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VG Wiesbaden legt EuGH zahlreiche Fragen zum Fluggastdatengesetz bzw. der PNR-Richtlinie zur Entscheidung vor

VG Wiesbaden
Beschluss vom 13.05.2020 - 6 K 805/19.W
Beschluss vom 15.05.2020 - 6 K 806/19.WI


Das VG Wiesbaden hat dem EuGH zahlreiche Fragen zum Fluggastdatengesetz bzw. der PNR-Richtlinie zur Entscheidung vorgelegt.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Vorschriften des Fluggastdatengesetzes auf dem Prüfstand

Mit Beschlüssen vom 13. und 15. Mai 2020 (Az.: 6 K 805/19.WI und 6 K 806/19.WI) hat die 6. Kammer des VG Wiesbaden im Rahmen von Vorabentscheidungsersuchen dem Europäischen Gerichtshof eine Vielzahl von Fragen betreffend das Fluggastdatengesetz vorgelegt.

In beiden Verfahren begehren die jeweiligen Kläger die Löschung ihrer sogenannten Fluggastdaten (PNR-Daten), die derzeit durch das Bundeskriminalamt gespeichert werden. Das Verfahren 6 K 805/19.WI betrifft dabei Flüge aus der Europäischen Union in einen Drittstaat, das Verfahren 6 K 806/19.WI betrifft Flüge innerhalb der Europäischen Union.

Der Hintergrund der Verfahren ist der folgende: Am 27. April 2016 erließen das Europäische Parlament und der Rat die Richtlinie (EU) 2016/681 (sog. PNR-Richtlinie). Diese schreibt vor, dass die Fluggesellschaften bei sämtlichen Flügen von der Union in Drittstaaten und von Drittstaaten in die Union eine Vielzahl von personenbezogenen Daten aller Fluggäste an von den jeweiligen Mitgliedstaaten einzurichtende Zentralstellen (in Deutschland: das Bundeskriminalamt) übermitteln müssen, wo diese Daten automatisiert mit Datenbanken und Algorithmen (sog. Mustern) abgeglichen und fünf Jahre lang gespeichert werden. Auch eine Weitergabe an andere Behörden im In- und Ausland ist gestattet. Diese Maßnahmen sollen der Bekämpfung von Terrorismus und schwerer Kriminalität dienen. Die Bundesrepublik Deutschland hat, ebenso wie viele andere EU-Mitgliedstaaten, mit Erlass des Fluggastdatengesetzes vom 6. Juni 2017 – dem deutschen Umsetzungsgesetz zur PNR-Richtlinie – die Richtlinie umgesetzt und von der durch die Richtlinie explizit eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Fluggastdatenverarbeitung auch auf alle innereuropäischen Flüge auszuweiten.

Die durch das VG Wiesbaden nun dem Europäischen Gerichtshof zur Beantwortung vorlegten Fragen betreffen im Wesentlichen die Vereinbarkeit der PNR-Richtlinie und des Fluggastdatengesetzes mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, insbesondere den dort verankerten Grundrechten auf Achtung des Privat- und Familienlebens und dem Schutz personenbezogener Daten, sowie mit der Datenschutz-Grundverordnung und (im Falle der innereuropäischen Flüge) mit der durch den AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) innerhalb der Europäischen Union garantierten Freizügigkeit.

Das Gericht hat erhebliche Zweifel, ob die PNR-Richtlinie und das deutsche Umsetzungsgesetz europarechtskonform sind. Es hält die Fluggastdatenverarbeitung mit der Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten für vergleichbar und erachtet die damit verbundenen Grundrechtseingriffe trotz des verfolgten Ziels (Bekämpfung von Terrorismus und schwerer Kriminalität) als nicht gerechtfertigt.

Als zweifelhaft erachtet das Gericht unter anderem

den Umfang der erhobenen und verarbeiteten Fluggastdaten,
die Verhältnismäßigkeit der 5-jährigen Speicherdauer für die Fluggastdaten,
die Bestimmtheit mehrerer Vorschriften der Richtlinie und des Umsetzungsgesetzes,
ob die Fluggäste über die Datenverarbeitung ausreichend informiert werden,
ob die Weitergabe an Drittstaaten und inländisch an das Bundesamt für Verfassungsschutz zulässig ist und
ob die Mehrfacherfassung der Fluggäste (durch Start- und Zielland des jeweiligen innereuropäischen Fluges) gerechtfertigt ist.
Die Beschlüsse sind unanfechtbar. Die Verfahren werden nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes über die Vorabentscheidungsersuchen durch das VG Wiesbaden fortgesetzt werden.

Anhang:
Art.7 GRCh - Achtung des Privat- und Familienlebens
Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihrer Kommunikation.

Art. 8 GRCh - Schutz personenbezogener Daten
(1) Jede Person hat das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten.
(2) Diese Daten dürfen nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen gesetzlich geregelten legitimen Grundlage verarbeitet werden. Jede Person hat das Recht, Auskunft über die sie betreffenden erhobenen Daten zu erhalten und die Berichtigung der Daten zu erwirken.
(3) Die Einhaltung dieser Vorschriften wird von einer unabhängigen Stelle überwacht.

Art. 21 AEUV - Freizügigkeit
(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.
(2) […]
(3) […]

Art. 67 AEUV - Grundsätze
(1) Die Union bildet einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem die Grundrechte und die verschiedenen Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten geachtet werden.
(2) Sie stellt sicher, dass Personen an den Binnengrenzen nicht kontrolliert werden, und entwickelt eine gemeinsame Politik in den Bereichen Asyl, Einwanderung und Kontrollen an den Außengrenzen, die sich auf die Solidarität der Mitgliedstaaten gründet und gegenüber Drittstaatsangehörigen angemessen ist. Für die Zwecke dieses Titels werden Staatenlose den Drittstaatsangehörigen gleichgestellt.
(3) […]
(4) […]

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