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LG Gießen: Abtretungsverbot in AGB im Regelfall wirksam sofern sich aus einer Interessenabwägung nicht eine unangemessene Benachteiligung ergibt

LG Gießen
Urteil vom 01.30.2023
1 S 148/21


Das LG Gießen hat entschieden, dass ein Abtretungsverbot in AGB im Regelfall wirksam ist, sofern sich aus einer Interessenabwägung nicht eine unangemessene Benachteiligung ergibt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Zunächst ist der Kläger aktivlegitimiert. Die Abtretung ist infolge der Unwirksamkeit der Klausel unter Ziffer I.4. der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten wirksam.

Grundsätzlich ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Regelung, mit der der Verwender die Abtretung von gegen ihn gerichteten Forderungen ausschließt, wirksam. Ein Abtretungsausschluss führt nicht notwendig zu einer unangemessenen Benachteiligung des Gläubigers, andererseits schützt er die berechtigten Interessen des Schuldners an der Klarheit und Übersichtlichkeit der Vertragsabwicklung. Grundsätzlich darf er deshalb mit einem Verbot oder zumindest einer Beschränkung der Abtretungsmöglichkeit die Vertragsabwicklung übersichtlicher gestalten und verhindern, dass ihm hierbei eine im Voraus nicht übersehbare Vielzahl von Gläubigern entgegentritt (vgl. BGH, Urt. v. 17.04.2012 – X ZR 76/11 = BGH NJW 2012, 2107 (2108), Rz. 9, beck-online). In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist daher ein Ausschluss der Abtretung durch allgemeine Geschäftsbedingungen wiederholt anerkannt worden, insbesondere, wenn er die Hauptleistungspflichten des Verwenders betrifft. Indessen ist eine solche Klausel gleichwohl unwirksam, wenn ein schützenswertes Interesse des Verwenders an einem Abtretungsausschluss nicht besteht oder die berechtigten Belange des Kunden an der Abtretbarkeit vertraglicher Forderungen das entgegenstehende Interesse des Verwenders überwiegen (vgl. BGH, Urt. v. 17.04.2012 – X ZR 76/11 = NJW 2012, 2107 (2108), Rz. 9, beck-online). Für das Abwägen dieser einander gegenüberstehenden Interessen sind ein generalisierender, überindividueller Prüfungsmaßstab und eine typisierende Betrachtungsweise zu Grunde zu legen (ebd., Rn. 10).

Mit Blick auf die vorliegende Konstellation, führt die Interessenabwägung zu dem Ergebnis, dass die Klausel unwirksam ist i.S.v. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB, nachdem sich hier die Beklagte einerseits auch darauf beruft, dass auch Nebenpflichten aus dem Werkvertrag von dem Abtretungsverbot, bzw. der Einschränkung der Abtretbarkeit durch den Zustimmungsvorbehalt erfasst sein sollen. Zudem ist es im Zuge von Reparaturaufträgen nach vorangegangener Erstellung eines Haftpflichtgutachtens eher der Regelfall, dass Ansprüche an einen Versicherer abgetreten werden, wenn diese gegenüber dem Geschädigten in die Regulierung eintritt. Insoweit liegt dann gerade kein Fall vor, in dem eine unüberschaubare Anzahl von Gläubigern dem Werkunternehmer gegenübertritt, sondern ein eng umgrenzter bzw. bestimmbarer Personenkreis. Auch dürfte der Werkunternehmer durch § 407 Abs. 1 BGB vor allem mit Blick auf die Erfüllungswirkung hinreichend geschützt sein bei der Erbringung seiner Werkleistung. Zudem ist im Wege der Interessenabwägung auch das Konstrukt des Vertrages zulasten Dritter sinngemäß heranzuziehen, wonach ein wirksames Abtretungsverbot, bzw. eine Abtretungsbeschränkung durch einen Zustimmungsvorbehalt ausschließen würde, dass der Schädiger oder dessen Versicherer zu hohe Werkunternehmerkosten nicht mehr geltend machen kann, obwohl er im Verhältnis zum Geschädigten zur Leistung verpflichtet ist und der Geschädigte selbst an der Geltendmachung von Ansprüchen gegen den Werkunternehmer nach Ausgleich seines Schadens durch den Schädiger oder den hinter diesem stehenden Versicherer kein (wirtschaftliches) Interesse mehr hat. Das wiederum hätte zur Folge, dass der Geschädigte zum Nachteil des Schädigers mit dem Werkunternehmer eine allein den Schädiger oder dessen Versicherer belastende AGB-Klausel vereinbart, ohne einen eigenen Nachteil zu erleiden. Der Werkunternehmer dürfte in diesem Fall pauschal aus dem Haftpflichtgutachten ersichtlichen Betrag abrechnen, ohne dass diese Kosten tatsächlich einem erforderlichen Reparaturaufwand entsprächen, wenn der Geschädigte auf die Richtigkeit des Privatgutachtens vertrauen dürfte. Im Ergebnis führt dies daher zu einer unangemessenen Benachteiligung des Klägers, sodass die Klausel unter Ziffer I.4. nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam ist und eine Abtretung möglich ist. Die vom Bundesgerichtshof entschiedenen Konstellationen, in denen ein Abtretungsverbot jeweils wirksam vereinbart worden ist, betrafen letztlich die Klarheit und Übersichtlichkeit der Vertragsabwicklung, welche hier aus Sicht der Beklagten aus den vorstehenden Gründen nicht betroffen war.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Hamburg: Lizenzschaden bei urheberrechtswidriger Nutzung hochwertiger Fotografien im Internet kann auf Grundlage der MFM-Richtlinien berechnet werden

LG Hamburg
Urteil vom 15.02.2024
310 O 221/23

Das LG Hamburg hat entschieden, dass der Lizenzschaden bei urheberrechtswidriger Nutzung hochwertiger Fotografien im Internet auf Grundlage der MFM-Richtlinien berechnet werden kann.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Die Beklagte hat die fünf streitgegenständlichen Fotos durch Einstellung auf ihrer Internetseite ohne die erforderliche Zustimmung des Klägers als deren Urheber i.S.d. § 19a UrhG öffentlich zugänglich gemacht und i.S.d. § 16 UrhG vervielfältigt. Eine Zustimmung zu einer solchen Nutzung durch die Beklagte hat der Kläger insbesondere nicht im Rahmen der Nutzungseinräumung gegenüber der B. S. GmbH erklärt.

Der Umfang der der B. S. GmbH an den in deren Auftrag erstellten Fotografien eingeräumten Nutzungsrechte ergibt sich bei verständiger Würdigung allein aus den auf der Vorderseite der hierüber erstellten Rechnung (Anlage B1) aufgeführten Positionen, während die Ausführungen auf der Rückseite dieser Rechnung lediglich die vom Kläger grundsätzlich angebotenen Nutzungspakete näher definieren, ohne diese unabhängig vom konkret vereinbarten Leistungsumfang dem jeweiligen Kunden einzuräumen. Damit beschränkten sich die von der B. S. GmbH erworbenen Nutzungsrechte auf die „Basis-Bildnutzungsrechte“ ‒ in den Erläuterungen auf der Rückseite der Rechnung definiert als einfaches, nicht-exklusives Bildnutzungsrecht zur zeitlich und räumlich uneingeschränkten Verwendung durch den Auftraggeber selbst ‒ sowie „erweiterte Bildnutzungsrechte für Presse & PR“ ‒ in den Erläuterungen auf der Rückseite der Rechnung definiert als Recht zur Weitergabe der Aufnahmen an beliebige Presse- und PR-Medien. Ein Recht zur Weitergabe der Bilder an Projektpartner hat die B. S. GmbH hingegen nicht erworben.

Bei der Beklagten handelt es sich unstreitig nicht um ein Presse- oder PR-Unternehmen. Allein der Umstand, dass sie die Bilder zu eigenen PR-Zwecken genutzt hat, genügt dafür ersichtlich nicht.

2. Die Beklagte schuldet dem Kläger für die streitgegenständlichen Verletzungshandlungen ein fiktives Lizenzhonorar in Höhe von 9.150,- € nebst Zinsen sowie Erstattung der für die ausgesprochene vorgerichtliche Abmahnung sowie die Dokumentation des Verstoßes angefallenen Kosten.

a) Der Anspruch auf Zahlung eines fiktiven Lizenzhonorars in der geltend gemachten Höhe ergibt sich aus § 97 Abs. 2 UrhG und § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB i.V.m. § 102a UrhG.

aa) Der Anspruch auf Zahlung eines fiktiven Lizenzhonorars bei unberechtigter Nutzung eines urheberrechtlich geschützten Werks ergibt sich verschuldensunabhängig bereits unter dem Gesichtspunkt der Eingriffskondiktion, § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB i.V.m. § 102a UrhG. Darüber hinaus ist der Beklagten aber auch ein Verschuldensvorwurf i.S.d. § 97 Abs. 2 S. 1 UrhG zu machen. Es entspricht der verkehrsüblichen Sorgfaltspflicht bei Umgang mit urheberrechtlich geschützten Werken, dass man die Berechtigung zur Nutzung eines Werks prüft und sich darüber Gewissheit verschafft (BGH, Urt. v. 18.03.1960, Az. I ZR 75/58 – Eisrevue II, Rn. 41 f. (juris)). Dass die Beklagte ihre Berechtigung zur Nutzung der streitgegenständlichen Fotografien in diesem Sinne geprüft habe, trägt sich selber bereits nicht vor. Sie beruft sich vielmehr allein darauf, dass sie seitens der B. S. GmbH im Rahmen der Weitergabe der Bilder nicht explizit auf die Urheberschaft des Klägers hingewiesen worden sei. Dies genügt zur Wahrung der insoweit anzuwendenden Sorgfaltsanforderungen ersichtlich nicht.

bb) Der klägerseits geltend gemachte Lizenzschaden in Höhe von 915,- € pro Bild zuzüglich eines 100 %igen Zuschlags für die unterlassene Urheberbenennung ist der Höhe nach nicht zu beanstanden. Die Beklagte ist dieser Berechnung – auch nach gerade zu diesem Zweck erteiltem Hinweis (vgl. Bl. 32 a.E.) – nicht entgegen getreten. Im Übrigen hat der Kläger durch Vorlage entsprechender Rechnungen (Anlagen K6-K11) auch belegt, die von der MFM empfohlenen Honorare (Anlage K12) tatsächlich am Markt für seine Fotografien durchsetzen zu können. Diese weisen bereits für eine dreijährige Nutzung auf einer Homepage unter Urhebernennung ein Honorar von 915,- € aus. Die entsprechende Honorarhöhe erscheint dabei im Hinblick auf die unstreitige professionelle Qualität der streitgegenständlichen Bilder auch für diese durchaus angemessen. Für die unterlassene Urheberbenennung rechtfertigt sich schließlich ein 100 %iger Zuschlag auf das üblicherweise zu zahlende Honorar (BGH, Urt. v. 15.01.2015, Az. I ZR 148/13 – Motorradteile, Rn. 36 ff. (juris)).

cc) Das fiktive Lizenzhonorar ist seit Nutzungsbeginn mit neun Prozentpunkten über Basiszins zu verzinsen. Nach den im Rahmen der Schadensbemessung anzuwendenden Grundsätzen der Lizenzanalogie muss sich der Verletzer so behandeln lassen, als habe er eine vertragliche Lizenz zu angemessenen Bedingungen am Klageschutzrecht erworben. Träfe daher den vertraglichen Lizenznehmer bei verspäteter Lizenzzahlung eine gesetzlich oder vertraglich begründete Verzinsungspflicht, so muss diese Zinspflicht auch für den Verletzer gelten (BGH, Urt. v. 24.11.1981, Az. X ZR 36/80 – Fersenabstützvorrichtung, Rn. 49 (juris)). Der Kläger hat vorliegend unter Vorlage seiner AGB schlüssig dargelegt, bei Lizenzierung seiner Fotos eine Fälligkeit des Lizenzhonorars mit Überlassung der lizenzierten Fotografie zu vereinbaren. Die Beklagte wäre damit bei Nichtzahlung ohne Mahnung nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB in Verzug geraten. Da es sich insoweit um eine Entgeltforderung gehandelt hätte, beläuft sich die Zinshöhe nach § 288 Abs. 2 BGB auf neun Prozentpunkte über Basiszins.

b) Der Anspruch auf Erstattung der für die (berechtigterweise) ausgesprochene Abmahnung angefallenen Kosten ergibt sich in der geltend gemachten Höhe aus § 97a Abs. 3 UrhG.

Der insoweit angesetzte Gegenstandswert von 10.000- € pro Bild für den Unterlassungsanspruch erscheint angemessen. Der Bundesgerichtshof hat bei einer gewerblichen Nutzung eines einfachen Fotos ohne kompositorische Inszenierung, wie es ohne Weiteres im Wege eines Schnappschusses hätte erstellt werden können, im Wege des öffentlich Zugänglichmachens i.S.v. § 19a UrhG einen Unterlassungswert in Höhe von 6.000,- € in der Hauptsache nicht beanstandet (BGH, Urt. v. 13.09.2018, Az. I ZR 187/17 – Sportwagenfoto). Die streitgegenständlichen Fotografien heben sich von einem bloßen Schnappschuss insbesondere durch eine sorgfältige Ausschnittwahl und präzise Ausleuchtung deutlich erkennbar als hochprofessionelle Aufnahmen ab.

Auch der Ansatz einer 1,5-fachen Gebühr ist nicht zu beanstanden. Zum einen erscheint der Ansatz einer 1,5-fachen Gebühr im Hinblick darauf, dass es sich beim Urheberrecht um eine Spezialmaterie handelt, durchaus angemessen. Zum anderen ist die Unbilligkeit nach § 14 Abs. 1 S. 3 RVG im gerichtlichen Verfahren nur auf Rüge zu prüfen (BGH, Urt. v. 17.09.2015, Az. IX ZR 280/14, Rn. 26 (juris)); eine solche Rüge wurde beklagtenseits nicht erhoben.

Soweit die vorgerichtlich angefallenen Kosten auf die gerichtlich geltend gemachten Ansprüche entfallen, erfolgt eine Anrechnung auf die Verfahrensgebühr nach Ziff. 3100 VV-RVG. Insoweit ist, wie beantragt, eine gesonderte Tenorierung veranlasst.

Der Anspruch auf Verzinsung des entsprechenden Betrags ergibt sich aus § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 1 BGB. Die Beklagte ist mit Ablauf der mit Schreiben vom 08.11.2022 gesetzten Zahlungsfrist in Verzug geraten.

c) Schließlich besteht nach § 97 Abs. 2 UrhG auch der geltend gemacht Anspruch auf Erstattung von Dokumentationskosten der Firma R. in Höhe von 110,- €. Der Kläger durfte die Einschaltung eines Unternehmens zur professionellen Dokumentation des erfolgten Verstoßes als zur Rechtsverfolgung sachdienlich erachten. Einwendungen werden beklagtenseits insoweit auch nicht erhoben.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Karlsruhe: Wettbewerbswidrige Irreführung durch Bewerbung von Globuli mit "radionisch informiert"

OLG Karlsruhe
Urteil vom 19.03.2024
14 U 63/23


Das OLG Karlsruhe hat entschieden, dass eine wettbewerbswidrige Irreführung durch Bewerbung von Globuli mit "radionisch informiert" vorliegt.

Aus den Entscheidungsgründen:
bb) Die klägerseits gerügte Produktpräsentation der Globuli „Babytraum Globuli für Ihn“/„Babytraum für den Mann“ und „Babytraum Globuli für Sie“/„Für die Frau“ mit dem Zusatz „radionisch informiert“ ist irreführend im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 UWG a. F., was der Senat aus eigener Sachkunde beurteilen kann.

(1) Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 UWG a. F. handelt unlauter, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Eine geschäftliche Handlung ist irreführend, wenn sie unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über wesentliche Merkmale der Ware enthält.

Irreführend ist eine Angabe, wenn sie bei den Adressaten eine Vorstellung erzeugt, die mit den wirklichen Verhältnissen nicht im Einklang steht. Maßgeblich ist auch hier das Verständnis der angesprochenen Verkehrskreise (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl. 2023, § 5 Rn. 1.56).

Eine Irreführung des Käufers kann vorliegen, wenn die Etikettierung, die alle Angaben, Kennzeichnungen, Hersteller und Handelsmarken, Abbildungen oder Zeichen umfasst, die sich auf ein Lebensmittel beziehen und auf dessen Verpackung angebracht sind, unwahre, falsche, mehrdeutige, widersprüchliche oder unverständliche Elemente enthält. In bestimmten Fällen kann das Verzeichnis der Zutaten, auch wenn es richtig und vollständig ist, gleichwohl nicht geeignet sein, einen falschen oder missverständlichen Eindruck des Verbrauchers bezüglich der Eigenschaften eines Lebensmittels zu berichtigen, der sich aus den anderen Elementen der Etikettierung dieses Lebensmittels ergibt (OLG Karlsruhe, Urteil vom 21.08.2020 - 4 U 214/18, Rn. 26, juris).

(2) Gemessen hieran stellt sich die gerügte Produktpräsentation in Zusammenschau mit dem Zusatz „radionisch informiert“ als irreführend in diesem Sinne dar. Die Präsentation der Globuli erfolgt in einer Weise, die der durchschnittliche Verbraucher mit homöopathischen Mitteln assoziiert, worauf auch der Zusatz „radionisch informiert“ verweist. Dies erweckt bei den angesprochenen Verkehrskreisen den Eindruck, dass es sich hierbei nicht nur um reine Zuckerkügelchen handelt. Vielmehr wird durch die Aufmachung und den Textzusatz der Eindruck erweckt, es handle sich um ein (zugelassenes) homöopathisches Mittel zur Steigerung der Zeugungs- bzw. Empfängnisfähigkeit, was nicht der Fall ist. Zwar wird vorliegend offengelassen, womit genau die Globuli „radionisch informiert“ sein sollen bzw. was der Inhalt dieser „Information“ sein soll. Die Präsentation der Globuli enthält auch kein klares Wirkversprechen. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass der durchschnittliche Verbraucher aufgrund der Aufmachung und Präsentation mehr als reinen Zucker erwartet, worum es sich hier aber handelt. Denn wie auf die Globuli „radionische Informationen“ (welchen Inhalts auch immer) - also etwas, was die Globuli von schlichtem Zucker unterscheiden könnte - aufgebracht worden sein sollen, wird beklagtenseits schon nicht hinreichend dargelegt (vgl. hierzu auch OLG Celle, Beschluss vom 22.08.2022 - 13 U 18/22, Rn. 55, juris).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


LG Düsseldorf: Kein Schadensersatzanspruch wegen unberechtigter Schutzrechtsverwarnung wenn Schutzrechtsinhaber auf Rechtsbeständigkeit seines Schutzrechts vertrauen durfte

LG Düsseldorf
Urteil vom 20.02.2024
4c O 6/23


Das LG Düsseldorf hat entschieden, dass kein Schadensersatzanspruch wegen einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung besteht, wenn der Schutzrechtsinhaber auf die Rechtsbeständigkeit seines Schutzrechts vertrauen durfte.

Aus den Entscheidungsgründen:
II. Mangels schuldhaftem Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb steht der Klägerin auch keine Schadensersatzforderung aus Deliktsrecht zu, § 823 Abs. 1 BGB.

1. Die Beklagte hat mit dem Schreiben vom 28. Juni 2017, nicht jedoch bereits mit dem Schreiben vom 31. Mai 2017, in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Beklagten eingegriffen.

Ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist im Falle einer Schutzrechtsverwarnung dann anzunehmen, wenn der vermeintlich Berechtigte auf Grundlage eines objektiv unberechtigten gewerblichen Schutzrechtes an den Inhaber des Gewerbebetriebs ein ernsthaftes und endgültiges Unterlassungsbegehren richtet (BGH NJW-RR 1997, 1404; OLG Düsseldorf BeckRS 2011, 2161; BeckOK BGB/Förster, 68. Ed. 1.11.2023, BGB § 823 Rn. 203; BeckOGK/Spindler, 1.12.2023, BGB § 823 Rn. 223).

a. Gemessen an diesem Maßstab stellt das Schreiben vom 31. Mai 2017 keinen solchen Eingriff dar. Es mangelt bereits an der Geltendmachung eines ernsthaften und endgültigen Unterlassungsbegehrens.

Eine Aufforderung zur Unterlassung spricht das Schreiben nicht aus. Vielmehr fordert es den Empfänger zu weiteren Erklärungen auf. So heißt es auf S. 2 des Schreibens: „We should be grateful if you would you [sic!] explain the apparent contradiction in X’s position“. Weiter wird auf S. 3 unter der Überschrift „Way forward“ die Bereitstellung verschiedener, näher spezifizierter Informationen binnen 14 Tagen verlangt.

Die anderweitige Auffassung der Klägerin kann nicht überzeugen. Soweit das Schreiben auf eine Kenntnis des Antrags auf Marktzulassung abstellt, lässt sich den Ausführungen insoweit noch kein eindeutiges Unterlassungsbegehren entnehmen. Gleiches gilt für die von der Klägerin herangezogene Formulierung: „As you are no doubt aware, our clients do not hesitate to enforce their intellectual property rights when they consider it appropriate for them to do so.“ Diese stellt zwar eine allgemeine Klagebereitschaft in den Raum. Gleichwohl ist sie weder auf ein konkretes beanstandetes Produkt noch auf ein bestimmtes Schutzrecht bezogen und enthält zudem die Einschränkung, dass ein gerichtliches Vorgehen im Einzelfall für angemessen gehalten wird, ohne dass für den Empfänger des Schreibens ersichtlich wäre, aufgrund welcher Kriterien dies im vorliegenden Fall beurteilt werden kann. Weiterer Erörterung des Schreibens vom 31. Mai 2017 bedarf es deswegen nicht.

b. Das Schreiben vom 28. Juni 2017 ist dahingegen – wie zwischen den Parteien auch unstreitig – als ein solcher Eingriff einzustufen.

Dieses zweite Schreiben fordert die Beklagte auf, von der Markteinführung von „E“-Generika-Produkten sofort Abstand zu nehmen und stellt im Falle der Nichtabgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung unmittelbar ein gerichtliches Vorgehen gegen die Beklagte in Aussicht. Die Beklagte hat dieses Unterlassungsbegehren auch auf ihre Inhaberschaft der Europäischen Patente EP X, EPXund EP X gestützt und an die Klägerin als Inhaberin eines entsprechenden auf den Vertrieb von Medikamenten gerichteten Gewerbebetriebs gerichtet.

2. Die mit Schreiben vom 28. Juni 2017 erfolgte Abmahnung ist auch rechtswidrig.

Zwar ist die Rechtswidrigkeit eines Eingriffs in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nicht durch das Vorliegen des Eingriffs als solchem indiziert, sondern muss stets im Rahmen einer Interessen- und Güterabwägung festgestellt werden (BeckOGK/Spindler, 1.12.2023, BGB § 823 Rn. 214; MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, BGB § 823 Rn. 370). Indes ist kein legitimes Interesse eines Schutzrechtsinhabers ersichtlich, einem Wettbewerber bei nicht bestehendem Schutzrecht ernsthaft und endgültig zur – nicht geschuldeten – Unterlassung aufzufordern. Damit fällt die Interessenabwägung vorliegend zugunsten der Klägerin als zu Unrecht abgemahnter Wettbewerberin aus und die mit Schreiben vom 28. Juni 2017 erfolgte Abmahnung ist rechtswidrig.

3. Die Beklagte hat mit Erteilung der Abmahnung, also dem Schreiben vom 28. Juni 2017, nicht schuldhaft gehandelt.

Verschulden im Rahmen der deliktischen Haftung setzt Vorsatz oder Fahrlässigkeit voraus, § 823 Abs. 1 BGB. Bezugspunkt des Vorsatzes sind diejenigen Aspekte, welche die Eigenschaft der Abmahnung als rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb begründen. Vorliegend muss sich der Vorsatz demnach auch auf das spätere rückwirkende Wegfallen desjenigen Schutzrechtes, auf das die Abmahnung gestützt ist, erstrecken. Ein Vorsatz der Beklagten insoweit ist nicht ersichtlich und wird von der Klägerin bereits nicht behauptet. Die Beklagte hat indes hinsichtlich des mangelnden Rechtsbestandes der geltend gemachten Schutzrechte auch nicht fahrlässig gehandelt.

a. Auch fahrlässiges Handeln lässt sich nicht feststellen.

Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, § 276 Abs. 2 BGB. Die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt aber ein (vermeintlicher) Gläubiger nicht schon dann, wenn er nicht erkennt, dass seine Forderung in der Sache nicht berechtigt ist (BGHZ 179, 238, 246). Dies würde dem Gläubiger die Durchsetzung seiner Rechte unzumutbar erschweren, da seine Berechtigung nur in einem Rechtsstreit sicher zu klären ist (BGHZ 179, 238, 246; BGH GRUR 2018, 832, 841 – Ballerinaschuh). Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt entspricht der Gläubiger vielmehr regelmäßig schon dann, wenn er sorgfältig prüft, ob der eigene Rechtsstandpunkt plausibel ist (BGH GRUR 2018, 832, 841 – Ballerinaschuh; vgl. BGHZ 179, 238, 246; BGH NJW 2011, 1063, 1065; NJW 2008, 1147, 1148). Dies gilt nicht nur hinsichtlich tatsächlicher Voraussetzungen des geltend gemachten Rechts, sondern auch bei einer unklaren Rechtslage (BGH GRUR 2018, 832, 841 – Ballerinaschuh; NJW 2011, 1063, 1065; Staudinger/Caspers (2019) BGB § 276, Rn. 58). Ein Schutzrechtsinhaber setzt sich deshalb im Falle einer unberechtigten Verwarnung nicht dem Vorwurf schuldhaften Handelns aus, wenn er sich seine Überzeugung durch gewissenhafte Prüfung gebildet oder wenn er sich bei seinem Vorgehen von vernünftigen und billigen Überlegungen hat leiten lassen (BGH GRUR 2018, 832, 841 – Ballerinaschuh).

Art und Umfang der Sorgfaltspflichten desjenigen, der eine Abmahnung ausspricht, werden maßgeblich dadurch bestimmt, inwieweit er auf den Bestand seines Schutzrechtes vertrauen darf. Bei einem geprüften Schutzrecht kann vom Rechtsinhaber keine bessere Beurteilung der Rechtslage verlangt werden, als sie der Erteilungsbehörde möglich war (BGH GRUR 2018, 832, 841 – Ballerinaschuh; GRUR 2006, 432, 433 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II). Konkret hat der Bundesgerichtshof ein Verschulden im Falle der Abmahnung aus einem wegen des Fehlens jeglicher Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG im Ergebnis nicht rechtsbeständigen Markenrechts verneint, weil das DPMA dieses absolute Eintragungshindernis im Erteilungsverfahren zu prüfen hatte und der Rechtsinhaber deswegen insoweit von der Rechtsbeständigkeit seines Schutzrechts ausgehen konnte (BGH GRUR 2006, 432, 433 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II). Besondere Umstände mögen dem Abmahner im Einzelfall besondere Sorgfaltspflichten auferlegen (BGH GRUR 2006, 432, 433 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II).

Damit im Einklang stehen die Erwägungen des Bundesgerichtshofes (BGH GRUR 2006, 219, 222 – Detektionseinrichtung II), dass jedenfalls ein auf den Bestand des Patentes gestütztes Verhalten nicht stets schuldlos ist, sondern jedenfalls derjenige Patentinhaber, der weitergehende Erkenntnisse über den Stand der Technik als die Erteilungsbehörde hat, aber diese Kenntnisse entgegen § 34 Abs. 7 PatG zurückhält, sowie der Patentinhaber, dem möglicherweise der Schutzfähigkeit entgegenstehendes Material nachträglich bekannt geworden ist und der wusste, dass dieses Material der Schutzfähigkeit des Patents entgegensteht oder der sich diese Erkenntnis in vorwerfbarer Weise verschlossen hat, schuldhaft handeln kann.

Diese Fälle haben gemein, dass der Rechtsinhaber im fraglichen Zeitpunkt gegenüber der Erteilungsbehörde im Erteilungszeitpunkt einen Wissensvorsprung hat. Gerade dieser Wissensvorsprung als besonderer Umstand rechtfertigt es, dem Schutzrechtsinhaber im Einzelfall besondere Sorgfaltspflichten aufzuerlegen (vgl. BGH GRUR 2006, 432, 433 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II).

Ein Festhalten an vorstehendem Verschuldensmaßstab ist auch vor dem Hintergrund der zwischen den Parteien diskutierten neueren Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.10.2023 – 2 U 124/22, GRUR-RS 2023, 29941 Rz. 86 ff. – Glatirameracetat) geboten. Das Oberlandesgericht hatte ein fahrlässiges Handeln bereits dann angenommen, wenn der Schutzrechtsinhaber bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass ein Widerruf des geltend gemachten Patents möglich ist. Im dortigen Fall war ein Rechtsbestandsverfahren anhängig. Das Oberlandesgericht hat diese Passage nicht zur Begründung einer Haftung herangezogen. Im dort zu entscheidenden Fall ging es vielmehr um eine verschuldensunabhängige Haftung aus § 945 ZPO. Das Oberlandesgericht hat ein entsprechendes Verschulden nur deshalb geprüft und schließlich bejaht, um die Frage einer Europarechtskonformität der verschuldensunabhängigen Haftung nach § 945 ZPO vor dem Hintergrund der Enforcement-Richtlinie dahinstehenlassen zu können. Um einen solchen Sonderfall geht es hier nicht. Die entsprechenden Erwägungen sind zudem durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. v. 11. Januar 2024, Rs. C-473/22 – Mylan AB/Gilead Sciences Finlan Oy u. a.) überholt.

Ein Fahrlässigkeitsmaßstab im deutschen Recht, der einen Vorwurf bereits daran knüpft, dass ein Widerruf des geltend gemachten Patents möglich erscheint, überspannt jedenfalls die an den (vermeintlichen) Rechtsinhaber gestellten Anforderungen und ist abzulehnen. Dieser Maßstab würde auch eine deutliche Verschärfung der bisher in der Rechtsprechung vertretenen Verschuldensmaßstäbe darstellen, die im Ergebnis nicht gerechtfertigt ist. Vielmehr besteht insbesondere im Patentrecht, etwa aufgrund nachträglich aufgefundenen Standes der Technik, stets die Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung in einem Rechtsbestandsverfahren. Damit liefe das Verschuldenserfordernis letztlich in diesen Fällen weitestgehend leer. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt entspricht der Gläubiger vielmehr entsprechend den zuvor geschilderten Grundsätzen schon dann, wenn er sorgfältig prüft, ob der eigene Rechtsstandpunkt plausibel, mithin vertretbar, ist. Ob ihm eine Entscheidung zu seinen Ungunsten möglich erscheint, ist – bei sorgfältig geprüftem und vertretbarem eigenem Rechtsstandpunkt – ohne Belang. Ebenfalls als solches ohne Bedeutung bleibt, ob ein Rechtsbestandsverfahren gegen das erteilte Schutzrecht anhängig ist. Vielmehr ist in der Sache zu differenzieren. Ein im Rahmen des Rechtsbestandsverfahrens gegenüber dem Schutzrechtsinhaber erfolgter Vortrag, etwa hinsichtlich neu aufgefundenem und potentiell schädlichem Stand der Technik, kann ohne weiteres nach den vorstehend geschilderten Grundsätzen neue Pflichten des Rechtsinhabers zur sorgfältigen Prüfung seines Rechtsstandpunktes auslösen, bei deren Verletzung er ab diesem Zeitpunkt fahrlässig hinsichtlich des Rechtsbestandes seines Schutzrechts handelt.

Es bedarf im vorliegenden Fall keiner grundsätzlichen Ausführungen dazu, ob sich ein Patentinhaber stets auf die rechtliche Einschätzung der Erteilungsbehörde bezüglich der von ihr zu prüfenden Erteilungsvoraussetzungen verlassen darf (in diese Richtung deutet indes BGH GRUR 2006, 432, 433 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II) und im Falle einer nachfolgenden abweichenden Einschätzung – bei nach wie vor gleichem Kenntnisstand des Patentinhabers wie der Erteilungsbehörde im Zeitpunkt der Erteilung – schuldlos hinsichtlich der Fehleinschätzung des Rechtsbestandes seines Schutzrechtes ist. Denn jedenfalls wenn die Erteilungsbehörde sich konkret mit bestimmten Erteilungsvoraussetzungen beschäftigt und diese bejaht hat oder bestimmte Erteilungsvoraussetzungen gerügt wurden und die Erteilung trotzdem erfolgte, darf sich der Rechtsinhaber unter Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt auf diesen Rechtstandpunkt als vertretbar berufen. Insoweit kann von ihm keine bessere Beurteilung der Rechtslage verlangt werden, als sie der Erteilungsbehörde möglich war.

b. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus einer Gesamtschau der vorgetragenen Anhaltspunkte, dass die Beklagte auf die Rechtsbeständigkeit ihres Schutzrechtes vertrauen durfte.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass im Erteilungsverfahren des EP X Dritte Einwendungen hinsichtlich der Patentierbarkeit gestützt auf einen Verstoß gegen Art. 76 Abs. 1 EPÜ erhoben haben. Der Gegenstand des EP X sei nicht unmittelbar und eindeutig in der Stammanmeldung offenbart. Dies betraf – zwischen den Parteien unstreitig – auch Aspekte, die letztlich im Einspruchsverfahren zum Widerruf des erteilten EP X wegen Verstoßes gegen Art. 76 Abs. 1 EPÜ führten.

Nichtsdestotrotz hat in Ansehung dieser Umstände die Erteilungsbehörde das EP X erteilt. Soweit die Klägerin vorträgt, die Einwendungen seien, obgleich Aktenbestandteil, inhaltlich nicht geprüft worden, so gibt es hierfür keinerlei Anhaltspunkte. Hierauf kommt es auch nicht an. Vielmehr darf sich der Schutzrechtsinhaber jedenfalls hinsichtlich im Erteilungsverfahren erhobener Einwände, die eine Erteilung nicht hinderten, auf die Rechtseinschätzung der Erteilungsbehörde verlassen.

Im Erteilungsverfahren der EPX und EP X sind zwar keine vergleichbaren Einwände erhoben worden. Indes sind die EP X, EPX und EP X sämtlich aus derselben Stammanmeldung abgezweigt. Schon mit Blick auf die im Erteilungsverfahren des EP X geltend gemachten Einwendungen konnte und musste die Beklagte damit rechnen, dass sich die Prüfungsabteilung auch hinsichtlich der von Amts wegen zu prüfenden Voraussetzungen des Art. 76 Abs. 1 EPÜ bei den EPX und EP X, die derselben Patentfamilie angehören, mit dem Offenbarungsgehalt der Stammanmeldung auseinandersetzt, zumal eine Erteilung durch dieselben Personen erfolgte. Die Einwendungen im Erteilungsverfahren des EP X wurden auch zeitlich vor der Erteilung des EPX vorgetragen. Die Entscheidung zur Veröffentlichung des EP X datiert auf den 20. Oktober 2016, die der EPX und EP X jeweils auf den 13. April 2017. Gleiches gilt hinsichtlich des EP X. Die Gründe für den Widerruf sind, wie zwischen den Parteien unstrittig, beim EPX und EP X identisch. Darf die Beklagte als Schutzrechtsinhaberin darauf vertrauen, dass ihre Rechtsauffassung hinsichtlich des EPX– in Übereinstimmung mit der Erteilungslage – durchgreift, so gilt gleiches für sich beim EP X in identischer Weise stellenden Rechtsfragen.

Damit durfte die Beklagte vorliegend in Übereinstimmung mit der von der Erteilungsbehörde zum Ausdruck gebrachten Rechtsauffassung auf den Bestand ihrer Schutzrechte vertrauen. Ein Verschulden ist soweit nicht gegeben.

Bestätigt wurde das Vertrauen der Beklagten in ihre Rechtsauffassung im vorliegenden Fall überdies dadurch, dass sie im Zeitpunkt der Abmahnung auch bereits zwei einstweilige Verfügungen mit den streitgegenständlichen Patenten erwirkt hatte.


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LG Düsseldorf: Art. 15 DSGVO ist eine Marktverhaltensregel nach § 3a UWG - Verstoß kann von Verbraucherschutzvereinen abgemahnt werden

LG Düsseldorf
15.03.2024
34 O 41/23

Das LG Düsseldorf hat entschieden, dass Art. 15 DSGVO eine Marktverhaltensregel nach § 3a UWG ist. Ein Verstoß kann von Verbraucherschutzvereinen abgemahnt werden

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Unterlassungsanspruch zu 2) ist begründet gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 1, § 3, 3a UWG i.V.m. Art. 15 DSGVO.

1. Der Kläger ist als qualifizierte Einrichtung im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG klagebefugt (EuGH, Urteil vom 28.04.2022 – C-319/20 – Meta Platforms Ireland; Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 42. Auflage 2024, § 3a UWG, Rn. 1.40b ff.).

2. In der Auskunftserteilung liegt eine geschäftliche Handlung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG, weil sie im Zusammenhang mit der Durchführung eines (vermeintlichen) Vertrags über Waren steht. Die Beklagte hat Herrn … erst knapp zwei Monate nach seinem Auskunftsbegehren (Anlage K 4) die geforderte datenschutzrechtliche Auskunft (Anlage K 5) erteilt und damit gegen Marktverhaltensregelungen verstoßen.

Nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO hat die betroffene Person das Recht, von dem Verantwortlichen eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden; ist dies der Fall, so hat sie ein Recht auf Auskunft über diese personenbezogenen Daten und auf die in der Vorschrift nachfolgend aufgezählten Informationen. Gemäß Art. 12 Abs. 3 Satz 1 DSGVO hat der Unternehmer einer betroffenen Person die Auskunft nach Art. 15 DSGVO unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb eines Monats zu erteilen. Diese Frist hat die Beklagte unstreitig nicht eingehalten. Bei Art. 12 Abs. 3, Art. 15 DSGVO handelt es sich um Marktverhaltensvorschriften im Sinne des § 3a UWG. Marktverhalten ist jede Tätigkeit auf einem Markt, die objektiv der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen dient und durch die ein Unternehmer auf Mitbewerber, Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer einwirkt. Eine Norm regelt das Marktverhalten, wenn sie einen Wettbewerbsbezug aufweist, indem sie die wettbewerblichen Belange der als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in Betracht kommenden Personen schützt. Eine Vorschrift, die dem Schutz von Rechten, Rechtsgütern oder sonstigen Interessen von Marktteilnehmern dient, ist eine Marktverhaltensregelung, wenn das geschützte Interesse gerade durch die Marktteilnahme, also durch den Abschluss von Austauschverträgen und den nachfolgenden Verbrauch oder Gebrauch der erworbenen Ware oder in Anspruch genommenen Dienstleitung berührt wird. Dabei genügt, dass die Vorschrift zumindest auch den Schutz der wettbewerblichen Interessen der Marktteilnehmer bezweckt. Datenschutzrechtliche Bestimmungen weisen einen wettbewerbsrechtlichen Bezug auf, soweit es um die Zulässigkeit der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung von Daten geht, etwa zu Zwecken der Werbung, der Meinungsforschung, der Erstellung von Nutzerprofilen, des Adresshandels oder sonstiger kommerzieller Zwecke (vgl. statt aller: OLG Stuttgart, Urteil vom 27.02.2020 – 2 U 257/19 – Reifensofortverkauf, m.w.N.).

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs handelt es sich bei Art. 12, Art. 15 DSGVO um Marktverhaltensregelungen. Die Auskunftspflicht und die diesbezügliche Frist dienen dem Verbraucherschutz. Sie flankieren die Informationspflichten des Unternehmers nach Art. 13 DSGVO, wonach der Verantwortliche im Sinne von Art. 4 DSGVO vor der Entgegennahme personenbezogener Daten des Interessenten über bestimmte Umstände zu informieren hat. Beide Informations- bzw. Auskunftspflichten dienen dem Interesse des Verbrauchers und sonstigen Marktteilnehmers, eine geschäftliche Entscheidung zu treffen. Bei den Informationspflichten nach Art. 13 DSGVO dienen sie dem Verbraucher zur Entscheidung, ob er mit dem Unternehmen überhaupt in Kontakt treten möchte (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O.). Die Auskunftspflicht nach Art. 15 DSGVO und die Frist in Art. 12 DSGVO dienen im Nachgang zur Geschäftsanbahnung der Vertragsabwicklung. Sie ermöglichen damit dem Verbraucher eine geschäftliche Entscheidung über sein weiteres Handeln in diesem Geschäftskontakt zu treffen.

4. Der Verstoß ist auch geeignet, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen. Die Spürbarkeitsklausel hat den Zweck, solche Fälle des Verstoßes gegen eine Marktverhaltensregelung von der Verfolgung auszunehmen, die keine nennenswerte Auswirkung auf andere Marktteilnehmer haben. Denn daran besteht kein Interesse der Allgemeinheit. Ein Verbot ist vielmehr nur dann erforderlich, wenn dies der Schutz der Verbraucher, der Mitbewerber oder der sonstigen Marktteilnehmer erfordert. Das ist aber nur dann der Fall, wenn sich die unlautere geschäftliche Handlung tatsächlich auf die anderen Marktteilnehmer auswirkt oder doch auswirken kann (Köhler/Bornkamm/Feddersen, a.a.O., Rn. 1.96). Bei den Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern geht es in erster Linie darum, eine informierte und freie geschäftliche Entscheidung (§ 2 Abs.1 Nr. 1 UWG) treffen zu können (Köhler/Bornkamm/Feddersen, a.a.O., Rn. 1.98). Da die fristgerechte Auskunftserteilung dem Verbraucher ermöglicht, die weitere Durchführung eines Vertrags oder Geschäftskontakts zu gestalten, ist ein hiergegen gerichteter Verstoß als spürbar zu bewerten. Denn sie dient letztlich der informierten Entscheidung.


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OLG München: Wettbewerbswidriger Verstoß gegen Art. 10 Abs. 1 HCVO durch Bewerbung eines Nahrungsergänzungsmittels mit "für ein gesundes Immunsystem"

OLG München
Urteil vom 21.12.2023
29 U 4088/22


Das OLG München hat entschieden, dass ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen Art. 10 Abs. 1 HCVO durch Bewerbung eines Nahrungsergänzungsmittels mit "für ein gesundes Immunsystem" vorliegt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Dem Kläger steht gegen die Beklagte im Hinblick auf die angegriffenen Werbeaussagen der vom Landgericht zuerkannte Unterlassungsanspruch aus §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2; 3 Abs. 1; 3a UWG i.V.m. Art. 10 Abs. 1 HCVO zu.

a) Art. 10 Abs. 1 HCVO stellt eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG dar, deren Missachtung geeignet ist, den Wettbewerb zum Nachteil von Mitbewerbern und Verbrauchern spürbar zu beeinträchtigen (BGH GRUR 2016, 1200 Rn. 12 – Repair-Kapseln).

b) Bei den angegriffenen Werbeaussagen zum Produkt „…“ gemäß den Ziffern 1. a), b) und c) des landgerichtlichen Urteils handelt es sich um unzulässige gesundheitsbezogene Angaben im Sinne von Art. 10 Abs. 1 HCVO, da sie nicht in die Liste der zugelassenen Angaben gemäß den Art. 13 und 14 HCVO aufgenommen sind.

aa) Unter einer gesundheitsbezogenen Angabe ist nach Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 HCVO jede Angabe zu verstehen, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits besteht. Die Frage, ob eine Aussage auf die Gesundheit im Sinne der HCVO abzielt, ist anhand der in Art. 13 Abs. 1 HCVO und Art. 14 HCVO aufgeführten Fallgruppen zu beurteilen (BGH GRUR 2016, 1200 Rn. 19 – RepairKapseln; GRUR 2014, 1013 Rn. 23 – Original Bach-Blüten; GRUR 2013, 958 Rn. 13 – Vitalpilze; GRUR 2011, 246 Rn. 9 – Gurktaler Kräuterlikör).

Das Bestehen eines solchen Zusammenhangs suggerieren die auf das konkrete Produkt „…“ bezogenen angegriffenen Werbeaussagen der Beklagten, da sie den Eindruck erwecken, der Verzehr des Produkts wirke sich auf das Immunsystem bzw. die Abwehrkräfte des Verbrauchers und damit auf seine Gesundheit aus. Unter den Gesundheitsbezug in Art. 13 Abs. 1 lit. a) HCVO fallen insbesondere das Wachstum, die Entwicklung und sämtliche sonstigen Körperfunktionen. Nach dieser allgemeinen und weitgefassten Umschreibung gehört auch die Funktion des körpereigenen Immunsystems zum Gesundheitsbegriff der HCVO. Hiervon geht der Unionsgesetzgeber selbst in der VO (EU) Nr. 432/2012 aus, indem er Angaben über die „normale Funktion des Immunsystems“ zu den gesundheitsbezogenen Angaben im Sinne der HCVO rechnet (vgl. OLG Hamm GRUR-RR 2023, 97 Rn. 38 – Volle Power für Ihr Immunsystem).

bb) Bei dem Produkt „…“ handelt es sich um ein Lebensmittel. Nach Art. 2 Abs. 1 lit. a) HCVO gelten für die Zwecke der HCVO die Begriffsbestimmungen der Artikel 2 und 3 Nr. 3, 8 und 18 der VO (EG) Nr. 178/2002 (Lebensmittel-Basis-VO). Nach Art. 2 Abs. 1 Lebensmittel-BasisVO sind Lebensmittel alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. Das Produkt „…“ ist erwartungsgemäß dazu bestimmt, von Menschen aufgenommen zu werden, da es der Versorgung unter anderem mit den Vitaminen C, D und B6 sowie Zink dienen und hierzu verzehrt werden soll.

Dass es sich bei „…“ gleichzeitig um ein Nahrungsergänzungsmittel im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. b) HCVO i.V.m. der RL 2002/46/EG (Nahrungsergänzungsmittel-RL) handelt, führt nicht aus dem Anwendungsbereich der Art. 2 Abs. 2 Nr. 5, 10 Abs. 1 HCVO heraus, da sich aus Art. 2 lit. a) der RL 2002/46/EG gerade ergibt, dass auch Nahrungsergänzungsmittel als Lebensmittel anzusehen sind (vgl. OLG Hamm GRUR-RS 2015, 19462 Rn. 35 – Repair-Kapseln). Hieran ändert sich nichts dadurch, dass das streitgegenständliche Produkt Vitamine enthält, da diese nach Art. 2 lit. b) i) der RL 2002/46/EG als Nährstoffe im Sinne der Definition der Nahrungsergänzungsmittel in Art. 2 lit. a) der RL 2002/46/EG gelten.

cc) Dass die Angaben der Beklagten nicht in die Liste der zugelassenen Angaben im Sinne von Art. 13 und 14 HCVO aufgenommen sind, ist unstreitig.

c) Soweit die Beklagte im Hinblick auf die Werbeaussagen gemäß Ziffer 1. b) des landgerichtlichen Urteils („gesunde Immunfunktion“, „gesundes Immunsystem“) argumentiert, diese seien aufgrund der VO (EU) 432/2012 zulässig, kann dem nicht gefolgt werden.

aa) Nach Art. 1 Abs. 1 VO (EU) 432/2012 i.V.m. deren Anhang und Art. 13 Abs. 3 HCVO ist unter den dort angeführten Bedingungen für die Verwendung bei den Nährstoffen Vitamin C, D und B6 sowie Zink jeweils die Angabe „… trägt zu einer normalen Funktion des Immunsystems bei“ zulässig. Grundsätzlich ist dabei eine Wortlautidentität der verwendeten Aussage mit dem zugelassenen Claim nicht zwingend erforderlich. Vielmehr dürfen auch damit gleichbedeutende, mithin inhaltlich übereinstimmende Angaben verwendet werden (BGH GRUR 2016, 412 Rn. 51 – Lernstark; OLG Bamberg BeckRS 2014, 6092 Rn. 119).

Maßstab dafür ist Erwägungsgrund 9 der VO (EU) 432/2012. Danach „soll mit der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 u.a. sichergestellt werden, dass gesundheitsbezogene Angaben wahrheitsgemäß, klar, verlässlich und für den Verbraucher hilfreich sind. Formulierung und Aufmachung der Angaben sind vor diesem Hintergrund zu bewerten. In den Fällen, in denen der Wortlaut einer Angabe aus Verbrauchersicht gleichbedeutend ist mit demjenigen einer zugelassenen gesundheitsbezogenen Angabe, weil damit auf den gleichen Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem Lebensmittelbestandteil und einer bestimmten Wirkung auf die Gesundheit hingewiesen wird, sollte diese Angabe auch den Verwendungsbedingungen für die zugelassene gesundheitsbezogene Angabe unterliegen.“ Entscheidend ist somit, dass die Angaben für den Verbraucher inhaltlich die gleiche Bedeutung haben wie die entsprechende zugelassene Formulierung, was gemäß dem Zweck dieser Angabe zu beurteilen ist, dem Verbraucher dabei zu helfen, die Angabe zu verstehen (OLG Düsseldorf GRUR-RS 2016, 21228 Rn. 56 – Irreführende Bewerbung eines Nahrungsergänzungsmittels aus Ginkgo-Extrakt; Sosnitza/Meisterernst/Rathke/Hahn, Lebensmittelrecht, Werkstand: 186. EL März 2023, Art. 10 HCVO, Rn. 44 ff.).

Bei der Frage, ob eine verwendete gesundheitsbezogene Angabe mit einer zugelassenen Angabe gleichbedeutend ist, ist ebenso wie bei der Prüfung, ob eine verwendete Angabe inhaltlich mit einer angemeldeten Angabe übereinstimmt, grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen (BGH GRUR 2016, 412 Rn. 52 – Lernstark; GRUR 2014, 500 Rn. 29 – Praebiotik). Dafür sprechen neben dem Wortlaut und der Systematik von Art. 10 Abs. 1 HCVO, die Zulässigkeit der Angabe nur als Ausnahme vom Verbotstatbestand vorzusehen, auch der Zweck der Richtlinie, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten. Aus der systematischen Konzeption der Verordnung, wonach die Zulassung von gesundheitsbezogenen Angaben grundsätzlich die Aufnahme in eine Positivliste nach einer wissenschaftlichen Nachprüfung voraussetzt, ergibt sich ferner, dass dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit besondere Bedeutung zukommt. Damit stünde es nicht im Einklang, im Wege einer extensiven Anwendung von Art. 10 Abs. 1 HCVO die Verwendung von Angaben zu gestatten, die sich nicht eng mit der zugelassenen Angabe decken. Andererseits ist bei dieser Prüfung das berechtigte Interesse der Lebensmittelunternehmen zu berücksichtigen, den Wortlaut einer zugelassenen Angabe der Produktaufmachung und dem Verbraucherverständnis anpassen zu können, ohne für jede sprachlich abweichende Angabe einen eigenen Zulassungsantrag stellen zu müssen (BGH GRUR 2016, 412 Rn. 52 – Lernstark; OLG Düsseldorf GRURRS 2016, 21228 Rn. 57 – Irreführende Bewerbung eines Nahrungsergänzungsmittels aus Ginkgo-Extrakt).

bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann die Wortlautabweichung, bei der der Begriff „normales Immunsystem“ durch die Begriffe „gesundes Immunsystem“ bzw. „gesunde Immunfunktion“ ersetzt wurde, nicht mehr als unter die jeweils zugelassenen Claims nach Art. 1 Abs. 1 VO (EU) 432/2012 i.V.m. deren Anhang und Art. 13 Abs. 3 HCVO fallend angesehen werden.

Nach dem Verständnis des Durchschnittsverbrauchers deutet das geänderte Adjektiv „gesund“ gegenüber „normal“ darauf hin, dass dem Nahrungsergänzungsmittel auch dann eine Funktion zukommt, wenn der Ausgangszustand des Verzehrenden nicht als „gesund“ bezeichnet werden kann. Demgegenüber stellt der zugelassene Begriff mit der Verwendung von „normal“ klar, dass es ausschließlich um eine Funktionsunterstützung bei gesunden Verbrauchern mit normalem Immunsystem geht. Unter Berücksichtigung des strengen anzulegenden Maßstabs kann es nicht als vom Sinn und Zweck der VO (EU) 432/2012, wie er insbesondere in Erwägungsgrund 9 zum Ausdruck kommt, gedeckt angesehen werden, ein Nahrungsergänzungsmittel hierdurch aus Verbrauchersicht in die Nähe von Produkten zu rücken, die bei einem im Ausgangspunkt nicht oder nicht vollständig gesunden Anwender zum Einsatz kommen. Ein Zweck der veränderten Angabe, dem Durchschnittsverbraucher dabei zu helfen, die zugelassene Angabe zu verstehen, kann nicht im Ansatz erkannt werden, da sie vielmehr geeignet ist, ihn in seinem Verständnis bei der Abgrenzung eines Nahrungsergänzungsmittels von einem bei Nichtgesunden einzusetzenden Produkt zu verunsichern. Insoweit ist auch kein berechtigtes Interesse der Beklagten zu erkennen, den Wortlaut dem Verbraucherverständnis anpassen zu können, ohne einen neuen Claim anmelden zu müssen.

Nicht gefolgt werden kann der Beklagten auch in dem Argument, dass die Begriffe „normal“ und „gesund“ bei Nahrungsergänzungsmitteln als gleichbedeutend anzusehen seien, weil sich Nahrungsergänzungsmittel nach der RL 2002/46/EG per definitionem nur an gesunde Menschen richteten. Nach dem oben Gesagten ist für die Frage, ob Wortlautabweichungen von zugelassenen Claims möglich sind, das Verständnis des Durchschnittsverbrauchers maßgeblich, das im Hinblick auf den zugelassenen Claim unterstützt werden soll. Nicht entscheidend sind dagegen begriffliche Abgrenzungs- und Definitionsfragen im europäischen Sekundärrecht zu Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln, zumal dem Durchschnittsverbraucher die entsprechenden Rechtsinstrumente und deren gewählte Kategorien im Einzelnen ebenso wenig bekannt sind wie deren von der EU-Behörde EFSA vorgenommenen Interpretationen (vgl. Anlage BK 2).

d) Auch soweit die Beklagte im Hinblick auf die Werbeaussage gemäß Ziffer 1. c) des landgerichtlichen Urteils („zur Stärkung Ihrer Abwehrkräfte“) argumentiert, ein Lebensmittel und damit auch ein Nahrungsergänzungsmittel diene der Ernährung und führe deshalb immer zu einer „Stärkung“, vermag der Senat nicht zu erkennen, dass dies am Charakter der Aussage als gesundheitsbezogener Angabe etwas ändern würde.

Nach dem Verständnis des Durchschnittsverbrauchers ist der Begriff der „Stärkung“ schon grammatikalisch auf den Begriff „Abwehrkräfte“ bezogen, zumal sich die Beklagte dazwischen des Possessivpronomens „Ihrer“ bedient. Infolgedessen nimmt er nicht an, sich durch das Produkt in ernährungs- oder gar kalorienbezogener Weise „stärken“ zu können, sondern versteht die Formulierung vielmehr dahin, dass bislang nicht hinreichend gestärkte Abwehrkräfte durch das Produkt eine Stärkung erfahren würden. Im Hinblick auf die von der Beklagten herangezogenen Normen des europäischen Sekundärrechts kann auf die obigen Ausführungen unter c) verwiesen werden.

e) Schließlich greift auch die Rüge der Beklagten nicht durch, die Werbeaussage gemäß Ziffer 1. a) des landgerichtlichen Urteils („Aktivieren Sie jetzt Ihre Abwehrkräfte“ bzw. „aktivieren Sie Ihre Abwehrkräfte“) beziehe sich nach dem Verständnis des Durchschnittsverbrauchers auf das feilgebotene Trinkfläschchen und dessen Plastikkappe, durch deren Drehen die Inhaltsstoffe des Gesamtprodukts „…“ verzehrfertig vermischt, mithin „aktiviert“ würden.

Nach dem Verständnis des Durchschnittsverbrauchers ist das im Imperativ verwendete Verb „aktivieren“ auf seine Abwehrkräfte bezogen, nicht auf die Verpackung, das Gesamtprodukt, die Flasche, die Verschlusskappe oder deren Drehfunktion. Die Werbeaussage suggeriert infolgedessen, dass das Produkt einer Verwendung zugänglich ist, bei der die Abwehrkräfte in einem weniger aktiven oder gar inaktiven Ausgangszustand sind und durch das Produkt und dessen Verzehr eine Aktivierung erfahren. Allein die Tatsache, dass auf der Webseite der Beklagten das Verb „aktivieren“ an anderer Stelle im Zusammenhang mit der Verschlusskappe verwendet wird, nimmt den angegriffenen Aussagen nicht den eindeutigen grammatikalischen Bezug des Aktivierens zu den Abwehrkräften. Warum die Vorbereitung des verzehrfertigen Produkts mit dem Begriff „Aktivieren“ aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers sprachlich visualisiert werden soll, wenn sich das Verb in der Werbeaussage auf die „Abwehrkräfte“ und nicht auf den Flaschendeckel bezieht, ist nicht nachvollziehbar.


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BGH: Kommanditist hat keinen Anspruch auf Löschung von Wohnort und Geburtsdatum aus dem Handelsregister nach Art. 17 Abs. 1 DSGVO

BGH
Beschluss vom 23.01.2024
II ZB 8/23
DSGVO Art. 17 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1 Buchst. d, Art. 21 Abs. 1; HGB § 9 Abs. 1, § 10 Abs. 1, § 106 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a, § 162 Abs. 1; HRV § 40 Nr. 5 Buchst. c

Der BGH hat entschieden, dass ein Kommanditist keinen Anspruch auf Löschung von Wohnort und Geburtsdatum aus dem Handelsregister nach Art . 17 Abs. 1 DSGVO hat.

Leitsätze des BGH:
a) Der Kommanditist hat keinen Anspruch aus Art. 17 Abs. 1 DS-GVO auf Löschung seines Geburtsdatums und seines Wohnorts im Handelsregister.

b) Der Kommanditist hat keinen Anspruch auf Einschränkung der Verarbeitung seines Geburtsdatums und seines Wohnorts durch das Registergericht aus Art. 18 Abs. 1 Buchst. d, Art. 21 Abs. 1 DS-GVO.

BGH, Beschluss vom 23. Januar 2024 - II ZB 8/23 - OLG Celle - AG Walsrode

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BGH: GmbH-Geschäftsführer hat keinen Anspruch auf Löschung von Wohnort und Geburtsdatum aus dem Handelsregister nach Art. 17 Abs. 1 DSGVO

BGH
Beschluss vom 23.01.2024
II ZB 7/23
DSGVO Art. 17 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1 Buchst. d, Art. 21 Abs. 1; GmbHG § 7 Abs. 1, § 10 Abs. 1; HGB § 9 Abs. 1, § 10 Abs. 1; HRV § 24 Abs. 1, § 43 Nr. 4 Satz Buchst. b


Der BGH hat entschieden, dass ein GmbH-Geschäftsführer keinen Anspruch auf Löschung von Wohnort und Geburtsdatum aus dem Handelsregister nach Art . 17 Abs. 1 DSGVO hat.

Leitsätze des BGH:
a) Der Geschäftsführer einer GmbH hat keinen Anspruch aus Art. 17 Abs. 1 DS-GVO auf Löschung seines Geburtsdatums und seines Wohnorts im Handelsregister.

b) Der Wohnort des Geschäftsführers einer GmbH ist zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden.

c) Ein Widerspruchsrecht gemäß Art. 21 Abs. 1 DS-GVO besteht nicht, wenn die Datenverarbeitung aufgrund von Art. 6 Abs. 1 Buchst. c DS-GVO zur Erfüllung einer rechtlichen Pflicht des Verantwortlichen erfolgt. Das gilt auch dann, wenn die Verarbeitung zugleich nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. e DS-GVO erlaubt wäre. Auch ein Anspruch aus Art. 18 Abs. 1 Buchst. d DS-GVO auf Einschränkung der Verarbeitung besteht in diesem Fall nicht.

BGH, Beschluss vom 23. Januar 2024 - II ZB 7/23 - OLG Celle - AG Walsrode

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EuGH-Vizepräsident: Eilantrag von Amazon gegen Verpflichtung zur Veröffentlichung des Amazon Store Werbearchivs mit detaillierten Informationen über Online-Werbung abgelehnt

Vizepräsidenten des EuGH
Beschluss vom 27.03.2024
C-639/23 P(R)
EU-Kommission / Amazon Services Europe


Der EuGH-Vizepräsident hat den Eilantrag von Amazon gegen die Verpflichtung zur Veröffentlichung des Amazon Store Werbearchivs mit detaillierten Informationen über Online-Werbung abgelehnt.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Online-Werbung: Der Antrag von Amazon auf Aussetzung ihrer Pflicht, ein Werbearchiv öffentlich zugänglich zu machen, wird zurückgewiesen

Amazon Services Europe gehört zum Amazon-Konzern. Ihre geschäftlichen Aktivitäten umfassen den OnlineEinzelhandel und weitere Dienstleistungen wie Cloud Computing und Online-Streaming. Sie erbringt OnlineMarktplatzdienste an Drittverkäufer und ermöglicht ihnen, Waren im Amazon Store zum Kauf anzubieten.

Mit Beschluss vom 23. April 20231 , der gemäß der Verordnung über einen Binnenmarkt für digitale Dienste erlassen wurde, benannte die Kommission Amazon Store als sehr große Online-Plattform. Dies bedeutet u. a., dass Amazon Store ein Werbearchiv mit detaillierten Informationen über ihre Online-Werbung öffentlich zugänglich machen muss. Amazon beantragte beim Gericht der Europäischen Union die Nichtigerklärung dieses Beschlusses. Sie stellte außerdem einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz. Mit Beschluss vom 27. September 20234 ordnete der Präsident des Gerichts die Aussetzung des Beschlusses der Kommission an, soweit Amazon Store damit verpflichtet wird, das Werbearchiv öffentlich zugänglich zu machen. Die Kommission hat gegen den Beschluss des Präsidenten des Gerichts beim Gerichtshof ein Rechtsmittel eingelegt.

Mit seinem heutigen Beschluss hebt der Vizepräsident des Gerichtshofs den Teil des Beschlusses des Präsidenten des Gerichts auf, mit dem der Beschluss der Kommission in Bezug auf das Werbearchiv ausgesetzt wird. Er stellt fest, dass der Kommission unter Verstoß gegen den Grundsatz eines kontradiktorischen Verfahrens die Möglichkeit vorenthalten wurde, zu den Argumenten, die von Amazon im Verfahren vor dem Gericht vorgetragen wurden, Stellung zu nehmen. Da die Kommission vor dem Gerichtshof die Argumente vorgetragen hat, mit denen sie dem Vorbringen von Amazon vor dem Gericht entgegentreten wollte, entscheidet der Vizepräsident des Gerichtshofs den Rechtsstreit endgültig und weist den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zurück.

Der Vizepräsident des Gerichtshofs ist der Ansicht, dass das Vorbringen von Amazon, die vom Unionsgesetzgeber eingeführte Pflicht, ein Werbearchiv öffentlich zugänglich zu machen, schränke ihre Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf unternehmerische Freiheit rechtswidrig ein, dem ersten Anschein nach nicht als unerheblich und außerdem völlig haltlos angesehen werden kann.

Zudem würde Amazon, wenn keine Aussetzung erfolgt, vor einem eventuell ergehenden Urteil, mit dem der Beschluss der Kommission für nichtig erklärt wird, wahrscheinlich einen schwerwiegenden und nicht wiedergutzumachenden Schaden erleiden.

Diese Feststellungen sind jedoch für sich allein genommen nicht entscheidend. Es ist nämlich zu prüfen, ob die Abwägung sämtlicher beteiligter Interessen die Versagung der Aussetzung rechtfertigen kann. Hierzu stellt der Vizepräsident des Gerichtshofs fest, dass Amazon in dem Fall, dass die Aussetzung nicht gewährt wird, weiterhin ein Interesse an der Nichtigerklärung des Beschlusses der Kommission hätte. Außerdem ist nicht dargetan, dass in diesem Fall die Existenz oder die langfristige Entwicklung von Amazon auf dem Spiel stünden. Darüber hinaus würde die Aussetzung bedeuten, das vollständige Erreichen der Ziele der Verordnung über einen Binnenmarkt für digitale Dienste möglicherweise über mehrere Jahre hinauszuschieben und damit möglicherweise ein OnlineUmfeld bestehen oder sich entwickeln zu lassen, das eine Bedrohung für die Grundrechte darstellt; der Unionsgesetzgeber war aber der Auffassung, dass die sehr großen Online-Plattformen eine wichtige Rolle in diesem Umfeld spielen. Die vom Unionsgesetzgeber vertretenen Interessen gehen im vorliegenden Fall den materiellen Interessen von Amazon vor, weshalb die Abwägung zugunsten der Zurückweisung des Aussetzungsantrags ausfällt.


Den Volltext des Beschlusses finden Sie hier:

LG Koblenz: Online-Anbieter darf Wirksamkeit der Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses durch den Kunden nicht von einem Bestätigungstelefonat abhängig machen

LG Koblenz
Urteil vom 27.02.2024
11 O 12/23

Da LG Koblenz hat entschieden, dass ein Online-Anbieter die Wirksamkeit der Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses durch den Kunden nicht von einem Bestätigungstelefonat abhängig machen darf.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Erfolgreiche Abmahnung durch eine Verbraucherzentrale wegen unzulässiger Verpflichtung zur Kündigungsbestätigung per Telefon

Ist ein durch eine Verbraucherzentrale geltend gemachter Unterlassungsanspruch begründet, wenn eine Firma die online erklärte Kündigung eines Kunden von einem Bestätigungstelefonat abhängig macht? Diese Frage hatte die 11. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz zu beantworten.

Zum Sachverhalt:

Die Beklagte bietet, auch gegenüber Verbrauchern, den Abschluss von Dienstleistungsverträgen über Dauerschuldverhältnisse unter anderem zur Bereitstellung von Webspeicherplatz, E-Mail-Postfächern und Servern an.

Der Kläger, ein eingetragener Verein (Verbraucherzentrale), begehrt von der Beklagten es zu unterlassen, dass die Beklagte auf eine online erklärte Kündigung gegenüber Verbrauchern behauptet, dass zur Wirksamkeit der Kündigung noch ein Telefonat mit der Beklagten erforderlich sei. Konkret hat ein Kunde seinen Vertrag bei der Beklagten per Internet gekündigt. Der Kunde hat daraufhin von der Beklagten die Mitteilung erhalten, er möge seine Kündigung binnen 14 Tagen telefonisch bestätigen, ansonsten bleibe das Vertragsverhältnis unverändert bestehen.

Der Kläger hat daraufhin die Beklagte abgemahnt und erfolglos zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert.

Er behauptet, im Fall eines Anrufs nach der Kündigung werde seitens der Beklagten - mittels rhetorischer Kunstfertigkeit oder durch Anbieten anderer Vertragskonditionen - versucht, den Verbraucher zu überzeugen, von seinem Kündigungswillen Abstand zu nehmen.

Der Kläger ist zudem der Ansicht, die Mitteilung der Beklagten gegenüber Verbrauchern, dass nach einer Kündigung eine Rückbestätigung erfolgen müsse, stelle eine unlautere geschäftliche Handlung dar. Sie enthalte unwahre Angaben über Rechte des Verbrauchers.

Der Kläger beantragt der Beklagten bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, Ordnungshaft zu vollstrecken an den Mitgliedern der Geschäftsführung, zu untersagen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern diesen nach einer der Beklagten zugegangenen Kündigungserklärung eines Dienstleistungsvertrages in Form eines Dauerschuldverhältnisses mitzuteilen, die telefonische Bestätigung der erklärten Kündigung sei erforderlich.

Die Beklagte ist der Ansicht, ohne die telefonische Rückbestätigung der Kündigung bestünde das Risiko, dass unberechtigte Dritte den Vertrag eines Kunden kündigen könnten. Auch für den Fall einer Kündigung nach § 312k BGB sei es für die Beklagte erforderlich, sich davon zu überzeugen, dass die Kündigung auch vom Erklärenden stammt. Dabei biete ein fernmündliches Gespräch ein Mehr an Sicherheit verglichen etwa mit einem Bestätigungslink innerhalb einer E-Mail. Es finde keine Irreführung des Verbrauchers statt. Außerdem werde eine geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers nicht beeinflusst.

Die Entscheidung:

Die 11. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz hat der Klage antragsgemäß stattgegeben.

Ein entsprechender Unterlassungsanspruch des Klägers ergebe sich aus §§ 8 Abs. 1 S. 1, 3, 5 Abs. 2 Nr. 7 UWG.

Der Kläger als Verein, der sich satzungsgemäß unter anderem der Durchsetzung von Verbraucherinteressen und -rechten widmet, sei aktivlegitimiert gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG, § 4 UKlaG.

Das Vorgehen der Beklagten, den Verbraucher aufzufordern, seine Kündigung innerhalb von 14 Tagen telefonisch zu bestätigen, stelle eine geschäftliche Handlung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG dar. Dazu gehörten auch Verhaltensweisen, die auf eine Fortsetzung der Geschäftsbeziehung oder das Ver-hindern einer Geschäftsbeendigung gerichtet sind.

Diese geschäftliche Handlung der Beklagten sei gem. § 3 Abs. 1 UWG unzulässig, da sie gemäß § 5 Abs. 1 UWG unlauter sei. Danach handele unlauter, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornehme, die geeignet sei, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.

Die Kammer hat die Vorgehensweise der Beklagten als irreführend im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 7 UWG eingestuft. Demnach sei eine geschäftliche Handlung irreführend, wenn sie unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über Rechte des Verbrauchers enthalte. Erfasst seien auch irreführende Angaben über deren Inhalt, Umfang und Dauer sowie etwaige Voraussetzungen für die Geltendmachung bestimmter Rechte, zu denen auch das Kündigungsrecht zähle.

Auch wenn die Beklagte nach Auffassung der Kammer ein grundsätzliches Interesse an einer Authentifizierung haben könne, wäre eine solche vorrangig durch eine Bestätigung über den von dem Verbraucher gewählten Kommunikationskanal zu erreichen. Es sei nicht ersichtlich, weshalb ein an den Verbraucher unter der von ihm hinterlegten E-Mail-Adresse gesendeter Bestätigungslink zur Identifizierung weniger geeignet wäre, als ein Telefonat. Auch während eines Telefonats sei es der Beklagten nicht möglich, sich umfassende Gewissheit über die wahre Person ihres Gesprächspartners zu verschaffen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass es einem unbefugten Dritten, der sich Zugang zu der Kundennummer, der Vertragsnummer und dem E-Mail-Konto des wahren Vertragspartners verschafft hat, auch gelänge, in einem Telefonat über seine Identität zu täuschen.

Die Vorgehensweise der Beklagten sei auch geeignet, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Die Beklagte stelle den Verbraucher nach Zugang seiner Kündigung vor die Wahl, seine Kündigung nicht telefonisch zu bestätigen, und in der Folge das Vertragsverhältnis fortzusetzen, oder innerhalb von 14 Tagen telefonisch Kontakt zu der Beklagten aufzunehmen. Es werde dadurch eine zusätzliche Entscheidung des Verbrauchers verlangt, ob er an der Ausübung seines Kündigungsrechts festhalten will. Ohne die irreführende Aufforderung der Beklagten würde der Verbraucher weder die eine noch die andere Entscheidung treffen.

Die erforderliche Wiederholungsgefahr ergebe sich daraus, dass die Beklagte eingeräumt habe, dass die beanstandete Vorgehensweise der Beklagten deren übliche Vorgehensweise sei.

Auszug aus dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb

§ 5 Irreführende Handlungen
(1) Unlauter handelt, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
(2) Eine geschäftliche Handlung ist irreführend, wenn sie unwahre Angaben enthält oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über folgende Umstände enthält ...

§ 8 Beseitigung und Unterlassung
(1) Wer eine nach § 3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, kann auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden ...



LG Köln: Zum urheberrechtlichen Schutz des Spielkonzepts für ein Videospiel - Idee allein ist nicht geschützt

LG Köln
Urteil vom 11.01.2024
14 O 441/23

Das LG Köln hat sich in dieser Entscheidung mit dem urheberrechtlichen Schutz des Spielkonzepts für ein Videospiel befasst und klargestellt, dass die Idee allein nicht geschützt ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit dem die Verfügungsklägerin die Unterlassung der öffentlichen Zugänglichmachung begehrt, ist jedoch nicht begründet.

1. Allerdings ist deutsches Recht vorliegend anwendbar.

Nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom-II-VO) ist auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus einer Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums das Recht des Staates anzuwenden, für den der Schutz beansprucht wird. Nach diesem Recht sind insbesondere das Bestehen des Rechts, die Rechtsinhaberschaft des Verletzten, Inhalt und Umfang des Schutzes sowie der Tatbestand und die Rechts folgen einer Rechtsverletzung zu beurteilen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 24. September 2014 - I ZR 35/11, GRUR 2015, 264 [juris Rn. 24] = WRP 2015, 347 - Hi Hotel II; BGH, GRUR 2016, 1048 [juris Rn. 24] - An Evening with Marlene Dietrich, jeweils mwN). Da Gegenstand des Antrags allein Ansprüche wegen einer Verletzung der Rechte der Verfügungsklägerin als Inhaber der ausschließlichen Nutzungsrechte an dem urheberrechtlich geschützten Werk „Titel entf“ sind, für die die Verfügungsklägerin im Inland Schutz beansprucht, ist im Streitfall deutsches Urheberrecht anzuwenden (so für den Fall der Tonträgerherstellerrechte nach § 85 Abs. 1 Satz 1 UrhG: BGH, Urteil vom 2. Juni 2022 – I ZR 135/18 – uploaded III, Rn. 21, juris).

Die Verfügungsklägerin kann sich als Gesellschaft nach französischem Recht auf die Verletzung deutschen Urheberrechts berufen. Nach § 120 Abs. 1 UrhG genießen deutsche Staatsangehörige den urheberrechtlichen Schutz für alle ihre Werke, gleichviel, ob und wo die Werke erschienen sind. Gemäß § 120 Abs. 2 Nr. 2 UrhG stehen Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union – und damit auch Staatsangehörige aus Frankreich – den deutschen Staatsangehörigen gleich, wobei mit dieser Vorschrift das bereits unmittelbar aus Art. 18 AEUV folgende Diskriminierungsverbot, dem auch Urheber- und verwandte Schutzrechte unterfallen, im deutschen Recht klargestellt wird (vergleiche etwa: Dreier/Schulze/Dreier, 7. Aufl. 2022, UrhG § 120 Rn. 8).

2. Der Verfügungsklägerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegen die Verfügungsbeklagte allerdings nicht wegen einer Verletzung urheberrechtlich geschützter Rechtspositionen zu.

Die Voraussetzungen aus §§ 97 Abs. 1 S. 1, 2 Abs. 1, 19 a UrhG liegen nach dem Sach- und Streitstand nicht vor.

Denn auch wenn Urheberrechtsschutz angenommen wird (dazu unter a), greift das öffentliche Zugänglichmachen des Videospiels „F. V.“ nicht in das der Verfügungsklägerin vorbehaltene Recht nach § 19a UrhG an dem Videospiel „Titel entf“ ein (dazu unter b).

a) Eine Verletzung des Urheberrechts gemäß § 97 UrhG liegt nicht nur bei einer identischen widerrechtlichen Nachbildung eines Werks vor. Aus der Bestimmung des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG, nach der Bearbeitungen oder andere Umgestaltungen eines Werks nur mit Zustimmung des Urhebers veröffentlicht oder verwertet werden dürfen, ergibt sich, dass der Schutzbereich des Veröffentlichungsrechts im Sinne von § 12 UrhG und der Verwertungsrechte gemäß § 15 UrhG sich - bis zu einer gewissen Grenze - auch auf vom Original abweichende Gestaltungen erstreckt (BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 55] - Porsche 911, mwN; BGH, Urteil vom 15.12.2022 – I ZR 173/21 – Rn. 27 – Vitrinenleuchte).

Bei der Prüfung, ob eine Veränderung eines Werks in den Schutzbereich des Urheberrechts fällt, ist zu berücksichtigen, dass jede Bearbeitung oder andere Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG, soweit sie körperlich festgelegt ist, zugleich eine Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG darstellt. Zu den Vervielfältigungen zählen nicht nur Nachbildungen, die mit dem Original identisch sind; vom Vervielfältigungsrecht des Urhebers werden vielmehr auch - sogar in einem weiteren Abstand vom Original liegende - Werkumgestaltungen erfasst, wenn die Eigenart des Originals in der Nachbildung erhalten bleibt und ein übereinstimmender Gesamteindruck besteht (vgl. BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 56] - Porsche 911, mwN). Allerdings führt nicht jede Veränderung eines Werks zu einer Bearbeitung oder anderen Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG. In einer nur unwesentlichen Veränderung einer benutzten Vorlage ist nicht mehr als eine Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG zu sehen. Eine Bearbeitung oder andere Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG setzt daher eine wesentliche Veränderung der benutzten Vorlage voraus. Ist die Veränderung der benutzten Vorlage indessen so weitreichend, dass die Nachbildung über eine eigene schöpferische Ausdruckskraft verfügt und die entlehnten eigenpersönlichen Züge des Originals angesichts der Eigenart der Nachbildung verblassen, liegt keine Bearbeitung oder andere Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG und keine Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG, sondern ein selbständiges Werk vor, das in freier Benutzung des Werks eines anderen geschaffen worden ist und das nach § 23 Abs. 1 Satz 2 UrhG ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werks veröffentlicht und verwertet werden darf (vgl. BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 56] - Porsche 911, mwN).

Aus diesen Grundsätzen ergibt sich folgende Prüfungsfolge: Zunächst ist im Einzelnen festzustellen, welche objektiven Merkmale die schöpferische Eigentümlichkeit des benutzten Werks bestimmen. Sodann ist durch Vergleich der einander gegenüberstehenden Gestaltungen zu ermitteln, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang in der neuen Gestaltung eigenschöpferische Züge des älteren Werks übernommen worden sind. Maßgebend für die Entscheidung ist letztlich ein Vergleich des jeweiligen Gesamteindrucks der Gestaltungen, in dessen Rahmen sämtliche übernommenen schöpferischen Züge in einer Gesamtschau zu berücksichtigen sind. Stimmt danach der jeweilige Gesamteindruck überein, handelt es sich bei der neuen Gestaltung um eine Vervielfältigung des älteren Werks (vgl. BGH, GRUR 2022, 899, 906, Rn. 57 – Porsche 911, mwN). Weicht hingegen der Gesamteindruck der neuen Gestaltung vom Gesamteindruck des älteren Werks in der Weise ab, dass die den Urheberrechtsschutz des älteren Werks begründenden Elemente im Rahmen der Gesamtschau in der neuen Gestaltung verblassen, also nicht mehr wiederzuerkennen sind, greift die neue Gestaltung nicht in den Schutzbereich des älteren Werks ein (vgl. BGH, GRUR 2022, 899, 906, Rn. 58 – Porsche 911, mwN). Bei der Feststellung des Gesamteindrucks sowie der Feststellung, in welchem Umfang eigenschöpferische Züge eines Werks übernommen worden sind, handelt es sich um Tatfragen (BGH, GRUR 2023, 571, 574, Rn. 31 – Vitrinenleuchte). Die Grundsätze, nach denen der Schutzbereich urheberrechtlicher Verwertungsrechte bestimmt wird, hat der Gerichtshof der Europäischen Union in seinen Entscheidungen “Infopaq International" (EuGH, Urteil vom 16. Juli 2009 - C-5/08, Slg. 2009, 6569 = GRUR 2009, 1041) sowie "Pelham u.a." (EuGH, Urteil vom 29. Juli 2019 - C-476/17, GRUR 36 37 - 19 - 2019, 929 = WRP 2019, 1156) geklärt (vgl. BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 100] - Porsche 911).

Eine neue Gestaltung greift allerdings schon dann nicht in den Schutzbereich eines älteren Werks ein, wenn ihr Gesamteindruck vom Gesamteindruck des älteren Werks in der Weise abweicht, dass die den Urheberrechtsschutz des älteren Werks begründenden Elemente im Rahmen der Gesamtschau in der neuen Gestaltung verblassen, also nicht mehr wiederzuerkennen sind. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht mehr darauf an, ob die neue Gestaltung die Anforderungen an ein urheberrechtlich geschütztes Werk erfüllt. Selbst wenn mit der neuen Gestaltung unter Benutzung des älteren Werks ein neues Werk geschaffen worden sein sollte, könnte dieser Umstand für sich genommen einen Eingriff in die Urheberrechte am älteren Werk nicht rechtfertigen. Auch nach der Rechtsprechung des EuGH kann eine Einschränkung des Schutzbereichs außerhalb der Schranken nicht allein damit gerechtfertigt werden, dass kulturelles Schaffen nicht ohne ein Aufbauen auf früheren Leistungen anderer Urheber denkbar ist (EuGH GRUR 2019, 929 Rn. 56–65 – Pelham ua).

Zwar geht die Kammer davon aus, dass es sich bei dem Computerspiel der Verfügungsklägerin „Titel entf“ um ein urheberrechtlich geschütztes Werk handelt.

So kann ein derartiges Computerspiel – bei entsprechenden Feststellungen – hinsichtlich der Client-Software ein Computerprogramm sein und darüber hinaus audiovisuelle Spieldaten, also Grafiken, Musik, Filmsequenzen, Texte und Modelle enthalten. Bei einer solchen Software für ein Computerspiel, die nicht nur aus einem Computerprogramm besteht, sondern auch audiovisuelle Daten enthält, kommt nicht nur dem Computerprogramm (§ 69a Abs. 1 UrhG), sondern auch den audiovisuellen Bestandteilen urheberrechtlicher Schutz zu, soweit sie einen eigenen schöpferischen Wert haben, der nicht auf die Kodierung in einer Computersprache beschränkt ist. Diese Bestandteile können für sich genommen als Sprachwerke (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG), Musikwerke (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 UrhG), Werke der bildenden Kunst (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG), Lichtbildwerke (§ 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG), Filmwerke (§ 2 Abs. 1 Nr. 6 UrhG), Lichtbilder (§ 72 UrhG) oder Laufbilder (§ 95 UrhG) urheberrechtlich geschützt sein oder an der Originalität des Gesamtwerks teilhaben und zusammen mit diesem Urheberrechtsschutz genießen (vgl. BGH, Urteil vom 6. Oktober 2016 – I ZR 25/15 – World of Warcraft I, Rn. 34, juris).

Dabei geht die Kammer grundsätzlich davon aus, dass die Software, mit der das Videospiel programmiert ist, insbesondere auch die Client-Software, als Computerprogramm im Sinne von §§ 69a ff. UrhG geschützt ist und auch einzelne Bestandteile des Spiels „Titel entf“ im vorstehenden Sinne als Sprachwerke, Musikwerke, Werke der bildenden Kunst, Lichtbilder etc. urheberrechtlich geschützt sind.

Der Schutz des Spieles „Titel entf“ als Computerprogramm wird von der Verfügungsklägerin vorliegend für sich genommen nicht geltend gemacht. Auch der Schutz bestimmter audiovisueller Spieldaten, also Grafiken, Musik, Filmsequenzen, Texte und Modelle, wird von der Verfügungsklägerin nicht verlangt. Letzteres führt dazu, dass die Wertungen aus dem Beschluss der Kammer vom 26.03.2020 – 14 O 90/20 – vorliegend nicht eingreifen, weil für die Einordnung einer Urheberrechtsverletzung durch das dort streitgegenständliche Spiel die Übernahme der in das Spiel integrierten grafischen Elemente war.

Vielmehr begehrt die Verfügungsklägerin Unterlassung hinsichtlich der öffentlichen Zugänglichmachung des Videospiels der Verfügungsbeklagten „F. V.“ insgesamt und zwar nur dann,

„wenn und soweit die Version des Videospiels "F. V." das Spielkonzept enthält, dass ein sogenanntes "idle game" Rennspiel vorliegt, bei dem die Spielfigur in vier verschiedenen Disziplinen ein bestimmtes Terrain autonom zu überwinden hat, der Spieler dabei die Aufgabe hat, vor jedem Rennen seine Figur durch Trainings und bestimmte Ausrüstung bestmöglich vorzubereiten, damit die Spielfigur sodann autonom das jeweilige Rennen bestreitet, und durch das Gewinnen von Rennen, bestimmte Ereignisse oder den Erwerb im Shop die Ausrüstungsgegenstände erlangt werden können, und dieses Videospiel durch folgende Spielelemente ausgeführt wird:

(1) Vor jedem Rennen wird eine bestimmte Benutzeroberfläche ("user interface") gezeigt, welche die erlangten Fähigkeiten und weiteren Verbesserungsmöglichkeiten für die Spielfigur zeigt;

(2) beim Countdown vibriert das Smartphone oder Tablet zu den Zahlen 3 bis 1, und es wird aus der Vogelperspektive im leichten Schwenk auf die Starter herangezoomt;

(3) jede der vier Disziplinen zur Überwindung des Terrains wird in einer bestimmten Kameraperspektive gezeigt, wobei im Hintergrund natürliche Elemente zu erkennen sind;

(4) nach Überqueren der Ziellinie wird wieder eine bestimmte Benutzeroberfläche gezeigt, welche die Position der Spielfigur wiedergibt;

(5) nach dem Rennen wird eine neue Benutzeroberfläche gezeigt, welche die Möglichkeiten der Verbesserung durch Trainings- und Ausrüstungsgegenstände darstellt.

Die Verfügungsklägerin macht mithin ihren Urheberrechtsschutz an dem Spielkonzept fest, das nach ihrer Auffassung eine Konkretisierung der zugrunde liegenden Spielidee und damit ein schutzfähiges Werk sein soll.

Es erscheint indes bereits fraglich, ob die Verfügungsklägerin ein urheberrechtlich geschütztes Spielkonzept in ihrem Spiel „Titel entf“ ausreichend vorgetragen hat.

Der Kläger trägt im urheberrechtlichen Verletzungsprozess die Darlegungslast für das Vorliegen einer persönlichen geistigen Schöpfung (BGH, Urteil vom 19. März 2008 - I ZR 166/05, GRUR 2008, 984 Rn. 19 = WRP 2008, 1440 - St. Gottfried, mwN). Er hat daher nicht nur das betreffende Werk vorzulegen, sondern grundsätzlich auch die konkreten Gestaltungselemente darzulegen, aus denen sich der urheberrechtliche Schutz ergeben soll (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 1973 - I ZR 93/72, GRUR 1974, 740, 741 - Sessel; Urteil vom 14. November 2002 - I ZR 199/00, GRUR 2003, 231, 233 = WRP 2003, 279 - Staatsbibliothek).

Nähere Darlegungen sind zwar entbehrlich, wenn sich die maßgeblichen Umstände schon bei einem bloßen Augenschein erkennen lassen. In solchen einfach gelagerten Fällen kann der Kläger seiner Darlegungslast bereits durch Vorlage des Werkes oder von Fotografien des Werkes genügen (vgl. BGH, GRUR 2003, 231, 233 - Staatsbibliothek; GRUR 2008, 984 Rn. 19 - St. Gottfried, mwN; zitiert nach: BGH, Urteil vom 12. Mai 2011 – I ZR 53/10 – Seilzirkus, Rn. 24 - 25, juris).

Ist das jedoch nicht der Fall und lassen sich die den Urheberrechtsschutz begründenden Umstände nicht ohne weiteres dem Werk entnehmen, muss genau und deutlich dargelegt werden, inwieweit eine künstlerische Gestaltung gemäß § 2 Abs. 2 UrhG gegeben ist (so ausdrücklich für die angewandte Kunst gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG von Gebrauchsgegenständen: BGH, Urteil vom 12. Mai 2011 – I ZR 53/10 – Seilzirkus, Rn. 25, juris).

Diesen Anforderungen ist die Verfügungsklägerin im Ausgangspunkt gerecht geworden. Denn sie hat bereits in ihrer Antragsfassung und auch in der zugehörigen Begründung ausgeführt, dass es sich bei dem von ihr geschaffenen Spiel um die Konkretisierung eines Spielkonzepts handelt, das bestimmte Spielelemente enthält, nämlich

- ein sogenanntes "idle game" Rennspiel vorliegt,

- bei dem die Spielfigur in vier verschiedenen Disziplinen ein bestimmtes Terrain autonom zu überwinden hat,

- der Spieler dabei die Aufgabe hat, vor jedem Rennen seine Figur durch Trainings und bestimmte Ausrüstung bestmöglich vorzubereiten,

- damit die Spielfigur sodann autonom das jeweilige Rennen bestreitet,


- und durch das Gewinnen von Rennen, bestimmte Ereignisse oder den Erwerb im Shop die Ausrüstungsgegenstände erlangt werden können,

und dies durch folgende Spielelemente, die dabei ausgeführt werden müssen, gestaltet ist:

1) Vor jedem Rennen wird eine bestimmte Benutzeroberfläche ("user interface") gezeigt, welche die erlangten Fähigkeiten und weiteren Verbesserungsmöglichkeiten für die Spielfigur zeigt;

(2) beim Countdown vibriert das Smartphone oder Tablet zu den Zahlen 3 bis 1, und es wird aus der Vogelperspektive im leichten Schwenk auf die Starter herangezoomt;

(3) jede der vier Disziplinen zur Überwindung des Terrains wird in einer bestimmten Kameraperspektive gezeigt, wobei im Hintergrund natürliche Elemente zu erkennen sind;

(4) nach Überqueren der Ziellinie wird wieder eine bestimmte Benutzeroberfläche gezeigt, welche die Position der Spielfigur wiedergibt;

(5) nach dem Rennen wird eine neue Benutzeroberfläche gezeigt, welche die Möglichkeiten der Verbesserung durch Trainings- und Ausrüstungsgegenstände darstellt,

also zusammengefasst durch die folgenden Elemente geprägt ist:

Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik.

Dabei ist indes zu beachten, dass die bloße Idee, also bloße Vorstellungen von einem Werk, die noch keine konkrete Form gefunden haben, nicht geschützt ist. Erst wenn diese Ideen eine konkrete Gestalt angenommen haben, beginnt der Urheberrechtsschutz (vergleiche: Dreier/Schulze/Schulze, 7. Aufl. 2022, UrhG § 2 Rn. 37 mit weiteren Nachweisen).

In Anlehnung an die Kriterien für die Beurteilung, ob ein urheberrechtlich geschütztes Sprachwerk gegeben ist, könnte auch das von der Verfügungsklägerin für sich reklamierte Spielkonzept bewertet werden.

Bei einem solchen Schriftwerk kann nämlich die urheberrechtlich geschützte, individuelle geistige Schöpfung sowohl in der von der Gedankenführung geprägten Gestaltung der Sprache als auch in der Sammlung, Auswahl, Einteilung und Anordnung des Stoffes zum Ausdruck kommen (BGH, Urteil vom 16. Januar 1997 - I ZR 9/95, BGHZ 134, 250, 254 f. - CB-infobank I; Urteil vom 6. Mai 1999 - I ZR 199/96, BGHZ 141, 329, 333 f. - Tele-Info-CD). Soweit die schöpferische Kraft eines Schriftwerkes dagegen allein im innovativen Charakter seines Inhalts liegt, kommt ein Urheberrechtsschutz nicht in Betracht (BGH, Urteil vom 11. April 2002, GRUR 2002, 958, 959 = WRP 2002, 1177 - Technische Lieferbedingungen). Der gedankliche Inhalt eines Schriftwerkes muss einer freien geistigen Auseinandersetzung zugänglich sein (Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl., § 2 UrhG Rn. 59 und 84). Die einem Schriftwerk zugrunde liegende Idee ist daher urheberrechtlich grundsätzlich nicht geschützt (Schricker/Loewenheim aaO § 24 UrhG Rn. 19; Schulze in Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl., § 24 Rn. 22, jeweils mwN).

Anders kann es sich verhalten, wenn diese Idee eine individuelle Gestalt angenommen hat, wie dies beispielsweise bei der eigenschöpferischen Gestaltung eines Romanstoffs der Fall ist. Dann kann die auf der individuellen Phantasie des Dichters beruhende Fabel wie etwa der Gang der Handlung, die Charakteristik der Personen oder die Ausgestaltung von Szenen urheberrechtlich geschützt sein (BGHZ 141, 267, 279 - Laras Tochter; zitiert nach: BGH, Urteil vom 1. Dezember 2010 – I ZR 12/08 – Perlentaucher, Rn. 36, juris)

Eine Fabel im Sinne der Gestaltung eines Romanstoffs entnimmt die Kammer den von der Verfügungsklägerin vorgetragenen Merkmalen von „Titel entf“ indes nicht. Denn die Zusammenfügung der Merkmale

Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik.

erzählt keine Geschichte und beschreibt auch keinen (komplexen) Handlungsstrang im Sinne einer solchen Fabel. Vielmehr stellt sie ein in sich geschlossenes System von Spielregeln und die Abfolge von Inhalten dar, die überdies in weiten Teilen durch Logik vorgegeben sind. An dieser Stelle ist für eigenschöpferische Tätigkeit kein Raum.

Damit verbleibt – angsichts des bewusst nicht gewählten Schutzes der Gestaltung der einzelnen Elemente – nur die Möglichkeit, dass eine individuelle geistige Schöpfung im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG in der Sammlung, Auswahl, Einteilung und Anordnung der Elemente zum Ausdruck gekommen ist. Allerdings erscheint es der Kammer ohne weiteres üblich zu sein, dass Rennspiele in aller Regel eine oder mehrere Disziplinen aufweisen, ein bestimmter Charakter am Rennen teilnimmt, eine Ausstattung gewählt werden kann, bestimmte strategische Entscheidungen vor dem Rennen getroffen werden können, nach dem Rennen ein Rangsystem gezeigt wird und zusätzliche Ereignisse im Spiel Fortschritt möglich sind, insbesondere auch ein Shop für In-Game-Käufe vorhanden ist. Allenfalls die Hinzunahme der Spieleelement „Idle Game“ und eines hierfür spezifischen Trainingssystems könnte eine Variante zu dem Konzept üblicher Rennspiele und deren Gestaltung darstellen. Insoweit erscheint aber gerade die Kombination des Trainingssystems und des „autonomen“ Rennens ohne Steuerung durch den Spieler in weitem Umfang von logischen Zwängen geprägt, etwa dass eine Spielfigur, die schneller laufen soll, durch Training oder sonstige Ausstattung an Schnelligkeit gewinnt. Dies ist im Ausgangspunkt weder individuell, noch schöpferisch.

Ob die Sammlung, Auswahl, Einteilung und Anordnung der Elemente im Spiel der Verfügungsklägerin indes bereits für den Urheberrechtsschutz ausreicht, ob also in dieser Kombination geläufiger oder durch Sachzwänge gebotener Merkmale eines Rennspiels eine individuelle geistige Schöpfung liegt, erscheint durchaus zweifelhaft. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei diesen Kriterien um abstrakte Gestaltungselemente handelt, die für sich genommen keinen konkreten Bezug zu der tatsächlichen Ausgestaltung durch die Verfügungsklägerin in ihrem Spiel „Titel entf“ haben. Dies führt dazu, dass die Zuerkennung des urheberrechtlichen Schutzes, wie ihn die Verfügungsklägerin begehrt, bei Lichte betrachtet zu einer Monopolisierung eines „Idle Game“ Rennspiels mit Trainingsfunktion, mit Ausstattungsoptionen vor jedem Rennen und Progressionssystem unabhängig von der konkreten Ausgestaltung führen würde. Damit würde aber ein dem Urheberrecht fremder Ideenschutz bewirkt.

Ähnlich stellt sich der Befund dar, wenn man den urheberrechtlichen Schutz des klägerischen Spiels auf den Gedanken eines Sammelwerks nach § 4 Abs. 1 UrhG stützen wollte. Denn auch insoweit müssten Auswahl oder Anordnung der Elemente eine persönliche geistige Schöpfung darstellen. Dies kann nach den obigen Ausführungen hingegen nicht ohne Zweifel angenommen werden.

b) Selbst wenn ein Urheberschutz insofern unterstellt wird, greift das Anbieten des Spieles „F. V.“ in dem App Store und bei Google Play nicht in das Recht der Verfügungsklägerin zur öffentlichen Zugänglichmachung des Spiels „Titel entf“ gemäß § 19a UrhG ein. Es handelt sich bei der angegriffenen Gestaltung vielmehr um eine freie Bearbeitung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 UrhG, da sie einen hinreichenden Abstand zum (unterstellten) Originalwerk wahrt und damit auch keine Vervielfältigung im Sinne von § 16 UrhG ist.

Der Gesamteindruck des angegriffenen Videospiels „F. V.“ stimmt nicht in einem die Annahme einer Urheberrechtsverletzung tragenden Maße mit dem Spiel „Titel entf““ überein.

Bei der Würdigung ist der Schutzumfang bei Übernahme der vorstehend für den Urheberrechtsschutz von der Verfügungsklägerin geltend gemachten Elemente zu beachten. Dieser ist umso enger, je abstrakter die übernommenen Gestaltungselemente sind (Loewenheim UrhR-HdB, § 7 Schutzgegenstand Rn. 8, beck-online). Wie bereits dargelegt, bleiben die insgesamt nur 10 Merkmale, an denen die Verfügungsklägerin den urheberrechtlichen Schutz festmachen will, sehr abstrakt und allgemein, sodass – wenn überhaupt – nur von einem sehr engen Schutzbereich auszugehen ist. In der Verletzungsprüfung ist besonders sorgsam darauf zu achten, dass in diesen Fällen auch nur die Nutzung der über die Idee hinausgehenden, bereits individualisierten Gestaltungselemente des Werks einen Eingriff in das in seinem Schutzumfang entsprechend beschränkte Urheberrecht begründen kann, während der bloße Rückgriff auf die zugrundeliegende allgemeine Idee frei bleibt (Loewenheim UrhR-HdB, § 7 Schutzgegenstand Rn. 6, beck-online).

Nach diesen Maßstäben sieht die Kammer keine Urheberrechtsverletzung der Verfügungsklägerin an ihrem Spiel „Titel entf“ durch eine Übernahme des Spielekonzepts durch die Verfügungsbeklagte in deren Spiel „F. V.“. Dies gilt auch bei Zugrundelegung der Präsentationen aus der Anlage AST 11 und der von der Verfügungsklägerin in der mündlichen Verhandlung vorgeführten und erläuterten Präsentation, eingereicht mit Schriftsatz vom 18.01.2024.

Die konkrete Ausgestaltung der von der Verfügungsklägerin angeführten abstrakten 10 Merkmale erfolgt in beiden Spielen – zum Teil, etwa in grafischer Hinsicht, erheblich – unterschiedlich. Zwar ist erkennbar, dass das Spiel „F. V.“ Inspirationen von dem Videospiel der Verfügungsklägerin „Titel entf“ enthält.

Allerdings sind die einzelnen Elemente nach dem Sach- und Streitstand sämtlich vorbekannt. Dies ergibt sich zum einen aus der Präsentation der Verfügungsbeklagten in der Anlage AG 1 zum Schriftsatz vom 10.01.2024, um die in der mündlichen Verhandlung vorgeführten Videos ergänzt im Schriftsatz vom 15.01.2024. Auch wenn grundsätzlich der Verletzer durch Vorlage von konkreten Entgegenhaltungen darlegen und beweisen muss, dass der Urheber bei der Erschaffung seines Werkes auf Vorbekanntes zurückgegriffen habe (vergleiche: Dreier/Schulze/Schulze, 7. Aufl. 2022, UrhG § 2 Rn. 73 mit weiteren Nachweisen), ist der Inhalt der zwischen den Parteien diskutierten (vorbekannten) Spiele letztlich nicht im Streit.

Danach steht fest, dass es sich bereits bei dem erstmals im Jahr 2001 veröffentlichten Spiel SEGA Chao Races um ein Racing Game handelt. Auch in diesem Spiel sind verschiedene Disziplinen zu absolvieren, zu denen auch Schwimmen, Fliegen und Laufen sowie Klettern gehören. Demnach ist jedenfalls die Auswahl dieser vier Disziplinen in „Titel entf“ nicht exklusiv der Verfügungsklägerin zuzuordnen.

Auch das aus dem Jahr 1999 stammende Spiel Duck Life ist ein Idle Racing-Game, bei dem Spieler Laufen, Schwimmen und Fliegen trainieren, um ihre Spieler für das Rennen zu verbessern.

Ebenfalls ein Idle Racing Game ist das aus dem Jahr 2011 stammende Spiel Animal Raceway, das auch eine Trainings-Funktionalität zur Verbesserung der Renn-Leistung aufweist. Deshalb drängt sich der Kammer auf, dass dieses Konzept des Trainings der autonomen Spielfiguren letztlich für dieses Spielgenre zwingend ist, da andernfalls kein sinnvolles Gameplay denkbar ist.

Dass eine Rangliste aufgestellt wird, weitere Möglichkeiten des Fortschritts durch Ereignisse im Spiel angeboten werden und ein Shop für In-App-Käufe in Videospielen vorhanden sind, ist allgemein bekannt und üblich, sodass eine Übernahme dieser Elemente möglich ist, ohne dass dadurch eine Urheberrechtsverletzung erfolgen würde.

Gewichtig für den maßgeblichen Gesamteindruck erscheint der Kammer nicht zuletzt auch die in der mündlichen Verhandlung unstreitig gebliebene Tatsache, dass beide Parteien für ihr jeweiliges Spiel bei demselben Anbieter Unity Asset Store das gleiche Gestaltungsmaterial (d.h. Grafiken, Buttons etc.) erworben haben, nämlich das „GUI Pro - Casual“ asset pack wie dies aus der Präsentation der Verfügungsbeklagten ersichtlich ist. Da somit in beiden Spielen die gleichen Einzelelemente bei den Schaltflächen, Symbolen etc. des Anbieters Unity Asset Store Verwendung gefunden haben, ergibt sich schon von daher eine ähnliche Anmutung in Menüdarstellungen und Übersichten außerhalb des Renngeschehens, oder wie die Verfügungsbeklagte dies ausdrückt, ein ähnlicher „Look and Feel“, wobei die Verfügungsbeklagte unwidersprochen vorgetragen hat, dass es sich dabei um einen allseits bekannten und weitverbreiteten „Look and Feel“ von Mobile Games handelt. Daran ändert letztlich auch nichts, wenn die Verfügungsklägerin darauf verweist, dass mehrere tausend Einzelelemente („Assets“) von dem Unity Asset Store zur Verfügung gestellt werden. Deshalb ist dieser Umstand nicht geeignet, eine Übernahme im Sinne einer unfreien Bearbeitung zu begründen, zumal die Verfügungsklägerin hier auch keine schöpferische Handlung neben der bloßen Auswahl aus dieser Vielfalt von Assets vorträgt.

Damit bleibt es dabei, dass die Verfügungsbeklagte zwar die Spielidee, die „Titel entf“ zugrunde liegt, für ihr Spiel „F. V.“ aufgegriffen hat, in die urheberrechtlich geschützte Position der Verfügungsklägerin an ihrem Spiel „Titel entf“ indes nicht eingegriffen hat. Sie hat ein Konkurrenzprodukt entwickelt, dass sich in der Auswahl und Anordnung von Spielelementen an das klägerische Spiel annähert, dabei aber auch Abweichungen enthält, zuvörderst in der andersartigen Renndisziplin „Steine zerschlagen“ statt Schwimmen. Im Übrigen folgt das mit Blick auf die Spielfiguren, Rennstrecken und Ausstattungsgegenständen grafisch erheblich andersartige Spiel „F. V.“ dem logisch zwingenden Ablauf eines „Idle Game“ Rennspiels. Denn es drängt sich auf, dass der Computerspieler seine Rennfigur, die er im Rennen nicht durch eigenes Geschick, nur durch strategische Entscheidungen zum Sieg führen kann. Dass dies durch Training geschehen kann, zeigen bereits die oben dargestellten vorbekannten Spiele auf. Dass dies durch die Auswahl von Hilfsmitteln, z.B. eines Fluggeräts bei der Disziplin Fliegen, geschehen kann, erscheint bei einer Gesamtbetrachtung von bekannten Videospielen ebenfalls als generelles Prinzip. So stellt die Suche nach „Items“ verschiedener Güte bei vielen Videospielen einen zentralen Spielinhalt dar, um dann in Kampf- oder Rennsituationen siegen zu können. Ebenso ist das von der Verfügungsbeklagten genutzte Progressionssystem mit Levels und freischaltbaren Funktionalitäten bei fortlaufender Spieldauer integraler Teil von nahezu allen Videospielen, die sich nicht binnen kurzer Zeit „durchspielen“ lassen.



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LG München: Werbeaussagen im Bereich der Gesundheitswerbung sind nach dem "Strengeprinzip" nur bei gesicherten wissenschaftlichen und dokumentierten Erkenntnissen zulässig

LG München
Urteil vom 19.12.2023
33 O 12090/22

Das LG München hat entschieden, dass Werbeaussagen im Bereich der Gesundheitswerbung nach dem "Strengeprinzip" nur bei gesicherten wissenschaftlichen und dokumentierten Erkenntnissen zulässig sind.

Aus den Entscheidungsgründen:
I. Dem Kläger steht gegen die Beklagte der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nach §§ 3a, 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 3 UWG i.V. m. § 3 Nr. 1 HWG a.F./n.F. zu.

1. Die Aktivlegitimation des Klägers als in die Liste der qualifizierten Einrichtungen gemäß § 4 UKlaG aufgenommener Verbraucherschutzverein folgt aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 3 UWG.

2. § 3 HWG stellt in alter und neuer Fassung eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 3a UWG dar (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, UWG, 41. Auflage, § 3a Rdnr. 1.25).

3. Bei den streitgegenständlichen Äußerungen auf dem Plakat der Beklagten handelt es sich um geschäftliche Handlungen i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG, da die Werbung mit einer bestimmten Wirkungsweise mit der Förderung des Absatzes eines Produkts objektiv zusammenhängt.

4. Das HWG ist nach § 1 des Gesetzes vorliegend anwendbar, da es sich bei dem streitgegenständlichen Produkt um ein Medizinprodukt i. S. d. Art. 2 Nr. 1 der VO (EU) 2017/745 beziehungsweise um ein Arzneimittel nach § 2 AMG handelt. Bei dem Produkt der Beklagten handelt es sich um Lutschpastillen, die der Vorbeugung von grippalen Infekten der oberen Atemwege und von infektiösen und entzündlichen Atemwegserkrankungen, die durch Viren und Bakterien verursacht werden, dienen (vgl. S. 1 der wissenschaftlichen Stellungnahme in Anlage B1_1). Das streitgegenständliche Produkt ist damit für Menschen bestimmt und soll der Verhütung von Krankheiten dienen. Nachdem das HWG nach § 1 Nr. 1 und 1a sowohl auf Arzneimittel als auch auf Medizinprodukte anzuwenden ist, ist eine genauere Abgrenzung beider Alternativen vorliegend entbehrlich.

5. Die beanstandete Werbung der Beklagten verstößt gegen § 3 Nr. 1 HWG a.F./n.F.

a) Gemäß § 3 S. 1 HWG a.F./n.F. ist eine irreführende Werbung unzulässig und liegt nach § 3 S. 2 Nr. 1 HWG a.F. bzw. n.F. eine Irreführung insbesondere dann vor, wenn Arzneimitteln, Verfahren, Behandlungen, Gegenständen oder anderen Mitteln bzw. Arzneimitteln, Medizinprodukten i.S.d. § 3 Nr. 4 des MPG in der bis einschließlich 25.05.2021 geltenden Fassung, Verfahren, Behandlungen, Gegenständen oder anderen Mitteln eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkungen beigelegt werden, die sie nicht haben.

b) Für die Beurteilung der Richtigkeit oder Unrichtigkeit einer Angabe kommt es allein darauf an, in welchem Sinne die Kreise, an die die Ankündigung sich wendet, die Angabe verstehen (st. Rspr., vgl. nur BGH GRUR 1955, 37 – Cupresa-Kunstseide). Angesprochener Verkehrskreis der streitgegenständlichen Äußerungen der Beklagten sind vorliegend Verbraucher, die sich vor dem Coronavirus schützen wollen und damit prinzipiell jedermann. Maßgeblich ist dabei das Verständnis eines durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers, der der in Streit stehenden Darstellung eine der Situation angemessene Aufmerksamkeit entgegenbringt, wobei es auf den Gesamteindruck der beanstandeten Angabe ankommt (BGH GRUR 2013, 1254 Rn. 15 – Matratzen Factory Outlet; BGH GRUR 2022, 925 Rn. 18 – Webshop Awards). Dieses Verständnis kann die Kammer vorliegend selbst feststellen, da deren Mitglieder als Durchschnittsverbraucher zum angesprochenen Verkehr gehören, und da sie aufgrund ihrer ständigen Befassung mit Kennzeichen- und Wettbewerbsstreitsachen in der Lage ist, das Verkehrsverständnis anhand ihrer Erfahrungen selbst zu beurteilen (st. Rspr., vgl. hierzu etwa OLG München GRUR-RR 2016, 270 Rn. 31 – Klosterseer).

c) Von einer Irreführung ist dann auszugehen, wenn das Verständnis, das eine Angabe bei den Verkehrskreisen erweckt, an die sie sich richtet, mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht übereinstimmt (st. Rspr., vgl. nur BGH GRUR 2020, 1226 Rdnr. 14 – LTEGeschwindigkeit; BGH GRUR 2022, 925 Rdnr. 18 – Webshop Awards). Für die Feststellung, welches Verständnis die streitgegenständliche Werbeaussage bei dem Verbraucher erweckt, ist auf den Gesamteindruck der Werbung und nicht lediglich auf einzelne Elemente abzustellen (vgl. BGH GRUR 2022, 1347 Rdnr. 23 – 7 x mehr). Bei Werbung im Gesundheitsbereich sind besonders strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Aussagen zu stellen (vgl. BGH GRUR 2002, 182 (185) – Das Beste jeden Morgen).

d) Vorliegend ist eine Irreführung nach § 3 Nr. 1 HWG zu bejahen, da die von der Beklagten vorgelegten Unterlagen die dem angesprochenen Verkehr suggerierten Wirkungen des streitgegenständlichen Produkts nicht tragen.

aa) Der angesprochene Verkehr, der das beanstandete Werbeplakat der Beklagten bei eher geringem Aufmerksamkeitsgrad im Vorbeigehen nur flüchtig wahrnimmt, versteht die Werbeaussagen „Jetzt zusätzlich vor Viren schützen!“ und „Immer dann, wenn Sie keine Maske tragen, z. B. beim Stadtbummel, Essen gehen, Freunde treffen, Feste feiern, Fitness.“ dahingehend, dass er bei den genannten Aktivitäten, bei denen keine Maske getragen wird, durch die Einnahme des streitgegenständlichen Produkts genauso effektiv vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus geschützt werde wie durch das Tragen einer Schutzmaske, und dass durch die Einnahme des streitgegenständlichen Produkts ein absoluter Schutz erreicht werden könne. Den relativierenden Hinweis „Viren- und Bakterienabwehr mit der Natur auf physikalische Weise, ... zeigt in ... eine hemmende Wirkung auf das Eindringen von Coronaviren.“, der schon nicht am Blickfang teilnimmt, nimmt der Verkehr schon nicht wahr, denn dieser ist nur auf dem untersten Abschnitt des Plakats in sehr kleiner Schrift gestaltet, und der durchschnittliche Verbraucher kann diesen mit dem bloßen Auge nur schwer und nur mit einem geringen Abstand zum Plakat vollumfänglich lesen. Eine solche genaue Analyse des Werbeaufstellers wird der angesprochene Verkehr aber nicht vornehmen. Hinzu kommt, dass der angesprochene Durchschnittsverbraucher keine genaue Kenntnis von der Bedeutung des Begriffs „...“ hat. Der angesprochene Verkehr ist damit – selbst bei Wahrnehmung der weiteren Hinweise – nicht in der Lage, die Begrenzung der prominent herausgestellten Wirkaussage „Jetzt zusätzlich vor Viren schützen!“ zu erfassen und versteht diese daher in einem umfassenden Sinne.

bb) Eine solche Wirkung des streitgegenständlichen Produkts lässt sich den vorgelegten Unterlagen aber nicht entnehmen:

i. Ob die Darlegungs- und Beweislast für die Richtigkeit beziehungsweise für die Unrichtigkeit der Werbeäußerungen der Beklagten auf Seiten des Klägers oder der Beklagten liegt, kann vorliegend dahinstehen, da die Beklagte die Unterlagen, die ihrer Ansicht nach die streitgegenständlichen Behauptungen stützen, vorgelegt hat und der Kläger sich diese zu eigen gemacht hat, sodass diese zur Überprüfung der streitgegenständlichen Werbeaussagen heranzuziehen sind.

ii. Studienergebnisse entsprechen grundsätzlich nur dann den Anforderungen an einen hinreichenden wissenschaftlichen Beleg, wenn sie nach den anerkannten Regeln und Grundsätzen wissenschaftlicher Forschung durchgeführt und ausgewertet wurden. Dafür ist im Regelfall erforderlich, dass eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie mit einer adäquaten statistischen Auswertung vorliegt, die durch die Veröffentlichung in den Diskussionsprozess der Fachwelt einbezogen worden ist (vgl. BGH GRUR 2013, 649 Rdnr. 19 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil).

iii. Eine solche „Goldstandard“- Studie liegt nicht vor. Zu beachten ist zunächst, dass es sich bei den in den Anlagen B1_1 und B1_2 vorgelegten Unterlagen um keine Studien handelt und diesen Dokumenten daher nur eine geringe Aussagekraft zuzubilligen ist. Die wissenschaftliche Stellungnahme von Frau Dr. ... in Anlage B1_1 betrifft zwar das streitgegenständliche Produkt und kommt zu dem Ergebnis, dass die Wirksamkeit und Verkehrsfähigkeit des streitgegenständlichen Produkts als Medizinprodukt belegt sei. Die Stellungnahme bezieht sich dabei auf eine mit dem Produkt der Beklagten durchgeführte „...“ -Studie, bei der eigene „...“ Zellkulturversuche mit dem streitgegenständlichen Produkt einen signifikanten Hemmeffekt auf das Eindringen von SARS-CoV-2 gezeigt hätten. Unabhängig davon, dass die Aussagekraft der wissenschaftlichen Stellungnahme aufgrund der Tatsache, dass Frau Dr. ... auf Seite 11 der Anlage B2 als Kontaktperson der Beklagten aufgeführt ist und damit wohl ein berufliches Verhältnis zur Beklagten besteht, nochmals eingeschränkt ist, vermag der Verweis auf die durchgeführte „...“ – Studie die Werbeaussage, das Produkt sei gleichsam effektiv wie eine Schutzmaske beziehungsweise schütze absolut vor dem Coronavirus, nicht zu rechtfertigen. Die übrigen in der Anlage B1_1 vorgelegten Artikel beziehen sich schon nicht konkret auf das streitgegenständliche Produkt. Auf Seite 6 des Artikels von ... (vgl. Artikel in Anlage B1_1) wird sogar ausgeführt, dass es notwendig sei, Labortests „...“, aber auch „...“ bei Tieren und Patienten durchzuführen, um ihre Wirksamkeit gegen das Coronavirus zu bestätigen. Auch in der Anlage B1_2 wurden lediglich Artikel vorgelegt, die sich nicht auf das streitgegenständliche Produkt selbst beziehen und damit die behauptete Wirksamkeit nicht belegen können. Zudem wird in dem Artikel von ... (vgl. Artikel in Anlage B1_2) auf Seite 12 ausgeführt, dass die Wechselbeziehung zwischen der ACE2-Hemmung, der Entzündungshemmung und den antioxidativen Wirkungen von Flavonoiden noch durch eine umfassende „...“ und „...“ Auswertung geklärt werden müsse. Darüber hinaus müsse eine Entscheidung, die Rezeptoren ACE1 und ACE2 zu verändern, beispielsweise um eine Wirkung gegen COVID-19 zu erzielen, mit Vorsicht vorgenommen werden. Auch in dem Artikel von ... (vgl. Artikel in Anlage B1_2) wird auf Seite 10 dargelegt, dass sowohl natürliche als auch synthetische Verbindungen funktionelle Validierungen benötigen, die nicht auf „...“ – Tests auf Grundlage rekombinanter Proteine beschränkt werden können. Zudem wird in dem Aufsatz von ... (vgl. Aufsatz in Anlage B1_2) auf Seite 11338 auf die Notwendigkeit weiterer Studien hingewiesen. Auch der Artikel von ... (vgl. Aufsatz in Anlage B1_2) bezieht sich lediglich auf eine durchgeführte „...“ – Untersuchung bezüglich des „...“ und nicht auf das streitgegenständliche Produkt.

In Anlage B2 befindet sich zwar eine Studie, die zu dem Ergebnis kommt, dass das streitgegenständliche Produkt „...“ ein starker Hemmstoff gegen eine pseudotypisierte Infektion mit dem Coronavirus gewesen sei (vgl. Seite 4 der Studie in Anlage B2). Die Aussagekraft dieser Studie ist jedoch eingeschränkt, da auf Seite 1 und 11 der Anlage B2 die Beklagte als Sponsor der Studie ausgewiesen ist und damit die Neutralität des Ergebnisses diskussionswürdig ist. Letztendlich kann die Aussagekraft der Studie jedoch dahinstehen, da auch damit jedenfalls nicht belegt ist, dass das Produkt der Beklagten vor einer Infektion mit dem Coronavirus genauso effektiv wie eine Maske beziehungsweise absolut schützen kann. Bei dem in Anlage K5 vorgelegten Dokument handelt es sich lediglich um eine Zusammenfassung der „...“ Studienergebnisse, die die streitgegenständlichen Werbeäußerungen ebenfalls nicht zu belegen vermag.

Im Ergebnis belegen die vorgelegten Unterlagen mithin schon keine „...“- Wirksamkeit und erst recht keine uneingeschränkte Wirksamkeit „...“.

iv. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens kam nicht in Betracht. Denn nach dem „Strengeprinzip“ sind Werbeaussagen im Bereich der Gesundheitswerbung nur zulässig, wenn sie gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entsprechen, was bedeutet, dass der vom Werbenden in Anspruch genommene Stand bereits im Zeitpunkt der Werbung dokumentiert sein muss. Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn der Werbende sich erst im Prozess auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens beruft, weil ein erst nachträglich eingeholtes Gutachten den Vorwurf nicht entkräften könnte, mit einer im Zeitpunkt der Werbung nicht belegten Aussage geworben zu haben (BGH GRUR 2021, 513 Rdnr. 34 – Sinupret).

e) Die Irreführung ist auch wettbewerbsrechtlich relevant, da die Werbung mit Äußerungen, nach denen ein bestimmtes Produkt eine Infektion mit dem Coronavirus genauso effektiv verhindern könne wie das Tragen einer Schutzmaske, beziehungsweise nach denen ein bestimmtes Produkt absoluten Schutz vor einer Infektion biete, geeignet ist, potenzielle Kunden zu einer näheren Beschäftigung mit dem Angebot der Beklagten zu verleiten.

6. Durch die erfolgte Verletzungshandlung ist die für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr gegeben, § 8 Abs. 1 S. 1 UWG. Die von der Beklagten unterschriebene Unterlassungserklärung (vgl. Erklärung vom 20.01.2022 in Anlage K3) konnte die Wiederholungsgefahr nicht ausräumen, da der Kläger die Annahme dieser Erklärung ablehnte (vgl. Schreiben vom 27.01.2022 in Anlage K6). Zwar genügt für den Wegfall der Wiederholungsgefahr grundsätzlich der Zugang einer strafbewehrten Unterlassungserklärung des Schuldners, die sich als Ausdruck eines ernsthaften Unterlassungswillens darstellt. Lehnt der Gläubiger die Annahme der strafbewehrten Unterlassungserklärung gegenüber dem Schuldner jedoch ab, scheitert der Abschluss des Unterlassungsvertrags und es fehlt ab diesem Zeitpunkt an der für den Wegfall der Wiederholungsgefahr erforderlichen Abschreckungswirkung durch eine (drohende) Vertragsstrafeverpflichtung (vgl. BGH GRUR 2023, 255 Rdnr. 40ff. – Wegfall der Wiederholungsgefahr III). Unabhängig davon, ob es sich bei dem von der Beklagten auf der Unterlassungserklärung vom 20.01.2022 (vgl. Erklärung in Anlage K3) hinzugefügten Zusatz um einen neuen Sachverhalt handelt, fehlte es jedenfalls seit der Ablehnung der Annahme durch den Kläger am 27.01.2022 (vgl. Schreiben in Anlage K6) an der für den Wegfall der Wiederholungsgefahr erforderlichen Abschreckungswirkung durch eine Vertragsstrafeverpflichtung. Damit ist der endgültige Wegfall der Wiederholungsgefahr zwar von einem Willensakt des Gläubigers abhängig. Insoweit ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Schuldner bis zum Zugang der Ablehnung die durch die Verletzungshandlung begründete Vermutung einer Wiederholungsgefahr durch einen Verweis auf seine einseitige strafbewehrte Unterlassungserklärung sowohl dem Erstgläubiger als auch gegenüber Drittgläubigern widerlegen kann. Ein unbilliges Ergebnis hinsichtlich des Erstgläubigers kann im Übrigen dadurch vermieden werden, dass der Schuldner die Möglichkeit hat, sich bei einer gerichtlichen Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs durch ein sofortiges Anerkenntnis gemäß § 93 ZPO der Kostentragung zu entziehen (vgl. BGH GRUR 2023, 255 Rdnr. 43f. – Wegfall der Wiederholungsgefahr III).

II. Der Kläger hat darüber hinaus gegen die Beklagte auch einen Unterlassungsanspruch nach §§ 2 Abs. 1, 3 UKlaG i.V. m. § 3 Nr. 1 HWG a.F./n.F.

1. Der Kläger ist als in die Liste qualifizierter Einrichtungen i. S. d. § 4 UKlaG nach §§ 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 4 Abs. 1 UKlaG aktivlegitimiert.

2. Bei § 3 HWG handelt es sich in alter und neuer Fassung gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 6 UKlaG um eine Verbraucherschutznorm i. S. d. § 2 Abs. 1 S. 1 UKlaG.

3. Ein Verstoß gegen den § 3 Nr. 1 HWG a.F. und n.F. liegt vor. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die obigen Ausführungen unter A. I. 5 verwiesen.

4. Das Verbraucherschutzinteresse an der Geltendmachung des Anspruchs besteht, vgl. § 2 Abs. 1 UKlaG. Ein Versehen im Einzelfall liegt bei der gezielt gewählten Werbegestaltung nicht vor.

5. Auch die erforderliche Wiederholungsgefahr ist infolge der festgestellten Verletzungshandlung gegeben. Die von der Beklagten unterschriebene Unterlassungserklärung (vgl. Erklärung vom 20.01.2022 in Anlage K3) konnte die Wiederholungsgefahr aufgrund der Ablehnung des Klägers nicht ausräumen, Insoweit wird auf die obigen Ausführungen unter A. I. 6. verwiesen.

III. Aufgrund des bestehenden Unterlassungsanspruchs hat der Kläger gegen die Beklagte auch einen Anspruch auf Erstattung seiner Abmahnkosten nach § 5 UKlaG i.V. m. § 13 Abs. 3 UWG. Einwände gegen die Höhe der geltend gemachten Pauschale wurden nicht erhoben.


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EU-Kommission: Verfahren nach dem Digital Markets Act (DMA) wegen möglicher Verstöße gegen Alphabet / Google, Apple and Meta eingeleitet

Die EU-Kommission hat Verfahren nach dem Digital Markets Act (DMA) wegen möglicher Verstöße gegen Alphabet / Google, Apple and Meta eingeleitet.

Die Pressemitteilung der EU-Kommission:
Commission opens non-compliance investigations against Alphabet, Apple and Meta under the Digital Markets Act

Today, the Commission has opened non-compliance investigations under the Digital Markets Act (DMA) into Alphabet's rules on steering in Google Play and self-preferencing on Google Search, Apple's rules on steering in the App Store and the choice screen for Safari and Meta's “pay or consent model”.

The Commission suspects that the measures put in place by these gatekeepers fall short of effective compliance of their obligations under the DMA.

In addition, the Commission has launched investigatory steps relating to Apple's new fee structure for alternative app stores and Amazon's ranking practices on its marketplace. Finally, the Commission has ordered gatekeepers to retain certain documents to monitor the effective implementation and compliance with their obligations.

Alphabet's and Apple's steering rules

The Commission has opened proceedings to assess whether the measures implemented by Alphabet and Apple in relation to their obligations pertaining to app stores are in breach of the DMA. Article 5(4) of the DMA requires gatekeepers to allow app developers to “steer” consumers to offers outside the gatekeepers' app stores, free of charge.

The Commission is concerned that Alphabet's and Apple's measures may not be fully compliant as they impose various restrictions and limitations. These constrain, among other things, developers' ability to freely communicate and promote offers and directly conclude contracts, including by imposing various charges.

Alphabet's measures to prevent self-preferencing

The Commission has opened proceedings against Alphabet, to determine whether Alphabet's display of Google search results may lead to self-preferencing in relation to Google's vertical search services (e.g., Google Shopping; Google Flights; Google Hotels) over similar rival services.

The Commission is concerned that Alphabet's measures implemented to comply with the DMA may not ensure that third-party services featuring on Google's search results page are treated in a fair and non-discriminatory manner in comparison with Alphabet's own services, as required by Article 6(5) of the DMA.

Apple's compliance with user choice obligations

The Commission has opened proceedings against Apple regarding their measures to comply with obligations to (i) enable end users to easily uninstall any software applications on iOS, (ii) easily change default settings on iOS and (iii) prompt users with choice screens which must effectively and easily allow them to select an alternative default service, such as a browser or search engine on their iPhones.

The Commission is concerned that Apple's measures, including the design of the web browser choice screen, may be preventing users from truly exercising their choice of services within the Apple ecosystem, in contravention of Article 6(3) of the DMA.

Meta's “pay or consent” model

Finally, the Commission has opened proceedings against Meta to investigate whether the recently introduced “pay or consent” model for users in the EU complies with Article 5(2) of the DMA which requires gatekeepers to obtain consent from users when they intend to combine or cross-use their personal data across different core platform services.

The Commission is concerned that the binary choice imposed by Meta's “pay or consent” model may not provide a real alternative in case users do not consent, thereby not achieving the objective of preventing the accumulation of personal data by gatekeepers.

Other investigatory and enforcement steps

The Commission is also taking other investigatory steps to gather facts and information to clarify whether:

Amazon may be preferencing its own brand products on the Amazon Store in contravention of Article 6(5) of the DMA, and
Apple's new fee structure and other terms and conditions for alternative app stores and distribution of apps from the web (sideloading) may be defeating the purpose of its obligations under Article 6(4) of the DMA.
The Commission has also adopted five retention orders addressed to Alphabet, Amazon, Apple, Meta, and Microsoft, asking them to retain documents which might be used to assess their compliance with the DMA obligations, so as to preserve available evidence and ensure effective enforcement.

Finally, the Commission has granted Meta an extension of 6 months to comply with the interoperability obligation (Article 7 DMA) for Facebook Messenger. The decision is based on a specific provision in Article 7(3)DMA and follows a reasoned request submitted by Meta. Facebook Messenger remains subject to all other DMA obligations.

Next steps

The Commission intends to conclude the proceedings opened today within 12 months. If warranted following the investigation, the Commission will inform the concerned gatekeepers of its preliminary findings and explain the measures it is considering taking or the gatekeeper should take in order to effectively address the Commission's concerns.

In case of an infringement, the Commission can impose fines up to 10% of the company's total worldwide turnover. Such fines can go up to 20% in case of repeated infringement. Moreover, in case of systematic infringements, the Commission may also adopt additional remedies such as obliging a gatekeeper to sell a business or parts of it, or banning the gatekeeper from acquisitions of additional services related to the systemic non-compliance.

Background

The DMA aims to ensure contestable and fair markets in the digital sector. It regulates gatekeepers, which are large digital platforms that provide an important gateway between business users and consumers, whose position can grant them the power to create a bottleneck in the digital economy.

Alphabet, Amazon, Apple, ByteDance, Meta and Microsoft, the six gatekeepers designated by the Commission in September 2023, had to fully comply with all DMA obligations by 7 March 2024. The Commission has assessed the compliance reports setting out gatekeepers' compliance measures, and gathered feedback from stakeholders, including in the context of workshops.

Today's formal non-compliance proceedings against Alphabet, Apple and Meta have been opened pursuant to Article 20 DMA in conjunction with Articles 13 and 29 DMA for breach of Articles 5(2), 5(4), 6(3) and 6(5) DMA respectively.



BVerwG: Speicherung der Postanschrift durch die Behörde bei einer Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz datenschutzkonform - keine anonymen IFG-Anfragen

BVerwG
Urteil vom 20.03.2024
6 C 8.22


Das BVerwG hat entschieden, dass die Speicherung der Postanschrift durch die Behörde bei einer Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz datenschutzkonform ist. Anonyme IFG-Anfragen sind nicht zulässig.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Verarbeitung der Postanschrift eines Antragstellers nach dem Informationsfreiheitsgesetz

Bei einer auf das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) gestützten Anfrage ist die Verarbeitung der Postanschrift eines Antragstellers nach den Regelungen dieses Gesetzes in Verbindung mit § 3 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) zulässig. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden.

Die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI), wandte sich gegen eine auf Art. 58 Abs. 2 Buchst. b Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gestützte Verwarnung des beklagten Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Der Beanstandung lag ein Auskunftsersuchen eines Antragstellers zugrunde, welches dieser über eine Internetplattform per E-Mail an das BMI gerichtet hatte. Jene Plattform generiert E-Mail-Adressen, unter denen ein Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz gestellt und die Kommunikation mit der Behörde abgewickelt werden kann. Das BMI hatte auf der Übermittlung der Anschrift des Antragstellers bestanden und ihm in einem per Post übermittelten Schreiben geantwortet. Daraufhin erließ der Beklagte eine Verwarnung mit der Begründung, die Postanschrift sei ohne rechtliche Grundlage abgefragt und unberechtigt verarbeitet worden.

Das Verwaltungsgericht Köln hat der Klage stattgegeben und die Verwarnung aufgehoben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht Münster das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Die Verwarnung sei rechtmäßig. Bei der Erhebung der Postanschrift habe es sich um einen Verarbeitungsvorgang gehandelt, für den § 3 BDSG eine Rechtsgrundlage biete. Allerdings seien die Voraussetzungen der Norm nicht erfüllt gewesen, weil es an der Erforderlichkeit der Datenerhebung gefehlt habe.

Auf die Revision der Klägerin hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Oberverwaltungsgerichts geändert und die Berufung zurückgewiesen. Die von der angegriffenen Verwarnung erfassten Datenverarbeitungen - die Erhebung der Anschrift, ihre Speicherung sowie die Verwendung - lassen sich auf § 3 BDSG in Verbindung mit den Regelungen des Informationsfreiheitsgesetzes stützen. § 3 BDSG stellt für Datenverarbeitungen von geringer Eingriffsintensität im Zusammenhang mit einem Auskunftsbegehren nach dem Informationsfreiheitsgesetz eine unionsrechtskonforme Rechtsgrundlage nach der Datenschutz-Grundverordnung dar. Nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. e DSGVO ist die Verarbeitung personenbezogener Daten durch eine öffentliche Stelle unter anderem dann zulässig, wenn sie zur Erfüllung der in der Zuständigkeit des Verantwortlichen liegenden Aufgabe erforderlich ist. Diese Vorschrift wird durch die Brückennorm des § 3 BDSG in Verbindung mit den Regelungen des Informationsfreiheitsgesetzes ausgefüllt. Die Erforderlichkeit verlangt die Prüfung, ob das von der öffentlichen Stelle verfolgte Ziel in zumutbarer Weise ebenso wirksam mit anderen Mitteln erreicht werden kann, die weniger stark in die Grundrechte des Betroffenen eingreifen. Zudem sind die Grundsätze der Zweckbindung und der Datenminimierung einzuhalten (Art. 5 Abs. 1 DSGVO).

Gemessen hieran war die Abfrage der Anschrift zur ordnungsgemäßen Bearbeitung des Auskunftsersuchens erforderlich. Nach dem Informationsfreiheitsgesetz sind anonyme Anträge unzulässig. Deshalb muss die Behörde den Namen und regelmäßig auch die Anschrift des Antragstellers kennen. Die Speicherung der Adresse war erforderlich, um sie für die Dauer der Bearbeitung des Antrags zu sichern. Auch die Verwendung der Anschrift für die Übersendung des ablehnenden Bescheides per Post war erforderlich. Das BMI durfte sich ermessensfehlerfrei für die Schriftform und die Bekanntgabe per Post entscheiden, obwohl der Antragsteller einen elektronischen Zugang gemäß § 3a Abs. 1 VwVfG eröffnet hatte. Bislang muss es ein Antragsteller in der Regel hinnehmen, dass die Behörde trotz eines eröffneten elektronischen Zugangs mit ihm auf dem Postweg kommuniziert.

BVerwG 6 C 8.22 - Urteil vom 20. März 2024

Vorinstanzen:
OVG Münster, OVG 16 A 857/21 - Urteil vom 15. Juni 2022 -
VG Köln, VG 13 K 1190/20 - Urteil vom 18. März 2021 -