OLG Köln: Begrenzung des fliegenden Gerichsstands in § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG ist einschränkend auszulegen - Irreführung durch Bewerbung von Matratzen mit "orthopädisch"
OLG Köln
Urteil vom 05.09.2025
6 W 53/25
Das OLG Köln hat entschieden, dass die Begrenzung des fliegenden Gerichsstands in § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG einschränkend auszulegen ist. Vorliegend ging es um die wettbewerbswidrige Irreführung durch Bewerbung von Matratzen mit "orthopädisch".
Aus den Entscheidungsgründen:
1. Das Landgericht Köln war gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 UWG für die Entscheidung örtlich zuständig. Entgegen der Annahme der Kammer für Handelssachen fällt der hier zu entscheidende Rechtsstreit nicht unter die Ausnahmevorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG.
Es ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob und wie die in § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG enthaltene Begrenzung des „fliegenden Gerichtsstands“ einschränkend auszulegen ist. Zum Teil wird davon ausgegangen, dass § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG – wie § 13 Abs. 4 Nr. 1 UWG – nur auf im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien begangene Verstöße gegen gesetzliche Informations- und Kennzeichnungspflichten anzuwenden sei (OLG Frankfurt a.M., GRUR-RR 2022, 135 Rn. 11 – Mundspülwasser; LG Hamburg Urt. v. 20.04.2023 – 312 O 58/22, GRUR-RS 2023, 20801 Rn. 37; Büscher/Ahrens, UWG, 3. Aufl., § 14 Rn. 43; Büscher, WRP 2025, 273 Rn. 43; Ohly/Sosnitza, UWG, 8. Aufl., § 14 Rn. 29; Teplitzky/Peifer/Leistner/Lerach, UWG, 3. Auflage, § 14 Rn. 164; vgl. auch Wagner/Kefferpütz WRP 2021, 151 Rn. 35 ff.). Andere legen die Vorschrift dahingehend aus, dass § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG nur Fälle einer spezifischen Verletzung von Regelungen erfasse, die sich gerade auf spezialgesetzliche Vorgaben zu Darstellungen im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien bezögen, also tatbestandlich an ein Handeln im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien anknüpften (LG Düsseldorf GRUR-RR 2021, 333 Rn. 8 ff. – Server fürs ganze Haus; BeckOK HWG/Doepner/Reese, 10. Ed., HWG Einleitung Rn. 382; jurisPK-UWG/Spoenle, 5. Aufl., § 14 UWG Rn. 51). Das Oberlandesgericht Hamburg legt § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG dahingehend aus, dass von der Beschränkung des Wahlrechts aus § 14 Abs. 2 Satz 2 UWG im elektronischen Geschäftsverkehr und in Telemedien jedenfalls diejenigen Fälle ausgenommen sind, in denen nicht von einer besonderen Gefahr des Missbrauchs in Form eines massenhaften Vorgehens auszugehen ist (OLG Hamburg, 07.09.2023, 5 U 65/22, juris Rn. 57 – So geht Positionierung; zuletzt OLG Hamburg, 22.05.2025, 5 W 10/25, juris Rn. 10 ff.). Das Oberlandesgericht Düsseldorf lehnt dagegen eine teleologische Reduzierung des § 14 Abs. Satz 3 Nr. 1 UWG jedenfalls für die Fälle ab, in denen der Verstoß nur in Telemedien erfolgt ist (OLG Düsseldorf, GRUR 2021, 984 Rn. 19 ff. – Internetspezifische Kennzeichnungsvorschriften; so auch MünchKomm-UWG/Ehricke/Könen, 3. Auflage 2022, § 14 Rn. 84; Rüther, WRP 2021, 726 ff.; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Tolkmitt, UWG, 5. Auflage 2021, § 14 Rn. 85; tendenziell [„dürfte“] auch Köhler/Feddersen, UWG, 43. Aufl., § 14 Rn. 21a).
Auch Vertreter der Ansichten, die eine teleologische Reduktion der Bestimmung weitgehend ablehnen, räumen aber ein, dass der Wortlaut Zweifel aufwirft. Dies gilt insbesondere für die Frage, wie ein Verstoß zu beurteilen ist, der sowohl in Telemedien als auch physischen Medien begangen wird, wie zum Beispiel einheitliche Werbung im Internet und in Zeitschriften (Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Tolkmitt, UWG, 5. Auflage 2021, § 14 Rn. 85a; Köhler/Feddersen, UWG, 43. Aufl., § 14 Rn. 21b; Rüther, WRP 2021, 726 Rn. 25 ff. spricht von „Ambiguität“; Teplitzky/Schaub, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 13. Aufl. 2024, Kap. 45 Rn. 20: „stark auslegungsbedürftig“). Für den Fall eines Verstoßes durch Zusendung von E-Mails, obwohl es sich bei diesen um Telemedien handelt, befürwortet auch das Oberlandesgericht Düsseldorf ausdrücklich eine teleologische Reduktion des Tatbestandes (OLG Düsseldorf, WRP 2022, 472 Rn. 9; so auch Köhler/Feddersen, UWG, 43. Aufl., § 14 Rn. 21b). Ferner ist eine Reduktion des Anwendungsbereichs des § 14 Abs. 2 Satz 3 UWG für Fälle im Anwendungsbereich der EuGVVO vorzunehmen, da deren Bestimmungen Vorrang beanspruchen (Teplitzky/Schaub, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 13. Aufl. 2024, Kap. 45 Rn. 20).
Der Senat schließt sich der Auffassung der Oberlandesgerichte Hamburg und Frankfurt an, wonach der Wortlaut des § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG einer – weitergehenden – einschränkenden Auslegung bedarf. Maßgeblich ist dabei nicht die Gesetzgebungsgeschichte, da die subjektiven Vorstellungen der an der Neufassung der Vorschrift beteiligten Organe der Gesetzgebung unterschiedlich bewertet werden (Büscher/Ahrens, UWG, 3. Aufl., § 14 Rn. 43; Köhler/Feddersen, UWG, 43. Aufl., § 14 Rn. 21a; vgl. auch Teplitzky/Peifer/Leistner/Lerach, UWG, 3. Auflage, § 14 Rn. 163, der von einem „Redaktionsversehen“ spricht). Ausschlaggebend ist der objektive Sinn und Zweck der Vorschrift. Dieser besteht darin, dass der Gerichtsstand des Ortes der Zuwiderhandlung im Grundsatz erhalten wird, aber im Bereich der Telemedien eingeschränkt wird, weil allein die Verfolgung dieser Verstöße einer besonderen Missbrauchsanfälligkeit unterliegt. Mittels technischer Mittel ist es möglich, das Internet nach potentiellen Verstößen zu durchsuchen, massenhaft abzumahnen und in der Folge gerichtliche Verfahren einzuleiten. Diese Missbrauchsgefahr realisiert sich vor allem in Fällen, in denen konkrete Vorgaben für die Gestaltung von (Online-)Angeboten bestehen – wie etwa bei den Impressumspflichten – und Verstöße daher ohne größeren Aufwand festgestellt werden können (OLG Hamburg, 7. 9. 2023, 5 U 65/22, juris Rn. 71).
Offen bleiben kann im vorliegenden Fall, ob – wie das Oberlandesgericht Hamburg annimmt – lediglich solche Verstöße der Einschränkung unterfallen, bei denen sich ein solches besonderes Missbrauchspotential feststellen lässt, oder – wie es das Oberlandesgericht Frankfurt annimmt – § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG wie § 13 Abs. 4 Nr. 1 UWG nur auf im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien begangene Verstöße gegen gesetzliche Informations- und Kennzeichnungspflichten anzuwenden ist. Die letztgenannte Ansicht hat den Vorteil einer klaren Abgrenzung und praktisch leicht handhabbaren Anwendung der Vorschrift für sich. Dies bedarf hier aber keiner abschließenden Entscheidung, da der vorliegend gerügte Verstoß, der eine Bewertung der angegriffenen Werbeaussage im Einzelfall unter dem Gesichtspunkt des § 5 UWG erfordert, nach beiden Ansichten nicht unter die Ausnahme des § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG fällt. Auch wenn die Antragsgegnerin der Antragstellerin rechtsmissbräuchliches Verhalten vorwirft, begründet sie diesen Vorwurf nicht mit einer massenhaften Vorgehensweise der Antragstellerin.
2. Von einer Zurückverweisung der Sache an das Landgericht gemäß § 572 Abs. 3 ZPO wird im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung abgesehen. Das Landgericht hat wegen Verneinung der örtlichen Zuständigkeit zwar noch keine Sachentscheidung getroffen, der Senat – der auch für die Überprüfung einer solchen zuständig wäre – hält es vor dem Hintergrund des Eilcharakters des Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung indes für angemessen, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und in der Sache selbst neu zu entscheiden. Die Sach- und Rechtslage im Streitverfahren kann ohne weiteres abschließend beurteilt werden.
a. Der Verfügungsgrund wird gemäß § 12 Abs. 1 UWG vermutet. Im Übrigen ist unstreitig, dass die Antragstellerin von der streitbefangenen Werbung nicht vor dem 29.05.2025 erfahren hat. Der Eilantrag ist beim Landgericht Köln am 17.06.2025, d.h. vor Ablauf eines Monats nach Kenntniserlangung eingegangen.
b. Der Verfügungsanspruch folgt aus § 8 Abs. 1 UWG. Danach kann derjenige, der eine nach § 3 UWG unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, bei Wiederholungsgefahr von den nach § 8 Abs. 3 UWG Berechtigten auf Unterlassung in Anspruch genommen werden.
aa. Die Antragstellerin ist als Mitbewerberin i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 4 UWG gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG aktvlegitimiert. Sie steht bezüglich des Vertriebs von Matratzen mit der Antragsgegnerin in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis, auch wenn die von der Antragsstellerin angebotenen Matratzen etwas preiswerter sind als die „G.“ der Antragsgegnerin. Für einen nicht unerheblichen Teil der Endabnehmer sind die Produkte gleichwohl in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht austauschbar. Der Ansicht der Antragsgegnerin, beide Beteiligte sprächen vom finanziellen Hintergrund her völlig unterschiedliche Käufergruppen an, kann nicht beigetreten werden.
bb. Dass die angegriffene Werbung eine geschäftliche Handlung der Antragsgegnerin i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG darstellt, steht außer Frage.
cc. Eine geschäftliche Handlung ist gemäß § 3 Abs. 1 UWG unzulässig, wenn sie unlauter ist. Im Streitfall ist jedenfalls der Unlauterkeitstatbestand der Irreführung nach § 5 UWG erfüllt. Ob darüber hinaus auch der Rechtsbruchtatbestand des § 3a UWG i.V.m. dem Irreführungsverbot des § 3 HWG greift (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 27.03.2025, 3 W 12/25, Anl. AS8, Bl. 63 ff., 64 LGA), kann dahinstehen.
Nach § 5 Abs. 1 UWG handelt unlauter, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Eine geschäftliche Handlung ist gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 UWG u.a. dann irreführend, wenn sie unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über die wesentlichen Merkmale der Ware wie Vorteile und von der Verwendung zu erwartende Ergebnisse enthält.
Von der streitbefangenen Werbung angesprochen ist der Kreis der informierten Durchschnittsverbraucher, zu dem auch die Mitglieder des Senats zählen und dessen Verständnis daher ohne weiteres beurteilt werden kann.
Ein nicht unerheblicher Teil der angesprochenen Verbraucher wird durch die Bezeichnung „R.Matratzen“ den Eindruck gewinnen, diese sei für Seitenschläfer generell, ohne individuelle Anpassung geeignet, im Bereich der Orthopädie – dem medizinischen Fachgebiet, das sich mit angeborenen oder erworbenen Fehlern des menschlichen Bewegungsapparates befasst – eine gesundheitsfördernde Wirkung zu erzielen, also Erkrankungen des menschlichen Stütz- und Bewegungsapparats vorzubeugen oder zu lindern. Die im nachfolgenden Werbetext beschriebenen Vorzüge der Matratzen (z.Seitenschläfer
„Vorbei die Zeit der Kompromisse mit viel zu weicher oder viel zu fester Matratzen um Schulter oder LWS-Bereich zu entlasten. Diese Matratzen schafft endlich beides: Perfekte Anpassung, Nachgiebigkeit und Druckentlastung im Schulterbereich. Hervorragende Unterstützung im unteren Rücken und LWS-Bereich“,
„Optimal für überwiegende oder ausschließliche Seitenschläfer, besonders auch bei größerer Schulterbreite. Der extra-softe Schulterbereich ermöglicht auch mit sehr breiten Schultern ein tiefes Einsinken und dadurch endlich eine sehr gerade Lagerung der Wirbelsäule auch in der Seitenlage“,
„Seitenschläfer kennen das Problem:
Oft genug muss zwischen einer härteren oder weicheren Matratzen gewählt werden. Die weichere Matratzen ist dabei im Schulterbereich deutlich angenehmer, dafür gibt es schnell im unteren Rücken im Bereich der Lendenwirbelsäule Probleme durch das eigentlich (viel) zu weiche Liegen.
Nutzt man eine härtere Matratzen, ist der untere deutlich besser stabilisiert und macht keine Probleme, dafür kann die Schulter kaum noch einsinken. Das führt oftmals zu verdrehtem Liegen an Einrollen und Anziehen der Schulter, was zu vermehrten Verspannungen und vielfach auch einschlafenden Händen und Armen führt.
Dagegen hilft auch ein manchmal verbauter Einleger im Schulterbereich aus etwas weicherem Material oder die üblichen Liegezonen nichts oder nur minimal. Auch ein N. kann in Kombination mit heute üblichen Matratzendicken das Problem nicht lösen, sondern wenn überhaupt auch nur minimale Linderung verschaffen.
Unsere Lösung: Die Seitenschläfer-Spezialmatratze“)
stehen dieser mit dem Begriff „Orthopädisch“ gemäß dessen Wortsinn verbundenen Vorstellungen nicht entgegen. Die beschriebenen Eigenschaften werden vielmehr als Erklärung für die durch die Produktbezeichnung suggerierte positive orthopädische Wirkung verstanden (vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.04.2025, 20 W 19/25, Anl. AS7, Bl. 55 ff. , 59 LGA).
Dass ihre Matratzen eine solche positive medizinische Wirkung hat, trägt die Antragsgegnerin selbst nicht vor.
Die irreführende Angabe bezüglich einer – besonders werbewirksamen - gesundheitsförderlichen Eigenschaft ist geeignet, die Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die sie andernfalls nicht getroffen hätten.
dd. Der von der Antragsgegnerin erhobene Unclean-hands-Einwand greift allein schon deshalb nicht, weil durch den Verstoß auch die Interessen Dritter – der durch die Werbung der Antragsgegnerin angesprochenen Verbraucher – berührt werden (s. Köhler in: Köhler/Feddersen, UWG, 43. Aufl. 2025, § 11 Rn. 2.38 f.). Außerdem betreffen die Vorwürfe der Antragsgegnerin ausschließlich das Vorgehen der Antragstellerin in Zusammenhang mit der Abmahnung (keine Vollmachtsurkunde vorgelegt, fehlerhafte Rechtsprechungszitate, Berechnung von Umsatzsteuer), nicht den im vorliegenden Eilverfahren ausschließlich geltend gemachten Unterlassungsanspruch als solchen.
Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:
Urteil vom 05.09.2025
6 W 53/25
Das OLG Köln hat entschieden, dass die Begrenzung des fliegenden Gerichsstands in § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG einschränkend auszulegen ist. Vorliegend ging es um die wettbewerbswidrige Irreführung durch Bewerbung von Matratzen mit "orthopädisch".
Aus den Entscheidungsgründen:
1. Das Landgericht Köln war gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 UWG für die Entscheidung örtlich zuständig. Entgegen der Annahme der Kammer für Handelssachen fällt der hier zu entscheidende Rechtsstreit nicht unter die Ausnahmevorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG.
Es ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob und wie die in § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG enthaltene Begrenzung des „fliegenden Gerichtsstands“ einschränkend auszulegen ist. Zum Teil wird davon ausgegangen, dass § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG – wie § 13 Abs. 4 Nr. 1 UWG – nur auf im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien begangene Verstöße gegen gesetzliche Informations- und Kennzeichnungspflichten anzuwenden sei (OLG Frankfurt a.M., GRUR-RR 2022, 135 Rn. 11 – Mundspülwasser; LG Hamburg Urt. v. 20.04.2023 – 312 O 58/22, GRUR-RS 2023, 20801 Rn. 37; Büscher/Ahrens, UWG, 3. Aufl., § 14 Rn. 43; Büscher, WRP 2025, 273 Rn. 43; Ohly/Sosnitza, UWG, 8. Aufl., § 14 Rn. 29; Teplitzky/Peifer/Leistner/Lerach, UWG, 3. Auflage, § 14 Rn. 164; vgl. auch Wagner/Kefferpütz WRP 2021, 151 Rn. 35 ff.). Andere legen die Vorschrift dahingehend aus, dass § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG nur Fälle einer spezifischen Verletzung von Regelungen erfasse, die sich gerade auf spezialgesetzliche Vorgaben zu Darstellungen im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien bezögen, also tatbestandlich an ein Handeln im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien anknüpften (LG Düsseldorf GRUR-RR 2021, 333 Rn. 8 ff. – Server fürs ganze Haus; BeckOK HWG/Doepner/Reese, 10. Ed., HWG Einleitung Rn. 382; jurisPK-UWG/Spoenle, 5. Aufl., § 14 UWG Rn. 51). Das Oberlandesgericht Hamburg legt § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG dahingehend aus, dass von der Beschränkung des Wahlrechts aus § 14 Abs. 2 Satz 2 UWG im elektronischen Geschäftsverkehr und in Telemedien jedenfalls diejenigen Fälle ausgenommen sind, in denen nicht von einer besonderen Gefahr des Missbrauchs in Form eines massenhaften Vorgehens auszugehen ist (OLG Hamburg, 07.09.2023, 5 U 65/22, juris Rn. 57 – So geht Positionierung; zuletzt OLG Hamburg, 22.05.2025, 5 W 10/25, juris Rn. 10 ff.). Das Oberlandesgericht Düsseldorf lehnt dagegen eine teleologische Reduzierung des § 14 Abs. Satz 3 Nr. 1 UWG jedenfalls für die Fälle ab, in denen der Verstoß nur in Telemedien erfolgt ist (OLG Düsseldorf, GRUR 2021, 984 Rn. 19 ff. – Internetspezifische Kennzeichnungsvorschriften; so auch MünchKomm-UWG/Ehricke/Könen, 3. Auflage 2022, § 14 Rn. 84; Rüther, WRP 2021, 726 ff.; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Tolkmitt, UWG, 5. Auflage 2021, § 14 Rn. 85; tendenziell [„dürfte“] auch Köhler/Feddersen, UWG, 43. Aufl., § 14 Rn. 21a).
Auch Vertreter der Ansichten, die eine teleologische Reduktion der Bestimmung weitgehend ablehnen, räumen aber ein, dass der Wortlaut Zweifel aufwirft. Dies gilt insbesondere für die Frage, wie ein Verstoß zu beurteilen ist, der sowohl in Telemedien als auch physischen Medien begangen wird, wie zum Beispiel einheitliche Werbung im Internet und in Zeitschriften (Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Tolkmitt, UWG, 5. Auflage 2021, § 14 Rn. 85a; Köhler/Feddersen, UWG, 43. Aufl., § 14 Rn. 21b; Rüther, WRP 2021, 726 Rn. 25 ff. spricht von „Ambiguität“; Teplitzky/Schaub, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 13. Aufl. 2024, Kap. 45 Rn. 20: „stark auslegungsbedürftig“). Für den Fall eines Verstoßes durch Zusendung von E-Mails, obwohl es sich bei diesen um Telemedien handelt, befürwortet auch das Oberlandesgericht Düsseldorf ausdrücklich eine teleologische Reduktion des Tatbestandes (OLG Düsseldorf, WRP 2022, 472 Rn. 9; so auch Köhler/Feddersen, UWG, 43. Aufl., § 14 Rn. 21b). Ferner ist eine Reduktion des Anwendungsbereichs des § 14 Abs. 2 Satz 3 UWG für Fälle im Anwendungsbereich der EuGVVO vorzunehmen, da deren Bestimmungen Vorrang beanspruchen (Teplitzky/Schaub, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 13. Aufl. 2024, Kap. 45 Rn. 20).
Der Senat schließt sich der Auffassung der Oberlandesgerichte Hamburg und Frankfurt an, wonach der Wortlaut des § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG einer – weitergehenden – einschränkenden Auslegung bedarf. Maßgeblich ist dabei nicht die Gesetzgebungsgeschichte, da die subjektiven Vorstellungen der an der Neufassung der Vorschrift beteiligten Organe der Gesetzgebung unterschiedlich bewertet werden (Büscher/Ahrens, UWG, 3. Aufl., § 14 Rn. 43; Köhler/Feddersen, UWG, 43. Aufl., § 14 Rn. 21a; vgl. auch Teplitzky/Peifer/Leistner/Lerach, UWG, 3. Auflage, § 14 Rn. 163, der von einem „Redaktionsversehen“ spricht). Ausschlaggebend ist der objektive Sinn und Zweck der Vorschrift. Dieser besteht darin, dass der Gerichtsstand des Ortes der Zuwiderhandlung im Grundsatz erhalten wird, aber im Bereich der Telemedien eingeschränkt wird, weil allein die Verfolgung dieser Verstöße einer besonderen Missbrauchsanfälligkeit unterliegt. Mittels technischer Mittel ist es möglich, das Internet nach potentiellen Verstößen zu durchsuchen, massenhaft abzumahnen und in der Folge gerichtliche Verfahren einzuleiten. Diese Missbrauchsgefahr realisiert sich vor allem in Fällen, in denen konkrete Vorgaben für die Gestaltung von (Online-)Angeboten bestehen – wie etwa bei den Impressumspflichten – und Verstöße daher ohne größeren Aufwand festgestellt werden können (OLG Hamburg, 7. 9. 2023, 5 U 65/22, juris Rn. 71).
Offen bleiben kann im vorliegenden Fall, ob – wie das Oberlandesgericht Hamburg annimmt – lediglich solche Verstöße der Einschränkung unterfallen, bei denen sich ein solches besonderes Missbrauchspotential feststellen lässt, oder – wie es das Oberlandesgericht Frankfurt annimmt – § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG wie § 13 Abs. 4 Nr. 1 UWG nur auf im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien begangene Verstöße gegen gesetzliche Informations- und Kennzeichnungspflichten anzuwenden ist. Die letztgenannte Ansicht hat den Vorteil einer klaren Abgrenzung und praktisch leicht handhabbaren Anwendung der Vorschrift für sich. Dies bedarf hier aber keiner abschließenden Entscheidung, da der vorliegend gerügte Verstoß, der eine Bewertung der angegriffenen Werbeaussage im Einzelfall unter dem Gesichtspunkt des § 5 UWG erfordert, nach beiden Ansichten nicht unter die Ausnahme des § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UWG fällt. Auch wenn die Antragsgegnerin der Antragstellerin rechtsmissbräuchliches Verhalten vorwirft, begründet sie diesen Vorwurf nicht mit einer massenhaften Vorgehensweise der Antragstellerin.
2. Von einer Zurückverweisung der Sache an das Landgericht gemäß § 572 Abs. 3 ZPO wird im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung abgesehen. Das Landgericht hat wegen Verneinung der örtlichen Zuständigkeit zwar noch keine Sachentscheidung getroffen, der Senat – der auch für die Überprüfung einer solchen zuständig wäre – hält es vor dem Hintergrund des Eilcharakters des Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung indes für angemessen, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und in der Sache selbst neu zu entscheiden. Die Sach- und Rechtslage im Streitverfahren kann ohne weiteres abschließend beurteilt werden.
a. Der Verfügungsgrund wird gemäß § 12 Abs. 1 UWG vermutet. Im Übrigen ist unstreitig, dass die Antragstellerin von der streitbefangenen Werbung nicht vor dem 29.05.2025 erfahren hat. Der Eilantrag ist beim Landgericht Köln am 17.06.2025, d.h. vor Ablauf eines Monats nach Kenntniserlangung eingegangen.
b. Der Verfügungsanspruch folgt aus § 8 Abs. 1 UWG. Danach kann derjenige, der eine nach § 3 UWG unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, bei Wiederholungsgefahr von den nach § 8 Abs. 3 UWG Berechtigten auf Unterlassung in Anspruch genommen werden.
aa. Die Antragstellerin ist als Mitbewerberin i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 4 UWG gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG aktvlegitimiert. Sie steht bezüglich des Vertriebs von Matratzen mit der Antragsgegnerin in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis, auch wenn die von der Antragsstellerin angebotenen Matratzen etwas preiswerter sind als die „G.“ der Antragsgegnerin. Für einen nicht unerheblichen Teil der Endabnehmer sind die Produkte gleichwohl in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht austauschbar. Der Ansicht der Antragsgegnerin, beide Beteiligte sprächen vom finanziellen Hintergrund her völlig unterschiedliche Käufergruppen an, kann nicht beigetreten werden.
bb. Dass die angegriffene Werbung eine geschäftliche Handlung der Antragsgegnerin i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG darstellt, steht außer Frage.
cc. Eine geschäftliche Handlung ist gemäß § 3 Abs. 1 UWG unzulässig, wenn sie unlauter ist. Im Streitfall ist jedenfalls der Unlauterkeitstatbestand der Irreführung nach § 5 UWG erfüllt. Ob darüber hinaus auch der Rechtsbruchtatbestand des § 3a UWG i.V.m. dem Irreführungsverbot des § 3 HWG greift (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 27.03.2025, 3 W 12/25, Anl. AS8, Bl. 63 ff., 64 LGA), kann dahinstehen.
Nach § 5 Abs. 1 UWG handelt unlauter, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Eine geschäftliche Handlung ist gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 UWG u.a. dann irreführend, wenn sie unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über die wesentlichen Merkmale der Ware wie Vorteile und von der Verwendung zu erwartende Ergebnisse enthält.
Von der streitbefangenen Werbung angesprochen ist der Kreis der informierten Durchschnittsverbraucher, zu dem auch die Mitglieder des Senats zählen und dessen Verständnis daher ohne weiteres beurteilt werden kann.
Ein nicht unerheblicher Teil der angesprochenen Verbraucher wird durch die Bezeichnung „R.Matratzen“ den Eindruck gewinnen, diese sei für Seitenschläfer generell, ohne individuelle Anpassung geeignet, im Bereich der Orthopädie – dem medizinischen Fachgebiet, das sich mit angeborenen oder erworbenen Fehlern des menschlichen Bewegungsapparates befasst – eine gesundheitsfördernde Wirkung zu erzielen, also Erkrankungen des menschlichen Stütz- und Bewegungsapparats vorzubeugen oder zu lindern. Die im nachfolgenden Werbetext beschriebenen Vorzüge der Matratzen (z.Seitenschläfer
„Vorbei die Zeit der Kompromisse mit viel zu weicher oder viel zu fester Matratzen um Schulter oder LWS-Bereich zu entlasten. Diese Matratzen schafft endlich beides: Perfekte Anpassung, Nachgiebigkeit und Druckentlastung im Schulterbereich. Hervorragende Unterstützung im unteren Rücken und LWS-Bereich“,
„Optimal für überwiegende oder ausschließliche Seitenschläfer, besonders auch bei größerer Schulterbreite. Der extra-softe Schulterbereich ermöglicht auch mit sehr breiten Schultern ein tiefes Einsinken und dadurch endlich eine sehr gerade Lagerung der Wirbelsäule auch in der Seitenlage“,
„Seitenschläfer kennen das Problem:
Oft genug muss zwischen einer härteren oder weicheren Matratzen gewählt werden. Die weichere Matratzen ist dabei im Schulterbereich deutlich angenehmer, dafür gibt es schnell im unteren Rücken im Bereich der Lendenwirbelsäule Probleme durch das eigentlich (viel) zu weiche Liegen.
Nutzt man eine härtere Matratzen, ist der untere deutlich besser stabilisiert und macht keine Probleme, dafür kann die Schulter kaum noch einsinken. Das führt oftmals zu verdrehtem Liegen an Einrollen und Anziehen der Schulter, was zu vermehrten Verspannungen und vielfach auch einschlafenden Händen und Armen führt.
Dagegen hilft auch ein manchmal verbauter Einleger im Schulterbereich aus etwas weicherem Material oder die üblichen Liegezonen nichts oder nur minimal. Auch ein N. kann in Kombination mit heute üblichen Matratzendicken das Problem nicht lösen, sondern wenn überhaupt auch nur minimale Linderung verschaffen.
Unsere Lösung: Die Seitenschläfer-Spezialmatratze“)
stehen dieser mit dem Begriff „Orthopädisch“ gemäß dessen Wortsinn verbundenen Vorstellungen nicht entgegen. Die beschriebenen Eigenschaften werden vielmehr als Erklärung für die durch die Produktbezeichnung suggerierte positive orthopädische Wirkung verstanden (vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.04.2025, 20 W 19/25, Anl. AS7, Bl. 55 ff. , 59 LGA).
Dass ihre Matratzen eine solche positive medizinische Wirkung hat, trägt die Antragsgegnerin selbst nicht vor.
Die irreführende Angabe bezüglich einer – besonders werbewirksamen - gesundheitsförderlichen Eigenschaft ist geeignet, die Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die sie andernfalls nicht getroffen hätten.
dd. Der von der Antragsgegnerin erhobene Unclean-hands-Einwand greift allein schon deshalb nicht, weil durch den Verstoß auch die Interessen Dritter – der durch die Werbung der Antragsgegnerin angesprochenen Verbraucher – berührt werden (s. Köhler in: Köhler/Feddersen, UWG, 43. Aufl. 2025, § 11 Rn. 2.38 f.). Außerdem betreffen die Vorwürfe der Antragsgegnerin ausschließlich das Vorgehen der Antragstellerin in Zusammenhang mit der Abmahnung (keine Vollmachtsurkunde vorgelegt, fehlerhafte Rechtsprechungszitate, Berechnung von Umsatzsteuer), nicht den im vorliegenden Eilverfahren ausschließlich geltend gemachten Unterlassungsanspruch als solchen.
Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:
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