Skip to content

OLG Düsseldorf: Eierlikörhersteller Verpoorten hat weder markenrechtliche noch wettbewerbsrechtliche Ansprüche gegen Mitbewerber wegen Verwendung des Slogans "Ei, Ei, Ei, Ei, Ei"

OLG Düsseldorf
Urteil vom 27.04.2023
20 U 41/22


Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass der Eierlikörhersteller Verpoorten weder markenrechtliche noch wettbewerbsrechtliche Ansprüche gegen einen Mitbewerber wegen Verwendung des Slogans "Ei, Ei, Ei, Ei, Ei" hat.

Aus den Entscheidungsgründen:
Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Gestalt von Abmahnkosten besteht nicht.

1. Mit Recht hat das Landgericht entschieden, dass § 14 Abs. 6 MarkenG in Verbindung mit §§ 683 Satz 1, 677, 670 BGB als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht kommt.

1.1. In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass im Kennzeichen- und Wettbewerbsrecht Abmahnkosten nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag unter der Voraussetzung erstattungsfähig sind, dass die Abmahnung begründet war (vgl. BGH GRUR 2012, 304 Rn. 21 - Basler Haar-Kosmetik; GRUR 2011, 617 Rn. 15 - Sed;Ingerl/Rohnke, MarkenG, 4. Auflage, Vor §§ 14 - 19d Rn. 296 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

1.2. Dies war hier nicht der Fall, denn der Klägerin stand der mit den ausgesprochenen Abmahnungen wegen der streitgegenständlichen Zeichenverwendung geltend gemachte Unterlassungsanspruch weder aufgrund einer Verwechselungsgefahr (§ 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG) noch aufgrund eines Bekanntheitsschutzes (§ 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG) zu. Die Beklagte hat die Klagemarke „Eieiei“ nicht verletzt.

a. Eine beeinträchtigende Benutzung des Zeichens ist gegeben, wenn es durch Dritte markenmäßig oder – was dem entspricht – als Marke verwendet wird und diese Verwendung die Funktionen der Marke und insbesondere ihre wesentliche Funktion, den Verbrauchern die Herkunft der Waren oder Dienstleistungen zu garantieren, beeinträchtigt oder beeinträchtigen kann (vgl. BGH GRUR 2019, 1053 Rn. 27 – ORTLIEB II). Damit die Marke nämlich ihre Aufgabe als wesentlicher Bestandteil des Systems eines unverfälschten Wettbewerbs erfüllen kann, muss sie die Gewähr bieten, dass alle Waren oder Dienstleistungen, die sie kennzeichnet, unter der Kontrolle eines einzigen Unternehmens hergestellt oder erbracht worden sind, das für ihre Qualität verantwortlich gemacht werden kann (vgl. EuGH GRUR 2003, 55 Rn. 48 – Arsenal FC). Maßgeblich ist, ob der angesprochene Verkehr das Zeichen auch als Hinweis auf die Herkunft der Ware oder Dienstleistung aus einem bestimmten Betrieb versteht. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls (vgl. BGH GRUR 2019, 1289 Rn. 25 - Damen Hose MO). Abzustellen ist auf die Sicht eines normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers (vgl. BGH GRUR 2012, 1040 Rn. 16 - pjur/pure). Die Tatsache, dass ein Zeichen vom angesprochenen Verkehr als Herkunftshinweis für die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen und damit als Marke erkannt wird, muss anhand der Umstände des Einzelfalls positiv festgestellt werden (vgl. BGH GRUR 2019, 522 Rn. 41 - SAM).

b. Davon ist auch das Landgericht ausgegangen und ist rechtsfehlerfrei zu der Einschätzung gelangt, dass der normal informierte, angemessen aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher - wie die Mitglieder des Senats als Teil der angesprochenen Verkehrskreise selbst feststellen können - in der streitgegenständlichen Zeichenverwendung keinen Hinweis auf die Herkunft einer Ware sieht. Die Klägerin beanstandet die fünffache Aufzählung des Begriffs „Ei“ jeweils im Rahmen einer Internet-Werbung für ein Produkt-Paket, das fünf verschiedene Sorten Eierlikör enthält. Angesichts dessen ist es für den Senat - ebenso wie für das Landgericht - unter Berücksichtigung der nachfolgend dargestellten maßgeblichen Umstände des Einzelfalls fernliegend, dass die angesprochenen Verkehrskreise in dem angegriffenen Text „Ei, Ei, Ei, Ei, Ei“ einen Herkunftshinweis erblicken. Die Ausführungen der Berufung führen zu keiner abweichenden Beurteilung der Sach- und Rechtslage.

aa. Ein in diesem Zusammenhang zu berücksichtigender Umstand ist die Tatsache, dass der angegriffene Text „Ei, Ei, Ei, Ei, Ei“ im Hinblick auf die Beschaffenheit des beworbenen Produkts - nämlich als Kernzutat von Eierlikör - glatt beschreibend ist.

(1) Bei dem Gebrauch einer beschreibenden Angabe kann eine markenmäßige Benutzung grundsätzlich nicht angenommen werden (vgl. BGH GRUR 2009, 502 Rn. 29 - pcb). Denn bestimmte Arten der Benutzung zu rein beschreibenden Zwecken können keine Funktionen der geschützten Marke beeinträchtigen (vgl. EuGH GRUR 2009, 756 Rn. 61 - L’Oréal/Bellure). Hat ein Wort beschreibenden Charakter, wird es vom Verkehr eher als Sachhinweis und nicht als Kennzeichen aufgefasst (so BGH GRUR 2017, 502 Rn. 26 - MICRO COTTON). Dabei ergibt sich der beschreibende Charakter in erster Linie aus dem Sinngehalt der betreffenden Bezeichnung. Maßgeblich für die Frage, ob der Verkehr das Zeichen nur beschreibend versteht, ist jedoch auch der Kontext, in der die gerügte Benutzungshandlung erfolgte.

(2) Mit dieser Maßgabe ordnen die angesprochenen Verkehrskreise dem angegriffenen Text „Ei, Ei, Ei, Ei, Ei“ ohne besonderen gedanklichen Aufwand lediglich einen beschreibenden Begriffsinhalt zu und fassen ihn nicht als Hinweis auf die Herkunft aus einem bestimmten Unternehmen auf. Die Wortfolge besteht aus der fünffachen Wiederholung des Wortes „Ei“, jeweils getrennt durch ein Komma und Leerzeichen.

(a) Das Substantiv „Ei“ bezeichnet unter anderem eine „befruchtete oder nicht befruchtete weibliche tierische oder menschliche Keimzelle, ein „(von bestimmten Tieren, besonders Vögeln, gelegtes) von einer Schale umschlossenes, die Eizelle und meist Dotter und Eiweiß enthaltendes kugeliges, oft länglich ovales Gebilde“ oder ein „Hühnerei (als Nahrungsmittel)“ (vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/Ei). Im allgemeinen Sprachgebrauch wird unter „Ei“ das Hühnerei verstanden, das vom Menschen als Nahrungsmittel benutzt wird. Dies spiegelt sich auch in Lebensmittelverordnungen wieder, die das Ei als Lebensmittel bei fehlender Angabe der Tierart als Hühnerei definieren (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Ei). Darüber hinaus hat das Ei für den Menschen auch eine kulturelle Bedeutung als Osterei (BPatG, Beschluss vom 21. September 2022, Az.: 29 W (pat) 508/21, zitiert nach juris). Das Nomen „Ei“ ist ferner Bestandteil zahlreicher Redensarten, so wie „jemanden mit [faulen] Eiern bewerfen (als Ausdruck starken Missfallens)“, „jemanden, etwas wie ein rohes Ei (sehr vorsichtig) behandeln“ oder „ach, du dickes Ei! (umgangssprachlich: Ausruf der Überraschung)“ (https://www.duden.de/ rechtschreibung/Ei) (BPatG, Beschluss vom 18. Juli 2021, Az.: 26 W (pat) 514/21, zitiert nach juris).

(b) In Alleinstellung ist das Wort „Ei“ für eine große Anzahl der in Warenklasse 33 beanspruchten Waren („Spirituosen“) ein schlagwortartiges Beschaffenheitsmerkmal und stellt als Zutatenangabe einen engen beschreibenden Bezug zu diesen Waren her. Eier oder Eierprodukte können nämlich Bestandteile alkoholischer Getränke sein, was den angesprochenen Verkehrskreisen auch bekannt ist. Dies rechtfertigt die Annahme, dass der Verkehr den glatt beschreibenden Begriffsinhalt ohne weiteres erfasst und in dem angegriffenen Text „Ei, Ei, Ei, Ei, Ei“ eine bloße Sachangabe erblickt, wobei dieses Verkehrsverständnis durch die Großschreibung des Wortes „Ei“ maßgeblich verstärkt wird.

bb. Im Hinblick auf die Frage der Geeignetheit zur Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion ist weiter festzustellen, dass das fünffache Aneinanderreihen des Wortes „Ei“ - durch Kommata und Leerzeichen getrennt - keine semantische oder syntaktische Besonderheit darstellt, die von einer Sachangabe wegführt und den angesprochenen Verkehrskreisen die Bedeutung eines betrieblichen Herkunftshinweises vermittelt.

(1) Die Wiederholung eines Wortes oder einer Wortgruppe ist ein werbeübliches rhetorisches Stilmittel, das der Rede Nachdruck verleihen soll. Es wird seit langem in der modernen Werbepsychologie verwendet, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu erregen und den werbemäßig auffordernden Charakter zu unterstreichen, ohne dass der Verkehr dies als herkunftshinweisend wahrnimmt (vgl. BPatG, Beschluss vom 18. Juli 2021, Az.: 26 W (pat) 514/21, zitiert nach juris mit Hinweis auf BPatG, 30 W (pat) 566/20 – My-My/MY-MY; 29 W (pat) 36/20 – Vino WEINLOFT; 27 W (pat) 65/09 – AUTOAUTO!; 29 W (pat) 148/95 – Leute LEUTE; 29 W (pat) 198/92 – FalzFalz). Hervorzuheben ist, dass sowohl die Verdoppelung als auch die Verdreifachung des Wortes „Ei“ insbesondere in dem hier einschlägigen Produktbereich festzustellen ist (dazu ausführlich BPatG, Beschluss vom 18. Juli 2021, Az.: 26 W (pat) 514/21, zitiert nach juris). Ist dem Verkehr sowohl die Verdoppelung als auch die Verdreifachung des Wortes „Ei“ bzw. „ei“ bekannt, führt die hier in Rede stehenden fünfte Wiederholung nicht zu einer entscheidenden Änderung des Verkehrsverständnisses, sondern wird nur als eine weitere Verstärkung des Aufmerksamkeitseffekts wahrgenommen.

(2) Daneben wird die Interjektion „ei“ oft in der Kindersprache als Ausdruck der Verwunderung oder Überraschung verwendet, wie beispielsweise „ei, wo kommst du denn her?“ bzw. „Ei, der Daus“ oder als „Ausdruck der Zärtlichkeit“, wie zum Beispiel „ei [ei] machen (streicheln, liebkosen)“ (vgl. BPatG, BPatG, Beschluss vom 18. Juli 2021, Az.: 26 W (pat) 514/21, zitiert nach juris mit Hinweis auf https://www.duden.de/rechtschreibung/ei; https://de.wiktionary.org/wiki/ei).

(3) Dies zugrunde gelegt, entnehmen die angesprochenen Verkehrskreise dem angegriffenen Text „Ei, Ei, Ei, Ei, Ei“ - soweit ihnen dieser in Alleinstellung entgegentritt - in Bezug auf die Waren der Warenklasse 33 entweder eine fünffach wiederholte und auf diese Weise besonders einprägsame schlagwortartige Zutatenangabe und/oder einen durch die Verfünffachung besonders eindringlich wirkenden Ausdruck des Erstaunens, der nur der werbemäßigen Anpreisung der vorgenannten Waren dient. Sie fassen den angegriffenen Text daher wahlweise als Beschaffenheitsangabe oder als werbliche Anpreisung, nicht aber als Hinweis auf die Herkunft der Ware aus einem bestimmten Unternehmen auf (vgl. BPatG, Beschluss vom 18. Juli 2021, Az.: 26 W (pat) 514/21, zitiert nach juris). Die gegenteiligen Ausführungen der Berufung verfangen nicht.

cc. Ein weiterer im Rahmen der Gesamtwürdigung zu beachtender Umstand ist das durch die Art und Weise der Zeichenverwendung hervorgerufene Gesamterscheinungsbild der streitbefangenen Online-Werbung.

(1) Die Verkehrsauffassung wird auch durch die konkrete Aufmachung bestimmt, in der die angegriffene Bezeichnung dem Publikum entgegentritt (BGH, Urteil vom 09. Februar 2012, Az.: I ZR 100/10, GRUR 2012, 1040, Rn. 19 - pjur/pure). Maßgeblich für die Frage der markenmäßigen Benutzung ist, wie der Verkehr die beanstandete Verwendung des Zeichens auf der Internetseite versteht (OLG Köln, Urteil vom 24. Oktober 2014, Az.: 6 U 211/13, GRUR 2015, 596, Rn. 35 - Kinderstube). Maßgeblich für die Beurteilung, ob eine kennzeichenmäßige Benutzungshandlung vorliegt, ist somit die Einbettung des Zeichens in sein Umfeld. Dabei ist auf die Kennzeichnungsgewohnheiten in dem maßgeblichen Warensektor abzustellen, insbesondere auf die Art und Weise, in der Kennzeichnungsmittel bei den betreffenden Waren üblicherweise verwendet werden.

(2) Vorliegend bestärkt das Präsentationsumfeld die angesprochenen Verkehrskreise in der Annahme, dass es sich bei der beanstandeten Wortfolge „Ei, Ei, Ei, Ei, Ei“ um einen rein beschreibenden Hinweis dergestalt handelt, dass die in den beworbenen Eierlikör-Päckchen enthaltenen fünf Liköre allesamt die Zutat „Ei“ enthalten.

(a) Dies gilt in besonderer Weise für diejenige Präsentation, bei der der angegriffene Text „Ei, Ei, Ei, Ei, Ei“ mit einem Osternest bebildert ist. Vor dem Hintergrund, dass Eier die Hauptzutat von Eierlikör sind und angesichts der kulturellen Bedeutung von Ostereiern, die - woran der Verkehr gewöhnt ist - eingebettet in Osternester dargestellt werden, erfasst der Verkehr den beschreibenden Begriffsinhalt als Zutatenhinweis ohne weiteres und auf den ersten Blick. Die Annahme, der Verkehr erblicke in den angegriffenen Zeichen ein Unterscheidungsmittel für deren Herkunft ist fernliegend.

(b) Nichts anderes gilt für die Weihnachtswerbung. Hervorzuheben ist, dass die beanstandete Wortfolge „Ei, Ei, Ei, Ei, Ei“ nicht in Alleinstellung - gewissermaßen zusammenhanglos - verwendet wird, sondern in der konkreten Aufmachung jedem „Ei“ jeweils bildlich eine Eierlikörflasche zugeordnet ist. Die fünffache Wiederholung des Wortes „Ei“ als rhetorisches Stilmittel findet gemäß der graphischen Anordnung ihre Entsprechung in den fünf beworbenen Eierlikörflaschen in fünf verschiedenen Geschmacksrichtungen. Zu betonen ist weiter, dass die fünf Eierlikörflaschen unterschiedlicher Geschmacksrichtungen jeweils ei-förmig umrahmt und damit eine auch nur bei flüchtigem Blick erkennbare optische Betonung erfahren haben. Hierzu hat das Landgericht in den Gründen der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass sowohl die Farbgebung als auch die Positionierung der Flasche innerhalb der Eiform jeweils den Eindruck eines dottergelben Eigelbs erwecken und dadurch den rein beschreibenden Charakter des Begriffs „Ei“ nochmals verstärken. Dem schließt sich der Senat vollumfänglich an. Hiergegen bringt auch die Klägerin nichts Substantielles vor. Entgegen der Berufung wird die rein beschreibende Verwendung der beanstandeten Wortfolge auch nicht dadurch zum Herkunftshinweis, dass damit zwei unterschiedliche Eierlikör-Päckchen - eins für Ostern, eins für Weihnachten - beworben wurden.

(3) Schließlich ist zu würdigen, dass oberhalb der beanstandeten Wortfolge „Ei, Ei, Ei, Ei, Ei“ - wenn diese nicht in Alleinstellung auf der Produktverpackung angebracht ist - das eigene Unternehmenskennzeichen der Beklagten („Firma D.“) in einer den Gesamteindruck prägenden Art und Weise abgebildet ist. Die Klägerin irrt, wenn sie meint, das Unternehmenskennzeichen der Beklagten sei kaum wahrnehmbar. Dies trifft nicht zu. Der Schriftzug „Firma D.“ wird durch seine goldglänzende Farbe optisch betont und hebt sich zusätzlich dadurch vom Hintergrund ab, dass er in eine Art „Strahlen“ eingebettet ist. Auch diese hervorgehobene Platzierung des Unternehmenskennzeichens spricht gegen eine markenmäßige Verwendung der beanstandeten Wortfolge. Ohne Erfolg macht die Klägerin erstmals in der Berufungsinstanz geltend, aufgrund ihrer Bekanntheit und der jahrzehntelangen Kooperation mit unterschiedlichen Unternehmen sei es der Verkehr gewöhnt, auf Produktverpackungen neben der Klagemarke oder dem Unternehmenskennzeichen weitere Marken vorzufinden. Damit dringt sie nicht durch.

(a) Die Klägerin ist mit diesem neuen Vortrag, der von der Beklagten zulässigerweise bestritten worden ist, präkludiert. Neuer, streitiger Vortrag ist nur unter den engen Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO berücksichtigungsfähig. Diese liegen hier nicht vor. Die Klägerin hat schon nicht dargetan, aus welchem Grund ihr entsprechendes Vorbringen nicht im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens möglich war. Angesichts dessen, dass die Parteien von Anfang an um die Frage der markenmäßigen Verwendung der beanstandeten Wortfolge gestritten haben, hätte für sie hinreichend Anlass bestanden, zu den Kennzeichnungsgewohnheiten der Lebensmittel- und Getränke- sowie insbesondere der Spirituosen-Branche vorzutragen. Dies war offenbar aus Nachlässigkeit im Sinne des § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO nicht geschehen.

(b) Im Übrigen sind die von der Klägerin in Bezug genommenen Beispiele (siehe Seiten 11 bis 17 der Berufungsbegründung vom 08. April 2022) auch in der Sache nicht geeignet, ein herkunftshinweisendes Verständnis des Wortes „Ei“ oder der Wortfolge „Ei, Ei, Ei, Ei, Ei“ zu belegen. Im Gegenteil: Der Umstand, dass bei sämtlichen abgebildeten Beispielen explizit und graphisch hervorgehoben auf das Unternehmenskennzeichen „B.“ verwiesen wird, zeigt vielmehr, dass der Verkehr die von der Klägerin verwendete Wortfolge „Ei, Ei, Ei“ - in Alleinstellung - gerade nicht als Herkunftshinweis versteht. Nichts anderes gilt für die beanstandete Wortfolge „Ei, Ei, Ei, Ei, Ei“. Auf Grundlage des von der Klägerin gehaltenen Sachvortrages erschließt sich auch nicht, weshalb die angesprochenen Verkehrskreise davon ausgehen sollten, dass die Parteien über eine Kooperationsvereinbarung oder ähnliches miteinander verbunden sein sollen. Dafür spricht angesichts der Tatsache, dass sowohl die Klägerin als auch die Beklagte Eierlikör herstellen nichts, denn eine Kooperation wird der Verkehr nur bei Unternehmen vermuten, die unterschiedliche Produkte herstellen. Die Annahme, die Beklagte würde Eierlikör der Klägerin vertreiben, liegt danach aus der maßgeblichen Sicht des Durchschnittsverbrauchers fern. Der Umstand, dass der beanstandeten Wortfolge drei Punkte nachgestellt sind („Ei, Ei, Ei, Ei, Ei…“), führt zu keiner anderen Beurteilung. Weil aus Sicht der angesprochenen Verkehrskreise nichts dafür spricht, dass die Parteien über eine Kooperationsvereinbarung oder ähnliches miteinander verbunden sein könnten, werden sie auch die drei Punkte nicht als - versteckten - Hinweis auf die Klägerin begreifen. Eine solchermaßen interpretierende und mehrere gedankliche Zwischenschritte voraussetzende Betrachtungsweise nehmen sie nicht vor.

c. Ohne Erfolg macht die Berufung geltend, das Landgericht habe verkannt, dass es sich bei der Klagemarke um eine bekannte Marke handele mit der Folge, dass für eine markenmäßige Verwendung eine gedankliche Verknüpfung ausreichend sei. Dem folgt der Senat nicht.

aa. Es kann schon im Ausgangspunkt nicht angenommen werden, dass es sich bei der Klagemarke „Eieiei“ um eine bekannte Marke handelt. Die Behauptung der Klägerin, auf jeder Eierlikörflasche befinde sich mindestens eine in das Glas eingearbeitete Prägung, die die Klagemarke „Eieiei“ wiedergebe, wird durch die von ihr vorgelegten Lichtbilder nicht gestützt. Im Gegenteil: Die Darstellung auf Seite 44 der Berufungsbegründung vom 08. April 2022 zeigt, dass die Wortfolge „Ei, ei, ei…“ - mit Kommata und Leerzeichen - in das Glas geprägt ist. Dass die Klagemarke bekannt ist, folgt nicht allein daraus, dass auf den Kartons, die bei Abgabe mehrerer Eierlikörflaschen verwendet werden, sowie in Flyern und Broschüren stets der Domainname „eieiei.B.“ abgedruckt ist (siehe dazu Verpackungsbeispiele auf Seite 47 der Berufungsbegründung vom 08. April 2022 sowie Anlage K 17). In der Wahrnehmung der angesprochenen Verkehrskreise liegt darin eine für das Internet typische und übliche Verkürzung unter Weglassung von Leerzeichen und Kommata.

bb. Die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen belegen allenfalls eine umfangreiche Verwendung des Werbeslogans „Ei, Ei, Ei B.“, was jedoch gerade keine besondere Bekanntheit der Klagemarke „Eieiei“ begründet.

(1) Zu betonen ist, dass in den von der Klägerin umfangreich verwendeten Werbeslogan („Ei, Ei, Ei B.“) die Klagemarke („Eieiei“) keinen Eingang gefunden hat. In der Klagemarke findet - anders als im Werbeslogan - gerade keine Trennung zwischen den „Ei“-Elementen statt. Damit nimmt die Klagemarke Bezug auf die Interjektion „ei“, die von den angesprochenen Verkehrskreisen - wie bereits dargetan - als Ausdruck der Verwunderung und Überraschung verstanden wird. Genau diese Bezugnahme fehlt dem Zeichen „Ei, Ei, Ei“, das als glatt beschreibende Aufzählung einer Zutatenangabe verstanden wird.

(2) Überdies hat die Klägerin das Zeichen „Ei, Ei, Ei“, der sich - wie zuvor ausgeführt - wesentlich von der Klagemarke „Eieiei“ unterscheidet, in dem Werbeslogan mit dem Unternehmenskennzeichen „B.“, also einem Wortelement mit eigenständiger Kennzeichnungskraft, verbunden, womit eine Veränderung des kennzeichnenden Charakters bewirkt wird. Dies gilt hier umso mehr, als dass es sich bei dem Element„B.“ um den einzigen kennzeichnungskräftigen Bestandteil in dieser Wortkombination handeln dürfte (siehe dazu BPatG, Beschluss vom 21. September 2022, Az.: 29 W (pat) 508/21, zitiert nach juris).

(3) Ferner ist zu berücksichtigen, dass sich der Werbeslogan („Ei, Ei, Ei B.“) unstreitig an den in den 1960er Jahren populären Schlager „Ay, Ay, Ay, Maria aus Bahia“ anlehnt. Durch die Kombination der Wortfolge „Ei, Ei, Ei“ mit dem Zeichen„B.“ und die dadurch entstehende Bezugnahme auf diesen Schlagertitel erhält der Werbeslogan einen eigenständigen kennzeichnenden Charakter. Aus der maßgeblichen Verkehrssicht sind die verbundenen Teile zu einer Einheit verschmolzen mit der Folge, dass der Verkehr darin ein einheitliches Zeichen erkennt. Das gilt auch für die Mitglieder der angesprochenen Verkehrskreise, denen der Schlager „Ay, Ay, Ay, Maria aus Bahia“ unbekannt ist. Auch von ihnen wird der Werbeslogan („Ei, Ei, Ei“ und „B.“) als Werbeaussage verstanden, mit der - unter Verwendung werbeüblicher Stilmittel - im Sinne eines Beschaffenheitsmerkmals darauf hingewiesen wird, dass Eier wesentlicher Bestandteil der von der Klägerin hergestellten und vertriebenen Produkte sind. Die Wortfolge „Ei, Ei, Ei“ verbindet sich mit dem Zeichen „B.“ zu einem Gesamtbegriff, der als Einheit wahrgenommen wird.

2. Davon ausgehend, dass eine kennzeichenmäßige Benutzung des angegriffenen Zeichen „Ei, Ei, Ei, Ei, Ei“ zu verneinen ist, bedarf es keiner Ausführungen des Senats zur markenrechtlichen Verwechselungsgefahr im Sinne von § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG. Gleiches gilt, soweit die Parteien über den markenrechtlichen Bekanntheitsschutz im Sinne von § 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG streiten und zwar unabhängig davon, dass in Bezug auf die Klagemarke „Eieiei“ - wie dargetan - nicht feststellbar ist, dass es sich um eine bekannte Marke handelt.

3. Auch aus dem Schutz von Unternehmenskennzeichen ergibt sich kein Unterlassungsanspruch der Klägerin. Sie kann nicht mit Erfolg geltend machen, die in Rede stehende Bezeichnung „Eieiei“ bzw. „Ei, Ei, Ei“ sei als Geschäftsabzeichen im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 2 MarkenG geschützt. Nach Maßgabe der bereits angestellten Erwägungen kann nicht von einem kennzeichenmäßigen Gebrauch der in Rede stehenden Zeichen (ohne den Zusatz „B.“) ausgegangen werden, denn es handelt sich - wie dargetan - um eine schlichte Zutatenangabe, der aus der maßgeblichen Sicht eines Durchschnittsverbrauchers keine betriebliche Herkunftshinweisfunktion zukommt. Der Senat verkennt nicht, dass bei bekannten Unternehmenskennzeichen die Einbeziehung von Benutzungshandlungen geboten sein kann, die eine gedankliche Verknüpfung mit dem bekannten Unternehmenskennzeichen hervorrufen, auch wenn darin noch keine klassische kennzeichenmäßige Benutzung zu sehen ist. Hieraus ergibt sich jedoch keine für die Klägerin günstige Rechtsfolge, da dem Verbraucher die in Rede stehende Bezeichnung „Eieiei“ bzw. „Ei, Ei, Ei“ stets und nur in Kombination mit dem Zusatz „B.“ geläufig ist. Der bekannte Werbeslogan lautet nun einmal „Ei, Ei, Ei B.“ (und eben nicht „Eieiei“ bzw. „Ei, Ei, Ei“).

4..Auf Grundlage der vorstehenden Ausführungen ergibt sich schließlich auch kein Unterlassungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten aus § 4 Nr. 3 UWG. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutz für nicht gegeben erachtet hat. Das Landgericht ist aufgrund der zur markenmäßigen Verwendung des angegriffenen Zeichens angestellten Erwägungen folgerichtig zu dem Ergebnis gelangt, dass der Wortfolge „Ei, Ei, Ei“ schon keine wettbewerbliche Eigenart zukommt. Dies hält der Nachprüfung durch den Senat stand. Das Vorbringen der Klägerin in der Berufungsinstanz gibt keinen Anlass zu ergänzenden Ausführungen. Die Berufung irrt, wenn sie meint, der Werbeslogan „Ei, Ei, Ei“ (wohlgemerkt ohne den Zusatz „B.“) habe sich aufgrund der intensiven und langjährigen Benutzung als Herkunftshinweis auf das Unternehmen der Klägerin etabliert. Diese Ansicht teilt der Senat - ebenso wie das Landgericht - aus den bereits dargelegten Gründen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, nicht.

5. Es bedarf keiner Entscheidung des Senats, ob als Anspruchsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Unterlassungsanspruch die von der Beklagten mit anwaltlichem Schreiben vom 18. Februar 2020 abgegebene Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung in Betracht kommt. Die Klägerin hat ihren Unterlassungsbegehren im Rahmen dieses Rechtsstreits auf eine Markenverletzung gestützt und sich hilfsweise auf die Verletzung wettbewerbsrechtlichen Vorschriften aus dem UWG berufen, sich mithin eines gesetzlichen Unterlassungsanspruches berühmt. Will die Klägerin den Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte auch aus einem Unterlassungsvertrag ableiten, so liegt ein eigener Streitgegenstand vor (siehe dazu Thiering, in: Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 13. Auflage, § 14 Rn. 641 mit zahlreichen weiteren Nachweisen), der jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens im Markenlöschungsstreit im Regelfall 50.000 EURO

BGH
Beschluss vom 11.04.2023
I ZB 55/22


Der BGH hat abermals entschieden, dass der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens im Markenlöschungsstreit im Regelfall 50.000 EURO beträgt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Maßgeblich für die Festsetzung des Gegenstandswerts des Rechtsbeschwerdeverfahrens im Markenlöschungsstreit ist das wirtschaftliche Interesse des Markeninhabers an der Aufrechterhaltung seiner Marke.

Nach der Rechtsprechung des Senats entspricht eine Festsetzung des Gegenstandswerts auf 50.000 € für das Rechtsbeschwerdeverfahren in einem Markenlöschungsstreit im Regelfall billigem Ermessen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Dezember 2017 - I ZB 45/16, WRP 2018, 349 [juris Rn. 1]; Beschluss vom 1. September 2020 - I ZB 101/19, juris Rn. 2 mwN). Mangels abweichender Anhaltspunkte ist hiervon im Streitfall auszugehen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens zwar nicht der Bestand der angegriffenen Marke insgesamt war, das Rechtsbeschwerdeverfahren jedoch den weit überwiegenden Teil der von ihr beanspruchten Waren betraf. Den hierauf entfallenden Wert bemisst der Senat im Hinblick darauf, dass die Marke Schutz für Waren der Klassen 10, 18 und 25 beansprucht hat und der Löschungsantrag vor dem Bundespatentgericht nur hinsichtlich eines Teils der Waren der Klasse 10 erfolglos geblieben ist, auf neun Zehntel von 50.000 €.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH-Generalanwalt: Unmittelbare Verhängung einer Geldbuße gegen juristische Person nach Art. 83 Abs. 4-6 DSGVO möglich - § 30 OWiG gilt nicht

EuGH-Generalanwalt
Schlussanträge vom
C-807/21


Der EuGH-Generalanwalt kommt in seinen Schlussanträge zu dem Ergebnis, dass die unmittelbare Verhängung einer Geldbuße gegen juristische Person nach Art. 83 Abs. 4-6 DSGVO möglich ist. § 30 OWiG greift insoweit nicht.

Das Ergebnis der Schlussanträge:
Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, dem Kammergericht Berlin (Deutschland) wie folgt zu antworten:

Art. 58 Abs. 2 Buchst. i der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) in Verbindung mit Art. 4 Nr. 7 und Art. 83 dieser Verordnung

ist dahin auszulegen, dass

die Verhängung einer Geldbuße gegen eine juristische Person, die für die Verarbeitung personenbezogener Daten verantwortlich ist, nicht von der vorherigen Feststellung eines Verstoßes durch eine oder mehrere individualisierte natürliche Person(en), die im Dienst dieser juristischen Person stehen, abhängt.

Die Verwaltungsgeldbußen, die gemäß der Verordnung 2016/679 verhängt werden können, setzen voraus, dass festgestellt wird, dass das den geahndeten Verstoß begründende Verhalten vorsätzlich oder fahrlässig war.


Die vollständigen Schlussanträge finden Sie hier:

BGH: Keine Markenrechtsverletzung durch Verwendung des als Wort-/Bildmarke geschützten Logos eines Logistikunternehmens auf Modellbau-LKW und Modellbau-Lagerhalle

BGH
Urteil vom 12.01.2023
I ZR 86/22
DACHSER
MarkenG § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3


Der BGH hat entschieden, dass keine Markenrechtsverletzung durch Verwendung des als Wort-/Bildmarke geschützten Logos eines Logistikunternehmens auf Modellbau-LKW und Modellbau-Lagerhalle vorliegt.

Leitsätze des BGH:
a) Angesichts der jahrzehntelangen Üblichkeit detailgetreuer Nachbildungen im Modellspielzeugbau und der Erwartung, die der Verkehr hieran stellt, besteht ein berechtigtes Interesse, ein in der Realität vorkommendes Fahrzeug nachzubauen und darauf nicht nur - wie in der Wirklichkeit - das Kennzeichen des Herstellers des jeweiligen Fahrzeugs, sondern auch Kennzeichen anzubringen, die Unternehmen auf solchen Fahrzeugen zum Zwecke der Werbung für ihre Dienstleistungen verwenden. Wenn ein von einem Dritten detailgetreu nachgebildetes Kfz-Modell an der entsprechenden Stelle die Abbildung einer bekannten Dienstleistungsmarke trägt, ist eine Ausnutzung des Rufs "in unlauterer Weise" im Sinne von § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 MarkenG nur dann gegeben, wenn über die bloße wirklichkeitsgetreue Abbildung hinaus in anderer Weise versucht wird, die Wertschätzung der bekannten Marke werblich zu nutzen. Ergibt sich beim Vertrieb solcher Spielzeugautos jeglicher Zusammenhang mit der Marke allein aus der spielzeughaft verkleinerten Nachbildung des Originals zwangsläufig wie beiläufig, fehlt es an dem Merkmal der unlauteren Rufausnutzung (Bestätigung und Fortführung von BGH, Urteil vom 14. Januar 2010 - I ZR 88/08, GRUR 2010, 726 = WRP 2010, 1039 - Opel-Blitz II).

b) Wegen der jahrzehntelangen Üblichkeit detailgetreuer Nachbildungen der Realität im Spielzeug- und Modellbereich und einer entsprechenden Verbrauchererwartung besteht ein berechtigtes Interesse des Spielzeugherstellers, nicht nur Fahrzeuge, sondern auch Gebäude als Modelle vertreiben zu können, auf denen bekannte Marken angebracht sind, soweit sie eine Miniaturdarstellung der Realität darstellen. Nach den Umständen des Einzelfalls kann es ausreichen, wenn das Modell die für die Unternehmensidentität entscheidenden Gestaltungsmerkmale einschließlich des Logos übernimmt, so dass der Verkehr in dem Modell den Nachbau eines in der Realität typischerweise vorkommenden Gebäudes des Markeninhabers erkennt.

BGH, Urteil vom 12. Januar 2023 - I ZR 86/22 - OLG Köln - LG Köln

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH-Generalanwalt: Bei einem Datenleck oder Hackerangriff kann ein Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens aus Art. 82 DSGVO für Befürchtung eines künftigen Missbrauchs der Daten bestehen

EuGH-Generalanwalt
Schlussanträge vom 27.04.2023
C-340/21 | Natsionalna agentsia za prihodite


Der EuGH-Generalanwalt kommt in seinen Schlussanträgen zu dem Ergebnis, dass bei einem Datenleck oder Hackerangriff ein Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens aus Art. 82 DSGVO gegen die verarbeitende Stelle für die Befürchtung eines künftigen Missbrauchs der Daten bestehen kann.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Bei einem unbefugten Zugang zu personenbezogenen Daten durch Dritte haftet der Verantwortliche für mutmaßliches Verschulden und es kommt eventuell ein Ersatz des immateriellen Schadens in Betracht

Für eine Haftungsbefreiung muss der Verantwortliche nachweisen, dass er für den Umstand, durch den der Schaden eingetreten ist, in keinerlei Hinsicht verantwortlich ist. Die Befürchtung eines künftigen Missbrauchs personenbezogener Daten kann nur dann einen immateriellen Schaden darstellen, wenn es sich um einen realen und sicheren emotionalen Schaden und nicht nur um ein Ärgernis oder eine Unannehmlichkeit handelt.

Am 15. Juli 2019 verbreiteten die bulgarischen Medien die Nachricht, dass ein unbefugter Zugang zum Informationssystem der bulgarischen Nationalen Agentur für Einnahmen (NAP) erfolgt sei und dass verschiedene Steuer- und Sozialversicherungsdaten von Millionen von Menschen im Internet veröffentlicht worden seien. Mehrere Personen, darunter V.B., verklagten die NAP auf Ersatz des immateriellen Schadens, der sich in Sorgen und Befürchtungen des künftigen Missbrauchs ihrer personenbezogenen Daten äußere. Nach Ansicht von V.B. hatte die NAP gegen nationale Vorschriften und ihre Verpflichtung verstoßen, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um als Verantwortliche bei der Verarbeitung personenbezogener Daten angemessene Sicherheitsstandards zu gewährleisten. Das erstinstanzliche Gericht wies die Klage mit der Begründung ab, dass die Veröffentlichung der Daten nicht der NAP zuzurechnen sei, dass die Beweislast für die Geeignetheit der Maßnahmen bei V.B. liege und dass kein immaterieller Schaden geltend gemacht werden könne. Das mit der Kassationsbeschwerde befasste Oberste Verwaltungsgericht hat dem Gerichtshof einige Fragen zur Auslegung der DatenschutzGrundverordnung1 zur Vorabentscheidung vorgelegt, um zu klären, unter welchen Bedingungen eine Person, deren personenbezogene Daten, die sich im Besitz einer öffentlichen Agentur befinden, nach einem Hackerangriff im Internet veröffentlicht wurden, Ersatz des immateriellen Schadens verlangen kann.

In den heutigen Schlussanträgen weist Generalanwalt Giovanni Pitruzzella zunächst darauf hin, dass der Verantwortliche geeignete technische und organisatorische Maßnahmen umsetzen müsse, um sicherzustellen, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten gemäß der Verordnung erfolge. Die Geeignetheit dieser Maßnahmen werde unter Berücksichtigung der Art, des Umfangs, der Umstände und der Zwecke der Verarbeitung sowie der unterschiedlichen Eintrittswahrscheinlichkeit und Schwere der Risiken für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen auf der Grundlage einer Einzelfallprüfung bestimmt.

Der Generalanwalt führt erstens aus, dass das Vorliegen einer „Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten“ an sich nicht ausreiche, um anzunehmen, dass die vom Verantwortlichen ergriffenen technischen und organisatorischen Maßnahmen nicht „geeignet" gewesen seien, um den Schutz der Daten zu gewährleisten. Bei der Auswahl der Maßnahmen müsse der Verantwortliche eine Reihe von Faktoren berücksichtigen, darunter den „Stand der Technik“, der eine Begrenzung des technologischen Niveaus der Maßnahmen auf das, was zum Zeitpunkt des Ergreifens der Maßnahmen vernünftigerweise möglich sei, zulasse, wobei auch die Implementierungskosten zu berücksichtigen seien. Die Entscheidung des Verantwortlichen unterliege einer möglichen gerichtlichen Prüfung der Vereinbarkeit mit der Verordnung. Die Beurteilung der Geeignetheit der Maßnahmen müsse auf einer Abwägung zwischen den Interessen der betroffenen Person und den wirtschaftlichen Interessen und technischen Möglichkeiten des Verantwortlichen unter Wahrung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beruhen.

Zweitens müsse das nationale Gericht bei der Prüfung der Frage, ob die Maßnahmen geeignet gewesen seien, eine Überprüfung vornehmen, die sich auf eine konkrete Analyse sowohl des Inhalts der Maßnahmen als auch der Art und Weise ihrer Durchführung und ihrer praktischen Auswirkungen erstrecke. Bei der gerichtlichen Überprüfung müssten daher alle Faktoren berücksichtigt werden, die in der Verordnung enthalten seien. Unter diesen Faktoren könne die Einführung von Verhaltensregeln oder Zertifizierungssystemen ein nützliches Element der Bewertung zum Zweck der Erfüllung der Beweispflicht sein, wobei der Verantwortliche nachweisen müsse, dass er die in den Verhaltensregeln vorgesehenen Maßnahmen tatsächlich ergriffen habe, während die Zertifizierung als solche den Beweis für die Übereinstimmung der durchgeführten Verarbeitungen mit der Verordnung darstelle. Da diese Maßnahmen erforderlichenfalls überprüft und aktualisiert werden müssten, habe das Gericht auch diesen Umstand zu würdigen.

Drittens obliege dem Verantwortlichen der Nachweis, dass die Maßnahmen geeignet seien. Gemäß dem Grundsatz der Verfahrensautonomie sei es Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats, die zulässigen Beweismittel und deren Beweiskraft, einschließlich der Ermittlungsmaßnahmen, zu bestimmen.

Viertens stelle der Umstand, dass der Verstoß gegen die Verordnung von einem Dritten begangen worden sei, für sich genommen keinen Grund dar, den Verantwortlichen von der Haftung zu befreien. Für eine Haftungsbefreiung müsse der Verantwortliche mit hohem Beweisniveau nachweisen, dass er für den Umstand, durch den der Schaden eingetreten sei, in keinerlei Hinsicht verantwortlich sei. Bei der Haftung für die unrechtmäßige Verarbeitung personenbezogener Daten handele es sich nämlich um eine verschärfte Haftung für mutmaßliches Verschulden. Der Verantwortliche habe daher die Möglichkeit, einen Entlastungsbeweis vorzulegen.

Schließlich ist der Generalanwalt der Ansicht, dass der Schaden, der in der Befürchtung eines möglichen künftigen Missbrauchs der personenbezogenen Daten bestehe und dessen Vorhandensein die betroffene Person nachgewiesen habe, einen immateriellen Schaden darstellen könne, der einen Schadensersatzanspruch begründe. Dies gelte aber nur, wenn es sich um einen realen und sicheren emotionalen Schaden und nicht nur um ein Ärgernis oder eine Unannehmlichkeit handele.


Die vollständigen Schlussanträge finden Sie hier:

VG Düsseldorf auch im Hauptsacheverfahren: Landesmedienanstalt NRW kann Verbreitung ausländischer pornografischer Internetangebote ohne ausreichende Altersverifikation untersagen

VG Düsseldorf
Urteil vom 27.04.2023 - 27 K 3604/20
Urteil vom 27.04.2023 - 27 K 3605/20
Urteil vom 27.04.2023 - 27 K 3606/20


Das VG Düsseldorf hat auch im Hauptsacheverfahren entschieden, dass die Landesmedienanstalt NRW die Verbreitung ausländischer pornografischer Internetangebote ohne ausreichende Altersverifikation untersagen kann.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Eilentscheidung bestätigt - Untersagung von pornografischen Internetangeboten aus Zypern rechtmäßig

Die Landesanstalt für Medien NRW hat zu Recht auf Grundlage des Jugendmedienschutzstaatsvertrages gegenüber zwei Anbietern mit Sitz in Zypern insgesamt drei Internetseiten mit frei zugänglichen pornografischen Inhalten beanstandet und deren Verbreitung in dieser Form in Deutschland in Zukunft untersagt. Das hat die 27. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf mit den Beteiligten heute zugestellten Urteilen entschieden. Das Gericht hat damit seine Eilentscheidungen aus November 2021 (27 L 1414/20, 27 L 1415/20 und 27 L 1416/20) auch in der Hauptsache bestätigt, nachdem das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen gegen die Eilbeschlüsse erhobene Rechtsmittel im September 2022 zurückgewiesen hatte
(13 B 1911/21, 13 B 1912/21 und 13 B 1913/21).

Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt: Auch wenn eine Internetseite vom EU-Ausland aus betrieben wird, sind die Vorschriften des deutschen Jugendmedienschutzrechts anwendbar. Der hierauf gestützte angefochtene Bescheid verstößt weder gegen nationales Verfassungsrecht noch gegen Völkerrecht oder das Recht der Europäischen Union. Insbesondere können sich die Kläger nicht mit Erfolg auf das sog. Herkunftslandprinzip berufen, wonach für Internetanbieter aus einem EU-Mitgliedstaat grundsätzlich nur die dortigen - im vorliegenden Fall die zypriotischen - Regeln gelten. Es kommt vielmehr das strenge deutsche Jugendmedienschutzrecht zur Anwendung, weil Kindern und Jugendlichen ernste und schwerwiegende Gefahren durch freien Zugang zu pornografischen Internetseiten drohen. Studien haben gezeigt, dass etwa die Hälfte der dort befragten Kinder und Jugendlichen schon frei zugängliche Pornografie im Internet konsumiert hatte, während nur knapp ein Viertel der Eltern Geräte oder Programme genutzt hatte, um solche Inhalte zu blockieren. Die Anbieter müssen daher sicherstellen, dass nur Erwachsene Zugang zu solchen Inhalten erhalten, etwa durch Einrichtung eines Systems zur Altersverifikation.

Dem steht auch nicht entgegen, dass die Rechtslage sich zwischenzeitlich in Deutschland und Zypern geändert hat. Denn für die Frage, ob der Bescheid zu Recht ergangen ist, kommt es auf den Zeitpunkt seines Erlasses im Sommer 2020 an.

Soweit die Landesanstalt für Medien ihre Beanstandungs- und Untersagungsverfügung dagegen zusätzlich darauf gestützt hatte, dass die Angebote neben Pornografie auch andere entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte aufwiesen bzw. kein Jugendschutzbeauftragter bestellt war, hat die Kammer den Klagen stattgegeben und den Bescheid insoweit aufgehoben. Hinsichtlich dieser Verstöße konnte die Kammer ernste und schwerwiegende Gefahren nicht feststellen, die es rechtfertigen würden auch insoweit das Recht des Herkunftsstaates der Klägerinnen - Zypern - unangewendet zu lassen.

Gegen sämtliche Urteile kann Berufung eingelegt werden, die die Kammer wegen der grundsätzlichen Bedeutung der in Rede stehenden Rechtsfragen zugelassen hat und über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet.

Aktenzeichen: 27 K 3604/20, 27 K 3605/20 und 27 K 3606/20



BGH: Kein Anspruch auf Rückzahlung der Anzahlung an Hochzeits-Fotografin wegen coronabedingter Verlegung des Hochzeitstermins

BGH
Urteil vom 27.04.2023
VII ZR 144/22


Der BGH hat entschieden, dass der Auftraggeber keinen Anspruch auf Rückzahlung der Anzahlung an eine Hochzeits-Fotografin wegen coronabedingter Verlegung des Hochzeitstermins hat.

Die Pressemitteilung des BGH:
Bundesgerichtshof zu Vergütungsansprüchen einer Hochzeits-Fotografin nach Verlegung des Hochzeitstermins wegen Beschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie

Der unter anderem für Rechtsstreitigkeiten über Werkverträge zuständige VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute über eine Klage auf Rückgewähr einer an eine Hochzeits-Fotografin geleisteten Anzahlung und auf Feststellung, dass ihr keine weiteren Vergütungsansprüche zustehen, weil die Kläger wegen Beschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie den Hochzeitstermin verlegten und deshalb von dem Vertrag zurücktraten bzw. diesen kündigten, entschieden.

Sachverhalt und bisheriger Prozessverlauf:

Die Kläger beabsichtigten, am 1. August 2020 kirchlich zu heiraten. Nachdem der Fotograf, der die standesamtliche Trauung begleitet hatte, zu diesem Termin verhindert war, wandten sich die Kläger an die Beklagte. Mit Schreiben vom 28. Oktober 2019 bedankte sich die Beklagte für "die Beauftragung" und stellte für "Reportage Hochzeit 01.08.2020 (1. Teilbetrag)" 1.231,70 € von der insgesamt vereinbarten Vergütung in Höhe von 2.463,70 € in Rechnung. Die Kläger überwiesen den geforderten "1. Teilbetrag".

Die Kläger beabsichtigten, zu ihrer kirchlichen Hochzeit 104 Gäste einzuladen. Die Durchführung der so geplanten Hochzeit war aufgrund von Beschränkungen im Rahmen der Corona-Pandemie nicht möglich. Die Kläger planten deshalb neu eine Hochzeitsfeier für den 31. Juli 2021 und teilten der Beklagten mit E-Mail vom 15. Juni 2020 mit, für den neuen Termin den Fotografen beauftragen zu wollen, der am 1. August 2020 verhindert gewesen sei. Daraufhin forderte die Beklagte ein weiteres Honorar von 551,45 €, was die Kläger ablehnten. Diese verlangten vielmehr die Rückzahlung der bereits überwiesenen 1.231,70 € und erklärten wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage den "Rücktritt von dem vorstehend bezeichneten Vertrag bzw. dessen Kündigung".

Mit ihrer Klage begehren die Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 1.231,70 € und zusätzlicher 309,40 € für außergerichtliche Kosten sowie die Feststellung, dass sie nicht verpflichtet sind, weitere 551,45 € an die Beklagte zu zahlen.

Die Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision haben die Kläger ihr Klagebegehren weiterverfolgt.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat die Revision der Kläger zurückgewiesen.

Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise die Ansprüche der Kläger auf Rückgewähr der Anzahlung und Feststellung, eine weitere Vergütung von 551,45 € nicht zu schulden, verneint.

Ein Anspruch auf Rückgewähr der Anzahlung folgt nicht daraus, dass der Beklagten die von ihr geschuldete Leistung unmöglich geworden ist. Denn ihr war es trotz der zum Zeitpunkt der geplanten Hochzeitsfeier geltenden pandemiebedingten landesrechtlichen Vorgaben möglich, fotografische Leistungen für eine kirchliche Hochzeit und eine Hochzeitsfeier zu erbringen. Das betreffende Landesrecht erlaubte kirchliche Hochzeiten und Hochzeitsfeiern sowie die Erbringung von Dienstleistungen und Handwerkstätigkeiten. Soweit die Kläger die Hochzeit und die Hochzeitsfeier wegen der nicht einzuhaltenden Abstände von mindestens 1,5 m nicht im geplanten Umfang (104 Gäste) durchführen konnten, führt das nicht zu einer anderen rechtlichen Beurteilung.

Der Rückzahlungsanspruch folgt des Weiteren nicht aus einem Rücktrittsrecht der Kläger wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage oder einer ergänzenden Vertragsauslegung. Die ergänzende Vertragsauslegung, die Vorrang vor den Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundlage hat, ergibt, dass die pandemiebedingte Verlegung der für den 1. August 2020 geplanten Hochzeit und der Hochzeitsfeier keinen Umstand darstellt, der die Kläger zum Rücktritt vom Vertrag berechtigte. Der Umstand, dass die Kläger nach Absage des vereinbarten Termins nur aus Gründen, die nicht im Verantwortungsbereich der Beklagten liegen, einen anderen Fotografen bevorzugten, ist nach Treu und Glauben unter redlichen Vertragspartnern unerheblich und deshalb im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung nicht zu berücksichtigen.

Den von den Klägern erklärten "Rücktritt" bzw. die "Kündigung" des Vertrags hat das Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise als freie Kündigung des Vertrags (§ 648 Satz 1 BGB) ausgelegt und darauf aufbauend einen Vergütungsanspruch der Beklagten aus § 648 Satz 2 BGB in Höhe von 2.099 € festgestellt. Dementsprechend besteht nicht nur kein Rückzahlungsanspruch der Kläger in Höhe von 1.231,70 €, sondern ist auch die negative Feststellungsklage der Kläger unbegründet. Deshalb können die Kläger schließlich die Erstattung außergerichtlicher Kosten nicht verlangen.

Vorinstanzen:

AG Gießen - Urteil vom 26.November 2021 - 43 C 63/21
LG Gießen - Urteil vom 21. Juni 2022 - 1 S 1/22

Die maßgebliche Vorschrift lautet:

§ 648 BGB

Der Besteller kann bis zur Vollendung des Werks den Vertrag jederzeit kündigen. Kündigt der Besteller, so ist der Unternehmer berechtigt, die vereinbarte Vergütung zu verlangen; er muss sich jedoch dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrags an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt.


BGH: Keine Haftung des Vertriebshändlers für Verletzung der Verkehrssicherungspflichten bei Konstruktions- und Fabrikationsfehlern

BGH
Urteil vom 21.03.2023 - VI ZR 1369/20
BGB § 823 Abs. 1


Der BGH hat entschieden, dass keine Haftung des bloßen Vertriebshändlers für Verletzung der Verkehrssicherungspflichten bei Konstruktions- und Fabrikationsfehlers besteht. Anders ist nur dann zu entscheiden, wenn besondere Gründe (z.B. Kenntnis von Schadensfällen bei der Produktverwendung) Anlass für eine Überprüfung der Produktsicherheit nahelegen.

Leitsatz des BGH:
Zur deliktischen Produzentenhaftung bei einem mit Herbiziden verunreinigten Düngemittel.

BGH, Urteil vom 21. März 2023 - VI ZR 1369/20 - OLG Koblenz - LG Mainz

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Im Zivilverfahren können grundsätzlich auch Ermittlungs- und Strafakten beigezogen werden wobei des Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen zu beachten ist

BGH
Urteil vom 16.03.2023
III ZR 104/21
Zivilprozess, Beiziehung von Ermittlungs-/Strafakten
ZPO § 429 Satz 1 HS. 1; § 432 Abs. 1, Abs. 3; StPO § 474 Abs. 1, § 479 Abs. 4


Der BGH hat entschieden, dass im Zivilverfahren grundsätzlich auch Ermittlungs- und Strafakten beigezogen werden können, wobei des Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen zu beachten ist.

Leitsätze des BGH:
a) Gemäß § 432 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 474 Abs. 1, § 479 Abs. 4 Sätze 2 und 3 StPO steht einer Partei grundsätzlich die Möglichkeit zur Verfügung, in einem anhängigen Zivilprozess (Teile von) Ermittlungs- beziehungsweise Strafakten beiziehen zu lassen.

b) Nach § 474 Abs. 1 StPO ist den Gerichten grundsätzlich Akteneinsicht zu gewähren.

c) Grundrechten der anderen Partei oder Dritter, insbesondere deren Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, kann dadurch Rechnung getragen werden, dass das Gericht nach Erhalt der angeforderten Akte unter Berücksichtigung von deren schutzwürdigen Interessen abwägt und so prüft, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Informationen aus ihr im Zivilverfahren verwertet werden können; der Zugang zu den Informationen aus der beigezogenen Akte ist gegebenenfalls angemessen zu beschränken

d) Maßgeblich für die Vorlagepflicht Dritter gemäß § 429 Satz 1 HS. 1, § 432 Abs. 3 ZPO ist, ob die beweisführungsbelastete Partei im Verhältnis zu ihnen einen Vorlegungsanspruch hat. Ob die Gegenpartei in Ermangelung der Voraussetzungen der §§ 422 f ZPO nicht zur Vorlage einer Urkunde verpflichtet ist, ist demgegenüber in Bezug auf Dritte nicht von Bedeutung.

BGH, Urteil vom 16. März 2023 - III ZR 104/21 - OLG Nürnberg - LG Regensburg

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Berlin: Werbung für Nahrungsergänzungsmittel mit "Anti-Kater" oder "Anti-Hangover" ist ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen Art. 7 LMIV

LG Berlin
Urteil vom 09.11.2022
97 O 106/21


Das LG Berlin hat entschieden, dass die Werbung für Nahrungsergänzungsmittel mit "Anti-Kater" oder "Anti-Hangover" einen wettbewerbswidrigen Verstoß gegen Art. 7 LMIV darstellt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Dem Kläger stehen wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche aus §§ 3, 3a UWG iVm Art. 7 Abs. 3, 4 a) LMIV gegen die Beklagte zu, weil die tenorierten Äußerungen innerhalb der streitgegenständlichen Werbung der Anlage K 3 in jedem Fall krankheitsbezogen sind.

Gemäß Art. 7 Abs. 3, 4 a) LMIV dürfen Informationen über ein Lebensmittel diesem auch in der Werbung keine Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreiben oder den Eindruck dieser Eigenschaften entstehen lassen. Das von der Beklagten beworbene Produkt ist ein Lebensmittel im Sinne der LMIV.

Der Begriff „Krankheit“ ist unionsrechtlich nicht definiert, weshalb auf die durch nationale Rechtsprechung entwickelte Definition zurückzugreifen ist. Krankheit gemäß Art. 7 LMIV ist nach der Rechtsprechung und herrschenden Meinung in der Literatur jede, also auch eine geringfügige oder vorübergehende Störung der normalen Beschaffenheit oder normalen Tätigkeit des Körpers (vgl. BGH NJW 1966, 393, 396 f.; Voit/Grube, LMIV, 2. Auflage, Art. 7 Rdnr. 292). Die durch § 12 LFGB bzw. Art. 7 LMIV als Nachfolgevorschrift verbotene Bezugnahme auf eine bestimmte Krankheit kann auch indirekt durch Hinweise auf Körperzustände oder Wirkungen des Lebensmittels, die beim Verbraucher Assoziationen zu bestimmten Krankheiten auslösen, geschehen (vgl. Wehlau, LFGB, § 12 Rdnr. 31). Krankheitssymptome fallen jedenfalls dann in den Anwendungsbereich der Vorschrift, wenn ein mittelbarer Bezug zu einer bestimmten Krankheit hergestellt und nicht nur ein bloßer Hinweis auf die gesundheitsfördernde Wirkung abgegeben wird (vgl. OLG Karlsruhe BeckRS 2017, 140106 Tz. 23 f.). Die jeweiligen Werbeangaben sind in ihrem Gesamtzusammenhang zu würdigen, weil sie Bestandteile einer jeweils einheitlichen Werbung sind, die als geschlossene Botschaft erscheint. Vor diesem Hintergrund ist jede der beanstandeten Aussagen im Zusammenhang mit dem übrigen Inhalt zu bewerten (vgl. Kammergericht, Urteil vom 25. April 2018 - 5 U 82/17 -).

Die streitgegenständlichen Aussagen weisen in ihrem von der Beklagten gestalteten Umfeld zweifellos Krankheitsbezug auf, sie wecken entgegen ihrer Auffassung beim Interessenten ihres Produkts nicht die Erwartung einer üblichen Schwankung des körperlichen Wohlbefindens. Dies folgt neben der ersten streitgegenständlichen Werbeaussage aus dem vorangestellten „Anti-“ in den nachfolgenden beiden, die zusammen mit dem weiteren Text der Anlage K 3 jedem Interessenten verdeutlichen, er könne soviel trinken, wie er wolle, die damit verbundenen zwangsläufigen, bekannten und meist schwerwiegenden Folgen träten nicht ein. Ein derartiger, durch erheblichen Alkoholkonsum hervorgerufener Zustand, den es zu verhindern gelte, weicht stets von dem üblichen Auf und Ab der Gesundheit im Laufe eines Tages ab und erfüllt selbst bei einer unterstellten, von der Beklagten befürworteten teleologischen Auslegung der Vorschrift den Krankheitsbegriff. In ihrem Werbetext spricht die Beklagte von einer „langen Partynacht“, in der man sich „keine Gedanken um den Morgen danach machen“ müsse. Das Produkt helfe, „lebenswichtige Nährstoffe wiederherzustellen und am nächsten Tag ohne Kopfschmerzen aufzuwachen. Seien Sie sorgloser ... Denn so ist der gefürchtete Morgen danach Schnee von gestern...“. U. a. mit „Kopfschmerzen“ und „gefürchtete Morgen danach“ spricht die Beklagte unmissverständlich Folgen an, die der Interessent stets als Störung der normalen Beschaffenheit des Körpers in diesem Werbeumfeld ansieht.

Einer Entscheidung der von der Beklagten aufgeworfenen Frage, ob die jeweiligen Begriffe „Kater“ und/oder „Hangover“ für sich bereits für eine Krankheit im Sinne des Art. 7 Abs. 3 LMIV stehen, bedarf es dementsprechend nicht, wobei dies von der Rechtsprechung unter Würdigung auch der hiesigen Argumente der Beklagten soweit ersichtlich allgemein bejaht wird (vgl. insbesondere OLG Frankfurt GRUR 2019, 1300 Tz. 23 bis 34).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Formularmäßige Abtretung von Schadensersatzansprüchen des Käufers im Dieselskandal an Finanzierungsbank unwirksam

BGH
Urteil vom 24. April 2023
VIa ZR 1517/22


Der BGH hat entschieden, dass die formularmäßige Abtretung von Schadensersatzansprüchen des Käufers im Dieselskandal an die Finanzierungsbank unwirksam ist.

Die Pressemitteilung des BGH:
Bundesgerichtshof entscheidet über die Unwirksamkeit der formularmäßigen Abtretung von Ansprüchen
des Käufers an die Finanzierungsbank in einem Dieselverfahren

Der vom Präsidium des Bundesgerichtshofs vorübergehend als Hilfsspruchkörper eingerichtete VIa. Zivilsenat (vgl. Pressemitteilung Nr. 141/2021 vom 22. Juli 2021) hat entschieden, dass die in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Finanzierungsbank enthaltene Klausel über die Sicherungsabtretung von Ansprüchen des Käufers und Darlehensnehmers gegen den Verkäufer und Hersteller eines Dieselfahrzeugs Ansprüche auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung erfasst und unwirksam ist.

Sachverhalt und bisheriger Prozessverlauf:

Der Kläger nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch.

Im März 2019 erwarb der Kläger von der Beklagten als Verkäuferin einen Mercedes GLC 250 für 55.335,89 € als Neuwagen. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse EURO 6) ausgestattet Der Kläger leistete eine Anzahlung in Höhe von 9.140 € an die Beklagte. Den Kaufpreis finanzierte er im Übrigen in Höhe von 46.195,89 € teilweise noch valutierend bei einer Bank (künftig Darlehensgeberin). Dem Darlehensvertrag lagen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Darlehensgeberin zugrunde. Dort hieß es unter anderem:

"II. Sicherheiten

Der Darlehensnehmer räumt dem Darlehensgeber zur Sicherung aller gegenwärtigen und bis zur Rückzahlung des Darlehens noch entstehenden sowie bedingten und befristeten Ansprüche des Darlehensgebers aus der Geschäftsverbindung einschließlich einer etwaigen Rückabwicklung, gleich aus welchem Rechtsgrund, Sicherheiten gemäß nachstehenden Ziffern 1-3 ein. […]

[…]

3. Abtretung von sonstigen Ansprüchen

Der Darlehensnehmer tritt ferner hiermit folgende – gegenwärtige und zukünftige – Ansprüche an den Darlehensgeber ab, […] [der] diese Abtretung annimmt:

[…]

- gegen die [Beklagte] […], gleich aus welchem Rechtsgrund. Ausgenommen von der Abtretung sind Gewährleistungsansprüche aus Kaufvertrag des Darlehensnehmers gegen die […] [Beklagte] oder einen Vertreter der […] [Beklagten]. Der Darlehensnehmer hat dem Darlehensgeber auf Anforderung jederzeit die Namen und Anschriften der Drittschuldner mitzuteilen.

[…]

6. Rückgabe der Sicherheiten

Der Darlehensgeber verpflichtet sich, nach Wegfall des Sicherungszweckes (alle Zahlungen unanfechtbar erfolgt) sämtliche Sicherungsrechte (Abschnitt II. Ziff. […] 3) zurückzuübertragen […] Bestehen mehrere Sicherheiten, hat der Darlehensgeber auf Verlangen des Darlehensnehmers schon vorher nach […] [seiner] Wahl einzelne Sicherheiten oder Teile davon freizugeben, falls deren realisierbarer Wert 120% der gesicherten Ansprüche des Darlehensgebers überschreitet […]"

Der Kläger hat die Beklagte in den Vorinstanzen unter dem Gesichtspunkt des Rücktritts vom Kaufvertrag und unter dem Gesichtspunkt einer deliktischen Schädigung wegen des Inverkehrbringens des Fahrzeugs auf Zahlung nebst Verzugszinsen an sich sowie auf Freistellung von restlichen Darlehensraten, Zug um Zug gegen Übergabe und Übertragung des Anwartschaftsrechts auf Rückübereignung des Fahrzeugs, in Anspruch genommen. Weiter hat er auf Feststellung des Annahmeverzugs und die Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten angetragen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision hat der Kläger seine zweitinstanzlich gestellten Anträge weiterverfolgt, soweit er sie auf eine unerlaubte Handlung der Beklagten durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs stützt.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Das Berufungsgericht hat zwar rechtsfehlerfrei erkannt, bei der Sicherungsabtretung von Ansprüchen gegen die Beklagte "gleich aus welchem Rechtsgrund" handele es sich um eine vorformulierte Allgemeine Geschäftsbedingung, die Bestandteil des Darlehensvertrags geworden ist. Es hat aber unzutreffend angenommen, die Abtretungsklausel sei wirksam, so dass der Kläger nicht aktivlegitimiert sei.

Die Abtretungsklausel ist so zu verstehen, mit Ausnahme von Gewährleistungsansprüchen aus Kaufvertrag erfasse sie jedenfalls sämtliche mit dem Erwerb des Fahrzeugs in Zusammenhang stehenden Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte. Damit sind auch solche Forderungen erfasst, die dem Darlehensnehmer als Verbraucher im Rahmen des von § 355 Abs. 3 Satz 1, § 358 Abs. 4 Satz 5 BGB geregelten Rückabwicklungsverhältnisses nach Widerruf der auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung gegen die Beklagte erwachsen.

So verstanden hält die Abtretungsklausel einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2 Nr. 1, §§ 134, 361 Abs. 2 Satz 1, § 355 Abs. 3 Satz 1, § 358 Abs. 4 Satz 5 BGB ohne Wertungsmöglichkeit nicht stand, weil sie zulasten des Klägers als Verbraucher und Vertragspartner zweier verbundener Verträge von zu seinen Gunsten zwingenden Vorschriften abweicht.

Nach § 358 Abs. 4 Satz 1 BGB in der auf das Vertragsverhältnis zwischen dem Kläger und der Darlehensgeberin geltenden Fassung findet in Fällen, in denen wie hier der Kaufvertrag über das Fahrzeug und der Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag verbundene Verträge im Sinne des § 358 Abs. 3 BGB darstellen, im Falle des Widerrufs unter anderem § 355 Abs. 3 Satz 1 BGB Anwendung, demzufolge die empfangenen Leistungen unverzüglich zurückzugewähren sind. Dabei tritt nach § 358 Abs. 4 Satz 5 BGB der Darlehensgeber im Verhältnis zum Verbraucher (hier dem Darlehensnehmer und Käufer) hinsichtlich der Rechtsfolgen des Widerrufs in die Rechte und Pflichten des Unternehmers aus dem verbundenen Vertrag (hier des Verkäufers) ein, wenn das Darlehen dem Unternehmer (hier dem Verkäufer) bei Wirksamwerden des Widerrufs bereits zugeflossen ist. § 358 Abs. 4 Satz 5 BGB ordnet unter der Voraussetzung, dass das Darlehen bereits an den Unternehmer (hier den Verkäufer) geflossen ist, eine gesetzliche Schuldübernahme bzw. einen gesetzlichen Schuldnerwechsel und einen Anspruchsübergang an. Infolge dieser gesetzlichen Schuldübernahme ist der Darlehensgeber aufgrund der (halb-)zwingenden Vorgabe des § 358 Abs. 4 Satz 5 BGB zugunsten des Verbrauchers (hier des Darlehensnehmers und Käufers) mit dem Wirksamwerden des Widerrufs verpflichtet, eine aus eigenen Mitteln des Darlehensnehmers und Käufers an den Unternehmer (hier den Verkäufer) geleistete Anzahlung an den Darlehensnehmer zu erstatten.

Die von der Darlehensgeberin in den Darlehensvertrag eingeführte Abtretungsklausel weicht von diesen zugunsten des Klägers zwingenden gesetzlichen Vorgaben ab. Sie führt in Fällen, in denen die Beklagte als Verkäuferin den Kaufpreis vereinnahmt hat, das Widerrufsrecht aber noch fortbesteht und vom Käufer und Darlehensnehmer später ausgeübt wird, dazu, dass der Käufer und Darlehensnehmer entgegen § 358 Abs. 4 Satz 5 BGB eine von ihm aus eigenen Mitteln erbrachte Anzahlung auch dann nicht einredefrei herausverlangen oder mit einem Anspruch auf Rückgewähr der Anzahlung auch dann nicht gegen einen Anspruch des Darlehensgebers auf Wertersatz aufrechnen kann, wenn er seiner gesetzlichen Vorleistungspflicht auf Rückgabe des Fahrzeugs genügt hat. Denn auch in diesem Fall dient die zunächst gegen die Beklagte begründete und im Wege des Schuldnerwechsels gegen die Darlehensgeberin fortbestehende Forderung auf Rückgewähr der Anzahlung, wenn sie nicht schon wegen einer Vereinigung von Schuldner und Gläubiger der Forderung erlischt, nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Darlehensgeberin der Sicherung aller Ansprüche der Darlehensgeberin und damit im Falle des Widerrufs auch der Sicherung eines vom Verkäufer auf die Darlehensgeberin übergeleiteten Anspruchs auf Wertersatz. Der aufgrund der Sicherungsabtretung nicht aktivlegitimierte Käufer und Darlehensnehmer müsste daher auch dann, wenn er seiner Vorleistungspflicht im Hinblick auf das Fahrzeug genügt hätte, mit der Leistung von Wertersatz wegen der Nutzung des Fahrzeugs in Vorleistung treten, ohne sich nach dem Fälligwerden seiner Forderungen aus dem Rückgewährschuldverhältnis von dieser Leistungspflicht durch eine Aufrechnung mit seinem Anspruch auf Rückgewähr der Anzahlung befreien zu können. Darin läge mit der Folge der Unwirksamkeit der Klausel eine Verschlechterung der Position des Käufers und Darlehensnehmers gegenüber den gesetzlichen Vorgaben zur Rückabwicklung verbundener Verträge nach Widerruf.

Die wegen ihrer Abweichung von der zugunsten des Klägers als Käufer und Darlehensnehmer zwingenden gesetzlichen Vorgabe ohne Wertungsmöglichkeit unwirksame formularmäßige Sicherungsabtretung sämtlicher Ansprüche gegen die Beklagte mit Ausnahme solcher aus kaufrechtlicher Gewährleistung kann nicht mit der Maßgabe aufrechterhalten werden, dass andere Ansprüche als solche aus einem Rückgewährschuldverhältnis nach Widerruf und damit solche aus einer unerlaubten Handlung der Beklagten wirksam abgetreten sind. Ein solches Verständnis liefe auf eine geltungserhaltende Reduktion hinaus, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unzulässig ist. Darauf, dass der Kläger hier seine auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung nicht widerrufen hat, sondern aus unerlaubter Handlung gegen die Beklagte vorgeht, kommt es nicht an. Die Klausel ist zu weit gefasst. Damit ist sie insgesamt unwirksam und der Kläger ohne Rücksicht auf einen Widerruf möglicher Inhaber von Ansprüchen aus unerlaubter Handlung gegen die Beklagte.

Das Berufungsgericht wird nach Zurückverweisung nunmehr in der Sache zu klären haben, ob die Beklagte dem Kläger aus unerlaubter Handlung haftet.

Die maßgeblichen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs lauten:

§ 134 Gesetzliches Verbot

Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.

§ 307 Inhaltskontrolle

(1) 1Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. 2Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung

1. mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder

2. wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.

(3) 1Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. 2Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.

§ 355 Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen

[…]

(3) 1Im Falle des Widerrufs sind die empfangenen Leistungen unverzüglich zurückzugewähren. […]

§ 358 Mit dem widerrufenen Vertrag verbundener Vertrag (Fassung vom 11. März 2016)

[…]

(4) 1Auf die Rückabwicklung des verbundenen Vertrags sind unabhängig von der Vertriebsform § 355 Absatz 3 und, je nach Art des verbundenen Vertrags, die §§ 357 bis 357b entsprechend anzuwenden. […] 5Der Darlehensgeber tritt im Verhältnis zum Verbraucher hinsichtlich der Rechtsfolgen des Widerrufs in die Rechte und Pflichten des Unternehmers aus dem verbundenen Vertrag ein, wenn das Darlehen dem Unternehmer bei Wirksamwerden des Widerrufs bereits zugeflossen ist.

§ 361 Weitere Ansprüche, abweichende Vereinbarungen und Beweislast

[…]

(2) 1Von den Vorschriften dieses Untertitels darf, soweit nicht ein anderes bestimmt ist, nicht zum Nachteil des Verbrauchers abgewichen werden. […]

Vorinstanzen:

Landgericht Stuttgart – Urteil vom 8. April 2021 – 24 O 283/20
Oberlandesgericht Stuttgart – Urteil vom 28. September 2022 – 23 U 2239/21


BGH: Ist Unterlassungsschuldner ein Kaufmann kann dieser eine Unterlassungserklärung auch wirksam als PDF-Datei per E-Mail abgegeben - Kein Original per Post erforderlich

BGH
Urteil vom 12.01.2023
I ZR 49/22
Unterwerfung durch PDF
BGB § 126 Abs. 1, § 150 Abs. 2; HGB § 343 Abs. 1, § 350; ZPO § 93


Der BGH hat entschieden, dass ein Kaufmann eine Unterlassungserklärung auch wirksam als PDF-Datei per E-Mail abgegeben kann. Es ist in einem solchen fall nicht erforderlich, ein Original per Post zu schicken.

Leitsätze des BGH:
a) Eine von einem Kaufmann im Rahmen seines Handelsgewerbes abgegebene Unterlassungsverpflichtungserklärung unterliegt der Formfreiheit (§ 343 Abs. 1, § 350 HGB).

b) Es fehlt im Regelfall nicht an der Ernstlichkeit der Unterlassungsverpflichtungserklärung, wenn der Unterlassungsschuldner dem Verlangen des Unterlassungsgläubigers nicht nachkommt, innerhalb der gesetzten Frist eine unterschriebene Unterlassungsverpflichtungserklärung im Original zu übersenden, sondern er stattdessen fristgemäß eine unterschriebene Erklärung als PDF-Datei per E-Mail übersendet.

BGH, Urteil vom 12. Januar 2023 - I ZR 49/22 - LG Stuttgart - AG Kirchheim unter Teck

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Fernsehsender der wettbewerbsrechtliche Prüfungspflicht auf konzernangehöriges Unternehmen überträgt haftet auf Grundlage der Beauftragtenhaftung nach § 8 Abs. 2 UWG

BGH
Urteil vom 23. Februar 2023 - I ZR 155/21
Rundfunkhaftung II
UWG §§ 3a, 8 Abs. 2; GlüStV 2012 § 5 Abs. 5; GlüStV 2021 § 5 Abs. 7


Der BGH hat entschieden, dass ein Fernsehsender, der seine wettbewerbsrechtliche Prüfungspflicht auf ein konzernangehöriges Unternehmen überträgt, auf Grundlage der Beauftragtenhaftung nach § 8 Abs. 2 UWG für eine unzureichende Prüfung haftet.

Leitsatz des BGH:
Ein Rundfunkveranstalter, der seine wettbewerbsrechtliche Prüfungspflicht auf ein anderes konzernangehöriges Unternehmen überträgt, kann für eine unzureichende Prüfung durch dieses Unternehmen nach § 8 Abs. 2 UWG haften.

BGH, Urteil vom 23. Februar 2023 - I ZR 155/21 - OLG München - LG München I

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Frankfurt: Kein Anspruch gegen Google auf Unterlassung der Verknüpfung des Namens eines Unternehmers mit dem Wort "bankrott" über die Autocomplete-Funktion

OLG Frankfurt
Urteil vom 20.04.2023
16 U 10/22


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass kein Anspruch gegen Google auf Unterlassung der Verknüpfung des Namens eines Unternehmers mit dem Wort "bankrott" über die Autocomplete-Funktion besteht.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Autocomplete-Funktion - Klage gegen Google zurückgewiesen

Es besteht kein Anspruch eines Unternehmers gegen Google auf Unterlassung der Verknüpfung seines Namens mit dem Begriff „bankrott“ über die Autocomplete-Funktion.

Die Verknüpfung des Namens eines Unternehmers mit dem Begriff „bankrott“ über die Autocomplete-Funktion im Rahmen der Google-Suche kann nach den Einzelfallumständen zulässig sein. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat mit heute verkündeter Entscheidung einen Unterlassungsanspruch des Klägers zurückgewiesen. Das Ergebnis der Autocomplete-Funktion sei erkennbar unbestimmt und enthalte keine eigenständige Behauptung. Der Nutzer wisse, dass es automatisch generiert werde. Konkrete Bedeutung erlange die Kombination erst nach weiteren Recherchen, begründete das OLG seine Entscheidung.

Der Kläger ist Inhaber einer Unternehmensgruppe, die auf dem Gebiet des Innendesigns von Hotels tätig ist. Die Beklagte betreibt u.a. die Internetsuchmaschine Google. Bei Eingabe von Vor- und Nachnamen des Klägers erscheint über die Autocomplete-Funktion als Suchergänzungsvorschlag „bankrott“. Hintergrund ist, dass zwei zur Unternehmensgruppe des Klägers gehörende Unternehmen vor rund zehn Jahren im Zusammenhang mit Ermittlungen deutscher Steuerbehörden insolvent und später wegen Vermögenslosigkeit aus dem Handelsregister gelöscht wurden. Ein konkret auf den Kläger bezugnehmender Webseiteneintrag stammt von einem Inkassounternehmen, welches ein Geschäftspartner der Unternehmensgruppe mit dem Einzug einer Forderung beauftragt hatte.

Der Kläger wendet sich sowohl gegen die Anzeige des Suchergänzungsvorschlags „bankrott“ als auch gegen die Anzeige und Verlinkung auf die Webseite mit der URL, die sich auf die Zahlungsfähigkeit bezieht. Das Landgericht hatte die Beklagte verpflichtet, den über die Autocomplete-Funktion generierten Sucherergänzungsvorschlag nicht mehr anzuzeigen und die Klage im Übrigen abgewiesen.

Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG das Urteil abgeändert und die Klage auch insoweit abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Unterlassung der Suchwortvervollständigung „bankrott“ bei namensbasierter Suche nach seinem Vor- und Zunamen. Dieser Anspruch ergebe sich insbesondere nicht aus der Datenschutzgrundverordnung (i.F.: DS-GVO). Die Autocomplete-Funktion sei zwar als automatische Verarbeitung personenbezogener Daten einzustufen. Hier hätten die Interessen des Klägers an der Löschung aber hinter die Interessen der Nutzer und der Öffentlichkeit zurückzutreten.

Ob ein Löschungsanspruch bestehe, sei grundsätzlich auf Basis einer umfassenden Grundrechtsabwägung auf der Grundlage aller relevanten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Abzuwägen seien auf Seiten des Klägers die Grundrechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens, des Schutzes personenbezogener Daten und der unternehmerischen Freiheit; auf Seiten der Beklagten das Recht auf unternehmerische Freiheit und freie Meinungsäußerung. Zu berücksichtigen seien auch die Zugangsinteressen der Internetnutzer und das Interesse einer breiten Öffentlichkeit am Zugang zu Informationen.

Gewicht erlange hier, dass die Bedeutung des nach Eingabe des Namens erscheinenden Suchvorschlags „bankrott“ erkennbar offenbleibe und unbestimmt sei. Einem verständigen Internetnutzer sei bewusst, dass der Suchvorschlag Ergebnis eines automatischen Vorgangs sei. Der Nutzer könne mit der angezeigten Kombination zunächst „nichts anfangen“. Der angezeigten Kombination selbst sei keine eigenständige Behauptung zu entnehmen. Sie sei allein Anlass für weitere Recherchen. Selbst wenn der Nutzer eine Verbindung zwischen dem Kläger und dem Begriff „bankrott“ herstellen würde, wäre offen, wie diese Verbindung inhaltlich auszugestalten wäre. Zu berücksichtigen sei dabei auch, dass es tatsächliche Anknüpfungstatsachen für die Verbindung des Namens mit dem Begriff „bankrott“ gebe.

Entgegen der Ansicht des Klägers beschränke sich der Begriff „bankrott“ auch nicht auf den strafbewehrten Vorwurf des § 283 StGB. Er finde vielmehr im allgemeinen Sprachgebrauch im Sinne einer Zahlungsunfähigkeit bzw. Insolvenz Verwendung.

Die Berufung des Klägers, mit welcher er weiterhin auch die Auslistung des Suchergebnisses in Form der konkreten URL begehrte, hatte dagegen keinen Erfolg. Die betroffenen Grundrechte des Klägers hätten hinter das Recht der Beklagten und das Interesse aller Nutzer am freien Informationszugang zurückzutreten, bestätigte das OLG die Entscheidung des Landgerichts.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann die Zulassung der Revision beim BGH begehrt werden.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 20.4.2023, Az. 16 U 10/22
(vorausgehend Landgericht Frankfurt Main, Urteil vom 1.12.2021, Az. 2-34 O 37/21)



EuGH-Generalanwalt: Auskunft nach Art. 15 DSGVO muss nicht aus Gründen gemäß 63. Erwägungsgrund verlangt werden - keine kostenlose Kopie vollständiger Patientenakte

EuGH-Generalanwalt
Schlussanträge vom 20.04.2023
C‑307/22


Der EuGH-Generalanwalt kommt in seinen Schlussanträgen zu dem Ergebnis, dass ein Anspruch aus Auskunft bzw. Überlassung von Kopien nach Art. 15 DSGVO nicht zwingend aus Gründen gemäß 63. Erwägungsgrund der DSGVO verlangt werden muss, sondern auch zu datenschutzfremden Zwecken begehrt werden kann. Einen Anspruch auf kostenlose Überlassung der vollständigen Kopie einer Patientenakte besteht jedoch nicht.

Aus den Schlussanträgen:
Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Bundesgerichtshof (Deutschland) zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

Art. 12 Abs. 5 und Art. 15 Abs. 3 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) sind dahin auszulegen, dass der Verantwortliche verpflichtet ist, der betroffenen Person eine Kopie ihrer personenbezogenen Daten zur Verfügung zu stellen, und zwar auch dann, wenn die betroffene Person die Kopie nicht für die im 63. Erwägungsgrund der DSGVO genannten Zwecke, sondern für einen anderen, datenschutzfremden Zweck beantragt.

Eine nationale Regelung, die von Patienten, die Kopien ihrer in Patientenakten enthaltenen personenbezogenen Daten beantragen, verlangt, dass sie den Ärzten die entstandenen Kosten erstatten, ist nach Art. 23 Abs. 1 DSGVO zulässig, sofern die Beschränkung des Auskunftsrechts unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände im Hinblick auf die Ziele des Schutzes der öffentlichen Gesundheit und der unternehmerischen Freiheit der Ärzte erforderlich und verhältnismäßig ist. Das nationale Gericht hat insbesondere zu prüfen, ob die Kosten, deren Erstattung die Ärzte von den Patienten verlangen können, strikt auf die tatsächlich anfallenden Kosten beschränkt sind.

Der Ausdruck „eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind“, in Art. 15 Abs. 3 DSGVO kann im Rahmen eines Arzt-Patienten-Verhältnisses nicht dahin ausgelegt werden, dass er der betroffenen Person ein allgemeines Recht darauf gewährt, eine vollständige Kopie aller in ihrer Patientenakte enthaltenen Dokumente zu erhalten. Jedoch hat der Verantwortliche der betroffenen Person bestimmte Dokumente teilweise oder vollständig in Kopie zur Verfügung zu stellen, wenn dies erforderlich ist, um sicherzustellen, dass die übermittelten Daten verständlich sind und dass die betroffene Person in der Lage ist, zu überprüfen, ob die übermittelten Daten vollständig und richtig sind.


Die vollständigen Schlussanträge finden Sie hier: