch keine Auskunftsansprüche zu.

a) Einen Anspruch auf Auskunft darüber, ob die gegen ihn verhängte Sperre durch ein "beauftragtes Unternehmen" erfolgt ist, hat das Landgericht zu Recht verneint. Mangels einer spezialgesetzlichen Grundlage kommt ein solcher Auskunftsanspruch nur nach § 242 BGB in Betracht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Auskunftsanspruch aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben gegeben, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Anspruchsberechtigte in entschuldbarer Weise ü über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und wenn der Verpflichtete in der Lage ist, unschwer die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderliche Auskunft zu erteilen (vgl. BGH, Urteil v. 17.07.2002 - VIII ZR 64/01, NJW 2002, 3771 unter II. 1. m.w.N.). Unter diesen Voraussetzungen ist ein Anspruch auf Auskunftserteilung auch dann gegeben, wenn nicht der in Anspruch Genommene selbst, sondern ein Dritter Schuldner des Hauptanspruchs ist, dessen Durchsetzung der Hilfsanspruch auf Auskunftserteilung ermöglichen soll (BGH, Urteil v. 09.07.2015 - III ZR 329/14 Juris Rn 11). Datenschutzrechtliche Bedenken an der Auskunftserteilung bestehen nach § § 24 Abs. 1 Nr. 1 BDSG nicht, sofern die Auskunftserteilung zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung zivilrechtlicher Ansprüche erforderlich ist. Der allgemeine Auskunftsanspruch aus Treu und Glauben wird aber seinerseits durch § § 242 begrenzt. Seine Geltendmachung ist daher rechtsmissbräuchlich, wenn die Auskunft für den in Frage stehenden Anspruch unter keinem Aspekt relevant ist oder wenn der Gläubiger sie zu „sachwidrigen Zwecken“ begehrt (Palandt-Grüneberg, BGB 80. Aufl. § 259 Rn 9).

So liegt es hier. Selbst wenn man – wofür der Kläger allerdings nichts vorgetragen hat - unterstellt, dass die Löschung des streitgegenständlichen Beitrags nicht durch Mitarbeiter der Beklagten, sondern in deren Auftrag durch einen Dienstleister vorgenommen worden sein sollte, kämen Ansprüche gegen diesen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Betracht. Ansprüche nach § 241 BGB i.V.m. dem Nutzungsvertrag oder nach § 280 BGB könnte der Kläger mangels einer schuldrechtlichen Sonderverbindung gegen diesen Dritten nicht geltend machen. Auch scheiden in einem solchen Fall Ansprüche aus § 826 BGB aus. Unabhängig davon, dass nicht ersichtlich ist, welchen Schaden der Kläger hier erlitten haben will und worauf er den zu benennenden Dritten überhaupt in Anspruch nehmen möchte, setzt der Anspruch nach § § 826 BGB jedenfalls ein Verhalten voraus, das objektiv sittenwidrig ist und von einer besonders verwerflichen Gesinnung getragen wird. Hierunter fällt nach allgemeiner Auffassung nur ein Verhalten, das nach Inhalt und Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, d.h. mit den grundlegenden Werten der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist (vgl. statt aller Palandt-Sprau, aaO. § 826 Rn 4). Dass mit einem Verhalten gegen eine Vertragspflicht verstoßen wird, genügt hierfür gerade nicht. Da grundsätzlich die Löschung unzulässiger Beiträge nach den Community-Standards nicht zu beanstanden ist, die Löschung von Beiträgen mit offensichtlich rechtswidrigem Inhalt im Sinne des NetzDG durch § 3 Abs. 2 Nr. 1 NetzDG dem Betreiber sogar verpflichtend vorgegeben ist, liegt in der Ausübung dieser Befugnisse keine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung des betroffenen Nutzers, die einen Anspruch aus § 826 BGB rechtfertigen könnte. Erst recht ist ein solcher Vorwurf gegenüber demjenigen nicht gerechtfertigt, der von einem sozialen Netzwerk als Dienstleister eingesetzt und damit lediglich Verrichtungsgehilfe im Sinne des § 831 BGB ist, ohne eigene Interessen mit der Löschung oder Sperrung von Teilnehmern zu verfolgen.

b) Ebenso besteht kein Anspruch auf Auskunft über mögliche Weisungen „von Seiten der Bundesregierung oder nachgeordneter Dienststellen“ hinsichtlich der Löschung von Beiträgen und/oder der Sperrung von Nutzern. Die durch das NetzDG ausgelösten Handlungsaufforderungen für Betreiber sozialer Netzwerke lassen sich dem Gesetzestext entnehmen. Für eine weitergehende Einflussnahme im konkreten Einzelfall werden keinerlei (Indiz-)Tatsachen behauptet. Die Annahme, die Bundesregierung oder eine andere Stelle der öffentlichen Verwaltung habe auf die Beklagte eingewirkt, um den Post des Klägers zu sperren, liegt zudem ersichtlich fern und knüpft offensichtlich allein an vergleichbare digital verbreitete Verschwörungstheorien an. Die Geltendmachung eines Auskunftsanspruches, mit dem eine Aussage des in Anspruch Genommenen über durch nichts belegte Behauptungen erzwungen werden soll, ist als Fall des Rechtsmissbrauchs unzulässig.

c) Schließlich scheidet auch ein Anspruch auf Zahlung von 1.500,- € mangels Anspruchsgrundlage für einen Zahlungsanspruch aus.

Der aus Art. 1, 2 Abs. 1 GG hergeleitete Anspruch auf eine immaterielle Geldentschädigung liegt nicht bei jeder Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, schon gar nicht bei jeder Vertragsverletzung vor. Er setzt vielmehr voraus, dass ihm ein schwerwiegender Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht zugrunde liegt und die hiervon ausgehende Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend aufgefangen werden kann. Dass der Kläger durch die Löschung des Beitrages und die zeitlich befristete Sperrung von dreißig Tagen eine solche Beeinträchtigung erlitten haben soll, wird nicht substantiiert behauptet und erscheint auch nicht vorstellbar. Der Kläger bemisst seine immaterielle Einbuße mit lediglich 1500,- € und gibt hierdurch zu erkennen, dass er selbst dem Verhalten der Beklagten keine hinreichende Eingriffsschwere beimisst. Dies erschließt sich auch daraus, dass der Kläger in seiner „Argumentation“ zum Ausdruck bringt, mit derartigen Rechtsstreitigkeiten „im Grunde ... nur die Kaste der Rechtsanwälte“ zu unterhalten.

Bereicherungsrechtliche Ansprüche auf eine fiktive Lizenzgebühr aus § 812 BGB kann der Kläger ebenfalls nicht geltend machen. Ob die Beklagte während des Zeitraums der Sperrung seine persönlichen Daten zu Werbezwecken tatsächlich genutzt hat, kann hierfür dahinstehen. Denn jedenfalls hatte der Kläger nach seinem eigenen Vortrag mit der Nutzung seine Einwilligung zu der in den Nutzungsbedingungen festgelegten Befugnis, alle Beiträge und erhaltenen Daten „dauerhaft zu speichern und zu nutzen" erteilt. Einen Vorbehalt für den Zeitraum etwaiger Sperrungen hatte er nicht erklärt. Eine rechtsgrundlose Nutzung von durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützten Daten liegt nach alledem nicht vor.

Auch für einen fiktiven Schadensersatz nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie fehlt es an den erforderlichen Voraussetzungen.

Für einen Schadensersatzanspruch nach §§ 280, 241 BGB i.V.m. dem Nutzungsvertrag enthält der Vortrag des Klägers keine substantiierten Tatsachengrundlagen.

Schließlich scheiden auch die geltend gemachten Ansprüche nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO aus. Jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, hat hiernach Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen. Ein Verstoß gegen die Vorgaben der Datenschutzgrundverordnung liegt jedoch nicht vor. Erhebung und Verarbeitung seiner Daten, wozu gem. Art. 4 Nr. 2 DSGVO auch die Löschung des streitgegenständlichen Posts und die Sperrung seines Kontos zählen, beruhen auf der vom Kläger vorab erteilten Zustimmung zu den Nutzungsbedingungen der Beklagten (Art. 6 Abs. 1 lit a DSGVO). Diese ist gerade nicht daran geknüpft, dass auch die Beklagte ihren vertraglichen Verpflichtungen nachkommt und umfasst daher auch Zeiträume, in denen der Account gesperrt ist.

Dass dem Kläger durch die Sperrung ein materieller oder immaterieller Schaden im Sinne des Art. 82 DSGVO entstanden wäre, ist weder dargetan noch ersichtlich. Die bloße Sperrung seiner Daten stellt ebenso wie ein etwaiger Datenverlust noch keinen Schaden im Sinne der DSGVO dar.

Die behauptete Hemmung in der Persönlichkeitsentfaltung durch die (rechtmäßige) dreißigtägige Sperrung hat allenfalls Bagatellcharakter, was die Zuerkennung eines immateriellen Schadensersatzes ausschließt.

Hat nach Vorstehendem die Berufung des Klägers offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, wird sie im Beschlusswege zurückzuweisen sein.


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