OLG Nürnberg: FernUSG gilt nicht für Online-Coaching im Wege der Videokonferenz oder anderer synchroner Kommunikation
OLG Nürnberg
Urteil vom 05.11.2024
14 U 138/24
Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass das FernUSG nicht für Online-Coaching im Wege der Videokonferenz oder anderer synchroner Kommunikation gilt.
Aus den Entscheidungsgründen:
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg. Das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth bedarf der Abänderung, weil der Klägerin ein Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Vergütung in Höhe von 21.420,00 € gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt, insbesondere nicht gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt., § 818 Abs. 2 BGB zusteht.
1. Ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt., § 818 Abs. 2 BGB besteht nicht, weil der streitgegenständliche Coachingvertrag nicht gemäß § 7 Abs. 1 i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 1 Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) nichtig ist.
Die Klägerin trägt die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der anspruchsbegründenden Tatsachen, sie hat grundsätzlich auch das Fehlen eines rechtlichen Grundes zu beweisen (Grüneberg/Sprau, BGB, 83. Auflage 2024, § 812 Rn. 76).
a) Das FernUSG ist nur auf Verbraucher und nicht auch auf Unternehmer anwendbar.
aa) Für die Anwendung des FernUSG nur auf Verbraucherverträge spricht die Begründung des Gesetzes. Danach soll das FernUSG den Teilnehmer am Fernunterricht unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes sichern und sich in die übrigen Bemühungen zum Schutz der Verbraucher wie z.B. das Abzahlungsgesetz und die Regelungen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, des Rechts der Reiseveranstalter oder der Immobilienmakler einreihen (BT-Drs. 7/4245, S. 13 und 32; vgl. auch Hinweis des Kammergerichts Berlin vom 22.06.2023 – 10 U 74/23, Bl. 51 f. d. OLG-Akte). Außerdem wird im Zusammenhang mit der Kompetenz des Bundes zur Regelung einer Zulassungspflicht für Fernlehrgänge und der Versagungsgründe aus Art. 74 Nr. 11 GG betont, dass zum Recht der Wirtschaft auch z.B. Vorschriften, die eine wirtschaftliche Betätigung unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes regeln, gehören und das FernUSG als Verbraucherschutzregelung zu charakterisieren ist (BT-Drs. 7/4245, S. 34).
bb) Der Umstand, dass das FernUSG den Begriff des Verbrauchers – abgesehen von § 3 Abs. 3 FernUSG – nicht verwendet, und – anders als z.B. in § 1 Abs. 1 VerbrKrG a.F. und § 6 Nr. 1 HWiG a.F. – keine gesonderte Vorschrift enthält, die die Anwendung des Gesetzes im Ergebnis explizit nur für Verbraucherverträge vorschreibt (OLG Celle, Urteil vom 01.03.2023 – 3 U 85/22, juris Rn. 48), führt nicht dazu, dass von der Anwendbarkeit des FernUSG auch auf Unternehmer auszugehen ist. Denn im Jahr der Verabschiedung des FernUSG am 24.08.1976 gab es keine Legaldefinition für Verbraucher. So wurde § 13 BGB in der Fassung vom 27.06.2000 durch Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro vom 27.06.2000 eingefügt.
Schließlich regelt § 3 FernUSG Form und Inhalt des Fernunterrichtsvertrages und bestimmt in § 3 Abs. 2 FernUSG, dass die dem Verbraucherschutz dienenden Informationspflichten des Unternehmers nach § 312d Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 246a EGBGB (vgl. MüKoBGB/Wendehorst, 9. Auflage 2022, § 312d Rn. 1, m.w.N.) gelten. Dies ist ebenso ein Indiz dafür, dass das FernUSG nicht auch auf Unternehmer anwendbar ist.
b) Darüber hinaus handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Coachingvertrag nicht um einen Vertrag i.S.d. § 1 FernUSG.
Nach § 1 Abs. 1 FernUSG liegt ein Fernunterricht im Sinne dieses Gesetzes vor, wenn ein Vertrag zugrunde liegt, der die entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten zum Gegenstand hat, bei der der Lehrende und der Lernende ausschließlich oder überwiegend räumlich getrennt sind und der Lehrende oder sein Beauftragter den Lernerfolg überwachen.
aa) Es könnte zwar bereits zweifelhaft sein, ob es sich bei einem „Coaching-Vertrag“ um einen Vertrag handelt, aufgrund dessen bestimmte Kenntnisse vermittelt werden sollten (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 20.02.2024 – 10 U 44/23, juris Rn. 22 ff.). Doch vorliegend war Vertragsinhalt unstreitig die Wissensvermittlung zum Thema Funnelaufbau (Prozess des Gewinnens von Interessenten zu wertvollen Kunden), so dass diese Voraussetzung des § 1 Abs. 1 FernUSG gegeben ist.
bb) Die Klägerin kann nicht nachweisen, dass der Kontakt zwischen ihr und der Beklagten ausschließlich oder zumindest ganz überwiegend räumlich getrennt erfolgt ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 FernUSG).
(1) Für die räumliche Trennung ist maßgeblich, ob Lernende zusätzliche Anstrengungen unternehmen müssen, um mit dem Lehrenden Kontakt aufzunehmen. Bei einer Videokonferenz oder anderen synchronen Kommunikation ist jederzeit ein Kontakt wie in Präsenzveranstaltungen möglich, so dass eine räumliche Trennung i.S.d. Gesetzes nicht gegeben ist, obwohl Lernende und Lehrende sich an unterschiedlichen Orten aufhalten. Dies ist für die Frage, ob netzgestützte Lernangebote unter das FernUSG fallen, von Bedeutung (zum Ganzen: NomosKommentar/Vennemann FernUSG, 2. Auflage 2014, § 1 Rn. 10).
(2) Nach der richtigen Erläuterung der Staatlichen Zentralstelle für Fernunterricht kann von einer ausschließlichen oder überwiegend räumlichen Distanz in folgenden Fällen ausgegangen werden (vgl. https://zfu.de/veranstaltende/fernunterricht):
- Die Lehrenden und die Lernenden sind ausschließlich oder überwiegend räumlich getrennt, wenn mehr als die Hälfte (> 50%) der Kenntnisse und Fähigkeiten mithilfe von Medien (z.B. Lehrbriefe etc.) vermittelt wird und bei deren Bearbeitung ein asynchroner Informationsaustausch vorliegt.
- Bei einem „virtuellen Klassenraum“ oder anderer synchroner Kommunikation (z.B. Live-Chat) ist jederzeit ein Kontakt wie in Präsenzveranstaltungen möglich, so dass eine „räumliche Trennung“ i. S. des Gesetzes nicht gegeben ist, obwohl Lernende und Lehrende sich an unterschiedlichen Orten aufhalten.
- Bei asynchronem Austausch (z. B. Weblog, Forum, Wiki als Lernhilfe etc.) ist die Voraussetzung der „räumlichen Trennung“ i. S. d. FernUSG gegeben. Die Teilnehmenden haben die Möglichkeit, das Forum mit Fragen zu bestücken und Kommentare abzugeben. Die Möglichkeit, einer simultanen Antwort besteht jedoch nicht.
(3) Die Klägerin bleibt beweisfällig hinsichtlich der Voraussetzung der überwiegenden räumlichen Distanz.
Die beweisbelastete Klägerin hat für ihre pauschale Behauptung, dass der überwiegende Anteil in Form asynchroner Schulungsvideos über eine der Klägerin zur Verfügung gestellte Lernplattform stattgefunden habe, kein Beweismittel angeboten.
Die Beklagte dagegen hat substantiiert vorgetragen, dass sich allein in den ersten drei Monaten der Vertragslaufzeit 60 Stunden Videos und 114 Stunden Phasen synchroner Kommunikation (präsenzäquivalente Online-Veranstaltungen) ergeben haben und damit der Anteil der Phasen synchroner Kommunikation deutlich höher als 50% sei.
cc) Die Klägerin kann auch nicht den Nachweis führen, dass sie nach dem Vertrag Anspruch auf eine Überwachung des Lernerfolgs hatte (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 FernUSG).
(1) Die vom Gesetz vorgesehene Überwachung des Lernerfolgs ist hinsichtlich ihrer Voraussetzungen im Gesetz nicht näher bestimmt. Unter Berücksichtung der Entstehungsgeschichte der Norm und der Intention des Gesetzgebers ist dieses Tatbestandsmerkmal jedoch weit auszulegen (BGH, Urteil vom 15.10.2009 – III ZR 310/08, juris Rn. 16; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a.a.O., Rn. 28, m.w.N.). Eine Überwachung des Lernerfolgs nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 FernUSG ist bereits dann gegeben, wenn der Lernende nach dem Vertrag den Anspruch hat, z.B. in einer begleitenden Unterrichtsveranstaltung durch mündliche Fragen zum erlernten Stoff eine individuelle Kontrolle des Lernerfolgs durch den Lehrenden oder seinen Beauftragten zu erhalten (BGH, a.a.O., Rn. 21). Insofern kommt es auf die vertragliche Vereinbarung an und nicht darauf, ob die Überwachung des Lernerfolgs auch tatsächlich durchgeführt wird (BGH, a.a.O., Rn. 20, m.w.N.; vgl. auch OLG Köln, Urteil vom 06.12.2023 – I-2 U 24/23, juris Rn. 53 ff., m.w.N.).
Maßgeblich ist demnach, ob die Klägerin nach dem streitgegenständlichen Vertrag das Recht gehabt hätte, eine solche Kontrolle einzufordern. Sollte der Vertragspartner der Klägerin nur für individuelle Fragen im Rahmen des „Coachings“ bzw. „Mentorings“ zur Verfügung stehen, so wird keine „Überwachung“ des Lernerfolges geschuldet. Allein die Gelegenheit der Klägerin im Rahmen des Coachings Fragen zu stellen, stellt schon dem Wortsinne nach keine „Überwachung“ dar. Den Anwendungsbereich des Gesetzes auch auf solche Fälle auszudehnen, in denen gerade keine Kontrolle des Lernerfolges vereinbart wurde, sondern lediglich die Möglichkeit des Vertragspartners besteht, Fragen zu stellen, würde insofern dem klaren Wortlaut widersprechen (zum Ganzen: Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a.a.O., Rn. 29).
(2) Soweit die Klägerin auf die Leistungsbeschreibung der Beklagten (Anlagen K3 und K4) und darauf verweist, dass die Beklagte bzw. deren Dienstleistungsanbieter den Videokurs als „E-Learning Plattform“ bezeichne, belegt dies nicht, dass sie nach dem streitgegenständlichen Coachingvertrag das Recht gehabt hätte, eine Lernkontrolle einzufordern. Denn allein aus der Bezeichnung „E-Learning Plattform“ lässt sich nicht schließen, dass eine Überwachung des Lernerfolgs geschuldet wird. Aus den Anlagen K3 und K4 ergibt sich nicht, dass eine Kontrolle des Lernerfolgs Vertragsinhalt wurde. Soweit in Anlage K4 von „Besprechung/Kontrolle der Werbeanzeigen“ die Rede ist, handelt es sich nicht um eine Lernkontrolle.
2. Der Klägerin steht auch aufgrund der Anfechtung des Vertrages wegen arglistiger Täuschung ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB nicht zu.
Die Klägerin kann ihre Behauptung, sie sei arglistig über die Identität ihres Vertragspartners getäuscht worden, nicht nachweisen.
a) Die Beklagte bestreitet eine Täuschungshandlung und legt dar, dass ausweislich der Anlage B1 ein Auftreten der Beklagten als Vertragspartner nicht zu übersehen sei. Insofern ist auch eine Ursächlichkeit der Täuschung von vornherein ausgeschlossen, weil der Getäuschte Kenntnis von der wahren Sachlage hatte. Dies ist etwa dann anzunehmen, wenn die wahre Sachlage bei Vertragsabschluss derart offensichtlich war, dass ein Irrtum ausgeschlossen erscheint (MüKoBGB/Armbrüster, 9. Auflage 2021, § 123 Rn. 22, m.w.N.).
b) Im Übrigen hat die Klägerin nicht die Frist des § 124 Abs. 1 BGB eingehalten. Die erste Rechnung der Beklagten stammt vom 26.08.2021 (Anlage K2). Damit ist die von der Klägerin – ohne Beweisantritt – aufgestellte Behauptung, dass ihr Geschäftsführer erst im April 2023 davon Kenntnis erlangt habe, dass die Beklagte alleinige Vertragspartnerin geworden sei, bereits widerlegt.
Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:
Urteil vom 05.11.2024
14 U 138/24
Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass das FernUSG nicht für Online-Coaching im Wege der Videokonferenz oder anderer synchroner Kommunikation gilt.
Aus den Entscheidungsgründen:
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg. Das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth bedarf der Abänderung, weil der Klägerin ein Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Vergütung in Höhe von 21.420,00 € gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt, insbesondere nicht gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt., § 818 Abs. 2 BGB zusteht.
1. Ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt., § 818 Abs. 2 BGB besteht nicht, weil der streitgegenständliche Coachingvertrag nicht gemäß § 7 Abs. 1 i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 1 Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) nichtig ist.
Die Klägerin trägt die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der anspruchsbegründenden Tatsachen, sie hat grundsätzlich auch das Fehlen eines rechtlichen Grundes zu beweisen (Grüneberg/Sprau, BGB, 83. Auflage 2024, § 812 Rn. 76).
a) Das FernUSG ist nur auf Verbraucher und nicht auch auf Unternehmer anwendbar.
aa) Für die Anwendung des FernUSG nur auf Verbraucherverträge spricht die Begründung des Gesetzes. Danach soll das FernUSG den Teilnehmer am Fernunterricht unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes sichern und sich in die übrigen Bemühungen zum Schutz der Verbraucher wie z.B. das Abzahlungsgesetz und die Regelungen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, des Rechts der Reiseveranstalter oder der Immobilienmakler einreihen (BT-Drs. 7/4245, S. 13 und 32; vgl. auch Hinweis des Kammergerichts Berlin vom 22.06.2023 – 10 U 74/23, Bl. 51 f. d. OLG-Akte). Außerdem wird im Zusammenhang mit der Kompetenz des Bundes zur Regelung einer Zulassungspflicht für Fernlehrgänge und der Versagungsgründe aus Art. 74 Nr. 11 GG betont, dass zum Recht der Wirtschaft auch z.B. Vorschriften, die eine wirtschaftliche Betätigung unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes regeln, gehören und das FernUSG als Verbraucherschutzregelung zu charakterisieren ist (BT-Drs. 7/4245, S. 34).
bb) Der Umstand, dass das FernUSG den Begriff des Verbrauchers – abgesehen von § 3 Abs. 3 FernUSG – nicht verwendet, und – anders als z.B. in § 1 Abs. 1 VerbrKrG a.F. und § 6 Nr. 1 HWiG a.F. – keine gesonderte Vorschrift enthält, die die Anwendung des Gesetzes im Ergebnis explizit nur für Verbraucherverträge vorschreibt (OLG Celle, Urteil vom 01.03.2023 – 3 U 85/22, juris Rn. 48), führt nicht dazu, dass von der Anwendbarkeit des FernUSG auch auf Unternehmer auszugehen ist. Denn im Jahr der Verabschiedung des FernUSG am 24.08.1976 gab es keine Legaldefinition für Verbraucher. So wurde § 13 BGB in der Fassung vom 27.06.2000 durch Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro vom 27.06.2000 eingefügt.
Schließlich regelt § 3 FernUSG Form und Inhalt des Fernunterrichtsvertrages und bestimmt in § 3 Abs. 2 FernUSG, dass die dem Verbraucherschutz dienenden Informationspflichten des Unternehmers nach § 312d Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 246a EGBGB (vgl. MüKoBGB/Wendehorst, 9. Auflage 2022, § 312d Rn. 1, m.w.N.) gelten. Dies ist ebenso ein Indiz dafür, dass das FernUSG nicht auch auf Unternehmer anwendbar ist.
b) Darüber hinaus handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Coachingvertrag nicht um einen Vertrag i.S.d. § 1 FernUSG.
Nach § 1 Abs. 1 FernUSG liegt ein Fernunterricht im Sinne dieses Gesetzes vor, wenn ein Vertrag zugrunde liegt, der die entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten zum Gegenstand hat, bei der der Lehrende und der Lernende ausschließlich oder überwiegend räumlich getrennt sind und der Lehrende oder sein Beauftragter den Lernerfolg überwachen.
aa) Es könnte zwar bereits zweifelhaft sein, ob es sich bei einem „Coaching-Vertrag“ um einen Vertrag handelt, aufgrund dessen bestimmte Kenntnisse vermittelt werden sollten (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 20.02.2024 – 10 U 44/23, juris Rn. 22 ff.). Doch vorliegend war Vertragsinhalt unstreitig die Wissensvermittlung zum Thema Funnelaufbau (Prozess des Gewinnens von Interessenten zu wertvollen Kunden), so dass diese Voraussetzung des § 1 Abs. 1 FernUSG gegeben ist.
bb) Die Klägerin kann nicht nachweisen, dass der Kontakt zwischen ihr und der Beklagten ausschließlich oder zumindest ganz überwiegend räumlich getrennt erfolgt ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 FernUSG).
(1) Für die räumliche Trennung ist maßgeblich, ob Lernende zusätzliche Anstrengungen unternehmen müssen, um mit dem Lehrenden Kontakt aufzunehmen. Bei einer Videokonferenz oder anderen synchronen Kommunikation ist jederzeit ein Kontakt wie in Präsenzveranstaltungen möglich, so dass eine räumliche Trennung i.S.d. Gesetzes nicht gegeben ist, obwohl Lernende und Lehrende sich an unterschiedlichen Orten aufhalten. Dies ist für die Frage, ob netzgestützte Lernangebote unter das FernUSG fallen, von Bedeutung (zum Ganzen: NomosKommentar/Vennemann FernUSG, 2. Auflage 2014, § 1 Rn. 10).
(2) Nach der richtigen Erläuterung der Staatlichen Zentralstelle für Fernunterricht kann von einer ausschließlichen oder überwiegend räumlichen Distanz in folgenden Fällen ausgegangen werden (vgl. https://zfu.de/veranstaltende/fernunterricht):
- Die Lehrenden und die Lernenden sind ausschließlich oder überwiegend räumlich getrennt, wenn mehr als die Hälfte (> 50%) der Kenntnisse und Fähigkeiten mithilfe von Medien (z.B. Lehrbriefe etc.) vermittelt wird und bei deren Bearbeitung ein asynchroner Informationsaustausch vorliegt.
- Bei einem „virtuellen Klassenraum“ oder anderer synchroner Kommunikation (z.B. Live-Chat) ist jederzeit ein Kontakt wie in Präsenzveranstaltungen möglich, so dass eine „räumliche Trennung“ i. S. des Gesetzes nicht gegeben ist, obwohl Lernende und Lehrende sich an unterschiedlichen Orten aufhalten.
- Bei asynchronem Austausch (z. B. Weblog, Forum, Wiki als Lernhilfe etc.) ist die Voraussetzung der „räumlichen Trennung“ i. S. d. FernUSG gegeben. Die Teilnehmenden haben die Möglichkeit, das Forum mit Fragen zu bestücken und Kommentare abzugeben. Die Möglichkeit, einer simultanen Antwort besteht jedoch nicht.
(3) Die Klägerin bleibt beweisfällig hinsichtlich der Voraussetzung der überwiegenden räumlichen Distanz.
Die beweisbelastete Klägerin hat für ihre pauschale Behauptung, dass der überwiegende Anteil in Form asynchroner Schulungsvideos über eine der Klägerin zur Verfügung gestellte Lernplattform stattgefunden habe, kein Beweismittel angeboten.
Die Beklagte dagegen hat substantiiert vorgetragen, dass sich allein in den ersten drei Monaten der Vertragslaufzeit 60 Stunden Videos und 114 Stunden Phasen synchroner Kommunikation (präsenzäquivalente Online-Veranstaltungen) ergeben haben und damit der Anteil der Phasen synchroner Kommunikation deutlich höher als 50% sei.
cc) Die Klägerin kann auch nicht den Nachweis führen, dass sie nach dem Vertrag Anspruch auf eine Überwachung des Lernerfolgs hatte (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 FernUSG).
(1) Die vom Gesetz vorgesehene Überwachung des Lernerfolgs ist hinsichtlich ihrer Voraussetzungen im Gesetz nicht näher bestimmt. Unter Berücksichtung der Entstehungsgeschichte der Norm und der Intention des Gesetzgebers ist dieses Tatbestandsmerkmal jedoch weit auszulegen (BGH, Urteil vom 15.10.2009 – III ZR 310/08, juris Rn. 16; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a.a.O., Rn. 28, m.w.N.). Eine Überwachung des Lernerfolgs nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 FernUSG ist bereits dann gegeben, wenn der Lernende nach dem Vertrag den Anspruch hat, z.B. in einer begleitenden Unterrichtsveranstaltung durch mündliche Fragen zum erlernten Stoff eine individuelle Kontrolle des Lernerfolgs durch den Lehrenden oder seinen Beauftragten zu erhalten (BGH, a.a.O., Rn. 21). Insofern kommt es auf die vertragliche Vereinbarung an und nicht darauf, ob die Überwachung des Lernerfolgs auch tatsächlich durchgeführt wird (BGH, a.a.O., Rn. 20, m.w.N.; vgl. auch OLG Köln, Urteil vom 06.12.2023 – I-2 U 24/23, juris Rn. 53 ff., m.w.N.).
Maßgeblich ist demnach, ob die Klägerin nach dem streitgegenständlichen Vertrag das Recht gehabt hätte, eine solche Kontrolle einzufordern. Sollte der Vertragspartner der Klägerin nur für individuelle Fragen im Rahmen des „Coachings“ bzw. „Mentorings“ zur Verfügung stehen, so wird keine „Überwachung“ des Lernerfolges geschuldet. Allein die Gelegenheit der Klägerin im Rahmen des Coachings Fragen zu stellen, stellt schon dem Wortsinne nach keine „Überwachung“ dar. Den Anwendungsbereich des Gesetzes auch auf solche Fälle auszudehnen, in denen gerade keine Kontrolle des Lernerfolges vereinbart wurde, sondern lediglich die Möglichkeit des Vertragspartners besteht, Fragen zu stellen, würde insofern dem klaren Wortlaut widersprechen (zum Ganzen: Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a.a.O., Rn. 29).
(2) Soweit die Klägerin auf die Leistungsbeschreibung der Beklagten (Anlagen K3 und K4) und darauf verweist, dass die Beklagte bzw. deren Dienstleistungsanbieter den Videokurs als „E-Learning Plattform“ bezeichne, belegt dies nicht, dass sie nach dem streitgegenständlichen Coachingvertrag das Recht gehabt hätte, eine Lernkontrolle einzufordern. Denn allein aus der Bezeichnung „E-Learning Plattform“ lässt sich nicht schließen, dass eine Überwachung des Lernerfolgs geschuldet wird. Aus den Anlagen K3 und K4 ergibt sich nicht, dass eine Kontrolle des Lernerfolgs Vertragsinhalt wurde. Soweit in Anlage K4 von „Besprechung/Kontrolle der Werbeanzeigen“ die Rede ist, handelt es sich nicht um eine Lernkontrolle.
2. Der Klägerin steht auch aufgrund der Anfechtung des Vertrages wegen arglistiger Täuschung ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB nicht zu.
Die Klägerin kann ihre Behauptung, sie sei arglistig über die Identität ihres Vertragspartners getäuscht worden, nicht nachweisen.
a) Die Beklagte bestreitet eine Täuschungshandlung und legt dar, dass ausweislich der Anlage B1 ein Auftreten der Beklagten als Vertragspartner nicht zu übersehen sei. Insofern ist auch eine Ursächlichkeit der Täuschung von vornherein ausgeschlossen, weil der Getäuschte Kenntnis von der wahren Sachlage hatte. Dies ist etwa dann anzunehmen, wenn die wahre Sachlage bei Vertragsabschluss derart offensichtlich war, dass ein Irrtum ausgeschlossen erscheint (MüKoBGB/Armbrüster, 9. Auflage 2021, § 123 Rn. 22, m.w.N.).
b) Im Übrigen hat die Klägerin nicht die Frist des § 124 Abs. 1 BGB eingehalten. Die erste Rechnung der Beklagten stammt vom 26.08.2021 (Anlage K2). Damit ist die von der Klägerin – ohne Beweisantritt – aufgestellte Behauptung, dass ihr Geschäftsführer erst im April 2023 davon Kenntnis erlangt habe, dass die Beklagte alleinige Vertragspartnerin geworden sei, bereits widerlegt.
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