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OLG Düsseldorf: Sperren der Auflademöglichkeit einer Elektroauto-Batterie per Fernzugriff ist verbotene Eigenmacht - AGB-Klausel in Mietbedingungen von Renault unwirksam

OLG Düsseldorf
Urteil vom 07.10.2021
I-20 U 116/20


Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass das Sperren der Auflademöglichkeit einer Elektroauto-Batterie per Fernzugriff verbotene Eigenmacht ist. Eine entsprechende AGB-Klausel in den Mietbedingungen von Renault, welche dies vorsah, ist somit unwirksam und wettbewerbswidrig.

Aus den Entscheidungsgründen:

Bei der streitgegenständlichen , von der Beklagten verwendeten Klausel - Ziffer XVI. der Allgemeinen Mietbedingungen - handelt es sich unstreitig um Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.d. § 305 Abs. 1 BGB. Die Klausel unterliegt gemäß §§ 307 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 BGB der Inhaltskontrolle.Aus dieser folgt, dass die Klausel gemäß §§ 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam ist.

1. Eine AGB-Klausel benachteiligt den Vertragspartner , wenn sie seine Interessen in einer vom Gesetz abweichenden Weise regelt (Roloff/Looschelders , in: Erman, BGB, 16. Auflage 2020, § 307 Rn. 8). Gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel dann anzunehmen , wenn eine Bestimmung mit wesentl ichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist.

Dies ist bei der streitgegenständlichen Klausel der Fall. Ziffer XVI. der Allgemeinen Mietbedingungen der Beklagten sieht vor, dass die Beklagte nach Beendigung des Mietvertrages aufgrund außerordentlicher Kündigung nach Ankündigung und Ablauf einer 14-tägigen Frist berechtigt ist, die Auflademöglichkeit der Batterie zu „sperren", d.h. das Aufladen der Batterie durch den Mieter der Batterie per „Fernzugriff" mittels Software zu unterbinden. Ob dieser Fernzugriff mit Hilfe einer sog. Blockchain, d.h. ohne Mitwirkung eines Mitarbeiters der Beklagten im Rahmen eines sog. „Smart Contracting" automatisiert geschieht (vgl. zu solchen Fallgestaltungen bei vernetzten Geräten, sog. „Smart Devices" und dem Anwendungsbereich von Smart Contracts, z.B. bei Stilllegung eines gemieteten Fahrzeugs mittels Wegfahrsperre bei Zahlungsverzug des Mieters, Blockieren des elektronischen Schlosses einer gemieteten Wohnung oder Einstellung der Grundversorgung bei Zahlungsverzug des Wohnungsmieters: Möslein, ZHR 2019, 254; Regenfus, JZ 2018 , 79; Paulus/Matzke, CR 2017, 769; dies. NJW 2018 , 1905; Fries, NJW 2019, 901; Lindner, NZM 2021, 665) oder von einem Mitarbeiter der Beklagten der Zugriff auf die Software der Batterie - ggf. nach Prüfung der Vertragsbeendigung und des Ablaufs der zweiwöchigen Frist - ausgelöst werden muss, ist für die rechtliche Bewertung des Sachverhalts ohne Relevanz und war vom Senat deshalb nicht weiter aufzuklären.

Eine solche „Sperre", d.h. das Unmöglichmachen des Aufladens nach Kündigung des Mietvertrages ist vom Gesetz nicht vorgesehen. Zwar ist der Kunde nach Kündigung des Mietvertrages zur Herausgabe der Mietsache (der Batterie) gemäß § 546 BGB sowie § 985 BGB verpflichtet. Ein Zugriffsrecht des Vermieters im Wege der Selbsthilfe gemäß § 229 BGB existiert jedoch nicht, wenn der Mieter dem Herausgabeanspruch nicht (sofort) nachkommt. Das Sperren der Auflademöglichkei t stellt vielmehr eine verbotene Eigenmacht der Beklagten i.S.d. § 858 Abs. 1 BGB dar.

Das Rechtsinstitut der verbotenen Eigenmacht (§§ 858 ff. BGB) verbietet die Entziehung oder sonstige Störung des Besitzes ohne den Willen des Besitzers. Es dient dem Schutz des staatlichen Gewaltmonopols, indem es eigenmächtige Eingriffe in Sachen , die in fremdem Besitz stehen, unabhängig von der schuldrechtlichen Rechtslage untersagt. Die §§ 858 ff. BGB sollen sicherstellen, dass ein Eingriff in die unmittelbare Sachherrschaft des Besitzers nur aufgrund eines staatlichen Vollstreckungstitels in einem geordneten Verfahren erfolgen darf (Riehm in: Fries/ Paal, Smart Contracts, 2019, Seite 89).

Verbotene Eigenmacht im Sinne des § 858 BGB liegt im Falle einer Besitzentziehung oder einer sonstigen Besitzstörung vor. Eine Besitzstörung liegt vor, wenn die Ausübung der Sachherrschaft in einzelnen Beziehungen verhindert wird, ohne dass der Besitz vollständig entzogen wird (Joost in: Münchner Kommentar, BGB, § 858 Rn.5). Dies ist hier der Fall: Zwar hat der Mieter der Batterie auch nach der Sperrung der W iederauflademögl ichkeit noch die faktische Sachherrschaft über die Batterie, er kann sie jedoch nicht mehr bestimmungsgemäß nutzen, um sie aufzuladen, in seinem Elektrofahrzeug einzusetzen und sich mit seinem Elektrofahrzeug fortzubewegen .

Die Möglichkeit der Nutzung ist jedoch Bestandteil der tatsächlichen Sachherrschaft und damit des Besitzes. Der Besitz besteht als Voraussetzung des Besitzschutzes in dem dauernden Zustand der tatsächlichen Gewalt, welche mit der Einwirkungsmacht auf die Sache und der Ausschlussmacht zwei Komponenten enthält (Elzer in: Erman, BGB, 16. Auflage 2020, Vorbern. vor § 854 Rdn. 1). Durch das Sperren der Auflademöglichkei t wird diese Einwirkungsmacht des Mieters eingeschränkt.

a.
Der Annahme einer Besitzstörung bei dem vorliegenden Sachverhalt steht nicht entgegen, dass der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 6. Mai 2009 (BGH NJW 2009, 1947, 1049) entschieden hat, dass in der Einstellung der vom Vermieter vertraglich geschuldeten Versorgung mit Warmwasser und Heizleistungen nach Beendigung eines Mietverhältnisses über Gewerberäume nach Kündigung wegen Zahlungsverzuges des Mieters keine Besitzstörung des Vermieters gegenüber dem Mieter zu sehen sei, weil die zur Nutzung des Mietobjekts erforderlichen Energielieferungen nicht Bestandteil des Besitzes seien und daher auch nicht Gegenstand des Besitzschutzes nach §§ 858 ff. BGB sein könnten.

Die Beklagte schuldet bei der Vermietung einer Batterie für den Antrieb eines Elektrofahrzeugs gegenüber dem Mieter gerade nicht noch zusätzlich zur Übergabe der Mietsache die Erbringung weiterer (Versorgungs-)Leistungen. Sie ist lediglich dazu verpflichtet, dem Mieter den unmittelbaren Besitz an der Batterie einzuräumen. Die für das Aufladen der Batterie notwendige Energie muss der Mieter auf eigene Kosten bereitstellen. Die unterlassene Rückgabe der Batterie an die Beklagte nach Beendigung des Mietvertrages führt deshalb zwar dazu, dass der Mieter dem Herausgabeanspruch der Beklagten aus § 546 BGB sowie § 985 BGB nicht nachkommt und der Beklagten die Sachherrschaft an der Batterie vorenthält , sie führt - anders als bei dem vom Bundesgerichtshof zu entscheidenden Sachverhalt - jedoch nicht dazu, dass der Beklagten ein weiterer Schaden droht, wenn sie die Auflademöglichkei t der Batterie nicht unterbindet. Soweit der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung darauf abgestellt hat, dass dem Vermieter der gekündigten Gewerbemieträume die Weiterbelieferung des Mieters mit Versorgungsleistungen nicht zumutbar sei, wenn dieser keine Vorauszahlungen erbracht habe, weil ihm durch die weitere Versorgung ein weiterer Schaden drohe, hat die Beklagte einen solchen - zusätzlichen - Schaden gerade nicht zu befürchten, weil der Mieter der Batterie diese gerade nicht mit von der Beklagten geliefertem Strom auflädt, sondern den Strom auf eigene Kosten von anderer Stelle beziehen muss. Bei der von der Beklagten geltend gemachten Gefahr der weitergehenden Abnutzung der Batterie bei fortgesetztem Wiederaufladen realisiert sich lediglich das typische Risiko eines Vermieters bei Nichtrückgabe und Weiternutzung .

Darüber hinaus kann der Mieter der Batterie diese nach Unterbindung der Auflademöglichkeit durch die Beklagte überhaupt nicht mehr bestimmungsgemäß

zum Betrieb seines Elektrofahrzeugs nutzen, während der Mieter einer Gewerberaumimmobilie diese auch bei einer Unterbrechung der Versorgung mit Warmwasser uind Heizleistungen noch nutzen kann, indem weil er sie weiterhin betreten und sich in ihr aufhalten kann. Für den Besitzer der Batterie wird der Besitz nach Sperrung der Auflademögl ichkeit dagegen nutzlos.

b.
Auch der Umstand, dass sich Mobilfunkanbieter im Rahmen von Mobilfunkverträgen in ihren Geschäftsbedingungen regelmäßig (insbesondere im „Prepaid"-Bereich) das Recht einräumen lassen, die Mobilfunkleistungen einzuschränken und schließlich vollständig zu sperren, wenn der Mobilfunkkunde mit seinen Zahlungen im Rückstand bzw. das Kreditlimit überschritten ist, steht der Annahme einer Besitzstörung im Sinne des § 858 BGB vorliegend nicht entgegen.

Zum einen ist eine derartige teilweise oder vollständige Sperre von Leistungen durch den Anbieter von Festnetztelefonleistungen in § 45k Abs. 2 Satz 1 TKG (zukünftig § 61 Abs. 3 ff. TKG 2021) gesetzlich vorgesehen, und die Wertung dieser Regelung wird jedenfalls bei der Beurteilung der Angemessenhe it der Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf den Mobilfunkbereich übertragen (BGH WM 2011, 615), während eine derartige Vorschrift bei der Vermietung von Batterien zum Antrieb eines Elektrofahrzeugs oder allgemein für Mietverträge gerade nicht existiert.

Darüber hinaus soll die Regelung des § 45k Abs. 2 Satz 1 TKG den Telefondienstanbieter davor schützen, dass er verpflichtet wird , weiterhin kostenpflichtige Leistungen an einen säumigen Vertragspartner zu erbringen und damit das Insolvenzrisiko zu tragen. Dieses Risiko besteht für die Beklagte jedoch nicht, weil sie neben der Übergabe der Batterie gerade keine weiteren Leistungen an ihre Mieter erbringt. Es besteht daher auch kein Risiko, dass sie weiterhin Leistungen erbringt, die der Mieter nicht vereinbarungsgemäß vergütet.

Es dürfte zudem auch zu berücksichtigen sein, dass ein Festnetz- oder Mobilfunkkunde durch Wechsel des Anbieters in der Regel weiterhin zur Nutzung seines Telefongeräts in der Lage bleibt, auch wenn der bisherige Vertragspartner eine Sperrung von Leistungen oder der gesamten SIM-Karte vornimmt. Dagegen ist es dem Mieter einer Batterie für den Betrieb seines Renault-Elektrofahrzeugs - dies ist zwischen den Parteien unstreitig - mangels technischer Kompatibilität gerade

nicht möglich, bei einem anderen Anbieter eine Batterie zu mieten und diese zum Betrieb seines Elektrofahrzeugs zu verwenden. Ein (Weiter-)Betrieb seines Elektrofahrzeugs ist ihm nach Sperrung der Auflademögl ichkeit der Batterie durch die Beklagte deshalb gerade nicht mehr möglich.

c.
Soweit die Beklagte darauf verweist, dass für den Mieter nach Beendigung des Mietvertrages die Möglichkeit bestehe, die Batterie bei der Beklagten zu kaufen, kann auch dieser Umstand eine Besitzstörung durch Unterbinden der Auflademöglichkeit der Batterie nicht ausschließen. Es dürfte bereits fraglich sein, ob die Beklagte im Streitfall nach außerordentlicher Kündigung des Mietvertrages noch bereit ist, ein weiteres Rechtsgeschäft mit dem Mieter abzuschließen. Zudem ist davon auszugehen, dass der Mieter das Miet-Modell der Renault-Bank gerade deshalb gewählt hat, um den finanziellen Aufwand für die Nutzung eines Elektrofahrzeugs zu reduzieren. Jedenfalls kann nicht angenommen werden, dass jeder Mieter einer Batterie wirtschaftlich auch dazu in der Lage wäre, die Kosten für den Erwerb der Batterie aufzubringen .

d.
Schließlich führt auch die vereinzelt in der Literatur für den Bereich der „selbstvollziehenden Verträge" („Smart Contracts") vertretene Auffassung , das Sachenrecht mit dem Selbsthilferecht des § 859 ff. BGB stehe Verbrauchern bei der Rechtsdurchsetzung mittels Software im Rahmen von „selbstvollziehenden Verträgen" (Smart Contracts) nicht zur Verfügung, weil der dingliche Besitzschutz der
§§ 858 ff. BGB auf Beeinträchtigungen von außen gerichtet sei, weshalb Störungen von innen nicht zu verbotener Eigenmacht führten, weil die Sachherrschaft hier von vornherein mit dem Schatten einer eventuellen späteren Selbstsperrung der Sache behaftet sei (Fries, NJW 2019, 901), bei dem vorliegenden Sachverhalt nicht zu einem abweichenden Ergebnis, weshalb es auch insoweit keiner Aufklärung bedarf, ob die Beklagte die Auflademöglichkeit der Batterie mittels selbstvollziehender Software ohne Mitwirkung eines Mitarbeiters sperrt. Denn selbst nach dieser Auffassung soll jedenfalls durch Allgemeine Geschäftsbedingungen der dingliche Besitzschutz nicht ausgeschlossen werden können (Schrey/Thalhofer, NJW 2017, 1431; Fries, NJW 2019, 901, Fn. 10; Lindner, NZM 2021, 665).

2.
Es bedarf keiner weiteren Abwägung , ob die mit der streitgegenständlichen Klausel verbundene Benachteiligung der Vertragspartner der Beklagten auch unangemessen i.S.d. § 307 Abs. 1 BGB ist, insbesondere , ob die Beklagte missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten ihrer Vertragsgegners durchzusetzen versucht , ohne deren Interessen ausreichend zu berücksichtigen und ihnen einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (vgl. st. Rspr. BGH NJW 1997, 2598), weil sie aufgrund einer technischen Einwirkungsmöglichkeit mittels installierter Software die Möglichkeit des Zugriffs „von außen" auf die Mietsache hat, obwohl sich diese weiterhin im Besitz des Mieters befindet und hierdurch die Klage- und lnitiativlast auf den Mieter verlagert wird. Da die streitgegenständliche Klausel gegen die Vorschrift des § 858 Abs. 1 BGB verstößt bzw. eine unberechtigte Selbsthilfe im Sinne des §
229 BGB ermöglichen soll und damit mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen, von denen abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist, ist sie unwirksam (vgl. zu Entgeltklauseln BGH, NJW 2019, 3771, 3775; BGH, NJW 2017, 3649).

Der Mieter der Batterie kann durch Abschluss des Mietvertrages unter Einbeziehung der Allgemeinen Mietbedingungen auch nicht in die Sperrung der Batterie und damit in die Besitzstörung einwilligen, weil das Recht zur Selbsthilfe einer stark eingeschränkten Dispositionsbefugnis der Parteien unterliegt (RGZ 131, 213, 222; Rövekamp in: beck-online, Gsell, Großkommentar BGB, § 229 Rn. 63 ff.). Selbst für den Fall, dass der Mieter durch Abschluss des Mietvertrages der Sperrung der Batterie im Falle der außerordentlichen Vertragskündigung zugestimmt hätte, liegt trotz vorheriger Zusage im Vertrag verbotene Eigenmacht vor, wenn bei Eingriff in den Besitz der Wille des Besitzers, eine solche Maßnahme zu gestatten, nicht mehr vorhanden ist (BGH NJW 1977, 1818).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

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