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OLG Frankfurt: 15.000 EURO Schmerzensgeld für vorverurteilende und sachlich falsche öffentliche Äußerungen der Staatsanwaltschaft - Amtspflichtverletzung

OLG Frankfurt
Urteil vom 03.06.2015
10 O 80/12


Das OLG Frankfurt hat entschieden, das vorverurteilende und sachlich falsche öffentliche Äußerungen der Staatsanwaltschaft eine Amtspflichtverletzung darstellt und dem Betroffenen 15.000 EURO Schmerzensgeld zugesprochen.

Aus den Entscheidungsgründen:

"I., II. Der Klageantrag zu I., mit dem der Kläger Geldentschädigung wegen Amtspflichtverletzung durch Äußerungen der Staatsanwaltschaft gegenüber Medienvertretern und Feststellung der Schadensersatzpflicht geltend macht, hat teilweise Erfolg. Das beklagte Land ist nach Art. 34 GG i.V.m. §§ 839, 823 Abs. 1 BGB, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz zur Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von 15.000,- € verpflichtet.

Nach den genannten Vorschriften haftet der Staat (bzw. eine andere Körperschaft) dann, wenn ein Beamter in Ausübung des ihm anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt und eine sich daraus ergebende drittschützende Amtspflicht jedenfalls fahrlässig verletzt hat. Ein Schadensersatzanspruch besteht, wenn hierdurch adäquat kausal ein Schaden verursacht wurde. Ein Anspruch auf Geldentschädigung setzt nach der ständigen presserechtlichen Rechtsprechung eine besonders schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung voraus, die nur ausnahmsweise bejaht wird. Ob eine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, die die Zahlung einer Geldentschädigung erfordert, ist aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen und hängt insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, also von dem Ausmaß der Verbreitung der rechtswidrig verursachten Veröffentlichung, der Nachhaltigkeit und Fortdauer der Interessen- und Rufschädigung des Verletzten, ferner vom Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie von dem Grad seines Verschuldens ab (BGHZ 78, 274, 280 m.w.N.; BGH NJW 1985,1617,1619).

Die Staatsanwälte der Staatsanwaltschaft Wiesbaden sind Beamte im staatsrechtlichen wie auch im haftungsrechtlichen Sinn (Art. 34 GG, § 839 BGB). Sie haben bei der Information der Medien jeweils in ihrer Funktion als Staatsanwalt und damit in Ausübung ihres öffentlichen Amtes gehandelt. Ob Staatsanwälte durch Äußerungen gegenüber der Presse ihre Amtspflicht verletzen, kann allein aufgrund einer umfassenden Abwägung festgestellt werden. Da jede staatsanwaltschaftliche Ermittlungstätigkeit und auch jede staatsanwaltschaftliche Presseinformation in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eingreift, bedarf sie der Rechtfertigung und erfordert eine Abwägung zwischen dem Informationsrecht der Presse und der Öffentlichkeit einerseits (Art. 5 Abs. 1 GG, § 3 HessPresseG) und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des jeweils Betroffenen andererseits (Art. 1 Abs. 1,2 Abs. 1GG) abzuwägen (BGH, Urteil vom 17.3.1994, III ZR 15/93). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Staatsanwaltschaft prinzipiell kein eigenes, geschütztes Recht auf Öffentlichkeitsarbeit zusteht. Allerdings ist anerkannt, dass die Staatsanwaltschaft in engen Grenzen über Ermittlungen berichten darf und muss (Verdachtsberichterstattung, vgl. BGH NJW 1994, 1950 ff.), um den berechtigten Informationsinteressen der Medien und der Öffentlichkeit aus Art. 5 Abs. 1 GG zu genügen. Dies spiegelt sich auch im HessPresseG wider, wonach die Staatsanwaltschaft nach § 3 Abs. 1 HessPresseG die Pflicht hat, den Medien bestimmte Auskünfte zu erteilen, hierbei jedoch nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 HessPresseG die Rechte des Betroffenen zu berücksichtigen hat.

Das Persönlichkeitsrecht gewährt dem einzelnen ein Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Dieses Recht umfasst auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, also das Recht zu bestimmen, welche Informationen über die eigene Persönlichkeit bekannt gegeben werden und das Recht zu entscheiden, inwieweit die eigene Persönlichkeit zum Gegenstand der öffentlichen Aufmerksamkeit gemacht wird. Die staatsanwaltschaftliche Berichterstattung muss durch ein berechtigtes öffentliches Interesse legitimiert sein. Ob dies der Fall ist, hängt entscheidend von Art und Bedeutung der infrage stehenden Straftat sowie die von der Person des Verdächtigen ab. Zur Rechtfertigung der Berichterstattung bedarf es eines Mindestbestandes an Beweistatsachen. Aus der Abwägung der entgegenstehenden Interessen hat die Rechtsprechung, wie bereits für den Fall der Medienberichterstattung, Tatbestandsmerkmale entwickelt, die den Ermittlungsbehörden eine Berichterstattung ermöglichen, gleichzeitig dabei aber auch dem berechtigten Interesse des Betroffenen Rechnung tragen. Zunächst hat die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsergebnis und ggfls. den Gegenstand der Anklage selbstverständlich zutreffend darzustellen (vgl. OLG Hamm, Urteil v. 14.11.2014, Az.: I-11 U 129/13, zitiert nach juris). Der Vorläufigkeit des Verdachtes (Unschuldsvermutung) hat die Staatsanwaltschaft dadurch Rechnung zu tragen, dass sie den mit der Verdachtsberichterstattung zwangsläufig verbundenen Eingriff nicht durch Vorverurteilungen oder Indiskretionen verstärkt. Hiernach sind die Verpflichtungen der Staatsanwaltschaft auf folgende Verhaltensweisen ausgerichtet: eine noch offene Verdachtslage ist distanzierend darzustellen; vorverurteilende Äußerungen haben zu unterbleiben ebenso wie unnötige Bloßstellungen (BGH Urteil v. 17.3.1994, Az.: III ZR 15/93, zitiert nach juris, m.w.N.). Der Betroffene ist zudem rechtzeitig über den gegen ihn bestehenden Verdacht zu informieren. Die Öffentlichkeit ist erst über die Anklageerhebung und Einzelheiten der Anklage zu unterrichten, wenn die Anklageschrift dem Beschuldigten zugestellt oder anderweitig bekannt gemacht worden ist (vgl. dazu Lehr NStZ 2009, 412 f.).

Gegen diese Grundsätze hat die Staatsanwaltschaft durch Äußerungen über die gegen den Kläger eingeleiteten Ermittlungen mehrfach verstoßen und hierdurch den Kläger in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


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