Skip to content

LG München: Zur Konzentrationsmaxime in Patentstreitsachen und der Geltendmachung des Einwands nach § 145 PatG

LG München
Beschluss vom 12.10.2022
21 O 513/22 und 21 O 515/22


Das LG München hat mit der Konzentrationsmaxime in Patentstreitsachen und der Geltendmachung des Einwands nach § 145 PatG befasst.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Zur Konzentrationsmaxime in Patentstreitsachen

Die 21. Zivilkammer (Patentstreitkammer) hat heute in einem internationalen Rechtsstreit zwischen zwei Technologieunternehmen den Antrag der Beklagten auf abgesonderte Verhandlung und Entscheidung über den Zulässigkeitseinwand nach § 145 PatG mit Beschluss zurückgewiesen.

Die Verfahren mit den Az. 21 O 513/22 und 21 O 515/22 sind Teil eines großen, international geführten Rechtsstreits zweier Unternehmen, die wechselseitig eine Vielzahl von Patentverletzungsklagen erhoben haben. In Deutschland sind vor mehreren Landgerichten Klagen rechtshängig. Vor dem Landgericht München I hat die Klägerin die Verletzung von sechs verschiedenen Klagepatenten durch diverse Konzerngesellschaften der Beklagtenseite geltend gemacht. Fünf dieser Klagepatente sollen nach Meinung der Klägerin standardessentiell für die Mobilfunkstandards 4G (LTE) und 5G sein.

Die 21. Zivilkammer hat am 14.09.2022 den ersten Verhandlungstermin in dem Streitkomplex durchgeführt.

In den oben genannten Verfahren haben die Beklagten den Einwand nach § 145 PatG erhoben. Sie meinen, die Klagen vor dem Landgericht München I seien bereits unzulässig. Denn sie hätten „gleichartige Handlungen“ wie die Klagen vor einem anderen Landgericht zum Gegenstand, diese seien aber (zumindest zum Teil) früher zugestellt (und damit erhoben) worden. Die Beklagten haben daher im frühen ersten Termin nach dem Münchner Verfahren in Patentstreitsachen beantragt, die Kammer solle über die Zulässigkeit der Klage nach § 280 Abs. 1 ZPO abgesondert verhandeln und die Klagen wegen Unzulässigkeit nach § 145 PatG endgültig abweisen.

§ 280 Abs. 1 ZPO räumt der Kammer ein Ermessen ein. Dieses hat sie dahingehend ausgeübt, keine abgesonderte Verhandlung über die Zulässigkeit der Klage anzuordnen und derzeit kein Urteil über die Zulässigkeit der Klage zu erlassen.

Die Kammer führt aus, es sei jetzt noch nicht an der Zeit, über die Zulässigkeit der Klage und insbesondere über den Einwand der Beklagten nach § 145 PatG eine verbindliche Entscheidung zu treffen. Es bestehe derzeit (noch) keine Entscheidungsreife, weil der Gegenstand des Klagepatents bislang nicht hinreichend geklärt sei und daher keine hinreichende Vergleichsmöglichkeit zu dem Gegenstand der Verfahren vor dem anderen Landgericht bestehe.

Zur Begründung führte das Gericht unter anderem aus:

„Es widerspricht dem der Regelung des § 280 ZPO zugrundeliegenden Gedanken der Prozessökonomie, sich bereits zu diesem (frühen) Zeitpunkt (im Verfahren) – dann aber insoweit abschließend – mit zahlreichen technischen Aspekten auseinanderzusetzen und diese verbindlich zu entscheiden. Insbesondere müsste sich die Kammer bereits jetzt umfassend und abschließend mit der – sowohl für die Begründetheit und die Aussetzung maßgeblichen – Auslegung der Patentansprüche befassen, um eine insgesamt widerspruchsfreie Behandlung des Verfahrens sicherzustellen. Dies gilt auch im Hinblick auf die durch die Klägerin aufgeworfene Frage des Verschuldens und dafür, ob die Klägerin der Einrede der Beklagten erfolgreich die Gegeneinrede des mangelnden Verschuldens entgegenhalten kann, weil auch insofern im Einzelfall zahlreiche technische Details eine Rolle spielen (können), die jedoch erst zu gegebener Zeit, später, von der Kammer hinreichend beurteilt werden können.“

Der in beiden Verfahren ergangene Beschluss ist unanfechtbar.

Trotz des Beschlusses heute bleibt der Einwand nach § 145 PatG bestehen. Über den Einwand wird nach dem Haupttermin zu entscheiden sein.

Die 21. Zivilkammer wird in o.g. Verfahren am 21.12.2022 über den von den Beklagten erhobenen kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand (FRAND-Einwand) verhandeln. Haupttermin in der Sache ist auf den 15.03.2023 bestimmt.



Zum Hintergrund:

I. § 145 PatG regelt die sog. Konzentrationsmaxime. Die Norm besagt:

„Wer eine Klage nach § 139 erhoben hat, kann gegen den Beklagten wegen derselben oder einer gleichartigen Handlung auf Grund eines anderen Patents nur dann eine weitere Klage erheben, wenn er ohne sein Verschulden nicht in der Lage war, auch dieses Patent in dem früheren Rechtsstreit geltend zu machen.“

Wegen der Konzentrationsmaxime und aus Sorge, dass eine Klage unzulässig sein könnte, werden Klagen wegen derselben oder gleichartigen Handlungen, auch wenn sie mehrere Klagepatente betreffen, regelmäßig in einer Klageschrift zusammengefasst. Solche Klageschriften sind teils sehr umfangreich. So umfasst die Klageschrift in dem Verfahren 21 O 513/22 fünf Klagepatente. Allein die Klageschrift ist 535 Seiten lang, hinzu kommen zahlreiche Anlagen.

Auch wenn die Patente wegen § 145 PatG in einer Klageschrift geltend gemacht werden, handelt es sich um mehrere Verfahren. Die verschiedenen Patente bilden grundsätzlich unterschiedliche Streitgegenstände (andere Anträge, andere Lebenssachverhalte). Auch die technischen Fragen sind regelmäßig von Patent zu Patent andere. Zur Wahrung der Übersichtlichkeit und der Verhandelbarkeit ist daher in aller Regel eine Abtrennung geboten, geordnet nach den verschiedenen Klagepatenten.

Gleiches gilt, wenn die Klägerseite eine bereits anhängige Klage – wiederum wegen § 145 PatG – um einen neuen Antrag betreffend ein weiteres Patent erweitert.

II. Das Münchner Verfahren in Patentstreitsachen wird seit 2009 von den Patentstreitkammern am Landgericht München I praktiziert. In den Jahren 2019 bis 2020 wurde es vom Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb evaluiert. Kernpunkte sind die Durchführung zweier Termine in der Sache („erster Termin“ und „zweiter Termin“) und ein strenges Fristenregime. Die Durchführung des (frühen) ersten Termins dient der Konzentration auf die wesentlichen Punkte des Verfahrens. In dem ersten Termin werden primär Auslegung des Klagepatents und dessen Verletzung durch die angegriffenen Ausführungsformen diskutiert. Die regelmäßig erforderliche Diskussion über den Rechtsbestand des Klagepatents ist dem zweiten Termin vorbehalten. Sofern die Klägerin standardessentielle Patente geltend macht und die Beklagte sich mit dem kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand verteidigt, findet häufig ein weiterer „FRAND-Termin“ statt, in dem über die Bemühungen der Parteien um den Abschluss eines fair, reasonable and non discriminatory (FRAND) Lizenzvertrages gesprochen wird.

Diese mit zwei bis drei Terminen aufwändige Verhandlungsleitung hat zum Ziel, in einem für beide Seiten fairen und transparenten Verfahren schnellen und effektiven Rechtsschutz bereitzustellen.



LAG Niedersachsen: Beweisverwertungsverbot im Kündigungsschutzprozess für datenschutzwidrige Aufzeichnungen einer Videoüberwachungsanlage

LAG Niedersachsen
Urteil vom 06.07.2022
8 Sa 1150/20


Das LAG Niedersachsen hat entschieden, dass ein Beweisverwertungsverbot in einem Kündigungsschutzprozess für datenschutzwidrige Aufzeichnungen einer Videoüberwachungsanlage besteht.

Aus den Entscheidungsgründen:
Zu Gunsten des Klägers greift zudem ein Beweisverwertungsverbot ein. Hierauf stützt die Kammer ihre Erwägungen im Verhältnis zu den Ausführungen unter aaa) selbstständig und tragend.

Auf die hier streitgegenständliche behauptete Pflichtwidrigkeit vom 02.06.2018 – bezüglich der anderen beiden Pflichtwidrigkeiten stützt sich die Beklagte nicht auf Videoaufzeichnungen - ist das Bundesdatenschutzgesetz in der ab dem 25.05.2018 geltenden Fassung (im Folgenden nur: BDSG) sowie die Datenschutzgrundverordnung der Europäischen Union (EU-Verordnung 2016/679) anzuwenden.

Die Datenschutz-Grundverordnung (im Folgenden nur: DSGVO) ist am 24. Mai 2016 in Kraft getreten. Sie beansprucht seit dem 25.05.2018 in der gesamten Europäischen Union (EU) Geltung und hat die bisherige allgemeine Datenschutz-Richtlinie 95/46/EG ersetzt.

Die hier streitgegenständlichen Vorgänge bezieht sich auf einen Tattag, der zeitlich nach dem 25.05.2018 gelegen ist. Die Beklagte hatte bei dem Einsatz der Videoüberwachungsanlage an den betreffenden Tagen die Bestimmungen der DSGVO und des BDSG in der ab dem 25.05.2018 geltenden Fassung zu beachten.

ccc) Für ein Beweisverwertungsverbot kommt es auf die Frage an, ob ein Eingriff in das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung vorliegt und ob dieser Eingriff zulässig ist. Sofern die Datenerhebung und -verwertung nach den Bestimmungen des BDSG erfolgen durfte, kommt ein Beweisverwertungsverbot nicht in Betracht. Ist dies nicht der Fall, muss im Einzelfall geprüft werden, ob die Verwertung der so gewonnenen Beweismittel durch das Gericht im Einzelfall einen Grundrechtsverstoß darstellt. Dies entspricht der Rechtsprechung des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 23. August 2018 - 2 AZR 133/18 - BAGE 163, 239), der das erkennende Gericht sich anschließt.

(1) Weder die Zivilprozessordnung noch das Arbeitsgerichtsgesetz enthalten Bestimmungen, die die Verwertbarkeit von Erkenntnissen oder Beweismitteln einschränken, die eine Arbeitsvertragspartei rechtswidrig erlangt hat. Ein Verwertungsverbot kann sich allerdings aus einer verfassungskonformen Auslegung des Verfahrensrechts ergeben. Da der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG aber grundsätzlich gebietet, den Sachvortrag der Parteien und die von ihnen angebotenen Beweise zu berücksichtigen, kommt ein „verfassungsrechtliches Verwertungsverbot“ dann in Betracht, wenn dies wegen einer grundrechtlich geschützten Position einer Prozesspartei zwingend geboten ist (BAG 23. August 2018 - 2 AZR 133/18 - Rn. 14 mwN, BAGE 163, 239). Dies setzt in aller Regel voraus, dass die betroffenen Schutzzwecke des verletzten Grundrechts der Verwertung der Erkenntnis oder des Beweismittels im Rechtsstreit entgegenstehen. Die prozessuale Verwertung muss selbst einen Grundrechtsverstoß darstellen. Das ist der Fall, wenn das nach Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar an die Grundrechte gebundene Gericht ohne Rechtfertigung in eine verfassungsrechtlich geschützte Position einer Prozesspartei eingriffe, indem es eine Persönlichkeitsrechtsverletzung durch einen Privaten perpetuierte oder vertiefte. Insofern kommt die Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat zum Tragen. Auf eine nicht gerechtfertigte Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts durch einen Privaten darf kein verfassungswidriger Grundrechtseingriff durch ein Staatsorgan „aufgesattelt“ werden.

(2) Obgleich die Vorschriften des BDSG nicht die Zulässigkeit von Parteivorbringen und seine Verwertung im Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen begrenzen, und obwohl es für das Eingreifen eines Verwertungsverbots darauf ankommt, ob bei der Erkenntnis- oder Beweisgewinnung das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzt worden ist, sind die einfachrechtlichen Vorgaben insofern nicht ohne Bedeutung. Die Bestimmungen des BDSG über die Anforderungen an eine zulässige Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung konkretisieren und aktualisieren für den Einzelnen den Schutz seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild (vgl. vor allem die in §§ 32 ff. BDSG n.F. geregelten Rechte der betroffenen Person). Sie regeln, in welchem Umfang im Anwendungsbereich des Gesetzes Eingriffe durch öffentliche oder nicht-öffentliche Stellen in diese Rechtspositionen erlaubt sind (BAG 23. August 2018 - 2 AZR 133/18 - Rn. 15 mwN, BAGE 163, 239 zum BDSG a.F.).

(3) § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG stellt für die Verarbeitung und Nutzung von personenbezogenen Daten eines Beschäftigten, die der Arbeitgeber durch eine Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume erlangt hat, eine eigenständige, von den Voraussetzungen des § 4 BDSG unabhängige Erlaubnisnorm dar. Ist danach eine bestimmte Datenverarbeitung oder -nutzung rechtmäßig, kommt es im Verhältnis zu den betroffenen Arbeitnehmern nicht darauf an, ob die Anforderungen gemäß § 4 BDSG erfüllt sind. Die für die Überwachung im öffentlichen Raum geltende Bestimmung schließt eine eigenständige Rechtfertigung der Datenverarbeitung nach § 26 BDSG nicht aus. Diese Vorschrift dient speziell dem Ausgleich der Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in Bezug auf den Beschäftigtendatenschutz (BT-Drs. 16/13657 S. 20 f.). Dagegen soll § 4 BDSG - unabhängig von den aufgrund der engeren schuldrechtlichen Bindungen im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses bestehenden Interessen - den Schutz der Allgemeinheit vor einem Ausufern der Videoüberwachung im öffentlichen Raum gewährleisten. Für die Eigenständigkeit der Erlaubnistatbestände des § 26 BDSG spricht auch, dass die Videoüberwachung nicht öffentlich zugänglicher (Arbeits-)Räume im BDSG nicht gesondert geregelt ist. Ihre Zulässigkeit richtet sich daher, soweit Arbeitnehmer betroffen sind, allein nach § 26 BDSG. Es erschiene aber wenig plausibel, wenn bezogen auf den Beschäftigtendatenschutz von Arbeitnehmern, die in öffentlich zugänglichen Räumen arbeiten, andere Maßstäbe gelten sollten als für Arbeitnehmer, die dies nicht tun (vgl. zu alledem - noch zum BDSG a.F. - BAG 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 –, BAGE 163, 239; BAG 22. September 2016 - 2 AZR 848/15 - Rn. 43, BAGE 156, 370).

(4) Die Verarbeitung und Nutzung von rechtmäßig erhobenen personenbezogenen Daten nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG muss „erforderlich“ sein. Es hat eine „volle“ Verhältnismäßigkeitsprüfung zu erfolgen (vgl. BAG 17. November 2016 - 2 AZR 730/15 - Rn. 30). Die Verarbeitung und die Nutzung der personenbezogenen Daten müssen geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen sein, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Es dürfen keine anderen, zur Zielerreichung gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen weniger einschränkenden Mittel zur Verfügung stehen. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Angemessenheit) ist gewahrt, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht. Die Datenverarbeitung und -nutzung darf keine übermäßige Belastung für die Betroffenen darstellen und muss der Bedeutung des Informationsinteresses des Arbeitgebers entsprechen (BAG 27. Juli 2017 - 2 AZR 681/16 - Rn. 30, BAGE 159, 380). Dies beurteilt sich ggf. für jedes personenbezogene Datum gesondert.

(5) War die betreffende Maßnahme nach den Vorschriften des BDSG zulässig, liegt insoweit keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Gestalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild vor. Ein Verwertungsverbot scheidet von vornherein aus. So liegt es namentlich, wenn die umfassende Abwägung der widerstreitenden Interessen und Grundrechtspositionen im Rahmen der Generalklauseln des § 32 Abs. 1 BDSG aF (jetzt: § 26 Abs. 1 BDSG) zugunsten des Arbeitgebers ausfällt (BAG 23. August 2018 - 2 AZR 133/18 - Rn. 15, BAGE 163, 239).

(6) War die fragliche Maßnahme nach den Bestimmungen des BDSG nicht erlaubt, muss gesondert geprüft werden, ob die Verwertung von im Zuge dieser Maßnahme gewonnenen Erkenntnissen oder Beweismitteln durch das Gericht einen Grundrechtsverstoß darstellen würde. Daran kann es zum einen fehlen, wenn die Unzulässigkeit der vom Arbeitgeber durchgeführten Maßnahme allein aus der (Grund-)Rechtswidrigkeit der Datenerhebung(en) gegenüber anderen Beschäftigten resultiert oder die verletzte einfachrechtliche Norm keinen eigenen „Grundrechtsgehalt“ hat. Zum anderen kann es sein, dass die gerichtliche Verwertung weder einen ungerechtfertigten Grundrechtseingriff darstellt noch aufgrund einer verfassungsrechtlichen Schutzpflicht zu unterlassen ist, weil durch sie die ungerechtfertigte „vorprozessuale“ Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einer Prozesspartei nicht perpetuiert oder vertieft würde und der Verwertung auch Gründe der Generalprävention nicht entgegenstehen (BAG 23. August 2018 - 2 AZR 133/18 - Rn. 15 mwN, BAGE 163, 239).

(7) Sofern danach ein Beweisverwertungsverbot wegen eines Verstoßes gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht besteht, erfasst dieses nicht allein das unrechtmäßig erlangte Beweismittel selbst, sondern steht auch einer mittelbaren Verwertung, wie der Vernehmung von Zeugen über den Inhalt des Beweismittels, entgegen (vgl. BVerfG 31. Juli 2001 - 1 BvR 304/01 - zu II 1 b bb der Gründe; BAG 20. Oktober 2016 - 2 AZR 395/15 - Rn. 19, BAGE 157, 69). In solchen Fällen darf folgerichtig weder eine Inaugenscheinnahme der Videoaufnahmen erfolgen, noch darf das Gericht dem weiteren Beweisangebot der Beklagten auf Vernehmung der mit der Auswertung der Aufnahmen betrauten Personen als Zeugen nachgehen.

ddd) Die Heranziehung, Betrachtung und Auswertung der Videoaufzeichnungen der an den Toreingängen zum Betriebsgelände der Beklagten installierten Kameras zum Zwecke der Prüfung, ob der Kläger am 02.06.2018 das Betriebsgelände betreten und verlassen hat, stellt eine Verarbeitung personenbezogener Daten von Beschäftigten iSd. § 26 Abs. 1 BDSG dar. Sie ist vorliegend weder für die Durchführung noch für die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses (Satz 1) noch für die Aufdeckung einer Straftat (Satz 2) erforderlich.

(1) Es fehlt bereits an der grundsätzlichen – abstrakten - Geeignetheit des eingesetzten Mittels der Videoüberwachung, um den hier von der Beklagten erstrebten Zweck der Überprüfung eines vertragsgemäßen Verhaltens sowie des Nachweises eines Arbeitszeitbetruges zu führen. Die Aufzeichnungen der Videokameras dokumentieren lediglich den Zutritt der Arbeitnehmer auf das Werksgelände sowie das Verlassen desselben. Die Arbeitszeit beginnt nach der bei der Beklagten geltenden Arbeitsordnung nicht mit dem Betreten des Werksgeländes und endet nicht mit dessen Verlassen. Sie beginnt erst und endet schon mit dem Erreichen bzw. Verlassen des auf dem weitläufigen Betriebsgelände befindlichen Arbeitsplatzes. Aus der Videoaufzeichnung kann nur auf eine Anwesenheit des Arbeitnehmers auf dem Betriebsgelände, nicht aber auf seine Anwesenheit am Arbeitsplatz geschlossen werden. Zudem ist fraglich, ob Arbeitnehmer, die das Werksgelände mit Schutzkleidung oder – beispielsweise im Winter – mit Kopfbedeckung betreten, stets hinreichend klar identifiziert werden können. Angesichts des Umstandes, dass der Zugang zum Werksgelände durch zahlreiche Eingänge möglich ist, wären Schlüsse auf die An- oder Abwesenheit von Arbeitnehmern auf dem Werksgelände zudem grundsätzlich nur dann mit hinreichender Sicherheit zu ziehen, wenn die Aufzeichnungen sämtlicher Videokameras für den betreffenden Zeitraum lückenlos, also ohne zeitliche Unterbrechungen, gefertigt und auch ausgewertet würden, da ansonsten nicht sicher davon ausgegangen werden kann, dass sämtliche Zutritte, auch z.B. solche, die im Anschluss an das Verlassen des Werksgeländes (z.B. nach einer Pause) erneut erfolgen, auch erkannt werden.

(2) Das Mittel der Videoüberwachung und -aufzeichnung ist darüber hinaus zur Kontrolle geleisteter Arbeitszeiten und zur Aufdeckung einer damit im Zusammenhang stehenden Straftat auch nicht erforderlich, da hierzu andere Mittel zur Verfügung stehen, die die Ableistung von Arbeitszeiten verlässlicher dokumentieren. So kann an dem Ort, an dem die Arbeitsleistung nach der Arbeitsordnung der Beklagten beginnt und endet – d.h., der Betriebsabteilung auf dem Gelände, in der sich der Arbeitsplatz befindet – eine Anwesenheitserfassung der Beschäftigten durch Vorgesetzte oder auch durch technische Einrichtungen wie eine Stempelkarte erfolgen. Soll die Dokumentation der An- und Abwesenheit bereits beim Zu- und Abgang auf bzw. vom Werksgelände erfolgen, kann auch im Zusammenhang damit eine elektronische Anwesenheitserfassung in Form von Karten und Kartenlesegeräten an den Werkstoren Verwendung finden, wobei dann die Befugnisse der Beklagten zur Auswertung dieser Daten nicht – wie vorliegend geschehen – durch Betriebsvereinbarung dahingehend eingeschränkt werden dürften, dass eine personenbezogene Auswertung nicht stattfinde. Weiß der Arbeitnehmer, dass er sich mit der Verwendung einer Karte nicht nur den Zugang freischaltet, sondern seine Anwesenheitszeiten zum Zwecke des Nachweises der Erbringung von Arbeitsleistung erfasst, und ist die Befugnis der Auswertung der gewonnenen Daten zu diesem Zweck auch klar geregelt, stünde deren Verwertung – auch im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung über die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses – nichts entgegen.

(3) Das Mittel der Videoüberwachung ist schließlich vorliegend zur Kontrolle geleisteter Arbeitszeiten und zur Aufdeckung einer damit im Zusammenhang stehenden Straftat auch nicht angemessen. Sowohl die sachliche als auch die zeitliche Intensität des Eingriffs sind erheblich und stehen vorliegend außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe. Die Videokameras erfassen sämtliche Zu- und Abgänge von Arbeitnehmern an sämtlichen Eingängen zum Betriebsgelände durch Bildaufzeichnungen. Aus ihnen lassen sich auch Schlüsse darauf ziehen, mit welchem zeitlichen Vorlauf zum Beginn der Arbeitszeit der Arbeitnehmer das Gelände betritt, wie er gekleidet ist, ob und von wem er ggf. begleitet wird u.a.m. Vor allem aber hat die Beklagte bei ihren Untersuchungen von Unregelmäßigkeiten auf Videoaufzeichnungen zurückgegriffen, die erhebliche Zeit zurücklagen. Der Untersuchungsbericht der Konzern Sicherheit Forensik führt als Datum den „07.06.2019“ auf. Da der Bericht zeitlich nachgelagerte Ereignisse enthält, so etwa die sämtlich am 26.08.2019 durchgeführten Befragungen des Klägers und seiner Kollegen, kann der Bericht nicht am 07.06.2019 abgeschlossen worden sein. Ob es sich um den Beginn der Ermittlungen handelt, ist nicht vollständig klar. Jedenfalls liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beginn der Ermittlungen eine maßgebliche Zeit vor dem 07.06.2019 lag. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass die Beklagte sich zur Aufklärung der anonym erhobenen Vorwürfe der Sichtung von Videoaufzeichnungen bedient hat, die seinerzeit bereits (teilweise) ein Jahr lang zurücklagen. Diese Vorgehensweise widerspricht eklatant den Grundsätzen der Datenminimierung und Speicherbegrenzung, die in Art. 5 DSGVO als dem maßgeblichen und nicht durch Art. 88 DSGVO verdrängten europäischen Recht ihren Niederschlag gefunden haben, wobei angesichts des zeitlichen Ausmaßes des Rückgriffs unentschieden bleiben kann, ob die – auch aus Sicht der Kammer recht weitgehende - Ansicht der Datenschutzaufsichtsbehörden (DSK, Kurzpapier Nr. 15) zutrifft, dass Videoaufzeichnungen regelmäßig binnen 48 Stunden zu löschen sind.

(4) Die Sachlage ändert sich auch nicht dadurch, dass die Beklagte mit der Einrichtung der Videoüberwachung primär die Verhinderung des Zutritts Unbefugter auf das Betriebsgelände sowie die Unterbindung bzw. den Nachweis von Eigentumsdelikten verfolgt bzw. verfolgen mag. Auch wenn man davon ausgeht, dass diese Zwecke eine präventive, offene Videoaufzeichnung und ggf. auch die Speicherung der Aufzeichnungen für längere Zeiträume rechtfertigen könnten, ist es der Beklagten verwehrt, diese Aufzeichnungen zum Zweck der Aufklärung des Verdachts eines Arbeitszeitbetruges heranzuziehen. Das gilt jedenfalls im vorliegenden Fall, in dem die Beklagte die bei ihr vorgehaltenen Aufzeichnungen gezielt im Hinblick auf den Verdacht eines Arbeitszeitbetruges gesichtet hat. Es handelt sich damit nicht um einen ggf. verwertbaren „Zufallsfund“, der aus Anlass einer zulässigen, anders gearteten Verwertung der Videoaufzeichnungen entstanden ist.

eee) Die Verwertung der im Zuge der Videoüberwachung gewonnenen Erkenntnisse und Beweismittel der Beklagten durch das Gericht würde vorliegend auch einen Grundrechtsverstoß darstellen. Die seitens der Beklagten durchgeführte Maßnahme ist nicht allein deshalb unzulässig, weil ihre Datenerhebung gegenüber anderen Beschäftigten rechtswidrig wäre, sie ist vielmehr gerade deshalb unzulässig, weil sie sachlich und zeitlich in erheblicher Weise in das Persönlichkeitsrecht (Art. 1 GG) des Klägers eingreift. Würde eine gerichtliche Verwertung erfolgen, stellte dies einen erneuten ungerechtfertigten Grundrechtseingriff dar und wäre aufgrund der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht des Gerichts zu unterlassen, weil hierdurch die ungerechtfertigte „vorprozessuale“ Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers in erheblichem Maße perpetuiert und vertieft würde. Schließlich gebieten auch Gründe der Generalprävention, die Videoaufzeichnungen der Beklagten nicht zum Zweck des Nachweises eines behaupteten, lange Zeit zurückliegenden Arbeitszeitbetruges zu verwerten.

cc) Das Gericht hatte auch keinen Zeugenbeweis zu erheben.

Aus dem oben Ausgeführten folgt, dass das Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der Videoaufzeichnungen sich auf die Vernehmung der Zeugen erstreckt, die nach dem Beweisangebot der Beklagten über die bei Sichtung des Videos gemachten Beobachtungen berichten sollen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Zu den Voraussetzungen unter denen Rechteinhaber von Internetzugangsanbietern nach § 7 Abs. 4 TMG die Sperrung des Zugangs zu Internetseiten verlangen können

BGH
Urteil vom 13.10.2022
I ZR 111/21
DNS-Sperre


Der BGH hat sich in dieser Entscheidung dazu geäußert, unter welchen Voraussetzungen ein Rechteinhaber von Internetzugangsanbietern nach § 7 Abs. 4 TMG die Sperrung des Zugangs zu Internetseiten, über die urheberrechtlich geschützte Werke verbreitet werden, verlangen kann.

Die Pressemitteilung des BGH:
Bundesgerichtshof konkretisiert Maßnahmen, die Rechtsinhaber vor Geltendmachung eines Anspruchs auf
Einrichtung von Websperren zu ergreifen haben

Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, unter welchen Voraussetzungen Rechtsinhaber von Internetzugangsanbietern nach § 7 Abs. 4 TMG die Sperrung des Zugangs zu Internetseiten beanspruchen können.

Sachverhalt:

Die Beklagte ist ein Telekommunikationsunternehmen. Die Klägerinnen sind Wissenschaftsverlage. Sie verlangen von der Beklagten, dass diese den Zugang zu den Internetseiten von zwei Internetdiensten sperrt, auf denen - nach Darstellung der Klägerinnen - wissenschaftliche Artikel und Bücher bereitgehalten werden, an denen ihnen die ausschließlichen Nutzungsrechte zustehen.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat angenommen, die Klägerinnen hätten entgegen § 7 Abs. 4 TMG nicht die ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausgeschöpft, der Verletzung ihrer Rechte abzuhelfen. Es sei ihnen zumutbar gewesen, vor Inanspruchnahme der Beklagten den in der Europäischen Union (Schweden) ansässigen Host-Provider der beiden Internetdienste gerichtlich auf Auskunft in Anspruch zu nehmen, um anschließend mit den erlangten Informationen gegen die Betreiber der Internetdienste vorzugehen.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.

Für den Rechtsinhaber besteht dann im Sinne des § 7 Abs. 4 Satz 1 TMG keine andere Möglichkeit, der Verletzung seines Rechts abzuhelfen, wenn zumutbare Anstrengungen zur Inanspruchnahme der Beteiligten, die die Rechtsverletzung selbst begangen oder zu ihr durch die Erbringung von Dienstleistungen beigetragen haben, gescheitert sind oder ihnen jede Erfolgsaussicht fehlt. Der Access-Provider, der lediglich allgemein den Zugang zum Internet vermittelt, haftet nur subsidiär gegenüber denjenigen Beteiligten, die (wie der Betreiber der Internetseite) die Rechtsverletzung selbst begangen oder (wie der Host-Provider) zur Rechtsverletzung durch die Erbringung von Dienstleistungen beigetragen haben und daher wesentlich näher an der Rechtsgutsverletzung sind.

Als Maßnahme der Sperrung kommt die von den Klägerinnen begehrte DNS(Domain-Name-System)-Sperre in Betracht. Mit dieser wird die Zuordnung zwischen dem in die Browserzeile eingegebenen Domainnamen und der IP-Adresse des Internetdiensts auf dem DNS-Server des Access-Providers verhindert, so dass der Domainname nicht mehr zur entsprechenden Internetseite führt, die allerdings unter ihrer IP-Adresse weiterhin erreichbar ist.

Welche Anstrengungen zur Inanspruchnahme des Betreibers der Internetseite und des Host-Providers zumutbar sind, ist eine Frage des Einzelfalls. Der Rechtsinhaber ist in zumutbarem Umfang dazu verpflichtet, Nachforschungen zur Ermittlung der vorrangig in Anspruch zu nehmenden Beteiligten anzustellen. Die außergerichtliche Inanspruchnahme eines bekannten Betreibers der Internetseite oder Host-Providers auf Entfernung der urheberrechtsverletzenden Inhalte ist dem Rechtsinhaber im Regelfall ebenfalls zumutbar. Mit Blick auf eine gerichtliche Durchsetzung von Unterlassungs- und Auskunftsansprüchen ist allerdings in besonderem Maß zu berücksichtigen, dass dem Rechtsinhaber keine Maßnahmen auferlegt werden dürfen, die zu einer unzumutbaren zeitlichen Verzögerung seiner Anspruchsdurchsetzung führen. Ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen innerhalb der Europäischen Union ansässige Betreiber oder Host-Provider hat der Rechtsinhaber jedoch grundsätzlich anzustrengen. Grundsätzlich zumutbare Anstrengungen können im Einzelfall unterbleiben, wenn ihnen aus vom Anspruchsteller darzulegenden Gründen jede Erfolgsaussicht fehlt.

Nach diesen Maßstäben ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, es wäre den Klägerinnen zumutbar gewesen, vor der Inanspruchnahme der Beklagten den Host-Provider der betroffenen Internetdienste in Schweden gerichtlich auf Auskunft in Anspruch zu nehmen, nicht frei von Rechtsfehlern. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zur Rechtslage in Schweden lassen offen, ob den Klägerinnen in Schweden ein Rechtsbehelf des einstweiligen Rechtsschutzes für die Geltendmachung eines Anspruchs auf Drittauskunft gegen den dort ansässigen Host-Provider zur Verfügung gestanden hätte.

Das Berufungsurteil erweist sich jedoch aus anderen Gründen als richtig. Von den Klägerinnen ist jedenfalls der Versuch zu verlangen, vor einem deutschen Gericht im Wege der einstweiligen Verfügung einen Auskunftsanspruch gegen den schwedischen Host-Provider geltend zu machen. Es besteht kein Anlass zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Klägerinnen haben umfassend zu den von ihnen ergriffenen Maßnahmen vorgetragen. Der Grundsatz des fairen Verfahrens gebietet es nicht, den Klägerinnen durch eine Zurückverweisung die Möglichkeit zu verschaffen, bisher unterbliebene Ermittlungsmaßnahmen erst noch zu veranlassen.

Vorinstanzen:

LG München I - Urteil vom 25. Oktober 2019 - 21 O 15007/18

OLG München - Urteil vom 27. Mai 2021 - 29 U 6933/19

Die maßgebliche Vorschrift lautet auszugsweise:

§ 7 Abs. 4 TMG

Wurde ein Telemediendienst von einem Nutzer in Anspruch genommen, um das Recht am geistigen Eigentum eines anderen zu verletzen und besteht für den Inhaber dieses Rechts keine andere Möglichkeit, der Verletzung seines Rechts abzuhelfen, so kann der Inhaber des Rechts von dem betroffenen Diensteanbieter nach § 8 Absatz 3 die Sperrung der Nutzung von Informationen verlangen, um die Wiederholung der Rechtsverletzung zu verhindern. Die Sperrung muss zumutbar und verhältnismäßig sein



LG Cottbus: Widerrufsrecht ist nicht nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen wenn sich Personalisierung des Produkts ohne Substanzeinbuße entfernen lässt

LG Cottbus
Urteil vom 29.09.2022
2 O 223/21


Das LG Cottbus hat entschieden, dass das Widerrufsrecht nicht nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen ist, wenn sich eine Personalisierung des Produkts ohne Substanzeinbuße entfernen lässt.
.
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Kläger hat einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Faksimiles aus §§ 357 Abs. 1, 355 Abs. 1, 312g Abs. 1, 312b, 312 BGB.

a) Dem Kläger stand gemäß § 312g Abs. 1 BGB ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB zu. Der Kläger hat mit der Beklagten einen Verbrauchervertrag i.S.d. § 310 Abs. 3 BGB über die Lieferung eines Faksimiles „Liber Scivias – Die göttlichen Visionen der Hildegard von Bingen“ geschlossen und sich zur Zahlung eines Kaufpreises i.H.v. 7.920,00 € verpflichtet. Für eine Einschränkung des Anwendungsbereiches der Widerrufsvorschriften nach § 312 Abs. 2 bis 6 BGB bestehen keine Anhaltspunkte. Es handelt sich um einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag im Sinne des § 312b BGB, denn jedenfalls hat der Kläger hat sein Kaufangebot bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit eines Vertreters der Beklagten in seiner Wohnung abgegeben, was gem. § 312b Abs. 1 Nr. 2 BGB ausreichend ist. Insofern kommt es nicht darauf an, ob die Beklagte das Angebot sogleich in der Wohnung des Klägers durch ihren Vertreter oder erst zu einem späteren Zeitpunkt durch die Lieferung des Faksimiles angenommen hat.

b) Das Widerrufsrecht war entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht gemäß § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen.

(1) Auf die handschriftliche Eintragung des Namens des Klägers in die eingeklebte „Notarielle Beurkundung“ kommt es nicht an, denn eine derartige Individualisierung des Faksimiles hat der Kläger nicht bestellt. Vielmehr ist in der Bestellurkunde eine Individualisierung durch ein Messingschild angekreuzt. Zwar hat die Beklagte behauptet, dass der Kläger eine Individualisierung durch eine notarielle Beurkundung gewünscht habe. Für diese – vom Inhalt der Bestellurkunde abweichende – Behauptung hat die Beklagte jedoch keinen Beweis angetreten. Durch eine ohne ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers vom Unternehmer vorgenommene und damit aufgedrängte Individualisierung wird das Widerrufsrecht nicht gemäß § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen.

(2) Das Widerrufsrecht war jedoch auch nicht durch die vom Kläger bestellte Individualisierung in Form der Anbringung eines Messingschildes mit seinem Namen gemäß § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen.

(i) Das Widerrufsrecht war schon deshalb nicht ausgeschlossen, weil die Beklagte ein Faksimile mit der bestellten Individualisierung durch ein Messingschild nicht geliefert hat.

Zwar ist es für das Eingreifen des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB – anders als der Kläger meint – grundsätzlich unerheblich, ob der Unternehmer die vereinbarte Individualisierung im Zeitpunkt des Widerrufs bereits vorgenommen hat. Insofern ist allein entscheidend, ob sich die Parteien über eine tatbestandsmäßige Individualisierung der Kaufsache geeinigt haben. Wann der Unternehmer diese Individualisierung vornimmt, spielt keine Rolle (EuGH, Urt. v. 21.10.2020 – C-529/19 – Juris, Rn. 15 ff.).

Vorliegend kann sich die Beklagte auf einen Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB vor der Lieferung eines entsprechend personalisierten Faksimiles jedoch nach Treu und Glauben aus § 242 BGB nicht berufen, denn sie hat den Kläger in der Bestellurkunde über einen Ausschluss des Widerrufsrechts irreführend belehrt, indem sie dort darauf hingewiesen hat, dass das Widerrufsrecht im Falle der Personalisierung „nach Lieferung“ ausgeschlossen sei. Der durchschnittliche Adressat der Bestellurkunde ohne besondere Rechtskenntnisse konnte diesen Hinweis ohne Weiteres dahingehend verstehen, dass ein Widerrufsrecht vor der Lieferung des entsprechend personalisierten Faksimile noch nicht ausgeschlossen ist. An diesem von ihr unmittelbar durch die Gestaltung der Bestellurkunde vermittelten (rechtlich unzutreffenden) Eindruck muss sich die Beklagte unbeschadet des Umstandes festhalten lassen, dass sie in der Widerrufsbelehrung (rechtlich zutreffend aber abstrakt) darauf hingewiesen hat, dass das Widerrufsrecht im Falle einer Individualisierung der Ware generell ausgeschlossen ist.

Die Beklagte hat das bestellte Faksimile mit einer Personalisierung durch ein Messingschild mit dem Namen des Klägers nicht geliefert. Sie kann sich somit auf einen etwaigen Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB aus Treu und Glauben nicht berufen.

(ii) Unbeschadet dessen wäre das Widerrufsrecht jedoch auch ohne den rechtlich unzutreffenden Hinweis auf der Bestellurkunde nicht ausgeschlossen, weil sich das vom Kläger bestellte Messingschild nach seinem unbestrittenen Vortrag ohne Einbuße an der Substanz des Faksimiles wieder entfernen und durch ein anderes gleich großes Messingschild ersetzen ließe.

Nach dem Sinn und Zweck des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB soll ein Widerruf in Fällen ausgeschlossen sein, in denen die Angaben des Verbrauchers, nach denen die Ware angefertigt wird, die Sache so individualisieren, dass diese für den Unternehmer im Falle ihrer Rücknahme wirtschaftlich wertlos ist, weil er sie wegen ihrer vom Verbraucher veranlassten besonderen Gestalt anderweitig nicht mehr oder allenfalls noch unter erhöhten Schwierigkeiten und mit erheblichem Preisnachlass absetzen kann. Entscheidend ist, ob die Anfertigung der Ware bzw. deren Zuschnitt auf die Bedürfnisse des Verbrauchers nicht ohne Einbuße an Substanz und Funktionsfähigkeit ihrer Bestandteile bzw. nur mit unverhältnismäßigem Aufwand wieder rückgängig zu machen ist (BGH, Urt. v. 19.03.2003 – VIII ZR 295/01 – Juris, Rn 15). Rückbaukosten jedenfalls unter 5 % des Warenwerts sind dabei als noch verhältnismäßig anzusehen (BGH, a.a.O., Rn. 19). An dieser Rechtsauffassung ist auch nach Inkrafttreten der Verbraucherrechterichtlinie vom 25.10.2011 (Richtlinie 2011/83/EU) unverändert festzuhalten (vgl. Buchmann, Das neue Fernabsatzrecht 2014 (Teil 3), in: K&R 2014, S. 369 (372); Wendehorst, in: MüKo-BGB, 9. Auflage 2022, § 312g Rn. 17).

Auf dieser Grundlage sind die Voraussetzungen eines Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB durch die Vereinbarung der Anbringung eines Messingschildes mit dem Namen des Klägers nicht gegeben. Nach dem unbestrittenen Vortrag des Klägers ließe sich das Messingschild problemlos wieder entfernen und durch ein anderes, gleich großes Messingschild mit dem Namen eines anderen Käufers ersetzen. Der Wert des Messingschildes liegt unbestritten unter 20,00 € und damit weit unter 1 % des vereinbarten Kaufpreises. Die Beklagte könnte ein durch ein Messingschild für den Kläger personalisiertes Faksimile daher ohne Überschreiten der Opfergrenze wieder verkehrsfähig machen und erneut zum Kauf anbieten.

c) Der Kläger hat das Widerrufsrecht auch ordnungsgemäß, insbesondere fristgemäß ausgeübt.

(1) In seiner Erklärung vom 21.01.2021 hat der Kläger zwar nicht das Wort „Widerruf", sondern das Wort „Widerspruch" verwendet. Aus den Umständen konnte die Beklagte jedoch ohne Weiteres entnehmen, dass ein Widerruf gemeint war. Schließlich hat die Beklagte die Erklärung ausweislich ihres Antwortschreibens vom 04.02.2021 auch in diesem Sinne verstanden (falsa demonstratio non nocet).

(2) Die Widerrufsfrist war am 21.01.2021 noch nicht abgelaufen.

(i) Die allgemeine Widerrufsfrist von 14 Tagen (§§ 355 Abs. 2 Satz 1, 312g Abs. 1 BGB) hatte gem. § 356 Abs. 3 S. 1 BGB noch nicht zu laufen begonnen, weil die Beklagte den Kläger nicht ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht unterrichtet hatte.

Grundvoraussetzung für eine ordnungsgemäße Belehrung über die Bedingungen für die Ausübung des Widerrufsrechts gem. Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB ist die Belehrung darüber, dass ein Widerrufsrecht überhaupt besteht. Die Beklagte hat durch die Gestaltung des Bestellformulars, wonach bei Ankreuzung des Kästchens zur Personalisierung durch das Messingschild ein Widerrufsrecht nach Lieferung ausgeschlossen sei, jedoch den unzutreffenden Eindruck erweckt, dass ein Widerrufsrecht im konkreten Fall jedenfalls nach Lieferung nicht mehr bestehe. Dieser unmittelbar durch die Bestellurkunde erweckte unzutreffende Eindruck wird auch nicht dadurch ausgeräumt, dass die Voraussetzungen eines Ausschlusses des Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB in der Widerrufsbelehrung in abstrakter Weise korrekt dargestellt worden sind.

Darüber hinaus ist die Widerrufsbelehrung jedoch auch deshalb fehlerhaft, weil entgegen Art. 246a § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EBGBG die Anschrift der Beklagten nicht angegeben ist. Insofern weicht die Widerrufsbelehrung auch von dem Muster nach Anlage 1 zu Artikel 246a § 1 Abs. 2 S. 2 EGBGB ab, nach dessen Gestaltungshinweis Nr. 2 in die Widerrufsbelehrung den Namen, die Anschrift, die Telefonnummer und die E-Mail-Adresse des Unternehmers einzutragen sind.

(ii) Die Ausschlussfrist gem. §§ 356 Abs. 3 S. 2 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 lit. a BGB von zwölf Monaten und 14 Tagen ab Lieferung war zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung im Januar 2021 noch nicht verstrichen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG München: Brauerei Paulaner darf Bezeichnung "PAULANER Spezi" weiterhin verwenden - markenrechtliche Abgrenzungsvereinbarung gilt im Regelfall zeitlich unbegrenzt

LG München
Urteil vom 11.10.2022
33 O 10784/21


Das LG München hat entschieden, dass Paulaner die Bezeichnung "PAULANER Spezi" weiterhin für ein Mischgetränk aus Limonade und Cola verwenden darf. Die Brauereien Riegele und Paulaner hatten in der Vergangenheit eine markenrechtliche Abgrenzungsvereinbarung geschlossen, an dies sich Riegele nach einer Kündigungserklärung nicht mehr gebunden fühlte. Markenrechtliche Abgrenzungsvereinbarungen gelten - wie das Gericht ausführt - im Regelfall zeitlich unbegrenzt und können nicht ordentlich gekündigt werden. Für eine außerordentliche Kündigung bestand kein Grund.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
„Spezi“
Die auf Marken- und Wettbewerbsrecht spezialisierte 33. Zivilkammer des Landgerichts München I hat mit Urteil vom 11.10.2022 festgestellt, dass die zwischen zwei Brauereien getroffene Vereinbarung zur Berechtigung der Nutzung der Bezeichnung „PAULANER Spezi“ für ein Mischgetränk aus Limonade und Cola aus dem Jahr 1974 fortbesteht (Az. 33 O 10784/21).

Damit darf die Klägerin die Bezeichnung „PAULANER Spezi“ weiter nutzen.

Die beklagte Brauerei aus Augsburg hatte vorgerichtlich die Rechtsnachfolge der Klägerin hinsichtlich des Vertrags von 1974 bezweifelt und zudem die Kündigung der Vereinbarung erklärt. Sie begehrte den Abschluss einer neuen Lizenzvereinbarung. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit einer Feststellungsklage.

Dieser gab das Landgericht München I heute statt.

Die Kammer erkannte die klägerische Brauerei als Rechtsnachfolgerin an. Zudem erachtete sie die Vereinbarung von 1974 als weiterhin wirksam und fortbestehend.

Zur Überzeugung des Gerichts ist die Vereinbarung von 1974 nicht als Lizenzvertrag, sondern als Koexistenz- und Abgrenzungsvereinbarung auszulegen. Hierfür spreche bereits, so die Kammer, dass die ursprünglich vorgesehene Überschrift des Vertragsdokuments noch vor Vertragsunterzeichnung von „Lizenzvertrag“ in „Vereinbarung“ abgeändert worden sei, sowie weitere Begleitumstände des Vertragsschlusses. So sei mit der Vereinbarung aus dem Jahr 1974 eine endgültige Beilegung bestehender Streitigkeiten zwischen den Parteien beabsichtigt gewesen. Im Vertrauen auf die endgültige Beilegung habe die Klägerin erhebliche Investitionen in den Aufbau ihrer Marke getroffen.

Nach Auffassung des Gerichts sind markenrechtliche Koexistenz- und Abgrenzungsvereinbarungen - im Gegensatz zu Lizenzverträgen - nicht ordentlich kündbar. Denn die Schutzdauer eingetragener Markenrechte könne durch einfache Gebührenzahlung unbegrenzt verlängert werden, so die Kammer.

Das berechtigte Bedürfnis nach einer Abgrenzung der Benutzungsbefugnisse für (tatsächlich oder vermeintlich) verwechslungsfähige Zeichen bestehe deshalb ebenfalls regelmäßig zeitlich unbegrenzt, zumal wenn – wie im Streitfall – mit dem Abschluss der Koexistenz- bzw. Abgrenzungsvereinbarung eine endgültige Beilegung bestehender Meinungsverschiedenheiten beabsichtigt worden sei, und die Parteien im Anschluss an diese Vereinbarung im Vertrauen auf deren Bestand vorhersehbar erhebliche Investitionen in ihren jeweiligen Markenaufbau getätigt hätten.

Für eine außerordentliche Kündigung durch die Beklagte habe die Klägerin keinen Anlass gegeben, so die Kammer, da sie sich stets vertragstreu verhalten habe.

Das Gericht führt hierzu in seinem Urteil aus: „Die Klägerin hält die vertraglichen Vereinbarungen unbestritten ein, und Jahrzehnte nach Abschluss der Vereinbarung eingetretene Vertragsreue als Ausfluss des Wunsches der Beklagten, am beachtlichen wirtschaftlichen Erfolg der Klägerin zu partizipieren, stellt keinen wichtigen Grund im Rechtssinne dar.“

Die im Rahmen einer Widerklage geltend gemachten markenrechtlichen Ansprüche der Beklagten auf Unterlassung, Auskunft und Schadenersatz wies die Kammer wegen des Fortbestehens der Vereinbarung aus dem Jahr 1974 zwischen den Parteien als unbegründet zurück.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.


BGH: Arzt muss Bezugnahme auf von ihm erfolgte öffentliche Fachaussage in einer Werbeanzeige hinnehmen sofern keine geschäftliche Verbindung suggeriert wird

BGH
Urteil vom 28.07.2022
I ZR 171/21
Reizdarmsyndrom
BGB § 12, § 823 Abs. 1, Abs. 2, § 1004 Abs. 1 Satz 2


Der BGH hat entschieden, dass ein Arzt die Bezugnahme auf eine von ihm erfolgte öffentliche Fachaussage in einer Werbeanzeige hinnehmen muss, sofern diese für einen Durchschnittsleser keine geschäftliche Verbindung zwischen Arzt und Werbenden suggeriert.

Leitsatz des BGH:
Ein Arzt, der sich mit Fachaussagen selbst in die Öffentlichkeit begeben hat, muss eine Bezugnahme auf diese Fachaussagen in einer Werbeanzeige im Regelfall hinnehmen, soweit er mit den ihm zugeschriebenen Fachaussagen zutreffend zitiert wird und ihn der Durchschnittsleser nicht in einen Zusammenhang mit dem beworbene Produkt bringt, indem dieser etwa von "bezahlten" Äußerungen oder sonstigen geschäftlichen Verbindungen ausginge.

BGH, Urteil vom 28. Juli 2022 - I ZR 171/21 - OLG Köln - LG Köln

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Wort "Rechtsanwalt" ohne Namensangabe ist keine einfache Signatur im Sinne von § 130 a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 ZPO

BGH
Beschluss vom 07.09.2022
XII ZB 215/22
ZPO § 130 a Abs. 3 und 4


Der BGH hat entschieden, dass das Wort "Rechtsanwalt" ohne Namensangabe keine einfache Signatur im Sinne von § 130 a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 ZPO ist.

Leitsatz des BGH:
Die einfache Signatur im Sinne des § 130 a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 ZPO meint die einfache Wiedergabe des Namens am Ende des Textes, beispielsweise bestehend aus einem maschinenschriftlichen Namenszug unter dem Schriftsatz oder einer eingescannten Unterschrift. Nicht genügend ist das Wort „Rechtsanwalt“ ohne Namensangabe (im Anschluss an BAGE 172, 186 = NJW 2020, 3476 und BSG NJW 2022, 1334).

BGH, Beschluss vom 7. September 2022 - XII ZB 215/22 - OLG Düsseldorf - AG Düsseldorf

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH-Generalanwalt: Anspruch auf Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO setzt tatsächlichen materiellen oder immateriellen Schaden voraus - Kein Strafschadensersatz

EuGH-Generalanwalt
Schlussanträge vom 06.10.2022
C‑300/21
UI gegen Österreichische Post AG


Der EuGH-Generalanwalt kommt in seinen Schlussanträgen zu dem Ergebnis, dass ein Anspruch auf Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO einen tatsächlichen materiellen oder immateriellen Schaden voraussetzt.

Das Ergebnis des EuGH-Generalanwalts:
Art. 82 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) ist wie folgt auszulegen:

Für die Anerkennung eines Anspruchs auf Ersatz des Schadens, den eine Person infolge eines Verstoßes gegen die genannte Verordnung erlitten hat, reicht die bloße Verletzung der Norm als solche nicht aus, wenn mit ihr keine entsprechenden materiellen oder immateriellen Schäden einhergehen.

Der in der Verordnung 2016/679 geregelte Ersatz immaterieller Schäden erstreckt sich nicht auf bloßen Ärger, zu dem die Verletzung ihrer Vorschriften bei der betroffenen Person geführt haben mag. Es ist Sache der nationalen Gerichte, herauszuarbeiten, wann das subjektive Unmutsgefühl aufgrund seiner Merkmale im Einzelfall als immaterieller Schaden angesehen werden kann.

Die vollständigen Schlussanträge finden Sie hier:


BMDV: Referentenentwurf der Einwilligungsverwaltungs-Verordnung (EinwVO) nach § 26 Abs. 2 TTDSG - Einwilligung für Speichern von Informationen nach § 25 Abs.1 TTDSG

Das BMDV hat den Referentenentwurf der Einwilligungsverwaltungs-Verordnung (EinwVO) nach § 26 Abs. 2 TTDSG vorgelegt.

Aus dem Entwurf:
A. Problem und Ziel
In § 26 Telekommunikation-Telemedien-Datenschutzgesetz (TTDSG) wurde ein Rechtsrahmen für die Anerkennung von Diensten geschaffen, die nutzerfreundliche und wettbewerbskonforme Verfahren zur Einholung und Verwaltung der nach § 25 Absatz 1 TTDSG erforderlichen Einwilligung in das Speichern von Informationen auf Endeinrichtungen der Endnutzer oder in den Abruf von Informationen, die bereits auf Endeinrichtungen gespeichert sind, ermöglichen. Unabhängige Dienste zur Einwilligungsverwaltung sollen es den Endnutzern unter Mitwirkung von Software zum Abrufen und Darstellen von Informationen aus dem Internet (in der Regel Browser) und der verantwortlichen Telemedienanbieter ermöglichen, über die erforderliche Einwilligung in den Zugriff auf ihre Endeinrichtungen durch Dritte in informierter Weise zu entscheiden. Vor allem geht es dabei um die Einwilligung in Cookies oder ähnliche Technologien, die von Telemedienanbietern zum Zwecke der Ausspielung von Werbung eingesetzt werden. Ziel ist die Überwindung der derzeitigen Praxis der Telemedienanbieter, die einzelnen Einwilligungen bei jedem Besuch der Webseite mittels sog. Einwilligungs-Cookie-Banner einzuholen. Diese Praxis überfordert die meisten Endnutzer. Durch die Einbindung anerkannter Dienste zur Einwilligungsverwaltung soll für die Endnutzer eine anwenderfreundliche Alternative zur bisherigen Praxis geschaffen und die Endnutzer von vielen Einzelentscheidungen entlastet werden. § 26 Absatz 2 TTDSG ermächtigt die Bundesregierung, durch Rechtsverordnung Anforderungen an das nutzerfreundliche und wettbewerbskonforme Verfahren der Einwilligungsverwaltung und technische Anwendungen, an das Verfahren der Anerkennung von Diensten der Einwilligungsverwaltung und die technischen und organisatorischen Anforderungen an Browser-Software und Telemedienanbieter zur Befolgung von Endnutzer-Einstellungen und Berücksichtigung von anerkannten Diensten zu regeln. Mit dieser Verordnung soll diese Ermächtigung umgesetzt werden.

B. Lösung
Die Einw-VO enthält die Anforderungen, bei deren Einhaltung die Erteilung einer wirksamen Einwilligung in das Speichern von Informationen auf Endeinrichtungen sowie in den Abruf von Informationen, die auf Endeinrichtungen gespeichert sind, in nutzerfreundlicher und wettbewerbskonformer Weise möglich ist. Damit können wiederholende Aufforderungen zur Erteilung von Einwilligungen insbesondere beim Besuch von Webseiten und die damit verbundene Belastung der Endnutzer vermieden werden. Zugleich wird sichergestellt, dass Telemedienanbieter, die im Rahmen ihrer Geschäftsmodelle Einwilligungen benötigen,diese durch Dienste zur Einwilligungsverwaltung auch wirksam und nachweisbar erhalten können und nicht diskriminiert werden.


Sie finden den vollständigen Entwurf hier:
Referentenentwurf - Verordnung zur Regelung eines nutzerfreundlichen und wettbewerbskonformen Verfahrens zur Einwilligungsverwaltung, zur Anerkennung von Diensten und zu technischen und organisatorischen Maßnahmen nach § 26 Absatz 2 Telekommunikation-Telemedien-Datenschutzgesetz (Einwilligungsverwaltungs-Verordnung – EinwVO)


LG Berlin: Mieter hat Anspruch auf immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO gegen Vermieter wegen datenschutzwidriger Videoüberwachung des Innenhofs

LG Berlin
Urteil vom 15.07.2022
63 O 213/20

Das LG Berlin hat entschieden, dass ein Mieter einen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO gegen den Vermieter bei datenschutzwidriger Videoüberwachung des Innenhofs zusteht. Die Höhe richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls.

BMWK: Referentenentwurf Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz - Gesetz zur Verbesserung der Wettbewerbsstrukturen und zur Abschöpfung von Vorteilen aus Wettbewerbsverstößen

Das BMWK hat den Referentenentwurf des Gesetzes zur Verbesserung der Wettbewerbsstrukturen und zur Abschöpfung von Vorteilen aus Wettbewerbsverstößen (Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz) veröffentlicht

Aus der Entwurfsbegründung:

A. Problem und Ziel
Das Instrument der Sektoruntersuchung ermöglicht den Kartellbehörden die Gewinnung wichtiger Erkenntnisse über die Wettbewerbsverhältnisse auf den untersuchten Märkten. Aktuell haben viele Untersuchungen jedoch eine lange Verfahrensdauer. Dies erschwert es, auf die festgestellten Wettbewerbsprobleme zu reagieren und wirkt sich negativ auf die
Aktualität und Verwendbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse aus. Allerdings enden Sektoruntersuchungen bisher in der Regel mit einem Bericht der Kartellbehörde; die Ergreifung von Abhilfemaßnahmen ist nicht per se vorgesehen, sondern kann – genauso wie ohne vorangehende Sektoruntersuchung – nur verstoßabhängig erfolgen.

Die derzeit existierenden kartellrechtlichen Instrumente setzen im Wesentlichen am Verhalten der Unternehmen an. Voraussetzung für einen kartellbehördlichen Eingriff ist in der Regel ein Rechtsverstoß oder ein zur Fusionskontrolle anmeldepflichtiges Zusammenschlussvorhaben. Bestehende wettbewerbslose oder in ihrer Funktionsfähigkeit gestörte wettbewerbliche Strukturen sind bislang in Ermangelung eines Rechtsverstoßes oder anmeldepflichtigen Zusammenschlusses nicht Gegenstand kartellbehördlicher Maßnahmen. Stark konzentrierte bzw. oligopolistische Märkte, die etwa durch fusionskontrollfreie Unternehmenskäufe, Marktaustritte oder internes Wachstum entstanden sind, oder geringer (potentieller) Wettbewerb aufgrund erheblicher Marktzutrittsschranken können aktuell mit kartellrechtlichen Mitteln nicht angemessen adressiert werden.

Aufgrund der Dauer vieler Sektoruntersuchungen und der unzureichenden Befugnisse, die Ergebnisse auch unabhängig von etwaigen Kartellrechtsverstößen zur Anordnung von verbindlichen Maßnahmen zu nutzen, bleibt das Instrument der Sektoruntersuchung damit insgesamt hinter seinen Möglichkeiten zurück. Um weitere Anreize gegen Kartellrechtsverstöße zu setzen, wurde 1999 mit § 34 das Instrument der kartellrechtlichen Vorteilsabschöpfung geschaffen. Die derzeitigen rechtlichen
Hürden für die Vorteilsabschöpfung sind gemessen am gesamtwirtschaftlichen Schaden der Verstöße sehr hoch. In der Praxis kommt die Norm daher nicht zur Anwendung. Mit der Verordnung (EU) Nr. 2022/ (Digital Markets Act oder „DMA“) wurde ein Regelwerk geschaffen, das darauf abzielt, bestreitbare und faire Märkte im digitalen Sektor im Binnenmarkt zu sichern. Die Durchsetzung dieser Verordnung obliegt grundsätzlich der Europäischen Kommission als alleinige Durchsetzungsbehörde. Zugleich eröffnet der DMA gewisse Spielräume für den nationalen Gesetzgeber, um im Sinne des „effet utile“ einen ergänzenden Beitrag zur effektiven Durchsetzung der Verordnung zu leisten.

B. Lösung
Dem Instrument der Sektoruntersuchung soll zu einer höheren Wirksamkeit verholfen werden. Neben einer zeitlichen Straffung des Verfahrens soll dies insbesondere dadurch erreicht werden, dass dem Bundeskartellamt die Befugnis erhält, im Anschluss an eine Sektoruntersuchung verhaltensbezogene und strukturelle Abhilfemaßnahmen anzuordnen, wenn eine erhebliche, andauernde oder wiederholte Störung des Wettbewerbs vorliegt. Für den Fall, dass andere Abhilfemaßnahmen nicht ausreichen, sieht der Gesetzentwurf als ultima ratio die Möglichkeit einer Entflechtung vor.

Mit Blick auf die Vorteilsabschöpfung wird die Anwendbarkeit der Norm für die Kartellbehörden vereinfacht bzw. werden die Nachweisanforderungen im Hinblick auf den konkret erlangten Vorteil abgesenkt, damit wirtschaftliche Vorteile, die durch Kartellrechtsverstöße erlangt wurden, nicht bei den Unternehmen verbleiben, welche die Verstöße begangen haben.

Um die effektive Durchsetzung des DMA zu unterstützen, wird das Bundeskartellamt ermächtigt, Untersuchungen mit Blick auf Verstöße gegen die Artikel 5, 6 und 7 DMA vornehmen zu können. Darüber hinaus werden die Vorschriften zur Erleichterung der privaten Rechtsdurchsetzung in Kartellsachen, dort wo es geboten erscheint, hinsichtlich der Artikel 5, 6 und 7 DMA für anwendbar erklärt.

Den vollständigen Entwurf finden Sie hier:


AG Frankenthal: Kein Anscheinsbeweis dass eBay-Auktion durch Accountinhaber erstellt wurde wenn Umstände auf rechtswidrige Nutzung durch Dritten hindeuten

AG Frankenthal
Urteil vom 28.09.2022
3c C 113/22

Das AG Frankenthal hat entschieden, dass kein Anscheinsbeweis dafür besteht, dass eine eBay-Auktion durch den Accountinhaber erstellt wurde, wenn Umstände auf eine rechtswidrige Nutzung durch einen Dritten hindeuten.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Entscheidung des Monats Oktober

Leitsatz:
Ein Anscheinsbeweis dahingehend, dass eine Ebay-Versteigerung durch den Accountinhaber initiiert wurde, greift jedenfalls dann nicht, wenn sich dem Käufer aufgrund anderer Umstände der Verdacht aufdrängen musste, der Account könnte von Dritten rechtswidrig genutzt worden sein. (Hier: Email mit ungewöhnlichem, zweifelhaften Abwicklungsvorschlag)

Sachverhalt:
Der Beklagte unterhielt einen eBay Account unter dem Namen „m.“. Unter diesem Account und unter der Auktionsnummer # 294163479699 wurde ein Rennrad „Cervelo s5 2019 — RH 56 cm — Gr. L / 1,75-1,85 zum Preise von 2.765,00 € zum Kauf angeboten. Der Kläger macht geltend, er sei zum Zeitpunkt des Auktionsende Höchstbietender gewesen, sodass zwischen den Parteien ein Kaufvertrag zustande gekommen sei. Gleichwohl habe der Beklagte das Fahrrad trotz mehrfacher Aufforderungen nicht ausgeliefert, sondern es vielmehr ab dem 11.5.2021 erneut anderweitig angeboten. Mit der weiteren Behauptung, das Fahrrad habe angesichts der sehr geringen Laufleistung einen Zeitwert von mindestens 4.500 € gehabt, macht der Kläger einen Nichterfüllungsschaden in Höhe von 1.735 € geltend.

Der Beklagte bringt vor, er habe keine entsprechende Auktion gestartet, sodass zwischen den Parteien auch kein Kaufvertrag zustande gekommen sein könne. Sein Account sei von einem unbekannten Dritten gehackt worden. Die eBay GmbH habe ihm mitgeteilt, sein Konto sei bereits am 19.5.2021 (Anmerkung: also nach der oben genannten Versteigerungsaktion) geschlossen worden. Aus dem aufgrund seiner Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft E. unter Aktenzeichen (…) geführten Ermittlungsverfahren ergebe sich, dass der wahre Vertragspartner des Klägers ein Herr J. sei.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Klage ist unbegründet. Das Gericht kann nicht zu seiner Überzeugung feststellen, dass zwischen den Parteien ein Kaufvertrag gem. § 433 BGB zustande gekommen wäre, dessen Erfüllung der Kläger verlangen könnte. Der Kläger blieb hierfür beweisfällig. Andere zugunsten des Klägers streitende Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich. Die Beweislast für das Zustandekommen eines Vertrages, aus dem Ansprüche hergeleitet werden sollen, trägt nach den allgemeinen Regeln der Kläger. Beweis dafür, dass der Beklagte selbst das Verkaufsangebot bei eBay eingestellt hatte oder dieses mit dessen Kenntnis und Willen dort von einem Dritten eingestellt wurde, bietet der Kläger nicht an. Zu seinen Gunsten streitet auch nicht deshalb ein Anscheinsbeweis, weil ein eBay-Account des Beklagten verwendet wurde. Es fehlt insoweit bereits an einem typischen Geschehensablauf, weil der Sicherheitsstandard im Internet derzeit nicht ausreichend ist. Für eine Zurechnung reicht es nicht bereits aus, dass der Kontoinhaber evtl. die Zugangsdaten nicht hinreichend vor dem unberechtigten Zugriff des Handelnden geschützt hat. Auch eine von eBay gestellte und von jedem registrierten Nutzer akzeptierte Formularklausel, wonach Mitglieder grundsätzlich für sämtliche Aktivitäten haften, die unter Verwendung ihres Mitgliedskontos vorgenommen werden, begründet keine Haftung des Kontoinhabers gegenüber Auktionsteilnehmern (BGH, Urteil vom 11.05.2011, VIII ZR 289/09, juris; OLG Hamm, Urteil vom 16.11.2006, Az. 28 U 84/06, NJW 2007,611; Neubauer/Steinmetz, Handbuch des Multimediarechts, 2022, Teil 14, Internetauktionen, Rn. 58 f.). Selbst wenn zu Vorstehendem eine andere Auffassung vertreten würde, wäre ein zugunsten des Kläger in Betracht kommender Anscheinsbeweis jedenfalls erschüttert. Der Kläger selbst legt nämlich mit der Anlage zur Anspruchsbegründung auch eine Nachricht vor, die zwar die Absenderkennung des Beklagten trägt, jedoch den Empfänger mit dem fadenscheinigen Zusatz, der Absender der Nachricht habe „auf die letzte Auszahlung über drei Wochen (…) warten müssen“ darum bittet, „nicht direkt an eBay zu zahlen“, sondern eine Telefonnummer „[...]“ anzurufen. Bereits hier drängt sich der Verdacht eines Betrugsversuchs auf. Der Beklagte hat darüber hinaus unter Hinweis auf das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens dargelegt, nicht Inhaber der genannten Telefonnummer zu sein.


LG Berlin: Vertragswidrige Erhöhung der Abschläge durch Energieversorger wenn diese nicht auf wirksamer Preiserhöhung beruht

LG Berlin
Urteil vom 01.09.2022
52 O 117/22

Das LG Berlin hat entschieden, dass die Erhöhung der Abschläge durch einen Energieversorger vertragswidrig ist, wenn diese nicht auf einer wirksamen Preiserhöhung beruht..

Aus den Entscheidungsgründen:
Die streitgegenständlichen geschäftlichen Handlungen der Beklagten sind im Sinne von § 8 Abs. 1 S. 1 UWG unzulässig. Für die Wiederholungsgefahr besteht aufgrund der von der Beklagten begangenen Handlungen jeweils eine tatsächliche Vermutung, die die Beklagte nicht durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung beseitigt hat.

1. Die mit den E-Mails vom 22.10.2022 und 23.10.2022 angekündigte Erhöhung der von ihren Kunden zu leistenden Abschlagszahlungen war gemäß § 3 UWG unzulässig, weil die Beklagte unlauter im Sinne von $ 5 Abs. 1(bis 28.05.2022: S. 1) UWG gehandelt hat. Unlauter handelt danach, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Gemäß § 5 Abs. 2 (bis 28.05.2022: S. 1) Nr. 2 UWG ist eine geschäftliche Handlung irreführend, wenn sie unwahre Angaben enthält oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über den Anlass des Verkaufs wie das Vorhandensein eines besonderen Preisvorteils, den Preis oder die Art und Weise, in der er berechnet wird, oder die Bedingungen, unter denen die Ware geliefert oder die Dienstleistung erbracht wird.

[…]

c) Die trotz einer nicht erfolgten Preiserhöhung und einer damit fehlenden Möglichkeit die Abschlagszahlungen versendeten E-Mails mit der Ankündigung, dies - vertragswidrig - zu tun, waren geeignet, die angeschrieben Kunden zu einer geschäftlichen Entscheidung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG (§ 2 Abs. 1 Nr. 9 UWG a.F.) zu veranlassen, die sie sonst nicht getroffen hätten. Es bestand die Gefahr, dass sie trotz einer fehlenden Verpflichtung hierzu den Einzug der höheren Abschlagszahlungen dulden würden. Die unwahre Angabe der Beklagten betraf im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 2 UWG die Bedingungen, unter denen der Strom geliefert wurde.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Köln: Urheberrechtlicher Schutz für Zeichnungen auf Donutverpackung als Werk der angewandten Kunst nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG

LG Köln
Urteil vom 03.02.2022
14 O 392/21


Das LG Köln hat im vorliegenden Fall, den urheberrechtlicher Schutz für Zeichnungen auf einer Donutverpackung als Werk der angewandten Kunst nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG bejaht.

Aus den Entscheidungsgründen:
a) Es handelt sich bei den streitgegenständlichen Grafiken, Zeichnungen bzw. Darstellungen, die auf der streitgegenständlichen Donutverpackung ersichtlich sind (im Weiteren: „Zeichnungen“) um geschützte Werke der angewandten Kunst gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG. Die Donutverpackung selbst, die von der Verfügungsklägerin ausweislich ihres Antrags als primäre Grundlage ihres Unterlassungsbegehrens anzusehen ist, ist überdies als Sammelwerk gem. § 4 Abs. 1 UrhG geschützt. Es handelt sich jeweils um eine persönliche geistige Schöpfung im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG.

Die Kammer hat keinen Zweifel an der Schutzfähigkeit der hier gegenständlichen Zeichnungen. An den Urheberrechtsschutz von Werken der angewandten Kunst sind grundsätzlich keine anderen Anforderungen zu stellen als an den Urheberrechtsschutz von Werken der zweckfreien bildenden Kunst oder des literarischen und musikalischen Schaffens. Es genügt daher, dass sie eine Gestaltungshöhe erreichen, die es nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise rechtfertigt, von einer „künstlerischen“ Leistung zu sprechen. Es ist zu berücksichtigen, dass die ästhetische Wirkung der Gestaltung einen Urheberrechtsschutz nur begründen kann, soweit sie nicht dem Gebrauchszweck geschuldet ist, sondern auf einer künstlerischen Leistung beruht. Eine eigene geistige Schöpfung des Urhebers setzt voraus, dass ein Gestaltungsspielraum besteht und vom Urheber dafür genutzt wird, seinen schöpferischen Geist in origineller Weise zum Ausdruck zu bringen (BGH, Urteil vom 13. November 2013 – I ZR 143/12 –, juris Rn. 26, 41 – Geburtstagszug). Ähnliches gilt nach der Rechtsprechung des EuGH: Für eine Einstufung eines Objekts als Werk müssen zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen muss es sich bei dem betreffenden Gegenstand um ein Original in dem Sinne handeln, dass er eine eigene geistige Schöpfung seines Urhebers darstellt (EuGH, ZUM 2019, 56 Rn. 36 – Levola Hengelo; ZUM 2019, 834 Rn. 29 – Cofemel; ZUM 2020, 609 Rn. 22 – Brompton). Ein Gegenstand kann erst dann, aber auch bereits dann als ein Original in diesem Sinne angesehen werden, wenn er die Persönlichkeit seines Urhebers widerspiegelt, indem er dessen freie kreative Entscheidung zum Ausdruck bringt. Wurde dagegen die Schaffung eines Gegenstands durch technische Erwägungen, durch Regeln oder durch andere Zwänge bestimmt, die der Ausübung künstlerischer Freiheit keinen Raum gelassen haben, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Gegenstand die für die Einstufung als Werk erforderliche Originalität aufweist (EuGH ZUM 2019, 834 Rn. 30 f. – Cofemel; ZUM 2020, 609 Rn. 23 f. – Brompton). Zum anderen ist die Einstufung als Werk Elementen vorbehalten, die eine solche Schöpfung zum Ausdruck bringen (EuGH ZUM 2019, 56 Rn. 37 – Levola Hengelo; ZUM 2019, 834 Rn. 29 – Cofemel; ZUM 2020, 609 Rn. 22 – Brompton). Dafür ist ein mit hinreichender Genauigkeit und Objektivität identifizierbarer Gegenstand Voraussetzung (EuGH, ZUM 2019, 834 Rn. 32 – Cofemel; ZUM 2020, 609 Rn. 25 – Brompton), auch wenn diese Ausdrucksform nicht notwendig dauerhaft sein sollte (EuGH ZUM 2019, 56 Rn. 40 – Levola Hengelo).

Alle hier zu bewertenden (Einzel-) Zeichnungen stellen nach diesen Anforderungen eine solche künstlerische Leistung dar, die freie kreative Entscheidungen der Urheberin manifestieren. Die Zeichnungen der einzelnen Produkte, v.a. Donuts und anderes Gebäck, bilden zwar Produkte der realen Welt ab. Sie weisen aber eine zeichnerische Gestaltung auf, die gerade nicht nur dem Gebrauchszweck dient, sondern durch Auswahl verschiedener Perspektiven auf die jeweiligen Produkte, verschiedener Akzentuierung einzelner Merkmale der Donuts sowie mitunter einer individuellen Farbauswahl einzelner Merkmale eine ausreichende Originalität aufweisen. Zudem ist zu beachten, dass alle Zeichnungen bei einer Gesamtbetrachtung einem gemeinsamen individuellen Stil folgen, der an ein in sich geschlossenes „Comic“-Thema erinnert. Auch die Gestaltungsweise, dass demnach alle einzelnen Zeichnungen – wie sie auf der Donutverpackung auch gemeinsam dargestellt sind – als zusammen gehörig erscheinen, unterstreicht den künstlerischen Charakter der Werke. Hieraus wird auch deutlich, dass die Verfügungsklägerin im Einzelnen Gestaltungsspielräume hatte und diese ausnutzte.

Bei der Verkaufsverpackung insgesamt ist noch ergänzend zu beachten, dass die Positionierung der einzelnen Zeichnungen in dem Sammelwerk individuelle Züge und einen hohen, offensichtlich ausgenutzten Gestaltungsspielraum aufweist. Es ist nicht aufgezeigt oder sonst ersichtlich, dass die Anordnung der einzelnen Elemente auf der Gesamtzeichnung zwingenden Regeln folgt. So sind die einzelnen Elemente teils überlappend, teils freigestellt, womit eine individuelle Platzierung mit gestalterischer Intention offenbar wird. Insoweit ist auch die Auswahl der einzelnen Zeichnungen, wobei neben den Donuts bzw. Gebäckspezialitäten noch das antike Automobil mit „Donutreifen“ sowie die Spritzen offenbar frei gewählt sind, ein wichtiger Aspekt, der dem Sammelwerk Schutz verleiht. Wenn die Verfügungsbeklagte hierin im konkreten Fall gerade keine persönliche geistige Schöpfung erkennen will, verkennt sie den maßgeblichen Maßstab der notwendigen Schutzhöhe, wonach grundsätzlich auch die sog. „kleine Münze“ geschützt ist. Eine besondere Gestaltungshöhe wird gerade nicht gefordert (vgl. für Werke der angewandten Kunst: BGH, Urteil vom 13. November 2013 – I ZR 143/12, – Geburtstagszug).

Soweit die Verfügungsbeklagte zu 2) an dieser Stelle zunächst einwendet, dass die Donuts bzw. Gebäckspezialitäten seine „Kreationen“ seien (eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers des Verfügungsbeklagten zu 2, Bl. 445 GA), so bedarf es hiermit keiner tiefergehenden Auseinandersetzung. Zum einen erscheint die Glaubhaftmachung des Geschäftsführers des Verfügungsbeklagten zu 2) bereits zu pauschal, um für jedes durch Zeichnungen auf der Donutverpackung abgebildete Gebäckstück eine urheberrechtliche Prüfung vorzunehmen. Es wird dabei durchgehend nur generisch von Kreationen (bzw. von hier nicht unmittelbar streitgegenständlichen Lichtbildern) gesprochen, ohne mit Blick auf den Streitgegenstand eine konkrete Aussage zu treffen, was er wann und unter welchen Umständen geschaffen haben mag. Auch hierauf kommt es jedoch nicht an. Denn nach den obigen Ausführungen kann sich die Verfügungsklägerin bereits auf den Schutz eines Sammelwerks stützen, das nach dem Wortlaut von § 4 UrhG aufgrund der Auswahl oder Anordnung der Elemente eine persönliche geistige Schöpfung ist. Die einzelnen Elemente sind auch ausreichend unabhängig voneinander, weil sie voneinander getrennt werden können, ohne dass der Wert ihres künstlerischen oder sonstigen Inhalts dadurch beeinträchtigt wird (Schricker/Loewenheim/Leistner, 6. Aufl. 2020, UrhG § 4 Rn. 18 m.w.N. aus der Rspr.).

Dass die Verfügungsbeklagte zu zu 2) bzw. ihr Geschäftsführer der Verfügungsklägerin gerade bei der Auswahl der einzelnen Zeichnungen oder bei der Anordnung der einzelnen Elemente auf der Verpackung eine eindeutige Vorgabe gemacht hätte, ist nicht ersichtlich. Die Verfügungsbeklagte zu 2) selbst legt WhatsApp-Nachrichten vor, ausweislich derer die Verfügungsklägerin offenbar – mit Ausnahme des Markenzeichens und der Farbanweisung „dominieren sollen pink rosa gold“ – freie Hand bei der Gestaltung hatte („du machst aus dieser Datei etwas abgefahrenes und tobst dich aus“ oder „dann ist dieses Kunstwerk das du da schaffst einfach eine Box die man zusammenfalten kann“, S. 31 des Schriftsatzes der Verfügungsbeklagten zu 2) vom 29.11.2022, Bl. 427 GA). Die Verfügungsklägerin macht diese Freiheit bei der Auswahl und Anordnung der Motive ergänzend glaubhaft in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 14.12.2021, Bl. 505 GA.

Unerheblich sind im hiesigen Einzelfall demnach die den Großteil des schriftsätzlichen Vortrags der Verfügungsbeklagten zu 2) ausmachenden Ausführungen und Darstellungen zur angeblichen Übereinstimmung der Zeichnungen der Verfügungsklägerin mit den „Gebäckwerken“ bzw. mit Lichtbildern, die diese Gebäckstücke als Motiv aufweisen. Selbst wenn man an dieser Stelle die Schutzfähigkeit solcher „Gebäckwerke“ unterstellt, geht die Kammer davon aus, dass die einzelnen Zeichnungen mindestens nach § 3 UrhG ein eigenständiges Bearbeiterurheberrecht der Verfügungsklägerin begründen würden. Dabei müsste jedoch in jedem Einzelfall zunächst vorrangig geprüft werden, ob nicht der nach § 23 Abs. 1 S. 2 UrhG beschriebene hinreichende Abstand gewahrt ist, was bejahendenfalls zu einem eigenständigen, freien Werk nach § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG führt. Ein solcher hinreichender Abstand dürfte etwa gegeben sein bei dem „Einhorn-Donut“ (siehe S. 31 des Schriftsatzes der Verfügungsbeklagten zu 2) vom 29.11.2022, Bl 389 GA), sodass auch die Verfügungsklägerin jedenfalls an einer Einzelzeichnung nicht nur als Bearbeiterin berechtigt ist. Unbestritten bleibt im Übrigen, dass das auf der Verpackung unten mittig ersichtliche antike Automobil mit „Donutreifen“ nicht auf einer Vorlage der Verfügungsbeklagten zu 2) beruht.

Mit Blick auf die Signifikanz der Auswahl und Anordnung der einzelnen Elemente bedarf es auch keiner näheren Auseinandersetzung mit dem von der Verfügungsklägerin dezidiert dargestellten Schaffensprozess der einzelnen Zeichnungen sowie der dahingehenden, auch mit Videos illustrierten Einwände der Verfügungsbeklagten zu 2), wonach hier maßgeblich die Ausnutzung der Wirkweise von Computersoftware vorliege, die keinen Schutz verdiene. Denn wiederum zeigt die Verfügungsbeklagte zu 2) nicht auf, dass die Verfügungsklägerin bei der Auswahl und der Anordnung der einzelnen Zeichnungen auf der Box nicht ihren „schöpferischen Geist“ in origineller Weise zum Ausdruck gebracht hat, sondern diesen Anknüpfungspunkt urheberrechtlichen Schutzes einem Dritten oder gar einem Computer überlassen hat. Demzufolge ist auch das Argument, das nach „Streichung“ von Bestandteilen aus dem Verpackungsdesign (wie dargestellt S. 61 des Schriftsatzes der Verfügungsbeklagten zu 2) vom 29.11.2022, Bl 419 GA) praktisch nichts Individuelles aus der Feder der Verfügungsklägerin verbleibe, rechtsirrig.

Soweit die Verfügungsbeklagte zu 2) eine Verletzung von Urheberrechten ihres Geschäftsführers durch die Anfertigung der Zeichnungen bzw. der Verpackung als Ganzes rügt, so ist dies ebenfalls an dieser Stelle unerheblich. Es steht dem Urheberrechtsschutz nicht entgegen, dass das Motiv der Zeichnung ggf. seinerseits urheberrechtlich geschützt ist; die Frage der Verwertung ist abstrakt von der Entstehung von Urheberrechtsschutz zu betrachten (vgl. Urteil der Kammer vom 01.07.2021 – 14 O 15/20, ZUM-RD 2021, 731, Rn. 34, zum Urheberrechtsschutz an einem Lichtbild, das ein geschütztes Werk der Architektur als Motiv hat). Selbst unterstellt, die Verfügungsklägerin hätte Werke des Geschäftsführers der Verfügungsbeklagten zu 2) vervielfältigt, so scheint sie hierzu beauftragt gewesen zu sein und hätte demnach nicht rechtswidrig gehandelt.

b) Die Verfügungsklägerin ist als Urheberin aktivlegitimiert. Die Erstellung der Donutverpackung und der darauf ersichtlichen Zeichnungen wird seitens der Verfügungsbeklagten zu 2) nicht bestritten, sondern eindeutig zugestanden. Das Bestreiten der Verfügungsbeklagten zu 1) mit Nichtwissen ist angesichts der ausführlichen Glaubhaftmachungsmittel der anderen Parteien unerheblich.

Die Verfügungsklägerin hat zur Überzeugung der Kammer auch nicht im Rahmen eines „total buyout“ vollständig die eigene Rechtsposition (allenfalls mit Ausnahme des Urheberpersönlichkeitsrechts) gegenüber der Verfügungsbeklagten zu 2) aufgeben und an diese übertragen.

aa) Angesichts des konkreten Streitgegenstandes – also der Nutzung des Verpackungsdesigns in einem Instagram-Posting der Verfügungsbeklagten zu 1) – bedarf es vorliegend keiner umfassenden Auslegung des Umfangs der Nutzungsrechteübertragung. Es ist jedoch zur Überzeugung der Kammer offensichtlich, dass es sich bei der Vereinbarung zwischen der Verfügungsklägerin und dem Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten zu 2) nicht um einen „total buyout“ an den Rechten betreffend die Verkaufsverpackung handelte.

Die Verfügungsklägerin hat durch eidesstattliche Versicherung vom 15.11.2021, Bl. 189 ff. GA glaubhaft gemacht, dass sie zum Zeitpunkt der Beauftragung zur Erstellung der Verkaufsverpackung durch den Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten zu 2) – wobei unklar bleibt, ob er bereits als Vertreter der Verfügungsbeklagten zu 2) tätig geworden ist, insbesondere ob diese als Unternehmen bereits existierte – im Februar 2020 nur Kenntnis von S Filialen in L, B, F und I2 gehabt habe. Eine ausdrückliche Nutzungsrechtsübertragung ist nicht erfolgt; der Umfang der Nutzungsrechtseinräumung wurde nicht schriftlich oder mündlich fixiert. Dieser letzte Umstand deckt sich weitestgehend mit der eidesstattlichen Versicherung des Geschäftsführers der Verfügungsbeklagten zu 2) vom 30.11.2021, Bl. 445 ff., der selbst beschreibt, dass er zu dieser Zeit kaum schriftliche Verträge abgeschlossen habe. Im Übrigen ergibt sich aus der eidesstattlichen Versicherung vom 30.11.2021 nur, dass der Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten zu 2) die Verfügungsklägerin mit der Erstellung einer Verkaufsbox „für alle Stores“ beauftragt habe. Er macht hingegen weder Angaben dazu, welche Stores es zu dieser Zeit bereits gegeben hatte, noch von welchen Stores die Verfügungsklägerin Kenntnis hatte, noch dass es sich bei seinem Unternehmen um ein im schnellen Wachstum befindliches Franchisesystem handelte. Auch aus der (wohl nachträglich verschickten) Nachricht bei Whatsapp, wonach die Box 50.000 Mal gedruckt werde, ergibt sich kein Rückschluss auf einen bestimmten vereinbarten Nutzungsumfang. Dabei hält die Kammer eine Druckauflage von 50.000 Stück schon bei nur vier Filialen für sehr gering, die bei einem gut laufenden Geschäft wohl nicht einmal für ein Jahr ausreichen dürfte. Im Weiteren schildert der Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten zu 2) einseitige Erwartungen und Vorstellungen, ohne mitzuteilen, dass er hierüber mit der Verfügungsklägerin auch tatsächlich bei (mündlichem oder konkludentem) Vertragsabschluss gesprochen hätte.

Auf dieser Grundlage ist von einer vollständigen Rechtsübertragung nicht auszugehen, zumal die Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast für eine derartige vertragliche Gestaltung bei den Verfügungsbeklagten liegt. Die Verfügungsbeklagte zu 2) vermag nicht konkret darzulegen, wann und mit welchem Inhalt eine ausdrückliche mündliche Vereinbarung zur Einräumung ausschließlicher (und außerdem unterlizensierbarer) Rechte erfolgt sein soll.

bb) Dasselbe gilt für eine ggf. mögliche konkludente Vereinbarung über die Lizenzierung von Werken der Verfügungsklägerin an Herrn T bzw. die S GmbH. Es fehlt jeglicher belastbarer Vortrag dazu, in welchem konkludenten Verhalten der Verfügungsklägerin ein ausreichender Rechtsbindungswille für einen „total buyout“, also einem für sie extrem wirtschaftlich ungünstigen Rechtsgeschäft, zu erblicken wäre.

cc) Eine nachträgliche ausdrückliche oder konkludente Lizensierung bzw. eine rechtlich bindende Duldung von Nutzungen der streitgegenständlichen Werke, die der Aktivlegitimation der Verfügungsklägerin entgegenstehen könnte, ist dem Vortrag der Verfügungsbeklagten zu 2) ebenfalls nicht zu entnehmen. Selbst wenn die Verfügungsklägerin in sozialen Medien wie Whatsapp oder Instagram (jeweils nach den konkreten Rechnungsdaten) von „deutschlandweit“ und international existierenden S Filialen spricht/schreibt, ist hierin angesichts des glaubhaft gemachten Klägervortrags nach Ansicht der Kammer kein Rechtsbindungswille für eine nachträgliche Lizensierung zu erkennen. Die Verfügungsklägerin trägt insoweit vor und macht glaubhaft durch eidesstattliche Versicherung, dass sie ihre Werke nur für den Geschäftsbetrieb in L bzw. allenfalls für ihr bekannte Filialen, d.h. ebenfalls von Herrn T betriebene Geschäfte, nicht aber für Franchisenehmer, in drei weiteren Städten, lizensiert habe. Falls sie im Nachhinein Kenntnis von weiteren Standorten erlangt hat, so ist damit ersichtlich noch keine rechtsgeschäftliche Einräumung von urheberrechtlichen Nutzungsrechten verbunden. Und zwar erst recht nicht in Form eines „total buyouts“, wie er von den Verfügungsbeklagten behauptet wird. Die zitierten Whatsapp Nachrichten (Bl. 301 GA) enthalten jedenfalls keine auf den Abschluss eines (nachträglichen) Lizenzvertrags gerichteten Willenserklärungen. Die weiteren Hinweise auf die Kenntnis der Verfügungsklägerin von der Verwendung der Verkaufsverpackung durch die Verfügungsbeklagte zu 2), etwa durch Instagram Beiträge, führen auch nicht zu einer nachträglichen Nutzungsrechteeinräumung, da es insoweit schon an einem Erklärungstatbestand fehlt. Das Video der Verfügungsklägerin vom 20.09.2020, in welchem sie offenbar Werbung für die Verfügungsbeklagte zu 2) machte und auf Geschäfte in Deutschland, Österreich und der Schweiz verwies, vermag die Kammer ebenfalls nicht als rechtsgeschäftliche Erklärung auszulegen, die im Ergebnis zum Verlust ihrer eigenen Aktivlegitimation führen würde. Es handelt sich offenbar um eine Verlautbarung an die Allgemeinheit, nicht um eine Erklärung an die Verfügungsbeklagte zu 2). Die Sprachnachricht vom 12.01.2021, wie sie in der Antragserwiderung der Verfügungsbeklagten zu 2) niedergeschrieben ist, lässt jedenfalls erahnen, dass die Verfügungsklägerin selbst Rechte behalten wollte, was wiederum der Annahme eines „total buyout“ entgegensteht. Was sie im Einzelnen mit ihrer laienhaften Beschreibung der urheberrechtlichen Rechtslage erklären will, bleibt mehrdeutig und folglich unklar. Einer Sprachnachricht vom 17.02.2021 ist im Ergebnis auch keine weitgehende Rechtsübertragung unter Preisgabe ihrer eigenen Rechtsposition als Urheber zu entnehmen.

dd) Zudem verfangen auch die Ausführungen zur Zweckübertragungslehre, die vorliegend zu einer umfassenden und unterlizensierbaren Rechteeinräumung an Herrn T bzw. die S GmbH führen sollen, nicht. Insoweit hat die Kammer bereits in ihren Entscheidungen in der an dieser Stelle parallel zu bewertenden Sache zu Az. 14 O 175/21 zur grundsätzlich urheberschützenden Wirkung der aus § 31 Abs. 5 UrhG gefolgerten Zweckübertragungslehre ausgeführt. Die Verfügungsbeklagte zu 2) meint jedoch, dies sei vorliegend anders, weil es sich bei den Werken der Verfügungsklägerin offensichtlich um Bestandteile des „Corporate Designs“ bzw. der „Corporate Identity“ der S Geschäfte handele. Dieser Ansicht vermag sich die Kammer auch nach erneuter Überprüfung der Sach- und Rechtslage nicht anzuschließen.

Aus der Zweckübertragungslehre folgt, dass im Zweifel die Rechte beim Urheber verbleiben. Dahinter steht der Leitgedanke, den Urheber an sämtlichen Erträgnissen aus der Verwertung seines Werkes oder seiner Leistung angemessen zu beteiligen. Deshalb werden im Zweifel nur diejenigen Rechte eingeräumt, die zu der im Vertrag konkretisierten Verwendung des urheberrechtlich geschützten Werkes erforderlich sind. Die Zweckübertragungslehre führt zu einer Spezifizierungslast. Wer sichergehen will, dass er das betreffende Nutzungsrecht erwirbt, muss es ausdrücklich bezeichnen. Will er das Werk auf verschiedene Art und Weise nutzen, muss jede einzelne Nutzungsart bezeichnet werden; denn im Zweifel gilt nur das als vereinbart, was ausdrücklich bezeichnet worden ist (Dreier/Schulze, 7. Aufl. 2022, UrhG § 31 Rn. 110 f., m.w.N. aus der Rspr.).

Nach diesen Grundsätzen genügt die Erkennbarkeit der Zugehörigkeit von zu schaffenden Werken zu einem „Corporate Design“ bzw. einer „Corporate Identity“ eines Unternehmens nicht per se für die Annahme einer nicht ausdrücklich vereinbarten Übertragung ausschließlicher, unbeschränkter und unterlizensierbarer Nutzungsrechte vom Urheber auf den Auftraggeber. Auch in einer solchen Konstellation ist der Urheber in Ermangelung einer konkreten Nutzungsrechtevereinbarung schutzwürdig, um ihn angemessen an der Verwertung seiner Rechte zu beteiligen. Abgesehen davon ist es nicht ersichtlich, dass im hier vorliegenden Fall der von beiden Parteien übereinstimmend erkannte Zweck der einzelnen Beauftragungen gerade einzig der Förderung des Unternehmens des Herrn T dienen soll. Für diesen Zweck wären wiederum die Verfügungsbeklagten darlegungs- und glaubhaftmachungsbelastet. Gegen einen solchen allein die wirtschaftlichen Interessen des S Unternehmens dienenden Zweck spricht schon die Beauftragung der Verfügungsklägerin als „Künstlerin“ sowie das Anbringen der Urheberbezeichnung der Verfügungsklägerin auf der Verkaufsbox – sei dies auch nur ein (ggf. im Einklang mit § 13 UrhG stehendes) „Geschenk“ des Geschäftsführers der Verfügungsbeklagten zu 2) gewesen, wie er es in seiner eidesstattlichen Versicherung beschreibt. Demnach erscheinen die Beauftragungen hier eher als übliche Auftragsarbeiten im kreativen Bereich, für die die obige Zweifelsregelung zum Schutz von Urhebern grundsätzlich gilt. Es hätte insoweit dem Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten zu 2) oblegen, auf eine ausdrückliche Beschreibung des Umfangs von Nutzungsrechten hinzuwirken. Dies gilt insbesondere auch mit Blick auf die wiederholten, kleineren Beauftragungen der Verfügungsklägerin, ohne aber einen einheitlichen Rahmen der Kooperation abzustecken. Auch die vorgelegte, freundschaftlich erscheinende Whatsapp Kommunikation legt eher nahe, dass Zweck der Zusammenarbeit auch die Förderung der Bekanntheit der Verfügungsklägerin als Künstlerin und mithin der Förderung ihres wirtschaftlichen Gedeihens gewesen ist.

Nichts anderes ergibt sich aus den von der Verfügungsbeklagten zu 2) vorgetragenen Rechtsprechungs- oder Literaturfundstellen oder dem Verweis auf eine angebliche Branchenüblichkeit. Denn anders als im „normalen“ Fall der Schaffung von Teilen eines „Corporate Designs“, in denen der Ersteller regelmäßig nicht als Künstler oder Ersteller bekannt gemacht wird, liegt hier eine Urheberbenennung vor. Dies ist demnach mit Konstellationen zu vergleichen, in denen Künstler spezielle Designs für ein bekanntes Unternehmen schaffen und dies auch entsprechend gekennzeichnet wird. Auch in diesen Fällen wird im Zweifel der/die Künstler/in mangels ausdrücklicher Vereinbarung an einem Erfolg partizipieren wollen und sollen. Auch das Argument, dass die Verfügungsbeklagte zu 2) in Ermangelung eines „total buyout“ keine Rechtsverletzungen Dritter eigenständig verfolgen könne, überzeugt nicht. Denn anders herum hat auch die Verfügungsklägerin weiterhin ein eigenes Interesse daran, dass Dritte ihre Werke nicht verletzen. Wäre die Ansicht der Verfügungsbeklagten zu 2) zutreffend, so wäre stattdessen die Verfügungsklägerin von der Verfolgung von Rechtsverstößen Dritter abgeschnitten, wofür die vertraglichen Grundlagen, wie oben ausführlich aufgezeigt, keinen Anhalt geben.

Zuletzt spricht auch der gezahlte Preis in Höhe von 870,- € für die streitgegenständliche Verkaufsverpackung (siehe Anlage ASt 4) nicht für einen „total buyout“. Angesichts der üppigen Gestaltung der Verkaufsverpackung unter Verwendung von mehr als einem Dutzend einzelner trennbarer Zeichnungen hinken hier Vergleiche zur Herstellung von minimalistischen Unternehmenslogos o.Ä., deren Rechte (soweit urheberrechtlich schutzfähig) ggf. für entsprechende Beträge im weitest gehenden Umfang erworben werden können. Bei dem hier zu bewertenden Gesamtwerk erscheint dieser Betrag selbst bei einer unbekannten Künstlerin als gering. Dies wird erst recht deutlich, wenn man eine Lizenz pro gedruckter Verpackung errechnet – bei Ansatz der von der Verfügungsbeklagten zu 2) genannten 50.000 Stück beliefe sich die Lizenz pro Vervielfältigungsstück bereits auf 0,0174 €, was durch weitere Auflagen nochmals verringert wird. Hier erscheint schon fraglich, ob es sich um eine angemessene Vergütung nach § 32 UrhG für einfache Nutzungsrechte handelt, sodass ein „total buyout“ allein auf Grundlage der gezahlten Vergütung nach Ansicht der Kammer fernliegt.

Der Verweis der Verfügungsbeklagten zu 2) auf eine angebliche Scheinselbständigkeit ist substanzlos. Der folgende Verweis auf § 43 UrhG ist rechtlich irrelevant, weil auch insoweit vertragliche Regelungen vorgehen und aus dem hier gegenständlichen Sach- und Streitstand jedenfalls ersichtlich ist, dass kein „total buyout“ vorliegt. Eine Anwendung von § 34 Abs. 1 S. 2 UrhG ist an dieser Stelle auch nicht für die Verfügungsbeklagten hilfreich, weil damit nur Rechte weiterübertragen werden können „wie sie sind“.

c) Durch die im Tenor dargestellte konkrete Verletzungsform wurde in die ausschließlichen Rechte der Verfügungsklägerin eingegriffen. Die Verfügungsbeklagte zu 1) hat die streitgegenständliche Verkaufsverpackung als zentralen Bestandteil eines Fotos im Zuge eines werbenden Postings auf Instagram öffentlich zugänglich gemacht, § 19a UrhG. Damit ist technisch ein Vervielfältigung gem. § 16 UrhG verbunden.

d) Die Verfügungsbeklagte zu 1) ist hierfür als unmittelbare Täterin passivlegitimiert. Es handelt sich um ihren Instagram Account für den sie verantwortlich ist.

Die Verfügungsbeklagte zu 2) ist jedenfalls als Gehilfin gem. § 27 StGB passivlegitimiert. Nach den allgemeinen Grundsätzen setzen Ansprüche wegen der Verletzung eines Ausschließlichkeitsrechts voraus, dass ein Zurechnungszusammenhang zwischen dem als pflichtwidrig geltend gemachten Verhalten (Tun oder Unterlassen) und der Beeinträchtigung des geschützten Rechts vorliegt. Das Grunderfordernis für die Annahme eines Zurechnungszusammenhangs ist im Rahmen sowohl der vertraglichen als auch der deliktischen Haftung die Verursachung im logisch-naturwissenschaftlichen Sinn. Nach der insoweit anzuwendenden Äquivalenztheorie ist jede Bedingung kausal, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (BGH, Urteil vom 06.05.2021, I ZR 61/20, juris, Rn. 19 - Die Filsbacher; Kammerurteil vom 06.01.2022 – 14 O 38/19, GRUR-RS 2022, 344, Rn. 100).

Ein solches ursächliches Verhalten ist hier in der Mitwirkung der Verfügungsbeklagten zu 2) bei dem Gewinnspiel der Verfügungsbeklagten zu 1) zu erkennen. Ohne die Gestattung der Nutzung der Verkaufsverpackung sowie die Gestattung der Verlinkung der Instagram Accounts der Verfügungsbeklagten zu 2) und deren Geschäftsführers wäre es zu der konkreten Verletzung nicht gekommen. Dies steht zur Überzeugung der Kammer aufgrund des Textes des Instagram Postings fest, aus dessen Subtext sich eine zumindest lose Werbekooperation ergibt. Ob dabei der verloste Gutschein von der Verfügungsbeklagten zu 2) kostenlos gestellt worden ist oder aber von der Verfügungsbeklagten zu 1) erworben worden ist, kann dahinstehen. Denn alleine der Umstand, dass die „Teilnahmebedingungen“ das Folgen beider Instagram Accounts der Verfügungsbeklagten erforderten, führte zu einer Förderung der Bekanntheit der Verfügungsbeklagten zu 2) im Sinne eines Cross-Marketing. Dass dies eine einseitige Aktion der Verfügungsbeklagten zu 1) ohne Zutun und ohne Einverständnis der Verfügungsbeklagten zu 2) gewesen sein soll, liegt fern und wird so auch nicht behauptet.

Für die Haftung als Täter oder Teilnehmer einer deliktischen Handlung wie einer Urheberrechtsverletzung gelten die strafrechtlichen Grundsätze zur Täterschaft und Teilnahme. Täter ist danach, wer die Zuwiderhandlung selbst oder in mittelbarer Täterschaft begeht (§ 25 Abs. 1 StGB). Mittäterschaft (vgl. § 830 Abs. 1 Satz 1 BGB, § 25 Abs. 2 StGB) erfordert eine gemeinschaftliche Begehung, also ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken. Maßgebliches Kriterium für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme ist die Tatherrschaft. Danach ist Täter, wer den zum Erfolg führenden Kausalverlauf beherrscht, während als Teilnehmer verantwortlich ist, wer einem mit Tatherrschaft handelnden Dritten Hilfe leistet oder dessen Tatentschluss hervorruft. Fehlen die objektiven oder subjektiven Voraussetzungen einer Haftung als Täter oder Teilnehmer, kommt lediglich eine allein zur Unterlassung und Beseitigung verpflichtende Verantwortlichkeit als Störer in Betracht. Diese Grundsätze gelten auch, wenn die Prüfung der Umstände des Einzelfalls ergibt, dass der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit in einem Unterlassen liegt. Auch dann kommt bei einer durch mehrere Personen verursachten Rechtsverletzung sowohl eine Täter- oder Teilnehmerhaftung als auch eine Störerhaftung in Betracht. In allen Fällen schließt die Tatherrschaft des unmittelbar Handelnden die Annahme aus, er werde als Tatmittler von einem bloß mittelbar oder tatferner Handelnden beherrscht. In Betracht kommt dann allenfalls Mittäterschaft, die eine gemeinschaftliche Tatbegehung und damit ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken voraussetzt (stRspr; vgl. nur BGH GRUR 2020, 738 Rn. 42 - Internetradiorecorder, mwN; Kammerurteil vom 06.01.2022 – 14 O 38/19, GRUR-RS 2022, 344, Rn. 111).

Mittäter im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB ist nach allgemeinen Grundsätzen, wer einen eigenen Tatbeitrag leistet und diesen so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Mittäterschaft erfordert dabei nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst, ebenso wenig eine Anwesenheit am Tatort; ausreichen kann vielmehr auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt. Stets muss sich die objektiv aus einem wesentlichen Tatbeitrag bestehende Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen. Ob danach fremde Tatbeiträge gemäß § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnen sind, ist aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Dabei sind die maßgeblichen Kriterien der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betreffenden abhängen (s. BGHSt 64, 10 = NJW 2019, 1818 Rn. 157; BGH NStZ-RR 2019, 203 [204]; NStZ 2020, 22 Rn. 4 f. mwN; BGH, Beschluss vom 12.8.2021 - 3 StR 441/20, NJW 2021, 2896 [2899] Rn. 50; Kammerurteil vom 06.01.2022 – 14 O 38/19, GRUR-RS 2022, 344, Rn. 112).

Auch die psychische Förderung der Tat, insbesondere die Bestärkung des Tatwillens des Handelnden, kann ein relevanter Tatbeitrag im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB sein (s. BGH BGHR StGB § 25 Abs. 2 Tatbeitrag 2 = BeckRS 1990, 31093586; NStZ 2012, 379 [380]; NStZ-RR 2018, 40; NStZ-RR 2018, 178 [180]). Um allein die Annahme von Mittäterschaft - in Abgrenzung zur psychischen Beihilfe - zu tragen, muss der psychischen Förderung allerdings ein erhebliches Gewicht zukommen (s. BGH NStZ-RR 2019, 203 [204]; BGH, Beschluss vom 12.8.2021 - 3 StR 441/20, juris, Rn. 47 ff.; Kammerurteil vom 06.01.2022 – 14 O 38/19, GRUR-RS 2022, 344, Rn. 113).

Nach diesen Grundsätzen ist zumindest von einer Beihilfe auszugehen. Ob der Beitrag der Verfügungsbeklagten sogar als Mittäterschaft anzusehen ist, kann offenbleiben; insgesamt erscheint der Vortrag der insoweit grundsätzlich darlegungs- und glaubhaftmachungsbelasteten Verfügungsklägerin nicht ausreichend belastbar für diese Feststellung, weil zur Frage, welches der Unternehmen hier Tatherrschaft hatte, keine nähere Auseinandersetzung erfolgt. Sie trägt nur pauschal eine nicht näher spezifizierte Kooperation der beiden Verfügungsbeklagten vor. Demnach geht die Kammer davon aus, dass allein die Verfügungsbeklagte zu 1) über die Entscheidungshoheit verfügte, ob und wie ein bestimmtes Posting bei Instagram veröffentlicht wird. Dass hier eine Freigabe durch die Verfügungsbeklagte zu 2) erfolgte, ist weder vorgetragen noch zwingend anzunehmen. Jedoch ist die Kammer nach den Umständen des Falls davon überzeugt, dass die Verfügungsbeklagte zu 2) als Gehilfin der mit Tatherrschaft handelnden Verfügungsbeklagten zu 1) Hilfe geleistet hat. Wie bereits oben im Rahmen der Kausalität beschrieben ist diese Cross-Marketing Maßnahme nicht ohne Zustimmung der Verfügungsbeklagten zu 2) durchgeführt worden. Angesichts des großen Werts, den die Verfügungsbeklagte zu 2) auf ihren Instagram Account legt, ist ausgeschlossen, dass die Verfügungsbeklagte zu 1) hier eigenmächtig handelte. Es ist auch davon auszugehen, dass die Verfügungsbeklagte zu 1) als seriöses Unternehmen nicht ohne Zustimmung der Verfügungsbeklagten zu 2) deren Verkaufsverpackung darstellt, Gutscheine für deren Waren verlost und zum Folgen von deren Accounts im Sinne einer Teilnahmebedingung des Gewinnspiels auffordert. Dies ist unabhängig von den urheberrechtlichen Fragen schon wegen der lauterkeitsrechtlichen Problematik eines solchen Vorgehens anzunehmen. Demnach steht eine Beihilfehandlung der Verfügungsbeklagten zu 2) durch Gestattung der Nutzung der eigenen Verkaufsverpackung (bzw. der entsprechenden Unterlizensierung des hier gegenständlichen Werks) fest. Da für die Beihilfe neben der oben bereits festgestellten Kausalität keine besondere Qualität der Beihilfehandlung notwendig ist, genügt diese Gestattung der Werknutzung für die Bejahung von § 27 StGB ohne Weiteres aus.
[...]
h) Die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr liegt vor; sie wird durch die vorangegangene Verletzung indiziert. Die Verfügungsbeklagte zu 2), die wegen der hier streitgegenständlichen konkreten Verletzung nicht abgemahnt worden ist, hat sich jedenfalls nicht unterworden.

Die Verfügungsbeklagte zu1) hat zwar eine Unterlassungserklärung im Laufe des Verfahrens abgegeben. Diese war aber nicht geeignet, die Wiederholungsgefahr auszuräumen.

An die Ausräumung der Vermutung werden strenge Anforderungen gestellt. Schon geringe Zweifel gehen zu Lasten des Schuldners. Die bloße Erklärung des Verletzers, er werde das beanstandete Verhalten einstellen, reicht danach regelmäßig nicht aus, auch wenn es sich um ein angesehenes und bedeutendes Unternehmen handelt. Das Gleiche gilt, wenn der Verletzer die Verletzung tatsächlich einstellt. Der Wegfall der Wiederholungsgefahr wird vielmehr regelmäßig erst dadurch herbeigeführt, dass der Verletzer sich unter Übernahme einer angemessenen Vertragsstrafe für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung unwiderruflich zur Unterlassung verpflichtet (vgl. Fromm/Nordemann/Jan Bernd Nordemann, 12. Aufl. 2018, UrhG § 97 Rn. 31f. mwN aus der Rechtsprechung). Im hier einschlägigen Bereich der Schutzrechtsverletzungen ist regelmäßig nur eine uneingeschränkte, bedingungslose und unwiderrufliche Unterwerfungserklärung unter Übernahme einer angemessenen Vertragsstrafe für jeden Fall der Zuwiderhandlung geeignet, die Besorgnis künftiger Verstöße auszuräumen, während grundsätzlich schon geringe Zweifel an der Ernstlichkeit der übernommenen Unterlassungsverpflichtung zu Lasten des Schuldners gehen. Es muss sich jedoch um objektivierbare Zweifel und nicht nur um subjektive Befürchtungen des Unterlassungsgläubigers handeln; nicht jede Modifikation einer von ihm vorformulierten Erklärung lässt auf fehlende Ernstlichkeit schließen. Maßgebend für die Reichweite einer vertraglichen Unterlassungsverpflichtung und damit für deren Eignung zur Ausräumung der Wiederholungsgefahr ist der wirkliche Wille der Vertragsparteien (§§ 133, 157 BGB), zu dessen Auslegung neben dem Inhalt der Vertragserklärungen auch die beiderseits bekannten Umstände, insbesondere die Art und Weise des Zustandekommens der Vereinbarung, ihr Zweck, die Beziehung zwischen den Vertragsparteien und ihre Interessenlage heranzuziehen sind (OLG Köln, ZUM-RD 2011, 18). Vorbehalte in der Erklärung sind allenfalls ausnahmsweise und jedenfalls nur insoweit unschädlich, als sie mit Sinn und Zweck einer Unterwerfungserklärung vereinbar sind, also eine abschließende (außergerichtliche) Unterbindung rechtswidrigen Verhaltens nicht ausschließen. Als ein solcher - zulässiger - Vorbehalt kommt eine auflösende Bedingung in Betracht, wenn diese in einer Änderung der Rechtslage - oder in deren verbindlicher Klärung in entsprechendem Sinne - besteht, durch die das zu unterlassende Verhalten rechtmäßig bzw. seine Zulässigkeit verbindlich geklärt wird; die Rechtmäßigkeit muss zweifelsfrei und allgemein verbindlich feststehen (zum UWG: BGH GRUR 1993, 677, 679 – Bedingte Unterwerfung).

Diesen Anforderungen wird die Unterlassungserklärung der Verfügungsbeklagten zu 1) vom 29.11.2021 (Anlage AG 1.3, Bl. 229 GA) nicht gerecht. Die Unterlassungserklärung enthielt den folgenden Passus der Unterlassungsverpflichtung: „bis zum rechtskräftigen Abschluss des beim LG Köln zum Aktenzeichen 14 O 392/21 anhängigen einstweiligen Verfügungsverfahrens und eines dazu ggf. noch anhängig zu machenden Hauptsacheverfahrens, die die mit dem Verfügungsantrag geltend gemachten Unterlassungsansprüche der Antragstellerin bestätigen, oder deren einvernehmlichen Beendigung“. Diese Einschränkung war nach §§ 133, 157 BGB auszulegen. Aus dem objektivierten Empfängerhorizont könnte dies als auflösende Bedingung zu verstehen sein. Diese auflösende Bedingung entspricht jedoch nicht den obigen Anforderungen des BGH, wonach die Rechtmäßigkeit des zu unterlassenden Handelns zweifelsfrei und allgemein verbindlich feststehen muss. Die Einschränkung nimmt vielmehr Bezug auf eine Entscheidung bzw. einen Vergleich, der nur „inter partes“ verbindlich wird. Auch wird nicht hinreichend deutlich, was die Bedingung bezwecken soll, was zu Folgestreitigkeiten führen kann. So ist nicht verständlich, wieso die Unterlassungserklärung bei Bestätigung der klägerischen Ansprüche wegfallen soll – die Erklärung soll ja gerade eine solche Bestätigung im Verhältnis der Parteien zueinander vermeiden. Soweit hiermit auf das Prozessverhältnis zwischen der Verfügungsklägerin und der Verfügungsbeklagten zu 2) Bezug genommen werden soll, mangelt es an der Ernstlichkeit der Unterwerfung, weil hiermit durch die Bestätigung der Ansprüche die Unterlassungserklärung wegfiele und mithin die Wiederholungsgefahr wieder neu entstünde. Solche Auslegungsstreitigkeiten sollen aber durch die Unterwerfung grundsätzlich vermieden werden. Demnach bestehen objektivierbare Zweifel an der Ernstlichkeit der Unterlassungserklärung.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

AG München: Kein Schadensersatzanspruch aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO gegen Anbieter von Treuepunktesystem für Punkteverlust mangels Substantiierung der Kausalität

AG München
Urteil vom 03.08.2022
211 C 578/22

Das AG München hat in diesem Fall einen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO gegen den Anbieter eines Treuepunktesystems für Punkteverlust mangels Substantiierung der Kausalität einer behaupteten unzureichenden Zugangssicherung abgelehnt.

Aus den Entscheidungsgründen:
2. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von immateriellem Schadensersatz in Höhe von 4.500,00 € aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO in Verbindung mit Art. 32 Abs. 1 DSGVO.

Gemäß Art. 82 Abs. 1 DSGVO hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadensersatz gegen den Verantwortlichen oder den Auftragsverarbeiter.

Zwischen den Parteien ist strittig, ob die Beklagte gegen die Datenschutzgrundverordnung verstoßen hat. Der Kläger trägt nach den allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen die Darlegungsund Beweislast für die haftungsbegründenden Voraussetzungen (mwN Paulus in: BeckOK, Datenschutzrecht, 37. Ed., Art. 82 DSGVO, Rn. 51; LG München I, Urt. v. 9.12.2021 – 31 O 16606/20; zu weitgehend LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 25.02.2021 - 17 Sa 37/20, Rz. 99, die dort angeführte Rechenschaftspflicht bezieht sich auf eine Verantwortlichkeit gegenüber der Behörde). Aus Art. 82 Abs. 3 DSGVO ergibt sich lediglich hinsichtlich des Verschuldens eine Beweislastumkehr. Damit trägt der Kläger die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich eines Verstoßes der Beklagten gegen die Datenschutzgrundverordnung und eines daraus kausal entstandenen Schadens.

b) Der Kläger behauptet, dass die Beklagte die gemäß § 32 Abs. 1 DSGVO erforderlichen Maßnahmen hinsichtlich des Zugangs des Klägers zu dem Kundenkonto nicht getroffen habe.

Der Kläger macht geltend, dass eine Zwei-Faktor-Authentifizierung Stand der Technik gewesen sei. Er bezieht sich in der Klageschrift zunächst darauf, dass es sich bei dem Kundenkonto um E-Geld handeln würde. Das vom Kläger vorgelegte Privatgutachten (Anlage K13 zum Schriftsatz vom 08.06.2022) stellt hinsichtlich der Zwei-Faktor-Authentifizierung ebenfalls auf das Vorliegen eines E-Geld-Kontos ab. Die Beklagte ist jedoch kein Zahlungsdienstleister. Der Kläger hat nicht ausreichend dargelegt, dass die Zwei-Faktor-Authentifizierung auch bei bloßen Kundenbindungsprogrammen Stand der Technik ist und die vorliegende Authentifizierung beim Programm der Beklagten diesen nicht erfüllt. Danach sind zwar die einzelnen zum Kunden-Login erforderlichen Informationen teilweise nicht geheim, sondern gegenüber einzelnen Vertragspartnern anzugeben oder im näheren Umfeld des Kunden bekannt. Für die Kombination der verschiedenen Merkmale beim Login wurde dies aber nicht vorgetragen. Auch hat die Beklagte ein dokumentiertes Informationssicherheits- Managementsystem im Unternehmen umgesetzt und unterliegt einer regelmäßigen Auditierung durch unabhängige Dritte. Dies erfolgt am ISO-Standard 27001 und den Sicherheitslinien des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik. Zudem hat die Beklagte ein sogenanntes Security Information and Event Management zur Überwachung implementiert. Ein Verstoß hiergegen wurde seitens des Klägers nicht vorgetragen. Darüber hinaus ist der Stand der Technik nur ein Gesichtspunkt in der von § 32 Abs. 1 und Abs. 2 DSGVO vorgeschrieben Abwägung. Danach sind unter Berücksichtigung des Stands der Technik, der Implementierungskosten und der Art, des Umfangs, der Umstände und der Zwecke der Verarbeitung sowie der unterschiedlichen Eintrittswahrscheinlichkeit und Schwere des Risikos für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen geeignete technische und organisatorische Maßnahmen zu treffen, um ein dem Risiko angemessenes Schutzniveau zu gewährleisten. Umstände für die Gesamtabwägung aller genannten Faktoren, die danach gegen ein angemessenes Schutzniveau sprechen, werden von dem Kläger nicht vorgetragen. Ein Verstoß gegen Art. 32 DSGVO liegt danach nicht vor. Aus Art. 32 DSGVO folgt kein Anspruch auf eine Zwei-Faktor-Authentifizierung im vorliegenden Fall.

c) Der Kläger macht insbesondere geltend, dass die von der Beklagten vorgegebenen Regelungen zum Passwort unzureichend seien und nicht dem Stand der Technik entsprechen würden. Die Einlog-Modalitäten sehen vor, dass Kunden sich mit der Eingabe der Kartennummer in Verbindung mit der Angabe des Geburtsdatums und der Postleitzahl in das Kundenkonto einloggen können oder mit der Eingabe der Kartennummer und einer vierstelligen PIN, die aus einer vierstelligen Zahlenkombination besteht. Der Kläger führt aus, dass als Stand der Technik eine Mindestlänge von 10 Zeichen anzusehen sei und eine Einschränkung der verwendbaren Zeichen nicht zum Stand der Technik gehöre. Insoweit übersieht die Argumentation, dass darüber hinaus auch die Kartennummer als zusätzliche Anforderung erforderlich ist.

Ein etwaiger Verstoß der Beklagten gegen Art. 32 DSGVO – wie hier nicht – wäre jedenfalls auch nicht kausal für den behaupteten Punkteklau. Nach Vortrag der Beklagten in der Klageerwiderung (S. 9 f.) ist es technisch zwingend notwendig für die Einlösung der [...] Punkte in einen Warengutschein für [...] die [...] App zu nutzen und diese mit dem [...] Konto zu verbinden. Eine Möglichkeit [...] Gutscheine im Prämienshop der Beklagten mit Punkten zu erwerben besteht nicht (Anlage B6 zum Schriftsatz vom 23.06.2022). Auf diese [...] App hat die Beklagte keinen Einfluss. Inwieweit durch die Verknüpfung des Programms der Beklagten mit der App ein Verstoß gegen Art. 32 DSGVO vorliegen soll, hat der darlegungs- und beweisbelastete Kläger nicht substantiiert vorgetragen. Es liegt damit kein Verstoß der Beklagten gegen Art. 32 DSGVO vor.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: