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OLG Frankfurt: Handy-Verkäufer haftet bei Vermittlung von Tarif-Bundles nicht für rechtswidrige Klauseln in Servicebedingungen des Mobilfunkbetreibers

OLG Frankfurt
Urteil vom 09.10.2025
6 U 117/24


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass ein Handy-Verkäufer bei Vermittlung von Tarif-Bundles nicht für rechtswidrige Klauseln in Servicebedingungen des Mobilfunkbetreibers haftet.

Aus den Entscheidungsgründen:
Nach § 1 UKlaG kann auf Unterlassung nur in Anspruch genommen werden, wer Allgemeine Geschäftsbedingungen verwendet oder ihre Verwendung empfiehlt.

Auf die Empfehlung von Geschäftsbedingungen ist die Klage nicht gestützt. Die Beklagte ist aber auch nicht Verwenderin der angegriffenen "Servicebedingungen".

Verwender einer Allgemeinen Geschäftsbedingung ist gemäß § 305 Abs. 1 BGB die Vertragspartei, die der anderen Vertragspartei die Allgemeine Geschäftsbedingung bei Abschluss eines Vertrags stellt. Da der Mobilfunkvertrag zwischen dem Kunden und dem Mobilfunkunternehmen zustande kommt, kann die Beklagte nicht Vertragspartei sein, die eine Geschäftsbedingung stellt. Die Beklagte ist im Rahmen dieser Vertragsbeziehung wegen der durch sie vorgenommenen Übersendung der SIM-Karte allenfalls Erfüllungsgehilfin des Mobilfunkunternehmens.

Verwender der angegriffenen Bestimmung ist vielmehr das Mobilfunkunternehmen. Das folgt auch aus § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB. Danach gelten bei Verträgen zwischen Unternehmer und Verbraucher (Mobilfunkvertrag zwischen Mobilfunkunternehmen und Verbraucher) Allgemeine Geschäftsbedingungen als vom Unternehmer gestellt.

Die angegriffenen "Servicebedingungen" sind Teil des Mobilfunkvertrags zwischen Mobilfunkunternehmen und Verbraucher; sie sind nicht Teil des Vertrags über den Erwerb eines Smartphones zwischen der Beklagten und dem Verbraucher.

Die Servicebedingungen treffen nämlich keine Regelung über die Leistungspflicht aus dem Vertrag mit der Beklagten über den Smartphone-Erwerb. Dazu müssten die Servicebedingungen die Leistungspflicht der Beklagten aus dem Smartphone-Vertrag einschränken, verändern, ausgestalten oder modifizieren (vgl. BGH, Urt. v. 05.10.2017, III ZR 56/17, Rn. 15 m.w.N.). Das ist nicht der Fall. Eine Verzögerung bei der Übersendung der SIM-Karte betrifft allein den Mobilfunkvertrag. Dagegen berührt die Frage des Auseinanderfallens von Vertragsschluss und Zeitpunkt der Übersendung der SIM-Karte die Leistungspflichten aus dem Smartphone-Vertrag überhaupt nicht, weil das Smartphone immer zusammen mit der SIM-Karte zugeht, das Gerät bei Gefahrenübergang und Übereignung mithin jedenfalls aus diesem Blickwinkel voll nutzbar ist. Dies wird in den Servicebedingungen durch die Hinweise deutlich, wonach der Versand der SIM-Karte mit dem Endgerät erfolge und ein vorheriger Einzelversand der SIM-Karte aus logistischen Gründen nicht möglich sei.

Die Beklagte kann auch nicht aus anderen Gründen dem Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen iSv. § 1 UKlaG gleichgesetzt werden.

Zwar kann auch ein Dritter dem Vertragspartner gleichgestellt werden, wenn er im Namen des eigentlichen Vertragspartners Verträge abschließt, dabei Geschäftsbedingungen in den Verkehr bringt, die er selbst vorformuliert hat, und er ein eigenes Interesse daran hat, dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen den abzuschließenden Verträgen zugrunde gelegt werden (BGH, Urt. v. 09.07.1981, VII ZR 139/80, Rn. 4 juris). Für das Vorliegen einer solchen Konstellation hat der für die Voraussetzungen der Verwendereigenschaft darlegungs- und beweispflichtige Kläger (vgl. BGH, Urt. v. 19.09.1990, VIII ZR 239/89, Rn. 26 juris) nichts vorgetragen.

Nach dem zugrunde zu legenden Sachverhalt schließt die Beklagte die Mobilfunkverträge nicht als Vertreterin des Mobilfunkbetreibers in dessen Namen ab. Vielmehr kommen die Mobilfunkverträge erst durch eine Annahmeerklärung des Mobilfunkanbieters zustande. Es ist auch nicht ersichtlich, welches eigene Interesse die Beklagte daran haben könnte, dass die Servicebedingungen in die Mobilfunkverträge einbezogen werden. Wenn der Kläger dabei vermutet, dass es sich um eine eigene logistische Entscheidung der Beklagten handele, die SIM-Karte nicht gesondert zu übersenden, lässt sich dahinter kein eigenes Interesse der Beklagten erkennen, sondern allenfalls das Interesse des Mobilfunkunternehmens, im eigenen oder im Interesse des Kunden zusätzliche Kosten des Mobilfunkvertrags durch eine solche gesonderte Übersendung zu vermeiden.

Schließlich ist nicht vorgetragen, dass die Beklagte die Servicebedingungen formuliert hat.

Das einzig ersichtliche Eigeninteresse der Beklagten, durch die Vermittlung der Mobilfunkverträge gleichzeitig mit dem Verkauf der eigenen Smartphones die Verkäuflichkeit der eigenen Produkte zu verbessern, reicht nicht aus, um einen Unterlassungsanspruch zu rechtfertigen (vgl. BGH, Urt. v. 19.09.1990, VIII ZR 239/89, Rn. 34 juris).

Schließlich scheitert der geltend gemachten Unterlassungsanspruch - wie das Landgericht zu Recht entschieden hat - schon daran, dass die angegriffene Servicebedingung gar keine der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB unterworfene Regelung ist.

Gemäß § 307 Abs. 3 (1) BGB unterliegen nur solche Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Inhaltskontrolle, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen getroffen werden.

Kontrollfähige Nebenabreden, die zwar mittelbare Auswirkungen auf Preis und Leistung haben können, die aber nicht das Ob und den Umfang der zu erbringenden Leistungen bestimmen, sind die vertraglichen Hauptleistungspflichten ergänzende Regelungen, die lediglich Art und Weise der Leistungserbringung und/oder etwaige Leistungsmodifikationen zum Inhalt haben. Diese treten neben eine bereits bestehende Leistungshauptabrede und an deren Stelle kann, wenn eine vertragliche Regelung fehlt, dispositives Gesetzesrecht gelten (BGH, Urt. v. 05.10.2017, III ZR 56/17, Rn. 15 m.w.N.).

Die angegriffenen Servicebedingungen enthalten keine Regelungen, die die Leistungspflicht des Verwenders einschränken, verändern, ausgestalten oder modifizieren, sondern informieren lediglich über tatsächliche Gegebenheiten, hier über tatsächlich mögliche Folgen der Vertragskonstellation aus Smartphone-Kaufvertrag mit der Beklagten, Mobilfunkvertrag mit einem dritten Mobilfunkanbieter und Auslieferung der für den Mobilfunkvertrag essentiellen SIM-Karte durch die Beklagte.

Für das Mobilfunkunternehmen bewirkt die Lieferverzögerung bei der Übergabe der SIM-Karte (verschuldet oder unverschuldet) Unmöglichkeit der Mobilfunkleistung während der Zeit zwischen Vertragsschluss und tatsächlichem Zugang der SIM-Karte (§ 275 Abs. 1 BGB), weil ohne SIM-Karte Mobilfunkverbindungen und sei es nur mit einem anderen (alten) Handy nicht möglich sind. Da die Leistung bei fester Vertragslaufzeit bzw. nach Vertragskündigung nicht mehr nachholbar ist, wird das Mobilfunkunternehmen (Schuldner) von seiner Leistungspflicht frei. Die Rechte des Kunden (Gläubigers) richten sich gemäß § 275 Abs. 4 BGB u.a. nach § 326 BGB.

Gemäß § 326 Abs. 1 BGB entfällt der Anspruch auf Zahlung gegenüber dem Kunden. Hat der Kunde die Leistung bewirkt, also bereits gezahlt, kann er die Zahlung gemäß § 326 Abs. 4 BGB nach den §§ 346 bis 348 BGB zurückfordern.

Diese Rechte schließt die angegriffene Klausel weder aus noch werden sie modifiziert. Bei den Servicebedingungen handelt es sich folglich - wie die Beklagte in der Klageerwiderung zu Recht vorgetragen hat - um eine bloße Information über die tatsächlichen Konsequenzen einer Lieferverzögerung bei der Auslieferung von Mobilfunktelefon mit SIM-Karte.

Auch der Hinweis, dass das Mobilfunkunternehmen die Grundgebühr für den Mobilfunkvertrag ab dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses und nicht erst vom Zeitpunkt des Zugangs der SIM-Karte berechnet, enthält keine Modifikation der gesetzlichen Regelungen, sondern lediglich eine Beschreibung des tatsächlichen Verhaltens des Mobilfunkunternehmens. Auf eine konkrete Rechtsfolge sind die Hinweise jedenfalls nicht gerichtet. Sollte der Verbraucher die Hinweise gleichwohl als Regelung verstehen, die ihm sein Recht auf etwaige Rückforderungsansprüche nehmen soll, so wäre dies eine Frage der Irreführung i.S.v. § 5 UWG und nicht eine Frage der Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen.

Selbst wenn man dies mit dem Argument des Klägers anders sehen würde, eine der Kontrolle unterliegende Regelung sei darin zu sehen, dass die Beklagte die Einzelversendung der SIM-Karte ausschließen würde, würde dies der Klage nicht zum Erfolg verhelfen. Dabei fragt sich schon, ob der Einzelversand der SIM-Karte einen früheren Zugang nach Mobilvertragsschluss gewährleisten würde und sich deshalb eine abweichende Einordnung als Regelung überhaupt rechtfertigen ließe. Jedenfalls bliebe es auch in diesem Fall dabei, dass die Übersendung der SIM-Karte allein den Mobilfunkvertrag betrifft und die Beklagte in diesem Zusammenhang allenfalls Erfüllungsgehilfin, aber nicht Verwenderin der Geschäftsbedingung wäre.

Aus dem Erfordernis, die Servicebedingungen "anhaken" zu müssen, kann entgegen der Auffassung des Klägers kein Zustimmungserfordernis und als Folge daraus nicht der Charakter eine Allgemeinen Geschäftsbedingung abgeleitet werden. Das Erfordernis des Abhakens stellt in erster Linie sicher, dass der Verbraucher die Servicebedingung zur Kenntnis nimmt. Die Notwendigkeit einer Zustimmung kann daraus nicht abgeleitet werden, schon weil eine mitangehakte ausdrückliche Zustimmungserklärung fehlt.

Die Anschlussberufung ist unbegründet.

Die mit der Anschlussberufung angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO).

Der Kläger kann nach §§ 8, 3, 5a UWG verlangen, dass die Beklagte unterlässt, im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern im Internet für den Kauf von Mobiltelefonen zu werben bzw. werben zu lassen, ohne - wie geschehen - über den Lieferzeitpunkt zu informieren.

Nach §§ 5a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 UWG i.V.m. § 312d BGB, Art. 246a § 1 Abs. 1 Nr. 7 EGBGB a.F. (Art. 246a § 1 Abs. 1 Nr. 10 EGBGB n.F.) muss der Unternehmer den Verbraucher in klarer, verständlicher und unzweideutiger Weise über den Termin informieren, bis zu dem der Unternehmer die Ware liefert (vgl. BGH, Urt. v. 10.11.2022, I ZR 241/19, Rn. 16 - Herstellergarantie IV).

Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der angesprochene Verbraucher den Klammerzusatz "2-3 Arbeitstage" unter der ausgewählten Option "Online IDENT-Check mit PurpleView" auf die Dauer beziehen muss, die der erforderliche Identitätscheck des Bestellers der Ware in Anspruch nehmen wird. Ein Verständnis, wonach es sich dabei um die Lieferzeit handeln soll, wird durch nichts nahegelegt.

Ein Verbraucher, der sich über den Zeitpunkt der Lieferung informieren will, wird auch keinen Anlass haben, seinen Mauszeiger zu dem Fragezeichen neben der Option "Online IDENT-Check" zu bewegen. Den dort wird er nähere Erläuterungen zu der Durchführung des Verfahrens zur Identitätsprüfung, aber keinen näheren Aufschluss über Lieferzeiten erwarten. Gerade der Verbraucher, der mit der Nutzung von Webshops vertraut ist, weiß, dass sich hinter solchen Fragezeichen nähere Erläuterungen zu der sich daneben befindenden Schaltfläche oder Option finden lassen, jedoch keine weiterführenden nicht im Zusammenhang stehenden Informationen.

Aber selbst, wenn ein Verbraucher den Text hinter der Hover-Funktion wahrnimmt, erhält er keine klare und unzweideutige Angabe zu dem Termin, bis zu dem die Beklagte das Handy und die SIM-Karte liefert. Die Erklärung: "Nach Eingang deiner Bestellung bis 17:00 Uhr erfolgt die Lieferung innerhalb von 2-3 Arbeitstagen", besagt nämlich nicht eindeutig, ob der Lieferungserfolg nach 2-3 Arbeitstagen eintritt, also der Zugang beim Besteller, oder ob die Aufgabe der Lieferung zum Transportunternehmen innerhalb von 2-3 Tagen erfolgt. Der Wortlaut der Erklärung legt das erstgenannte Verständnis nahe; der Hinweis, dass das Online-IDENT-Verfahren 2-3 Arbeitstage in Anspruch nehme, legt das letztgenannte Verständnis nahe. Welches Verständnis das richtige ist, wird dagegen nicht klargestellt und ist deshalb zweideutig.


Den Volltetx der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH: USM Haller Möbel können als Werk der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützt sein

EuGH
Urteil vom 04.12.2025
in den verbundenen Rechtssachen C‑580/23 und C‑795/23


Der EuGH hat entschieden, dass USM Haller Möbel als Werk der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützt sein können.

Tenor der Entscheidung:
1. Die Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist dahin auszulegen, dass zwischen dem geschmacksmusterrechtlichen und dem urheberrechtlichen Schutz kein Regel-Ausnahme-Verhältnis in dem Sinne besteht, dass bei der Prüfung der Originalität von Gegenständen der angewandten Kunst höhere Anforderungen zu stellen wären als bei anderen Werkarten.

2. Art. 2 Buchst. a, Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 sind dahin auszulegen, dass ein Werk im Sinne dieser Bestimmungen ein Gegenstand ist, der die Persönlichkeit seines Urhebers widerspiegelt, indem er dessen freie und kreative Entscheidungen zum Ausdruck bringt. Nicht frei und kreativ sind sowohl die Entscheidungen, die durch verschiedene, insbesondere technische, Zwänge vorgegeben sind, die diesen Urheber bei der Schaffung des Gegenstands gebunden haben, als auch Entscheidungen, die zwar frei sind, aber nicht den Ausdruck der Persönlichkeit des Urhebers dadurch darstellen, dass sie diesem Gegenstand einen einzigartigen Aspekt verleihen. Umstände wie die Absichten des Urhebers beim Schaffensprozess, seine Inspirationsquellen und die Verwendung des vorhandenen Formenschatzes, die Wahrscheinlichkeit einer unabhängigen ähnlichen Schöpfung oder die Anerkennung des Gegenstands in Fachkreisen sind als solche für die Beurteilung der Originalität des Gegenstands, für den Schutz beansprucht wird, weder erforderlich noch entscheidend.

3. Art. 2 Buchst. a, Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 sind dahin auszulegen, dass für die Feststellung einer Urheberrechtsverletzung zu bestimmen ist, ob kreative Elemente des geschützten Werks wiedererkennbar in den als verletzend beanstandeten Gegenstand übernommen worden sind. Unerheblich sind der durch die beiden einander gegenüberstehenden Gegenstände erzeugte Gesamteindruck und die Gestaltungshöhe des Werks. Die Wahrscheinlichkeit einer ähnlichen Schöpfung kann keine Versagung des urheberrechtlichen Schutzes rechtfertigen.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Der Schutz von Gebrauchsgegenständen durch das Urheberrecht unterliegt denselben Voraussetzungen wie der anderer Gegenstände

Zwei Möbelhersteller machen vor den schwedischen bzw. den deutschen Gerichten geltend, dass zwei Möbelhändler ihr Urheberrecht an bestimmten Möbeln verletzt hätten.

Der schwedische Hersteller Galleri Mikael & Thomas Asplund sieht eine große Ähnlichkeit zwischen den von dem schwedischen Konzern Mio vertriebenen Esstischen und den von ihm hergestellten Tischen , die als Werke der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützt seien.

Der schweizerische Hersteller USM U. Schärer Söhne wirft dem deutschen Onlinehändler konektra vor, er biete ein Möbelsystem an, das mit einem modularen Möbelsystem identisch sei, das er herstelle und als Werk der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützt sei.

Das Berufungsgericht für Svealand und der deutsche Bundesgerichtshof haben dem Gerichtshof Fragen zu den Voraussetzungen gestellt, unter denen ein Gebrauchsgegenstand ein Werk der angewandten Kunst sein und damit urheberrechtlichen Schutz genießen kann.

Der Gerichtshof erinnert daran, dass in bestimmten Fällen ein Gegenstand sowohl nach dem Geschmacksmusterrecht als auch im Sinne des Urheberrechts als Werk geschützt sein kann. Er stellt insoweit klar, dass kein Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen diesen beiden unterschiedlichen Schutzarten besteht. Was den Schutz als Werk im Sinne des Urheberrechts angeht, ist die Originalität der Gegenstände der angewandten Kunst anhand derselben Anforderungen zu beurteilen, die für die Prüfung der Originalität anderer Arten von Gegenständen herangezogen werden.

Ein Werk im Sinne des Urheberrechts ist ein Gegenstand, der die Persönlichkeit seines Urhebers widerspiegelt, indem er dessen freie und kreative Entscheidungen zum Ausdruck bringt. Entscheidungen, die durch verschiedene, insbesondere technische Zwänge vorgegeben sind, gehören nicht dazu. Dasselbe gilt für Entscheidungen, die zwar frei sind, aber keinen Ausdruck der Persönlichkeit des Urhebers dadurch darstellen, dass sie diesem Gegenstand einen einzigartigen Aspekt verleihen. Die Absichten des Urhebers beim Schaffensprozess , seine Inspirationsquellen und die Verwendung des vorhandenen Formenschatzes, die Wahrscheinlichkeit einer unabhängigen ähnlichen Schöpfung oder die Anerkennung des Gegenstands in Fachkreisen können gegebenenfalls berücksichtigt werden. Sie sind jedoch für die Beurteilung der Originalität des Gegenstands weder erforderlich noch entscheidend.

Für die Feststellung einer Urheberrechtsverletzung muss ermittelt werden, ob kreative Elemente des geschützten Werks wiedererkennbar in den als verletzend beanstandeten Gegenstand übernommen worden sind. Der durch die beiden einander gegenüberstehenden Gegenstände erzeugte Gesamteindruck und die Gestaltungshöhe des Werks sind irrelevant. Die bloße Wahrscheinlichkeit einer ähnlichen Schöpfung kann keine Versagung des urheberrechtlichen Schutzes rechtfertigen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


Inkrafttreten 06.12.2025 - Gesetz zur Umsetzung der NIS-2-Richtlinie und zur Regelung wesentlicher Grundzüge des Informationssicherheitsmanagements in der Bundesverwaltung

Das Gesetz zur Umsetzung der NIS-2-Richtlinie und zur Regelung wesentlicher Grundzüge des Informationssicherheitsmanagements in der Bundesverwaltung wurde am 05.12.2026 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und tritt am 06.12.2025 in Kraft.

BGH: Name der Filmfigur "Miss Moneypenny" aus den James Bond-Filmen genießt keinen Werktitelschutz

BGH
Urteil vom 04.12.2025
I ZR 219/24


Der BGH hat entschieden, dass der Name der Filmfigur "Miss Moneypenny" aus den James Bond-Filmen keinen Werktitelschutz genießt.

Die Pressemitteilung des BGH:
Kein Werktitelschutz für den Namen der Filmfigur "Miss Moneypenny"

Der unter anderem für das Markenrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass dem Namen der Filmfigur "Miss Moneypenny" kein Werktitelschutz zukommt.

Sachverhalt:

Die Klägerin ist auf Vervielfältigungsstücken von Filmen der "James Bond"-Serie im Copyright-Vermerk als Inhaberin von urheberrechtlichen Nutzungsrechten an diesen Filmwerken benannt. Seit 1962 erschienen bislang 25 "James Bond"-Filme. In diesen Filmen stellen die Figur "James Bond" einen für den britischen Geheimdienst MI6 tätigen Geheimagenten und die Figur "Moneypenny" oder "Miss Moneypenny" die Sekretärin des Leiters beziehungsweise der Leiterin des Geheimdiensts "M" dar. Nach dem Neustart der "James Bond"-Filmreihe im Jahr 2006 kam die Figur "Moneypenny" oder "Miss Moneypenny" in den ersten beiden Filmen nicht vor. Sie erschien wieder in dem 2012 veröffentlichten Film "Skyfall" als eine jüngere "Eve Moneypenny".

Die Beklagte zu 1 benutzt die Bezeichnungen "MONEYPENNY" und "MY MONEYPENNY" zur Bewerbung von Sekretariatsdienstleistungen und Dienstleistungen von persönlichen Assistentinnen, die von Lizenznehmern in einem Franchise-System in Deutschland erbracht werden. Die Beklagte zu 2 ist die Geschäftsführerin der Beklagten zu 1 und Inhaberin einer deutschen Wortmarke "MONEYPENNY", einer international registrierten Wortmarke "MONEYPENNY" sowie verschiedener Internetdomains mit dem Bestandteil "moneypenny".

Die Klägerin ist der Auffassung, bei der Filmfigur "Miss Moneypenny" handele es sich um ein selbständig schutzfähiges und damit titelfähiges Werk. Die Benutzung der Bezeichnungen "MONEYPENNY" und "MY MONEYPENNY" durch die Beklagten verletze das an der Bezeichnung für die Filmfigur bestehende Werktitelrecht, zu dessen Geltendmachung sie befugt sei. Sie nimmt die Beklagten auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung einschließlich Domainlöschung, Firmenänderung, Auskunft und Rechnungslegung, Schadensersatz sowie Erstattung von Gutachterkosten, die Beklagte zu 2 darüber hinaus auf Markenlöschung in Anspruch.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben.

Mit ihrer vom Berufungsgericht beschränkt auf Ansprüche aus Werktitelschutz zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Anträge weiter.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg.

Die geltend gemachten Ansprüche aus Werktitelschutz sind unbegründet, weil die Filmfigur "Miss Moneypenny" kein bezeichnungsfähiges Werk ist und ihr Name deshalb keinen Werktitelschutz genießt.

Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass auch für den Namen einer fiktiven Figur aus einem Filmwerk Werktitelschutz bestehen kann. Voraussetzung für diesen Schutz ist allerdings, dass es sich bei der Figur selbst um ein Werk im zeichenrechtlichen Sinn, also um ein immaterielles Arbeitsergebnis handelt, das als Gegenstand des Rechts- und Geschäftsverkehrs nach der Verkehrsanschauung bezeichnungsfähig ist. Fiktive Figuren stellen regelmäßig ein immaterielles Arbeitsergebnis dar, das sich in ihrem erfundenen Aussehen und Charakter manifestiert. Das weitere Erfordernis der Bezeichnungsfähigkeit erfordert aber eine gewisse Selbständigkeit und eigenständige Bekanntheit der fiktiven Figur gegenüber dem Werk, in dem sie Verwendung findet. Die Figur muss in dem Grundwerk so individualisiert sein, dass sie vom Verkehr als selbständig und vom Grundwerk losgelöst wahrgenommen wird. Anhaltspunkte für eine solche Selbständigkeit können die besondere optische Ausgestaltung oder besonders ausgeprägte, die Figur und ihre Persönlichkeit individualisierende Charaktereigenschaften, Fähigkeiten und typische Verhaltensweisen der Figur in dem Filmwerk sein.

Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ist die für einen Titelschutz der Bezeichnung "Moneypenny" erforderliche Selbständigkeit der damit bezeichneten fiktiven Figur nicht gegeben. Es fehlt sowohl an einer bestimmten optischen Ausgestaltung als auch an besonderen Charaktereigenschaften, die der fiktiven Figur der "Miss Moneypenny" in den "James Bond"-Filmen einen hinreichend individualisierten Charakter mit einer unverwechselbaren Persönlichkeit verleihen würden. Ob der Filmfigur in anderem Zusammenhang weitere oder präzisere Charaktereigenschaften zugeschrieben werden, ist unerheblich, weil die Verknüpfung mit dem Grundwerk es verbietet, Anhaltspunkte für die Selbständigkeit der Figur außerhalb davon zu suchen.

Vorinstanzen:

Landgericht Hamburg - Urteil vom 15. Juni 2023 - 327 O 230/21

Oberlandesgericht Hamburg - Urteil vom 24. Oktober 2024 - 5 U 83/23

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 5 Abs. 1 und Abs. 3 MarkenG

(1) Als geschäftliche Bezeichnungen werden Unternehmenskennzeichen und Werktitel geschützt.

(3) Werktitel sind die Namen oder besonderen Bezeichnungen von Druckschriften, Filmwerken, Tonwerken, Bühnenwerken oder sonstigen vergleichbaren Werken.


BGH: Zur Abrenzung von Individualvereinbarung und AGB wenn mehr als zwei Vertragsparteien am Vertragsverhältnis beteiligt sind

BGH
Urteil vom 13.11.2025
III ZR 165/24
Individualvereinbarung, Allgemeine Geschäftsbedingung, Inhaltskontrolle
BGB § 305 Abs. 1 Satz 1 und 3


Der BGH hat sich mit der Abrenzung von Individualvereinbarung und AGB in Konstellationen befasst, bei denen mehr als zwei Vertragsparteien am Vertragsverhältnis beteiligt sind

Leitsatz des BGH:
Sind an einem Vertragsverhältnis mehr als nur zwei Parteien beteiligt, ist es möglich, dass eine Bestimmung individuell vereinbart und gleichwohl als Allgemeine Geschäftsbedingung zu behandeln ist. Das kann dann der Fall sein, wenn sie für eine Vielzahl von vertraglichen Verhältnissen vorformuliert ist, vom Vertragsgegner dementsprechend verwendet wird und es der Schutzzweck der §§ 305 ff BGB gebietet, sie der Inhaltskontrolle zu unterwerfen (Bestätigung von Senat, Urteil vom 19. November 2009 - III ZR 108/08, BGHZ 183, 220).

BGH, Urteil vom 13. November 2025 - III ZR 165/24 - Schleswig-Holsteinisches OLG - LG Kiel

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BVerfG: Verfassungsbeschwerde des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL wegen der Verdachtsberichterstattung im "Wirecard-Skandal" erfolgreich

BVerfG
Beschluss vom 03.11.2025
1 BvR 573/25


Das BVerfG hat einer Verfassungsbeschwerde des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL wegen der Verdachtsberichterstattung im "Wirecard-Skandal" stattgegeben.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL zur Verdachtsberichterstattung im „Wirecard-Skandal“

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, die ein zivilgerichtliches Ausgangsverfahren betrifft, in dem das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL zur Unterlassung einer Wort- und Bildberichterstattung im Zusammenhang mit dem sogenannten „Wirecard-Skandal“ verurteilt worden ist.

Die mit der Verfassungsbeschwerde unter anderem angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts verletzt die Beschwerdeführerin in ihren Grundrechten auf Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 Grundgesetz (GG). Soweit es die Wortberichterstattung betrifft, hat das Oberlandesgericht teilweise die Anforderungen an die der Beschwerdeführerin obliegenden Sorgfaltspflichten überspannt und teilweise bereits eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügende Sinnermittlung des Kontexts der Berichterstattung vorgenommen. Dieser Begründungsmangel hat sich in der Beurteilung der Bildberichterstattung fortgesetzt.

Die Kammer hat die Entscheidung des Oberlandesgerichts aufgehoben und zur erneuten Entscheidung an dieses zurückverwiesen.

Sachverhalt:

Der Kläger des Ausgangsverfahrens war nach den fachgerichtlichen Feststellungen zunächst im Wirecard-Konzern tätig. Er schied im Jahr 2018 aus dem Konzern aus und wurde Geschäftsführer eines Startup-Unternehmens. Dieses Unternehmen erhielt bis Ende März 2020 durch ein Unternehmen des Wirecard-Konzerns einen Kredit in Höhe von 115 Millionen Euro. Dessen deklarierter Zweck war ein sogenanntes Mercant Cash Advance (MCA-Geschäft), bei dem es sich um ein Zusatzprodukt zur eigentlichen Zahlungsabwicklung handelt, das höhere Margen verspricht. Der Insolvenzverwalter der Wirecard AG sowie die Staatsanwaltschaft nehmen an, dass über das Vehikel der MCA-Geschäfte hunderte Millionen Euro veruntreut worden seien. Die Staatsanwaltschaft leitete unter anderem gegen den Kläger im Zusammenhang mit dem „Wirecard-Skandal“ ein Ermittlungsverfahren ein.

Die Beschwerdeführerin veröffentlichte am 20./21. November 2020 und 5./6. Februar 2021 online sowie in der Printausgabe Artikel zum „Wirecard-Skandal“, in denen sie auch über den Kläger berichtete und die Artikel mit nicht verpixelten Bildern des Klägers versah. Der Kläger nahm die Beschwerdeführerin vor dem Landgericht auf Unterlassung der ihn im Zusammenhang mit Strafvorwürfen gegen seine Person identifizierenden Wort- und Bildberichterstattung in Anspruch. Das Landgericht gab der Klage statt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beschwerdeführerin wies das Oberlandesgericht zurück. Es führte unter anderem aus, da in beiden Artikeln zumindest der Verdacht geäußert werde, der Kläger sei in strafrechtlich relevanter Weise an der Begehung der geschilderten Taten beteiligt gewesen, seien die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung entsprechend anwendbar. Deren Voraussetzungen seien allerdings nicht erfüllt.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung ihrer Grundrechte auf Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG durch die gerichtlichen Entscheidungen.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

I. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet, soweit sie sich gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts richtet. Der Eingriff in die Grundrechte der Beschwerdeführerin ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.

1. Im Hinblick auf die Wortberichterstattung vom 20./21. November 2020 genügt die Würdigung des Oberlandesgerichts, dass die Verdachtsberichterstattung bereits deshalb unzulässig sei, weil es an einem hinreichenden Mindestbestand an Beweistatsachen fehle, nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen.

a) Grundlegenden Bedenken begegnet hierbei insbesondere die Vorgehensweise des Oberlandesgerichts, den erforderlichen Mindestbestand allein auf der Grundlage von Verdachtsstufen zu bestimmen. Die Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung kann nicht allein davon abhängig gemacht werden, dass ein bestimmter Grad an Wahrscheinlichkeit für die Begründetheit des Verdachts spricht. Dürfte die Presse eine Verdachtsberichterstattung immer nur dann veröffentlichen, wenn sie eine über den Anfangsverdacht hinausgehende Verurteilungswahrscheinlichkeit zu belegen vermag, wäre dies mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht vereinbar. Das gilt namentlich für eine Verdachtsberichterstattung über komplexe, auf Verschleierung angelegte Straftaten aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität.

b) Zudem wird in der angegriffenen Entscheidung nicht hinreichend berücksichtigt, dass das Interesse der Öffentlichkeit am Gegenstand der Berichterstattung bereits bei Bemessung der Sorgfaltsanforderungen gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abwägend zu berücksichtigen ist und umso stärker ausfällt, je mehr sich die Straftat durch die Art der Begehung oder die Schwere der Folgen über die gewöhnliche Kriminalität heraushebt. Bei dem Verdacht allgemeinschädlicher Wirtschaftsstraftaten steht in besonderer Weise derjenige im Blickfeld der Öffentlichkeit, dessen (objektive) Nähe zu den in Frage stehenden Ereignissen sich gerade aus einer beruflich hervorgehobenen Position und der damit verbundenen wirtschaftlichen Verantwortung ergibt. Mit Blick hierauf hätte das Oberlandesgericht bei der Würdigung der Beweistatsachen in die Betrachtung einbeziehen müssen, dass an der Person des Klägers und seinen damaligen geschäftlichen Handlungen aufgrund seiner hervorgehobenen Position als Geschäftsführer eines Unternehmens, auf die sich der Verdacht einer Verstrickung in erhebliche Wirtschaftsstraftaten im Zusammenhang mit dem „Wirecard-Skandal“ erstreckt, ein besonderes öffentliches Informationsinteresse besteht.

2. Soweit es die Wortberichterstattung vom 5./6. Februar 2021 betrifft, hält bereits die in der angegriffenen Entscheidung erfolgte Sinnermittlung verfassungsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Der Artikel vom 5./6. Februar 2021 thematisiert die Rolle des Klägers allenfalls vage und ohne erkennbare Zuordnung zu konkreten Vorgängen. Das Oberlandesgericht hat gleichwohl eine Verdachtsäußerung angenommen und sich unter anderem darauf gestützt, dass der Kläger als eine der „Schlüsselpersonen des Skandals“ und Teil eines „Netzwerks treuer Helfer“ eines flüchtigen, ehemaligen Vorstandsmitglieds bezeichnet worden sei. Insoweit hat das Oberlandesgericht aber keine hinreichende Einordnung in den Kontext des Artikels vorgenommen.

b) Zudem hält die Würdigung des Oberlandesgerichts, bei den herangezogenen Formulierungen handele es sich jeweils um eine Tatsachenbehauptung, verfassungsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Formulierungen enthalten zwar faktische Elemente. Das Oberlandesgericht hat aber nicht berücksichtigt, dass der Artikel durch die verwendeten Formulierungen zu diesen Vorgängen Stellung bezieht und die Nähe des Klägers zu den fraglichen Ereignissen kritisch bewertet. Die vorgenannten Passagen stellen sich damit insgesamt als Werturteil dar. Als solches ist es von dem Schutz von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfasst. Ob die zugrundeliegenden tatsächlichen Annahmen zutreffen oder dieses zu tragen vermögen, ist nur für die dann erforderliche Abwägung zwischen dem Grundrecht des Beschwerdeführers auf Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht des Klägers von Bedeutung.

3. Das Oberlandesgericht hat auch in verfassungsrechtlich nicht tragfähiger Weise angenommen, dass die identifizierende Bildberichterstattung den Kläger in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletze. Zwar begegnet es im Ausgangspunkt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, aus der Unzulässigkeit einer Wortberichterstattung zu schließen, dass auch die diese flankierende Bildberichterstattung unzulässig ist. Ist ein Fachgericht – wie hier – aber bereits in verfassungsrechtlich nicht tragfähiger Weise von einer unzulässigen Verdachtsberichterstattung ausgegangen, so setzt sich dieser Begründungsfehler zwangsläufig in einer kongruent erfolgten Beurteilung der Bildberichterstattung fort. Zudem hat das Oberlandesgericht außer Acht gelassen, dass der Kläger, selbst wenn er nicht als prominent wahrgenommen werden mag, zum maßgeblichen Zeitpunkt eine herausgehobene berufliche Position mit erheblicher wirtschaftlicher Verantwortung innehatte.

II. Die Kammer hat den Beschluss des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Bochum: Gutschein statt Rückzahlung nach Ausübung des Widerrufsrechts bei Fernabsatzgeschäft wettbewerbswidrig

LG Bochum
Urteil vom 15.10.2025
I-13 O 72/25


Das LG Bochum hat wenig überraschend entschieden, dass es wettbewerbswidrig ist, wenn ein Verkäufer dem Kunden nach Ausübung des gesetzlichen Widerrufsrechts bei einem Fernabsatzgeschäft mittteilt, dass statt einer Rückzahlung des Kaufpreises lediglich ein Gutschein ausgestellt wird.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die streitgegenständliche Mitteilung der Beklagten an die Zeugin aus der eMail vom 15.04.2025, wonach auf ihrer Webseite bei jedem Kleid die Rückerstattung in Form eines Gutscheins erfolge, stellt eine geschäftliche Handlung nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG dar. Der Begriff der geschäftlichen Handlung erstreckt sich auf Verhaltensweisen vor, bei und nach einem Geschäftsabschluss. Auskünfte über Rechte aus dem Geschäft, etwa über das Bestehen eines Widerrufsrechts, sind als Verhaltensweise nach einem Geschäftsabschluss von dem Begriff der geschäftlichen Handlung umfasst (vgl. BeckOK UWG/Alexander, 29. Ed. 1.7.2025, UWG § 2 Rn. 93).

3. Die Mitteilung der Beklagten in der streitgegenständlichen eMail vom 15.04.2025 verstößt gegen § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 UWG.

Nach § 5 Abs. 1 UWG handelt unlauter, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er anderenfalls nicht getroffen hätte. Eine geschäftliche Handlung ist nach § 5 Abs. 2 Nr. 7 UWG irreführend, wenn sie unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben enthält über Rechte des Verbrauchers, insbesondere solche auf Grund von Garantieversprechen oder Gewährleistungsrechte bei Leistungsstörungen.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Mitteilung der Beklagten, wonach die Erstattung des Kaufpreises durch die Erteilung eines Gutscheins erfolge, ist unzutreffend und beinhaltet eine Irreführung über die dem Verbraucher zustehenden Rechte. Denn nach § 357 Abs. 3 Satz 1 BGB muss der Unternehmer für die Rückzahlung dasselbe Zahlungsmittel verwenden, das der Verbraucher bei der Zahlung verwendet hat. Die Vorschrift des § 357 Abs. 3 BGB ist zwar abdingbar. Die Parteien können etwas anderes vereinbaren, soweit dem Verbraucher dadurch keine Kosten entstehen oder der Unternehmer ihm diese ersetzt. Die Vereinbarung muss aber ausdrücklich erfolgen; eine AGB-Klausel reicht nicht aus (vgl. BeckOK BGB/Müller-Christmann, 75. Ed. 1.2.2025, BGB § 357 Rn. 7). Eine abweichende wirksame Vereinbarung ist vorliegend weder von der Beklagten dargetan, noch sonst ersichtlich.

4. Ein Verschulden ist für den Unterlassungsanspruch nicht Voraussetzung (vgl. OLG Hamm Urt. v. 26.05.2011, 4 U 35/11, MMR 2011, 586; Köhler/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, 43. Aufl. 2025, UWG § 8 Rn. 1.2). 5. Es liegt auch die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr vor. Ist es – wie im Streitfall – zu einem Wettbewerbsverstoß gekommen, streitet eine tatsächliche Vermutung für die Wiederholungsgefahr (vgl. BGH Urt. v. 30.04.2014 – I ZR 170/10, GRUR 2014/1120 Rn. 30). 6. Soweit die Beklagte geltend macht, der vorgerichtlichen Abmahnung des Klägers sei keine vorformulierte Unterlassungserklärung beigefügt gewesen, führt dies nicht zu einer anderen Bewertung. Aus der Abmahnung des Klägers aus dem anwaltlichem Schriftsatz vom 05.05.2025, in welchem auf Seite 3 im Fließtext eine vorformulierte Unterlassungserklärung enthalten ist, wird hinreichend deutlich, dass die Beklagte durch die Abgabe einer Unterlassungserklärung die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens abwenden kann. Um die gewünschten Wirkungen der Abmahnung zu erzielen, bedarf es nicht der Beifügung einer vorformulierten Unterlassungserklärung (vgl. Danckwerts/Papenhausen/Scholz/Tavanti WettbProzR/Tavanti, 2. Aufl. 2022, Rn. 93; BeckOK UWG/Scholz, 29. Ed. 1.7.2025, UWG § 13 Rn. 139).



EuGH: Betreiber eines Online-Marktplatzes ist für Verarbeitung der personenbezogenen Daten die in veröffentlichenten Angeboten / Anzeigen enthalten sind verantwortlich

EuGH
Urteil vom 02.12.2025
C-492/23
Russmedia Digital und Inform Media Press


Der EuGH hat entschieden, dass der Betreiber eines Online-Marktplatzes ist für die Verarbeitung der personenbezogenen Daten, die in veröffentlichenten Angeboten / Anzeigen enthalten sind, verantwortlich ist.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Datenschutz: Der Betreiber einer Online-Marktplatz-Website ist für die Verarbeitung der personenbezogenen Daten verantwortlich, die in den auf seiner Plattform veröffentlichten Anzeigen enthalten sind.

In diesem Zusammenhang muss er insbesondere vor der Veröffentlichung die Anzeigen identifizieren, die sensible Daten enthalten, und überprüfen, ob der Inserent tatsächlich die Person ist, deren Daten in einer solchen Anzeige enthalten sind, oder ob er über die ausdrückliche Einwilligung dieser Person verfügt.

Das Unionsrecht verpflichtet den Betreiber einer Online-Marktplatz-Website, im Einklang mit der DSGVO die Verantwortung für die personenbezogenen Daten zu übernehmen, die in den auf seiner Plattform veröffentlichten Anzeigen enthalten sind. Er muss insbesondere geeignete technische und organisatorische Maßnahmen treffen, um vor der Veröffentlichung diejenigen Anzeigen zu identifizieren, die sensible Daten enthalten, und überprüfen, ob der Inserent tatsächlich die Person ist, deren Daten in einer solchen Anzeige enthalten sind. Ist dies nicht der Fall, hat der Betreiber die Veröffentlichung der Anzeige zu verweigern, es sei denn, der Inserent kann nachweisen, dass die betroffene Person ausdrücklich in diese Veröffentlichung eingewilligt hat oder dass die Veröffentlichung unter eine der anderen nach der DSGVO vorgesehenen Ausnahmen fällt . Außerdem muss der Betreiber Maßnahmen durchführen, um zu verhindern, dass solche Anzeigen, wenn sie auf seiner Plattform veröffentlicht werden, kopiert und auf anderen Websites unrechtmäßig veröffentlicht werden. Im Übrigen kann er sich diesen Verpflichtungen auch nicht unter Berufung auf die Richtlinie 2000/31/EG3 entziehen, die u. a. Artikel enthält, die sich auf Sachlagen beziehen, in denen Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft nicht verantwortlich gemacht werden können.

Das Unionsrecht verpflichtet den Betreiber einer Online-Marktplatz-Website, im Einklang mit der DSGVO die Verantwortung für die personenbezogenen Daten zu übernehmen, die in den auf seiner Plattform veröffentlichten Anzeigen enthalten sind. Er muss insbesondere geeignete technische und organisatorische Maßnahmen treffen, um vor der Veröffentlichung diejenigen Anzeigen zu identifizieren, die sensible Daten enthalten, und überprüfen, ob der Inserent tatsächlich die Person ist, deren Daten in einer solchen Anzeige enthalten sind. Ist dies nicht der Fall, hat der Betreiber die Veröffentlichung der Anzeige zu verweigern, es sei denn, der Inserent kann nachweisen, dass die betroffene Person ausdrücklich in diese Veröffentlichung eingewilligt hat oder dass die Veröffentlichung unter eine der anderen nach der DSGVO vorgesehenen Ausnahmen fällt . Außerdem muss der Betreiber Maßnahmen durchführen, um zu verhindern, dass solche Anzeigen, wenn sie auf seiner Plattform veröffentlicht werden, kopiert und auf anderen Websites unrechtmäßig veröffentlicht werden. Im Übrigen kann er sich diesen Verpflichtungen auch nicht unter Berufung auf die Richtlinie 2000/31/EG entziehen, die u. a. Artikel enthält, die sich auf Sachlagen beziehen, in denen Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft nicht verantwortlich gemacht werden können.

Russmedia Digital, eine Gesellschaft rumänischen Rechts, ist Eigentümerin der Website www.publi24.ro, Diese Website ist ein Online-Marktplatz, auf dem Anzeigen kostenlos oder kostenpflichtig veröffentlicht werden können.

Diese Anzeigen betreffen u. a. den Verkauf von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen in Rumänien. Am 1. August 2018 veröffentlichte eine nicht identifizierte Person auf dieser Website eine Nachricht, in der behauptet wurde, dass eine Frau sexuelle Dienstleistungen anbiete. Die Anzeige enthielt Fotos von ihr, die ohne ihre Einwilligung verwendet wurden, sowie ihre Telefonnummer. Die Frau hielt die Anzeige für irreführend und schadensstiftend; sie forderte daher den Eigentümer der Website auf, sie zu entfernen. Innerhalb einer Stunde nach dieser Aufforderung entfernte Russmedia Digital die Veröffentlichung. Die betreffende Anzeige war jedoch bereits auf anderen Websites verbreitet worden, auf denen sie verfügbar blieb.

Unter diesen Umständen ging die Frau, die der Ansicht war, dass die Anzeige ihre Rechte am eigenen Bild, auf Schutz der Ehre, des guten Rufs und des Privatlebens verletze sowie gegen die Vorschriften über die Verarbeitung personenbezogener Daten verstoße, in Rumänien vor Gericht. Das Gericht erster Instanz Cluj-Napoca (Klausenburg) gab ihr Recht und verurteilte Russmedia Digital zur Zahlung von 7 000 Euro als immateriellem Schadensersatz. In der Berufungsinstanz sprach das Fachgericht Cluj das Unternehmen jedoch von seiner Verantwortlichkeit frei und stufte es als einen bloßen Hosting-Anbieter ein, der nicht für den von seinen Nutzern veröffentlichten Inhalt verantwortlich sei.

Das Opfer legte daraufhin ein Rechtsmittel beim Berufungsgericht Cluj ein. Dieses Gericht beschloss, den Gerichtshof anzurufen, um Klarheit über die Auslegung des Unionsrechts zu erhalten, insbesondere zu den Verpflichtungen, die einem Betreiber eines Online-Marktplatzes nach der DSGVO obliegen, sowie zu der Frage, ob dieser sich aufgrund der in der Richtlinie 2000/31 vorgesehenen Haftungsbefreiung für Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft diesen Verpflichtungen entziehen kann.

In seinem heutigen Urteil entscheidet der Gerichtshof, dass der Betreiber eines Online-Marktplatzes wie Russmedia Digital im Sinne der DSGVO für die Verarbeitung der personenbezogenen Daten verantwortlich ist, die in Anzeigen enthalten sind, die auf seinem Online-Marktplatz veröffentlicht werden. Denn auch wenn die Anzeige von einem Nutzer platziert wird, wird sie nur dank dem Online-Marktplatz im Internet veröffentlicht und den Internetnutzern somit zugänglich gemacht.

Daher muss der Betreiber eines Online-Marktplatzes vor der Veröffentlichung dieser Anzeigen durch geeignete technische und organisatorische Maßnahmen diejenigen Anzeigen identifizieren, die sensible Daten enthalten, wie jene, um die es sich in der vorliegenden Rechtssache handelt, und überprüfen, ob der Nutzer, der im Begriff ist, eine solche Anzeige zu platzieren, die Person ist, deren sensible Daten darin enthalten sind.

Ist dies nicht der Fall, muss er überprüfen, ob die Person, deren Daten veröffentlicht werden, in die Veröffentlichung ausdrücklich eingewilligt hat. Ohne diese Einwilligung hat der Betreiber eines OnlineMarktplatzes die Veröffentlichung der fraglichen Anzeige zu verweigern, es sei denn, diese fällt unter eine der anderen nach der DSGVO vorgesehenen Ausnahmen. Außerdem muss sich der Betreiber eines Online-Marktplatzes bemühen zu verhindern, dass Anzeigen mit sensiblen Daten, die auf seiner Website veröffentlicht werden, kopiert und auf anderen Websites unrechtmäßig veröffentlicht werden. Zu diesem Zweck muss er geeignete technische und organisatorische Schutzmaßnahmen treffen.

Schließlich stellt der Gerichtshof klar, dass sich der Betreiber eines Online-Marktplatzes nicht unter Berufung auf die in der Richtlinie 2000/31 vorgesehene Haftungsbefreiung diesen Verpflichtungen, die ihm gemäß der DSGVO obliegen, entziehen kann.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Frankfurt: Ausschöpfen der Berufungsbegründungsfrist ist im einstweiligen Verfügungsverfahren regelmäßig dringlichkeitsschädlich

OLG Frankfurt
Beschluss vom 03.11.2025
3 U 97/25


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass das Ausschöpfen der Berufungsbegründungsfrist im einstweiligen Verfügungsverfahren regelmäßig dringlichkeitsschädlich ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
Das Rechtsmittel des Verfügungsklägers war gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch einstimmigen Beschluss des Senats zurückzuweisen, weil die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch ist aus Gründen der Rechtsfortbildung oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung durch Urteil erforderlich. Zur Begründung wird vollumfänglich auf die Ausführungen im Beschluss vom 14.10.2025 (BI. 34 ff. d.A.) verwiesen. Hieran hält der Senat auch in Ansehung der Stellungnahme vom 29.10.2025 fest. Insbesondere ist ein dringlichkeitsschädliches Verhalten des Verfügungsklägers im Berufungsverfahren nach wie vor zu bejahen.

1. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Partei das Verfahren mit dem nötigen Nachdruck verfolgt und damit ihr Interesse an einer dringlichen Rechtsdurchsetzung in einem Eilverfahren dokumentiert hat, ist ihr gesamtes prozessuales und vorprozessuales Verhalten in den Blick zu nehmen (BeckOK ZPO/Elzer/Mayer, 58. Ed. 1.9.2025, ZPO § 935 Rn. 89, m.N. beck-online). Dabei ist das Verschulden des Prozessbevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO der Partei zuzurechnen.

2. Auch ein nach dem Prozessrecht statthaftes Ausschöpfen gesetzlicher Fristen kann die Dringlichkeitsvermutung widerlegen, denn die Frage, innerhalb welcher prozessualen Frist ein Rechtsmittel eingelegt und begründet werden muss, um zulässig zu sein, und die Frage, innerhalb welcher Zeit ein Verfügungskläger im Verfügungsverfahren tätig werden muss, um nicht durch sein eigenes Verhalten die Vermutung der Dringlichkeit zu widerlegen, haben unmittelbar nichts miteinander zu tun (vgl. etwa OLG München, Urteil vom 10.01.1980 - 6 U 3974/79 - GRUR 1980, 329, 330; OLG Nürnberg, Urteil vom 24.10.2023 - 3 U 965/23 WRP 2024, 116, 118; Teplitzky, WRP 2013, 1414, 1417 f.). Soweit der Verfügungskläger dies unter Hinweis auf die Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte in Abrede stellt, ergibt sich weder aus den zitierten Entscheidungen ein solcher Rechtssatz, noch kann ihm gefolgt werden. Vielmehr hat auch das OLG Nürnberg in dem seitens des Verfügungsklägers nunmehr zitierten Urteil vom 24.10.2023 (Az. 3 U 965/23, WRP 2024, 116, 119) darauf hingewiesen, dass in bestimmten Fallgestaltungen ein Ausschöpfen gesetzlicher Fristen die Dringlichkeitsvermutung sehr wohl widerlegen kann (in diesem Sinne etwa auch OLG Köln, Urteil vom 15.12.1978 - 6 U 144/78 GRUR 1979, 172, 173 f.; OLG München, Urteil vom 10.01.1980-6 U 3974/79-, GRUR 1980, 329, 330; Beschluss vom 29.07.1980 - 6 W 1509/80 GRUR 1980, 1017, 1019; Retzer, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, S 12, Rdnr. 93; Schüttpelz, in: Berneke/SchüttpeIz, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 4. Aufl. 2018, Abschnitt B, Rdnr. 206; Teplitzky, WRP 2013, 1414, 1417 f.; ders., in: Büscher u. a. (Hrsg.), Festschrift für Joachim Bornkamm zum 65. Geburtstag, 2014, S. 1073 (1080 f.)).

3. Wie bereits im Hinweisbeschluss ausgeführt, sind für die Beurteilung die Umstände des Einzelfalls maßgeblich (so etwa auch OLG Köln, Urteil vom 15.12.1978 - 6 U 144/78 -t GRUR 1979, 172, 173). Hierzu hatte der Senat näher dargelegt, warum in diesem Fall das Einreichen der Berufungsbegründung sieben Wochen nach der Einlegung der Berufung dringlichkeitsschädlich ist. Diesen Ausführungen ist der Verfügungskläger lediglich mit pauschalen Schlagworten wie "Arbeitsüberlastung", "Koordination mit Mandanten" und "sorgfältige Prüfung rechtlicher Argumente" entgegenzutreten, ohne einen konkreten Sachverhalt vorzutragen, der es nachvollziehbar erscheinen lässt, warum die Erstellung dieser (fünfseitigen) Berufungsbegründung sieben Wochen gedauert hat. In diesem Zusammenhang wird nochmals darauf hingewiesen, dass sowohl das angefochtene Urteil als auch die Berufungsbegründung einen deutlich unterdurchschnittlichen Umfang aufweisen, dass die Berufungsbegründung überwiegend aus einer Wiederholung der erstinstanzlichen Argumentation besteht und dass aufgrund der Eilbedürftigkeit des einstweiligen Verfügungsverfahrens eine entsprechende Priorisierung erwartet werden kann.

Ergänzend sei noch angemerkt, dass das prozessuale Verhalten des Prozessbevollmächtigten des Verfügungsklägers in erster Instanz ebenfalls erste Verzögerungstendenzen erkennen lässt. Er hatte im Termin vor dem Landgericht gerügt, dass der Verfügungsbeklagte persönlich per Bild- und Tonübertragung zugeschaltet wurde und die Auffassung vertreten, dass dies nicht zulässig sei. Nachdem der Einzelrichter die Teilnahme des Verfügungsbeklagten per Bild- und Tonübertragung genehmigt hatte, hat er erklärt, hiergegen Einspruch einlegen zu wollen.

Außerdem hat der Prozessbevollmächtigte des Verfügungsklägers die Prozessvollmacht des Prozessbevollmächtigten des Verfügungsbeklagten gerügt. Nachdem der Verfügungsbeklagte diese per Bild- und Tonübertragung bestätigt hat, hat der Prozessbevollmächtigte des Verfügungsklägers die Auffassung vertreten, dass diese Erklärung aus formalen Gründen unwirksam sei. Wollte man seiner Argumentation folgen, so hätte das Landgericht nach § 89 Abs. 1 ZPO vorgehen müssen, was zu einer (weiteren) Verzögerung der Entscheidung geführt hätte. Wer dringend eine einstweilige Verfügung erwirken möchte, verhält sich so nicht.

Soweit der Verfügungskläger in der Stellungnahme seines Prozessbevollmächtigten vom 29.10.2025 noch vortragen lässt, die vom Senat beabsichtigte Entscheidung führe zu einer uneinheitlichen Obergerichtlichen Rechtsprechung und mache "eine mündliche Verhandlung und ggf. dann auch Zulassung der Revision zur Sicherung der Rechtseinheit erforderlich", sei darauf aufmerksam gemacht, dass gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung entschieden worden ist, die Revision nicht stattfindet (§ 542 Abs. 2 ZPO).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Schleswig-Holstein: § 3 Abs. 3a Satz 1 Messstellenbetriebsgesetz (MsbG) ist keine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG

OLG Schleswig-Holstein
Urteil vom 13.11.2025
6 U 36/24


Das OLG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass § 3 Abs. 3a Satz 1 Messstellenbetriebsgesetz (MsbG) keine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Unterlassungsverpflichtung gegen die Beklagte aus §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 3, 3 Abs. 1, 3a UWG in Verbindung mit § 3 Abs. 3a Satz 1 Messstellenbetriebsgesetz (MsbG). Es kann dahinstehen, ob es sich - wie das Landgericht verneint hat - bei dem unstreitig vorliegenden schlichten Fristversäumnis der Beklagten im Sinne von § 3 Abs. 3a Satz 1 MsbG überhaupt um eine geschäftliche Handlung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG handelt, da es sich bei § 3 Abs. 3a Satz 1 MsbG schon nicht um eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG handelt.

Ein Verstoß gegen die Verpflichtung der Beklagten zu Änderung der Messeinrichtung innerhalb eines Monats nach Auftragseingang liegt unstreitig vor. Die Beklagte ist dem Änderungswunsch ihres Vertragspartners nicht fristgerecht nachgekommen. Die Verpflichtung innerhalb des nach § 9 MsbG zwischen dem Kunden und der Beklagten bestehenden Messstellenvertrags ergibt sich unmittelbar aus § 3 Abs. 3a Satz 1 MsbG.

Die Vorschrift stellt jedoch keine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG dar. Obergerichtliche Rechtsprechung zu dieser Frage liegt, soweit für den Senat erkennbar, bisher nicht vor. Der Senat ist nach Auswertung der Literatur und Rechtsprechung zu den Anforderungen an eine Marktverhaltensregelung und in Ansehung der gesetzlichen Norm, seiner Entstehungsgeschichte und der Gesetzesbegründung davon überzeugt, dass sie keine Marktverhaltensregelung darstellt, da es an einem Bezug zu einem Marktverhalten fehlt (hierzu unter a.). Zudem ist nicht erkennbar, dass die Regelung zum Schutz der Marktteilnehmer getroffen worden ist, also zumindest auch ihren Schutz als Marktteilnehmer bezweckt (hierzu unter b.).

a. Eine Marktverhaltensregelungen ist grundsätzlich eine solche gesetzliche Regelung, die nicht das „ob“, sondern das „wie“ des Wettbewerbs regelt (BeckOK UWG/Niebel/Bauer/Kerl, 29. Ed. 1.7.2025, UWG § 3a Rn. 21, beck-online). Der Begriff des Marktverhaltens erfasst dabei jede Tätigkeit auf einem Markt, die objektiv der Förderung des Absatzes oder dem Bezug dient und durch die ein Unternehmer auf Mitbewerber, Verbraucher oder andere Marktteilnehmer einwirkt. Erfasst werden damit das Angebot von und die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen, das Anbahnen von Geschäften durch Werbung sowie der Abschluss und die Durchführung von Absatzverträgen (Köhler/Feddersen/Köhler/Odörfer, 43. Aufl. 2025, UWG § 3a Rn. 1.62). Ein Gesetz regelt ein solches Marktverhalten, wenn es dieses Handlungs- oder Unterlassungspflichten unterwirft. Beispielhaft zu nennen sind Werberegelungen, Informations- und Kennzeichnungspflichten oder Regelungen von Öffnungszeiten (BeckOK UWG/Niebel/Bauer/Kerl, 29. Ed. 1.7.2025, UWG § 3a Rn. 21, beck-online).

Stellte man allein auf das Merkmal der „Durchführung von Verträgen“ ab, könnte man die Verpflichtung aus § 3 Abs. 3a Satz 1 MsbG als eine Tätigkeit auf dem Markt auffassen, da sie im Zusammenhang mit der Durchführung des Messstellenvertrags steht. Allerdings kann nach Auffassung des Senats nicht jede gesetzeswidrige Tätigkeit eines Unternehmers im Zusammenhang mit der Durchführung eines Vertragsverhältnisses ausreichen, um einen unlauteren Verstoß gegen eine Marktverhaltensregelung anzunehmen.

Hinsichtlich der Kommentierung in Köhler/Feddersen ist darauf hinzuweisen, dass das dort zitierte Urteil des Kammergerichts sich auf einen Fall bezieht, in welchem ein lauterkeitsrechtlich relevantes Verhalten im Zusammenhang mit Datenschutzverstößen gerade nicht angenommen wurde. Ebenso verhält es sich mit dem vom Kläger zitierten Urteil des BGH zur Eizellspende (BGH, Urteil vom 08.10.2015 - I ZR 225/13, Rn. 21 ; NJOZ 2016, 1618 Rn. 21, beck-online). Auch dort wurde ein wettbewerbswidriges Verhalten bzw. ein Anspruch abgelehnt. Der BGH führt hierzu aus (Rn. 21 - beck online):

„(1) Eine Norm regelt das Marktverhalten im Interesse der Mitbewerber, Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer, wenn sie einen Wettbewerbsbezug in der Form aufweist, dass sie die wettbewerblichen Belange der als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in Betracht kommenden Personen schützt (vgl. BGHZ 155, 301 [305] = NJW 2003, 3343 – Telefonischer Auskunftsdienst; BGHZ 173, 188 = NJW 2008, 758 Rn. 35 – Jugendgefährdende Medien bei eBay). Eine Vorschrift, die dem Schutz von Rechten, Rechtsgütern oder sonstigen Interessen von Marktteilnehmern dient, ist eine Marktverhaltensregelung, wenn das geschützte Interesse gerade durch die Marktteilnahme (vgl. OLG Köln, NJW 2010, 90 = GRUR-RR 2010, 34; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2012, 396 [399] = NJW 2012, 3312; MüKoUWG/Schaffert, § 4 Nr. 11 Rn. 60), also durch den Abschluss von Austauschverträgen und den nachfolgenden Verbrauch oder Gebrauch der erworbenen Ware oder in Anspruch genommenen Dienstleistung berührt wird (vgl. UWG/Metzger, § 4 Nr. 11 Rn. 38; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, § 4 Rn. 11.35 d). Nicht erforderlich ist eine spezifisch wettbewerbsbezogene Schutzfunktion in dem Sinne, dass die Regelung die Marktteilnehmer speziell vor dem Risiko einer unlauteren Beeinflussung ihres Marktverhaltens schützt (vgl. BGH, GRUR 2010, 754 Rn. 20 ff. = WRP 2010, 869 – Golly Telly; GRUR 2011, 633 = NJW-RR 2011, 1125 Rn. 34 = WRP 2011, 858 – BIO TABAK; aA Ohly in Ohly/Sosnitza, UWG, 6. Aufl., § 4 Rn. 11/25; Gärtner/Heil, WRP 2005, 20 [22]; Scherer, WRP 2006, 401 [404]). Die Vorschrift muss jedoch – zumindest auch – den Schutz der wettbewerblichen Interessen der Marktteilnehmer bezwecken; lediglich reflexartige Auswirkungen zu deren Gunsten genügen daher nicht (BGHZ 144, 255 [267 f.] = NJW 2000, 3351 = GRUR 2000, 1076 – Abgasemissionen; BGH, GRUR 2007, 162 = NJW-RR 2007, 335 Rn. 12 = WRP 2007, 177 – Mengenausgleich in Selbstentsorgergemeinschaft; GRUR 2010, 654 Rn. 18 = GRUR 2010, 654 = WRP 2010, 876 – Zweckbetrieb; MüKoUWG/Schaffert, § 4 Nr. 11 Rn. 57; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, § 4 Rn. 11.35 a).“

Die Ausführungen zeigen, dass eine Marktverhaltensregelung dann vorliegen kann, wenn sie ein Interesse eines Marktteilnehmers schützt, was gerade durch die Marktteilnahme im Sinne eines Vertragsabschlusses oder der folgenden Inanspruchnahme einer Dienstleistung berührt wird. Es bedarf also bei Inanspruchnahme einer Dienstleistung einer „Marktteilnahme“. Für eine Qualifizierung als Marktverhaltensregelung ist nicht ausreichend, dass die Vorschrift schlicht die Durchführung eines Vertrags und gewisse Leistungsfristen regelt. Sonst wären auch viele Regelungen des BGB Marktverhaltensregelungen, sobald gegen sie durch eine geschäftliche Handlung des Unternehmers verstoßen wird.

Auch im Münchener Kommentar (MüKoUWG/Schaffert, 3. Aufl. 2020, UWG § 3a Rn. 63, beck-online) findet sich daher folgende Einschränkung:

„Kein Marktverhalten stellen vice versa grundsätzlich diejenigen Betätigungen dar, die – wie etwa die Produktion, die Forschung und Entwicklung sowie das Verhalten gegenüber Arbeitnehmern – nicht auf dem Markt erfolgen, sondern der dortigen Betätigung vorangehen oder nachfolgen und damit keine unmittelbare Auswirkung auf den Markt haben.“

Ebenso vertritt der BGH die Auffassung, dass eine Marktverhaltensregel - zumindest auch - den Schutz der wettbewerblichen Interessen der Marktteilnehmer bezwecken muss; lediglich reflexartige Auswirkungen zu deren Gunsten genügen daher nicht (s.o., BGH, Urteil vom 27. April 2017 – I ZR 215/15 –, Rn. 20, juris; BGH, Urteil vom 11. Mai 2000 - I ZR 28/98, BGHZ 144, 255, 267 f. - Abgasemissionen; Urteil vom 29. Juni 2006 - I ZR 171/03, GRUR 2007, 162 Rn. 12 = WRP 2007, 177 - Mengenausgleich in Selbstentsorgergemeinschaft; Urteil vom 2. Dezember 2009 - I ZR 152/07, GRUR 2010, 654 Rn. 18 = WRP 2010, 876 - Zweckbetrieb; BGH, GRUR 2016, 513 Rn. 21 – Eizellspende).

Nach Auffassung des Senats regelt die Vorschrift des § 3 Abs. 3a Satz 1 MsbG nicht das Verhalten der Beklagten „auf dem Markt“, sondern das Verhalten des Messstellenbetreibers gegenüber seinem Vertragspartner, dem Anschlussnutzer oder Anschlussnehmer. Hierbei dürfte es sich um ein Verhalten handeln, welches einem Auftreten auf dem Markt, nämlich z.B. der Werbung eines Messstellenvertragskunden, nachfolgt. Das Handeln oder Unterlassen im Zusammenhang mit der Fristüberschreitung geschieht daher nicht auf dem Markt, sondern innerhalb des Vertragsverhältnisses. Auch der Antrag auf Änderung der Messeinrichtung ist schließlich keine „Marktteilnahme“, weder durch die Beklagte noch durch den Anschlussnehmer.

Soweit der Kläger darauf hinweist, die Beklagte spare Personal und Ressourcen, wenn sie durch systematische Nichtvornahme der Anschlussänderung die Kunden zur Selbstvornahme dränge, ist dieser Vortrag unsubstantiiert, da nicht erkennbar ist, dass es zu solchen Fällen gekommen wäre. Soweit sie meint, die Kunden seien genötigt, im Falle einer nicht fristgerechten Änderung weiterhin den Strom beziehen zu müssen, den sie anderenfalls schon selbst hätten erzeugen können, ist nicht erkennbar, dass die Regelung den Schutz der Kunden vor solchen ggf. eintretenden Wirkungen bezwecken würde. Auch ist ein zielgerichtetes Interesse der Beklagten oder eines Messstellenbetreibers hieran nicht erkennbar, da ein Messstellenbetreiber sich bei nicht fristgerechter Änderung möglichen Schadensersatzansprüchen aussetzt.

Soweit der Kläger auf die Rechtsprechung zu § 40c EnWG (Fristgerechte Stromabrechnungen) hinweist und auch dort ein Verhalten innerhalb oder nach einem Vertragsverhältnis betroffen sei, greift dieser Vergleich nach Auffassung des Senats nicht, weil in § 1 Abs. 4 Nr. 1 EnWG ausdrücklich als Ziel des Gesetzes die Stärkung der freien Preisbildung durch „wettbewerbliche Marktmechanismen“ genannt ist. Damit dürfte klargestellt sein, dass die Vorschrift Marktverhaltensregelungen enthält. Der Gesetzgeber hat mittlerweile für einzelne Gesetze, die nach den allgemeinen Grundsätzen keine oder jedenfalls nicht durchweg Marktverhaltensregelungen enthalten, zur Erreichung der mit den Regelungen verfolgten (z.B. abfallwirtschaftlichen) Ziele ausdrücklich bestimmt, dass diese Gesetze das Marktverhalten der durch sie Verpflichteten regeln sollen (z.B. § 1 VerpackV, § 1 ElektroG). Zugleich sollen durch die explizite Kennzeichnung als Marktverhaltensregelung teilweise auch die Marktteilnehmer vor unlauterem Wettbewerb geschützt werden (vgl. MüKoUWG/Schaffert, 3. Aufl. 2020, UWG § 3a Rn. 64, beck-online).

Eine solche Regelung enthält das MsbG in Bezug auf § 3 Abs. 3a Satz 1 nicht. Auch aus der Gesetzesbegründung ergibt sich nicht, dass eine Gewährleistung des Wettbewerbs bei der Schaffung von § 3 Abs. 3a Satz 1 MsbG beabsichtigt gewesen wäre, da die Zielsetzung die Digitalisierung der Energiewirtschaft und die Sicherung des zügigen Netzanschlusses war. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu (BT-Drs. 20/5549, Seite 43):

„Die mit Absatz 3a eingeführte Fristvorgabe gegenüber dem grundzuständigen Messstellenbetreiber in Kombination mit einem Selbstvornahmerecht durch einen fachkundigen Dritten soll einen zügigen Netzanschluss absichern und zugleich dem Anschlussnehmer ein letztes Mittel in die Hand geben, um in Ausnahmefällen selbst für eine rechtzeitige Änderung oder Ergänzung einer Messeinrichtung sorgen, wenn dies durch den Messstellenbetreiber nicht gewährleistet ist. Derartige Maßnahmen sind insbesondere für den Neuanschluss von Erneuerbare-Energien-Erzeugungsanlagen, Wärmepumpen oder Ladepunkten für Elektromobile häufig Voraussetzung. In der Praxis sind erhebliche Wartezeiten bei der Inbetriebnahme zu verzeichnen. Grundzuständige Messstellenbetreiber benennen zum Teil Lieferprobleme bei der Beschaffung der erforderlichen Zähler, teilweise Personalmangel als Grund. Die neue Regelung in Satz 2 gibt dem Anschlussnutzer oder dem Anschlussnehmer als ultima ratio die Möglichkeit, nach Ablauf der genannten Frist ersatzweise selbst und auf eigene Kosten geeignete Messtechnik einbauen zu lassen, um auf diese Weise die messtechnischen Voraussetzungen für die Inbetriebnahme der Anlage herbeiführen zu können. Auch die Selbstvornahme hat unter Einhaltung der geltenden anerkannten Regeln der Technik zu erfolgen. Um eine möglichst breite Verfügbarkeit geeigneter Messtechnik für diesen Sonderfall der Selbstvornahme zu erschließen, stellt die Regelung klar, dass Vorgaben nach § 8 Absatz 2 in Bezug auf die Art der einzubauenden Messeinrichtung in diesem Fall nicht bindend sind. Dies bezieht sich namentlich auf die Bauform des einzusetzenden Zählers. Bei Erfüllung der geltenden gesetzlichen Vorschriften, insbesondere bei Einhaltung der eichrechtlichen Vorgaben, sind auch Zähler anderer Bauart, etwa Hutschienenzähler, zulässig. Die Selbstvornahme ändert nichts an der bestehenden Zuständigkeit des grundzuständigen Messstellenbetreibers für den Betrieb der Messstelle und an dem Recht des Messstellenbetreibers zum Einbau und Betrieb von Messeinrichtungen seiner Wahl. Damit dieser seine gesetzlichen Pflichten ordnungsgemäß erfüllen kann, wird der Auftraggeber der Selbstvornahme verpflichtet, dem grundzuständigen Messstellenbetreiber alle erforderlichen Informationen zur Verfügung zu stellen. Bei vorhandenen intelligenten Messsystemen scheidet aufgrund der höheren sicherheitstechnischen Anforderungen eine Selbstvornahme aus.“

Gerade die Kenntnis und ausdrückliche Erwähnung durch den Gesetzgeber, dass der Messstellenbetreiber seiner Verpflichtung zur Einrichtung oder Änderung der Messeinrichtung binnen eines Monats in der Praxis oftmals nicht nachkommen kann, u.a. wegen Lieferproblemen und Personalmangel, spricht nach Auffassung des Senats dafür, dass der Gesetzgeber hier durch Einführung einer Frist nicht die wettbewerblichen Interessen der Marktteilnehmer schützen wollte. Der Gesetzgeber hat schließlich das Problem der Fristüberschreitung in der Praxis gesehen und dies dadurch entschärft, dass er – neben den bestehenden vertraglichen Ansprüchen der Anschlussnehmer auf Vornahme der Leistung und ggf. zivilrechtlichen Ansprüchen aus Leistungsstörungen – ein gesondertes Selbstvornahmerecht in § 3 Abs. 3a Satz 2 MsbG eingeführt hat. Hätte der Gesetzgeber die Regelung als Marktverhaltensregel gestalten wollen, hätte er darauf hinweisen können, dass die Fristeinhaltung im Sinne eines fairen Wettbewerbs gewährleistet werden müsse. Da ein solcher gesetzgeberischer Wille nicht erkennbar ist, geht es evident nicht um Fragen des Wettbewerbs, sondern um eine Erleichterung für den Anschlussnehmer, die Anlage möglichst unverzüglich in Betrieb zu nehmen, sofern er hierfür eine Änderung seiner Messeinrichtung benötigt.


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OLG Stuttgart: Klick auf Schaltfläche "JETZT RESERVIERN" ist kein Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrages - click and collect

OLG Stuttgart
Urteil vom 25.11.2025
6 UKl 1/25


Das OLG Stuttgart hat entschieden, dass ein Klick auf die Schaltfläche "JETZT RESERVIERN" kein Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrages ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Klage ist begründet, soweit der Kläger die Unterlassung der Verwendung der Klausel in Teil 2, 2. Nr. 7 der AGB der Beklagten verlangt, wenn zugleich die Klausel in Teil 2, 2. Nr. 5 der AGB verwendet wird.

a) Die beanstandete Klausel ist (nur) in Verbindung mit der Klausel in Teil 2, 2. Nr. 5 im Sinne des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unklar und daher gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam, wenn sie in dieser Kombination verwendet wird.

Ob die Klauselkombination auch infolge einer Abweichung von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam sein könnte, wie der Kläger meint, kann daher offen bleiben.

aa) Gemäß §§ 145 ff. BGB kommt ein Vertrag durch zwei aufeinander bezogene Willenserklärungen, Angebot und Annahme, zustande.

Auf diese Vertragsschlussmechanik nimmt die Beklagte in Teil 2, 2. Nr. 5 ihrer AGB terminologisch erkennbar Bezug, wenn sie aus dem Klick des Verbrauchers auf die Schaltfläche "JETZT RESERVIEREN" ein "Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrages" konstruiert.

bb) Damit wäre zu erwarten, dass im Weiteren die Modalitäten einer damit korrespondierenden "Annahme" seitens der Beklagten geregelt würden.

Eine solche Regelung findet sich jedoch weder in der erwartbaren Terminologie ("Annahme"), noch sonst. Stattdessen findet sich zum weiteren Ablauf des Vertragsschlusses die Klausel in Teil 2, 2. Nr. 7, wonach "ein Kaufvertrag nur zustande" komme, "wenn Sie die Artikel in der Filiale entgegennehmen und bezahlen".

Dass ein Vertrag erst in der Filiale durch Entgegennahme und Bezahlung zustandekomme, ist jedoch im Hinblick auf die vorherige Klausel über die bereits erfolgte Abgabe eines Angebots jedenfalls irritierend; soll der Vertrag erst bei Zahlung in der Filiale - und damit in derselben Weise wie beim Kauf eines ohnehin in der Filiale vorrätigen Artikels - zustandekommen, erscheint völlig unklar, welchen Zweck dann die Klausel nach Teil 2, 2. Nr. 5 zur Abgabe eines Angebotes bereits beim Klick auf die Schaltfläche "JETZT RESERVIEREN" haben könnte.

Eine irritierende Regelung, deren Zweck unverständlich ist, ist jedoch nicht im Sinne des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB "klar und verständlich." Die - für sich genommen unproblematische - Klausel in Teil 2, 2. Nr. 7 der AGB der Beklagten ist daher in Kombination mit der Klausel in Nr. 5 gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam.

cc) Soweit der Kläger nach der Formulierung seines Antrags auf den Abschluss von Kaufverträgen Bezug genommen hat, ist das im Urteilstenor - lediglich klarstellend - korrigiert.

b) Soweit der Unterlassungsanspruch aus § 1 UKlaG als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr voraussetzt, spricht für deren Vorliegen bei der Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine tatsächliche Vermutung (vgl. nur BGH, Urteil vom 17. Juli 2025 – III ZR 53/24 –, Rn. 34, juris), zu deren Entkräftung die Beklagte nichts vorgetragen hat.

c) Ob sich ein Unterlassungsanspruch auch aus verbraucherschützenden Normen des UWG ergeben könnte, kann, nachdem der Anspruch schon aus § 1 UKlaG in Verbindung mit § 307 Abs. 1 BGB besteht, offen bleiben.

3. Die Klage ist unbegründet, soweit der Kläger von der Beklagte die Unterlassung der Klausel in Teil 2, 4. Nr. 1 ihrer AGB ("Für Lieferungen in die Filiale steht Ihnen kein gesetzliches Widerrufsrecht zu") begehrt.

Denn die Klausel gibt die Rechtslage zutreffend wieder, so dass sowohl ein Anspruch aus § 1 UKlaG als auch Ansprüche nach § 2 Abs. 1 UKlaG in Verbindung mit verbraucherschützenden Normen des UWG unter dem Gesichtspunkt der Irreführung ausscheiden.

a) Ein gesetzliches Widerrufsrecht kommt vorliegend auch nach Auffassung des Klägers höchstens als Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen gemäß §§ 312c, 312g BGB in Betracht.

b) Ein Fernabsatzvertrag liegt aber nicht vor.

aa) Das würde gemäß § 312c BGB voraussetzen, dass Unternehmer bzw. in dessen Namen oder dessen Auftrag handelnde Personen einerseits und Verbraucher andererseits für Vertragsverhandlungen und Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwenden würden.

bb) Das ist nicht der Fall; vielmehr verwenden in der streitgegenständlichen Variante der Lieferung in die Filiale weder Unternehmer noch Verbraucher zum Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel.

Wie bereits oben 1. a) bb) (1) ausgeführt, gibt der Verbraucher durch Anklicken der Schaltfläche "JETZT RESERVIEREN" keine auf den Abschluss eines Kaufvertrages gerichtete Willenserklärung ab; andere Erklärungen gibt er per Fernkommunikationsmittel nicht ab.

Dasselbe gilt - erst recht - für die Beklagte; auch der Kläger legt nicht dar, inwiefern sich diese beim Vertragsschluss irgendwelcher Fernkommunikationsmittel bedienen sollte.


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OLG Dresden: Wettbewerbswidrige Irreführung durch Werbung mit "unabhängiger Versicherungsmakler" wenn dieser Provisionen von der Versicherung erhält

OLG Dresden
Urteil vom 28.10.2025
14 U 1740/24

Das OLG Dresden hat entschieden, dass eine wettbewerbswidrige Irreführung durch Werbung mit "unabhängiger Versicherungsmakler" vorliegt, wenn dieser Provisionen von der Versicherung erhält.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Kläger kann gemäß Antrag Ziff. 1. von der Beklagten aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 3, § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1, 2 Nr. 1, 3 UWG verlangen, es zu unterlassen, sich im Rahmen geschäftlicher Handlungen auf ihrer Internetseite gegenüber Verbrauchern als "unabhängiger Versicherungsmakler", "unabhängiger Finanzmakler" oder "unabhängiger Ansprechpartner für Versicherungsleistungen" oder als "unabhängig" zu bezeichnen oder mit "unabhängiger Beratung" zu werben, da diese angegriffenen Handlungen der Beklagten auf ihrer Webseite (K 1 - K 3) irreführend sind. Irreführend ist eine geschäftliche Handlung, wenn das Verständnis, das sie bei den angesprochenen Verkehrskreisen erweckt, mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht übereinstimmt (BGH WRP 2014, 57 - Vermittlung von Netto-Policen, mwN).

1. Maßgeblich hierfür ist zunächst, welchen Gesamteindruck die jeweilige geschäftliche Handlung bei dem angesprochenen Verkehrskreis hervorruft (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 2024 - I ZR 98/23 - klimaneutral, Rn. 18 m.w.N., juris; Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 42. Aufl. 2024, § 5 Rn. 1.81). Dabei kommt es auf die Auffassung des durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers an, der einer Werbung die der Situation angemessene Aufmerksamkeit entgegenbringt (st. Rspr., vgl. BGH GRUR 2000, 619 juris Rn. 20 - Orient-Teppichmuster; Köhler/Bornkamm/Feddersen, a.a.O. Rn. 1.76 ff. m.w.N.). Der angesprochene Verkehrskreis besteht hier in den (potentiellen) Kunden von Versicherungen, d.h. den Versicherungsinteressenten und Versicherungsnehmern. Zu den am Abschluss sowie der Änderung oder Beendigung eines Versicherungsvertrages interessierten, vom Antrag allein erfassten Verbrauchern gehören mögliche Neukunden ebenso wie Altkunden. Dies erstreckt sich auch auf die an Finanzdienstleistungen interessierten Marktteilnehmer. Die Mitglieder des Senats sind Teil dieses angesprochenen Verkehrskreises. Sie können daher auf Grund eigener Sachkunde entscheiden (BGH GRUR 2012, 1053 - Marktführer Sport). Die Einholung eines demoskopischen Sachverständigengutachtens zur Verkehrsbefragung war nicht erforderlich.

2. Aufgrund der beanstandeten Angaben i.S.v. § 5 Abs. 2 Nr. 1, 3 UWG entsteht bei einem erheblichen Teil des Verkehrs der Gesamteindruck, die Tätigkeit des "unabhängigen" Versicherungsmaklers würde für ihn ohne finanziellen Vorteil durch einen Versicherer erfolgen. Eigeninteressen des Versicherungsmaklers, die sich ansonsten aus einer Vergütung durch den Versicherer ergeben können, blieben aus, weil sie ihm nicht zuwachse.

a) Der Auffassung der Beklagten, "unabhängig" werde beim Versicherungsmakler lediglich so verstanden, dass er nicht von einem einzelnen oder einer im Hinblick auf den Gesamtmarkt irrelevant kleinen Anzahl von Anbietern gesteuert, sondern von hinreichend vielen Anbietern gleich behandelt werde, schließt sich der Senat nicht an. Die beworbene Unabhängigkeit eines Versicherungsmaklers wird von einem maßgeblichen Teil des Publikums nicht so aufgefasst, dass finanzielle Vorteile seitens der Versicherer gleich gewährt werden, sondern gänzlich unterbleiben. Dabei brauchen entgegen der vom Bundesverband Deutscher Versicherungsmakler e.V. in Auftrag gegebenen gutachterlichen Stellungnahme vom 7.10.2025 (KJR 11) die finanziellen Vorteile, die einer Unabhängigkeit entgegenstehen, nicht so weit zu reichen, dass sie mit einem bestimmten Versicherer einen übermäßigen Courtage-Umsatz oder sogar den ganz überwiegenden Teil der Einkünfte des Versicherungsmaklers ausmachen und er ohne sie seine wirtschaftliche Existenzgrundlage verlöre. Vielmehr genügt nach einem erheblichen Teil des Verkehrs ein finanzieller Vorteil, der sich im jeweiligen Einzelfall auswirken und dem Versicherungsmakler die Unabhängigkeit nehmen könnte.

b) Ausgangspunkt für die Prüfung des erzeugten Gesamteindrucks ist der Wortsinn im allgemeinen Sprachgebrauch (BGH WRP 2002, 74 - Das Beste jeden Morgen). Da sich der Kläger nach dem Antrag auf die Webseite der Beklagten und damit die konkrete Verletzungsform bezieht, ist auf das Verständnis in diesem Zusammenhang abzustellen (vgl. BGH WRP 2022, 837 Rn. 26 - Kinderzahnärztin). Dem trägt die gutachterliche Stellungnahme vom 7.10.2025 (KJR 11) nicht hinreichend Rechnung. Nach dem Sprachverständnis bedeutet "unabhängig" im Streitfall, von einem Einfluss seitens der Versicherer frei zu sein. Die Vorstellung von einem erheblichen Teil des angesprochenen Verkehrs geht dabei dahin, dass der unabhängige Versicherungsmakler frei von einer möglichen Einflussnahme dadurch sei, auch nur von einem einzelnen und erst recht von einer kleinen oder größeren Anzahl von Anbietern Vergütungen oder sonstige Zuwendungen zu erhalten. Mit der Bezeichnung des Versicherungsmaklers als unabhängig gewinnt ein relevanter Teil des Verkehrs den Eindruck, der Versicherungsmakler stehe zu keinem Anbieter in einem Provisionsverhältnis oder einer sonstigen Abgängigkeit und sei schon deshalb auch frei von der Möglichkeit eines vorrangigen Provisionsinteresses.

c) Über den Wortsinn hinaus können auch gesetzliche Ausprägungen für den zu ermittelnden Gesamteindruck von Bedeutung sein. Denn die Verkehrsauffassung kann durch Rechtsvorschriften grundsätzlich in der Form beeinflusst werden, dass sie den bestehenden Normen entspricht (vgl. BGH WRP 2009, 1095 - Versicherungsberater; BGH GRUR 2020, 299 Rn. 17 - IVD-Gütesiegel; BGH GRUR 2021, 1315 Rn. 21 - Kieferorthopädie, m.w.N.). Dies ist jedoch nicht zwingend, sondern bedarf der Prüfung im Einzelfall (BGH WRP 2022, 837 Rn. 32 - Kinderzahnärztin).

Im Streitfall ist nach der Legaldefinition in § 59 Abs. 3 VVG und § 34d Abs. 1 S. 2 Nr. 2 GewO der Versicherungsmakler im Unterschied zum Versicherungsvertreter nicht von einem Versicherer, sondern von einem Kunden mit einem Vermittlungsgeschäft betraut. Der Versicherungsmakler bemüht sich um die Vermittlung des für den Versicherungsnehmer passendsten Versicherungsvertrags, indem er nach einer eingehenden Untersuchung des zu versichernden Risikos und einer Deckungsanalyse, d.h. nach der Ermittlung der richtigen Versicherungsart und der bedarfsgerechten Versicherungssumme, das Angebot für den im jeweiligen Einzelfall geeignetsten Versicherungsschutz beschafft (i.e. Bedarfsermittlung, Beratung und Dokumentation, vgl. Prölss/Martin/Dörner, 32. Aufl. 2024, VVG § 59 Rn. 73). Eine Beschränkung der Beratungsgrundlage auf eine bestimmte Auswahl an Versicherern und Versicherungsverträgen oder sogar nur einen bestimmten Versicherer oder Vertrag lässt § 60 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 VVG lediglich zu, wenn der Versicherungsmakler im Einzelfall ausdrücklich darauf hinweist.

Aus diesen Vorschriften erschließt sich indessen nicht, dass sich ein Versicherungsmakler als unabhängig bezeichnen dürfte. Versicherungsmakler, die ihr Gewerbe im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften des VVG, der VersVermV und der GewO ausüben, handeln gesetzeskonform, aber nicht bereits deswegen auch unabhängig. Darauf nimmt die gutachterliche Stellungnahme vom 7.10.2025 (KJR 11) nicht ausreichend Bedacht.

Ein nicht unerheblicher Teil des angesprochenen Verkehrskreises begrenzt die in der Werbung als attributives Adjektiv zur Berufsbezeichnung herausgestellte Unabhängigkeit nicht auf das Vorliegen hierfür unergiebiger gesetzlicher Vorgaben. Vielmehr nimmt er an, dass sich der "unabhängige" Versicherungsmakler durch den besonderen Vorzug der Unabhängigkeit hervorhebe. Aufgrund des Begriffs des "Maklers", dessen Begriff auch in anderen Lebensbereichen - etwa auf dem Immobilienmarkt - gebräuchlich ist, und der regelmäßigen Kostenfreiheit der Dienstleistung geht er davon aus, dass einem Makler grundsätzlich bei Vertragsabschluss eine vom jeweiligen Versicherer zu leistende Provision bzw. eine Courtage zuwächst. Wirbt ein Versicherungsmakler hingegen damit, er selbst bzw. seine Tätigkeit seien "unabhängig", ergibt sich für einen erheblichen Teil des Publikums die Vorstellung, dass der Versicherungsmakler in der Erbringung seiner Dienstleistung nicht nur frei von einer Bindung als Vertreter des Versicherers und frei von wirtschaftlicher Existenznot, sondern auch frei von finanziellen Vorteilen durch Versicherer sei und damit ohne mögliches Provisionsinteresse agiere. Bereits die Befürchtung einer Beeinflussung der Interessenwahrnehmung durch eine Provision wird dadurch nachvollziehbar und werbewirksam von vornherein ausgeräumt. Die sprichwörtliche Annahme "Wes´ Brot ich ess, des Lied´ ich sing" findet keine Grundlage und wird schon im Ansatz verhindert.

d) § 94 Abs. 1 WpHG bestimmt, dass Bezeichnungen wie "unabhängiger Honoraranlageberater" u.a. in abweichender Schreibweise oder eine Bezeichnung, in der diese Wörter enthalten sind, zur Bezeichnung des Geschäftszwecks oder zu Werbezwecken grundsätzlich nur diejenigen Wertpapierdienstleistungsunternehmen führen dürfen, die im Register unabhängiger Anlageberater nach § 93 WpHG eingetragen sind. Für den Bereich der Versicherungsberatung fehlt es an einer dem § 94 Abs. 1 WpHG entsprechenden Regelung. Hieraus lässt sich jedoch nicht, wie die Beklagte meint, im Wege eines Umkehrschlusses ableiten, dass der Gesetzgeber zum Ausdruck bringen wollte, der Versicherungsmakler dürfe sich als "unabhängig" darstellen, wohingegen der Honorar-Finanzanlagenberater dies nur bei Eintragung in das Register könne. Dagegen spricht schon, dass für den Honorar-Finanzanlagenberater i.S.v. § 34h Abs. 1 S. 1 GewO das Provisionsannahmeverbot gilt und ihm hierin nur der Versicherungsberater gleichsteht, nicht aber der Versicherungsmakler.

3. Tatsächlich erhält die Beklagte wie grundsätzlich jeder Versicherungsmakler regelmäßig Vergütungen von den Versicherungsunternehmen.

a) Der Versicherungsmakler steht in einem Doppelrechtsverhältnis: einerseits zu den Versicherern wegen der mit ihnen regelmäßig bestehenden Kooperationsvereinbarungen bzw. Courtageabreden und der dem Vertragsabschluss nachfolgenden Korrespondenzpflicht und andererseits zu den Kunden, von denen er mit einem Vermittlungsgeschäft betraut wird (Beckmann/Matusche-Beckmann VersR-HdB/Matusche-Beckmann, 4. Aufl. 2025, § 13 Rn. 230; Staudinger/Halm/Wendt, Versicherungsrecht, VVG § 59 Rn. 39). Ein Versicherungsmakler finanziert sich über Provisions-/Courtagezahlungen der Versicherer. Mit der Versicherungswirtschaft ist er deshalb finanziell verflochten (OLG Köln Urt. v. 7.2.2024 - 6 U 103/23, BeckRS 2024, 46804). Aus den Zahlungen und Vorteilen durch die Versicherer können sich aus Sicht von maßgeblichen Teilen des Verkehrs Eigeninteressen des Versicherungsmaklers ergeben, die - so die Befürchtung - in seine Maklertätigkeit einfließen und bei einem Drittvergleich den Ausschlag für das Angebot mit der höheren Provision geben könnten. Eine Unabhängigkeit schlösse dies schon im Ansatz aus, indem der Versicherungsmakler solche finanziellen Vorteile bereits nicht erhielte. Dieser durch die Bezeichnung als unabhängig bei erheblichen Teilen des Verkehrs hervorgerufene Eindruck stimmt indessen angesichts der Vergütungen mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht überein und begründet eine Fehlvorstellung.

b) Tatsächlich ist die Beklagte gerade kein Versicherungsberater und auch nicht unabhängig wie ein Versicherungsberater. Mit ihrer Werbung zur Unabhängigkeit stellt sie sich indessen einem Versicherungsberater, von dem der Versicherungsmakler nach dem Trennungsgebot des § 34d Abs. 3 GewO streng zu unterscheiden ist (BT-Drs. 18/11627, S. 35 f; OLG Köln Urt. v. 7.2.2024 - 6 U 103/23, BeckRS 2024, 46804), in irreführender Weise gleich. Damit ermöglicht sie einerseits, als Versicherungsmakler Provisionen von Versicherern zu erhalten, andererseits aber wie ein Versicherungsberater den Eindruck auszuschließen, durch Provisionen könne Einfluss auf den Drittvergleich mit anderen Angeboten genommen werden. Dies verstößt gegen das Gebot der Trennung zwischen Versicherungsmakler und Versicherungsberater.

Die Unabhängigkeit prägt das Berufsbild des Versicherungsberaters und zeigt sich in dem unbedingten Provisionsannahmeverbot (BT-Drs. 16/1935, S. 21). So bedeutet für den Versicherungsberater, der allein vom Kunden vergütet wird, die (wirtschaftliche und sonstige) Unabhängigkeit mehr als eine - sowohl für den Versicherungsmakler als auch den Versicherungsberater geltende - Pflicht, dem Versicherungsnehmer die seinen Interessen bestmöglich entsprechende Versicherung zu recherchieren und anzubieten. Es kam dem Gesetzgeber vielmehr insbesondere darauf an, dass der Versicherungsberater keinerlei Zuwendungen eines Versicherungsunternehmens im Zusammenhang mit der Beratung, insbesondere auf Grund einer Vermittlung als Folge der Beratung, annehmen darf. Deshalb bestimmen §§ 59 Abs. 4 VVG, 34d Abs. 2 S. 1 GewO für den Versicherungsberater, dass er gewerbsmäßig Dritte bei der Vereinbarung, Änderung oder Prüfung von Versicherungsverträgen berät, ohne von einem Versicherer einen wirtschaftlichen Vorteil zu erhalten oder in anderer Weise von ihm abhängig zu sein. Ohne abhängig von "einem" Versicherer i.S.v. § 34d Abs. 2 GWB zu sein, meint entgegen der Auffassung des Landgerichts (LGU S. 6) nicht den Singular, sondern den unbestimmten Artikel. Unabhängig ist der Versicherungsberater vielmehr, weil er von keinem Versicherer einen wirtschaftlichen Vorteil erhält. Die Unabhängigkeit erfordert auch, dass der Versicherungsberater Zuwendungen eines Versicherungsunternehmens im Zusammenhang mit der Beratung nicht annehmen darf, § 34d Abs. 2 S. 3 und 4 GewO. Die Versicherungsvermittlungsverordnung vom 17. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2483; 2019 I S. 411) flankiert dies, indem sie für den Versicherungsberater sowohl eine besondere Aufzeichnungspflicht hinsichtlich seiner Einnahmen als auch die Möglichkeit einer anlassbezogenen Prüfung der Einhaltung des Verbots aus § 34d Abs. 2 S. 4 GewO vorsieht, vgl. §§ 22 Abs. 3, 23 Abs. 2 S. 1 VersVermV.

Das Provisionsannahmeverbot bildet den entscheidenden Unterschied zum Versicherungsvermittler (BT-Drs. 16/1935, S. 21). Indem der Gesetzgeber dieses Verbot dem Versicherungsberater auferlegt, soll seine Unabhängigkeit gewährleistet werden. Der Verkehr verbindet - wie der Gesetzgeber selbst dabei zugrunde legt - mit der Unabhängigkeit, dass die Tätigkeit nicht provisionsgestützt ist. Diese Vorstellung erzeugt für erhebliche Teile des Verkehrs auch die Bezeichnung als unabhängig für einen Versicherungsmakler. Werden gleichwohl finanzielle Vorteile gewährt, vermittelt die Angabe einen unrichtigen Eindruck (LG Köln Urteil vom 6.3.2025, Az. 33 O 219/24).

Eine Erfüllung der Pflicht gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 5-8 VersVermV, den Interessenten beim Erstkontakt über die Art der Vergütung und ihre Zahlweise zu informieren, kommt angesichts der nach dem Antrag auf die Webseite ausgerichteten konkreten Verletzungsform zu spät. Die auf den persönlichen Erstkontakt in der gutachterlichen Stellungnahme (KJR 11) gestützte Distanz zum Versicherungsberater kommt deshalb nicht zum Tragen.

c) Aus der sogenannten Sachwalter-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 22.05.1985 - IVa ZR 190/83, BGHZ 94, 356, NJW 1985, 2595) ergibt sich nichts anderes. Danach kann der Versicherungsmakler angesichts der ihn treffenden umfassenden Pflichten für den Bereich der Versicherungsverhältnisse des von ihm betreuten Versicherungsnehmers als dessen "treuhänderähnlicher Sachwalter" bezeichnet und insoweit mit sonstigen Beratern verglichen werden. Aus der Sachwalter-Entscheidung ergibt sich indessen für den Versicherungsmakler nicht auch die Befugnis, sich als "unabhängig" zu bezeichnen. Dass die Mittlertätigkeit beim Zustandekommen des Versicherungsvertrages verschiedene Intensität aufweisen und auch unabhängiger Art sein kann, bezieht sich auf die Einschaltung Dritter generell und nicht auf den Versicherungsmakler.

Auch die Entscheidung des OLG München (Urteil vom 16.1.2020 - 29 U 1834/18) führt zu keinem anderen Ergebnis. Dass eine Unabhängigkeit nur anzunehmen ist, wenn keine Beteiligung des Versicherers an dem Maklerbüro besteht, steht ohne weiteres damit in Einklang, dass keine finanziellen Vorteile gewährt werden dürfen.

4. Die ausgelöste Fehlvorstellung, die Beklagte sei als "unabhängiger Versicherungsmakler" frei von finanziellen Vorteilen von Versicherern und erbringe ihrer Dienstleistung ohne die Möglichkeit eines entsprechenden Eigeninteresses, ist auch erheblich. Verbraucher treten dem Angebot der Beklagten in der Vorstellung näher, eine unabhängige Vermittlung zu erhalten, obwohl diese Unabhängigkeit - im Unterschied zu dem für sie kostenpflichtigen Angebot eines Versicherungsberaters - nicht gewährleistet ist. In der Versicherungsbranche wird der Unabhängigkeit und dem Ausschluss von Eigeninteressen sowie der sich daraus ergebenden Objektivität eine besondere Wertigkeit beigemessen (vgl. OLG Köln Urt. v. 7.2.2024 - 6 U 103/23, BeckRS 2024, 46804). So hat auch der Geschäftsführer der Beklagten vor dem Landgericht aufgezeigt, dass seiner Erfahrung nach viele Kunden auf die Homepage der Beklagten durch den Suchbegriff "Unabhängigkeit" kämen. Die Beklagte nimmt zu Unrecht das darauf beruhende besondere Vertrauen in Anspruch, indem sie sich als unabhängig geriert. Dies ist geeignet, den - vom Antrag erfassten - Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.

II. Der Kläger kann ferner von der Beklagten aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 3 UWG, § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1, 2 Nr. 1 UWG verlangen es zu unterlassen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern zu behaupten, für die spezifische Produkt- oder Tarifberatung sowie Vermittlung und Abschluss der Versicherung empfehle die Verbraucherzentrale Chemnitz meist an einen unabhängigen Versicherungsmakler in Chemnitz wie R...... weiter, wie in der Anlage K 4 dargestellt. Angegriffen wird damit die konkrete Verletzungsform, die ihren besonderen Anziehungseffekt dadurch entfaltet, dass "meist an einen unabhängigen Versicherungsmakler in Chemnitz wie R......" verwiesen werde. Dass dies der Fall war, lässt sich indessen nicht feststellen, so dass die Werbung irreführend ist, § 5 Abs. 1, 2 Nr. 1 UWG.

Der erstinstanzlich unter Beweis gestellte Vortrag, Verbraucher seien nach einer Erstberatung bei der Verbraucherzentrale an "einen Versicherungsmakler" empfohlen worden (Klageerwiderung Seite 4, eA 43 LG und Schriftsatz vom 05.11.2024, Seite 17, eA 100 LG), kann weder belegen, dass "meist" ein Versicherungsmakler empfohlen wurde, noch dass dies in Chemnitz die Beklagte gewesen sei. Die Benennung der Beklagten in der angegriffenen Werbung bezieht ein erheblicher Teil der angesprochenen Verbraucher darauf, die Verbraucherzentrale habe die Beklagte auch namentlich empfohlen. Dies wird indessen von der vorgetragenen Empfehlung eines Versicherungsmaklers ebenso wenig erfasst wie von den auf der Website des Klägers veröffentlichen Hinweisen (vgl. Anlagen KJR 1, KJR 2 sowie KJR 9 und KJR 10). Der Vortrag der Beklagten (Berufungserwiderung S. 13; eA 64), im Laufe der vergangenen Jahre hätten sich mehrfach Kunden an die Beklagte gewandt, welche von der Verbraucherzentrale an die Beklagte empfohlen worden seien, untersetzt nicht die angegriffene Angabe, dass meist die Beklagte empfohlen wurde, und kann auf der Grundlage des dortigen Beweisantritts einer einzigen Zeugin nicht nachgewiesen werden.

Die so erzeugte falsche Vorstellung einer regelmäßigen, auf die Beklagte fokussierten Empfehlung ist für die Entschließung der angesprochenen Verkehrskreise auch überaus relevant, da den Aussagen der Verbraucherzentralen weithin großes Gewicht beigemessen wird.

III. Schließlich kann der Kläger von der Beklagten auf der Grundlage von § 3 Abs. 3 UWG i.V.m. Nr. 10 Anhang zu § 3 Absatz 3 UWG, jedenfalls §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 1, 2 Nr. 1 UWG verlangen, es zu unterlassen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern damit zu werben, eine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung abgeschlossen zu haben und dies als einen großen Mehrwert und doppeltes Netz darzustellen, wie in der Anlage K 5 dargestellt.

Nach Nr. 10 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG stellt die Darstellung gesetzlicher Verpflichtungen als Besonderheit eines Angebots eine irreführende geschäftliche Handlung dar, sei es durch die unwahre Angabe oder das Erwecken des unzutreffenden Eindrucks, gesetzlich bestehende Rechte stellten eine Besonderheit des Angebots dar. Dabei handelt es sich um ein "Per-se-Verbot" als Sonderfall der Werbung mit Selbstverständlichkeiten, hier mit einem Vorteil (Köhler/Bornkamm/Feddersen, a.a.O., § 5 Rn. 1.115).

Soweit die Beklagte auf ihrer Website angibt, sie habe eine Vermögens-Haftpflichtversicherung für den Fall, dass sie aufgrund einer Fehleinschätzung zu Schadensersatz verpflichtet ist, abgeschlossen, begegnet dies für sich genommen noch keinen Bedenken, sondern kann als Information für sich stehen. Da die Beklagte aber hinzusetzt, dieser Umstand stelle für ihre Kunden "einen großen Mehrwert und im schlimmsten Fall ein doppeltes Netz" dar, handelt sie unlauter. Denn sie stellt eine Selbstverständlichkeit als eine Besonderheit dar. Die Selbstverständlichkeit ergibt sich daraus, dass Versicherungsmakler nach § 34d Abs. 5 S. 1 Nr. 3 GewO i.V.m. §§ 11, 12 VersVermV zur Erteilung der Erlaubnis der IHK eine Versicherung nachweisen müssen, die Deckung für die sich aus der gewerblichen Tätigkeit ergebenden Haftpflichtgefahren für Vermögensschäden gewährt. Die vermeintliche Besonderheit ergibt sich aus der Formulierung, die für den durchschnittlich verständigen Verbraucher den Eindruck erzeugt, hier - im Vergleich zu anderen Versicherungsvermittlern - besonders abgesichert zu sein, was aber nicht der Fall ist.

Ob die von der Beklagten abgeschlossene Versicherung die in § 12 Abs. 2 S. 1 VersVermV vorgesehene Mindestversicherungssumme (1.276.000 Euro für jeden Versicherungsfall und 1.919.000 Euro für alle Versicherungsfälle eines Jahres) übertrifft, ist unerheblich. Die Beklagte macht dies bei ihrer werbenden Angabe gerade nicht deutlich, sondern verweist schlicht auf den Umstand, sie habe eine Vermögens-Haftpflichtversicherung abgeschlossen. Der Verbraucher kann anhand dieser Angabe nicht erkennen, dass hier eine über die gesetzlichen Anforderungen hinausreichende Versicherung vorliegt, sondern muss davon ausgehen, dass der Umstand des Vorliegens einer Vermögens-Haftpflichtversicherung an sich eine im Vergleich zu anderen Versicherungsmaklern besondere Absicherung darstellt, die ihn im Schadensfall schützt.

Im Übrigen folgt der Senat der Argumentation der Beklagten nicht, wonach sich aus den von ihr dargelegten höheren Versicherungssummen (Anlage KJR 3) ein besonderer Mehrwert oder doppeltes Netz für den einzelnen Kunden überhaupt ergeben könnte. Die von der Beklagten abgeschlossene Versicherung übertraf zwar im Zeitpunkt der Abmahnung vom 8.2.2024 die in § 12 Abs. 2 S. 1 VersVermV vorgesehene Mindestversicherungssumme. Bereits im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 13.11.2024 stellte sich dies jedoch anders dar. § 12 Abs. 2 S. 2 VersVermV regelt, dass für die Anpassung dieser Mindestversicherungssummen der technische Regulierungsstandard gemäß Artikel 10 Absatz 7 der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb (Neufassung) (ABl. L 26 vom 2.2.2016, S. 19; L 222 vom 17.8.2016, S. 114) in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden ist. Maßgeblich war im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht die Delegierte Verordnung (EU) 2024/896 der Kommission vom 5. Dezember 2023 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards zur Anpassung der Grundbeträge in Euro für die Berufshaftpflichtversicherung und die finanzielle Leistungsfähigkeit von Versicherungsvermittlern, Rückversicherungsvermittlern und Versicherungsvermittlern in Nebentätigkeit, die mit Wirkung ab dem 9.10.2024 in Art. 1 Nr. 1 erhöhte Mindestversicherungssummen in Höhe von 1.564.610 Euro für jeden Schadensfall und 2.315.610 Euro für alle Schadensfälle eines Jahres vorsieht.


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VG Berlin: Keine gemeinsame Verantwortlichkeit nach der DSGVO von Adresshändler und beworbenem Unternehmen bei Werbung per Lettershop-Verfahren

VG Berlin
Urteil vom 14.10.2025
1 K 74/24

Das VG Berlin hat entschieden, dass keine gemeinsame Verantwortlichkeit nach Art 4 Nr 7, Art 26 Abs 1 S 1 DSGVO von Adresshändler und beworbenem Unternehmen bei Werbung per Lettershop-Verfahren besteht.

Aus den Entscheidungsgründen:
3. Der Bescheid erweist sich als materiell rechtswidrig. Zwar liegt eine Verarbeitung personenbezogener Daten vor (nachfolgend a)). Es kann jedoch offenbleiben, ob diese Verarbeitung nach Art. 6 Abs. 1 DSGVO rechtmäßig war. Denn die Klägerin ist nicht taugliche Adressatin der Verwarnung, weil sie nicht als gemeinsam mit der Adresshändlerin Verantwortliche im Sinne von Art. 4 Nr. 7, Art. 26 Abs. 1 Satz 1 DSGVO anzusehen ist (unten b)).

a) Eine Verarbeitung personenbezogener Daten liegt im Auslesen und Verwenden der relevanten Adressdaten für das Erstellen des Werbeschreibens. Nach Art. 4 Nr. 1 DSGVO sind personenbezogene Daten in allen Informationen zu erblicken, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen, wobei als identifizierbar eine natürliche Person angesehen wird, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einer Kennnummer identifiziert werden kann. Eine Verarbeitung liegt gemäß Art. 4 Nr. 2 DSGVO in jedem mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder in jeder solchen Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten, wobei die Verordnung beispielhaft etwa das Auslesen, Abfragen und Verwenden der Daten als Verarbeitungsvorgänge nennt.

Nach diesen Maßstäben liegt im Auslesen und Verwenden der Adressdaten für das Werbeschreiben eine der Datenschutzgrundverordnung unterfallende Verarbeitung personenbezogener Daten. Dafür kann offenbleiben, ob die Zuschreibung eines statistischen Merkmals – etwa hinsichtlich der Kaufkraft – auf Ebene der Mikrozellen und die anschließende Auswahl unter den Mikrozellen anhand eines solchen Merkmals schon für sich genommen Verarbeitungen personenbezogener Daten darstellen. Denn jedenfalls die Adressdaten – Vor- und Familienname sowie postalische Anschrift – sind personenbezogene Daten, die verarbeitet, nämlich aus dem Adressdatenbestand der Adresshändlerin ausgelesen und für den Versand des Werbeschreibens genutzt werden. Auch hebt die Zuordnung der Adressdaten zu den Mikrozellen ihren Personenbezug nicht auf. Dafür kommt es wiederum nicht darauf an, inwiefern die im Hinblick auf die Mikrozellen verarbeiteten Daten personenbezogen sind, weil der Adressdatenbestand, der für das Versenden der Werbeschreiben genutzt wird, durch die bloße Zuordnung der Adressen zu den Mikrozellen unverändert bleibt. Zugleich ist vorliegend unerheblich, dass der Adressdatenbestand der Adresshändlerin schon unabhängig vom Auftrag der Klägerin bestand, die Erhebung der personenbezogenen Daten also schon abgeschlossen war. Denn im späteren Auslesen und Verwenden der Adressdaten liegt eine eigenständig zu betrachtende Datenverarbeitung im Sinne von Art. 4 Nr. 2 DSGVO.

b) Die Klägerin war für diese Verarbeitung personenbezogener Daten jedoch nicht im Sinne von Art. 4 Nr. 7, Art. 26 Abs. 1 Satz 1 DSGVO gemeinsam mit der Adresshändlerin verantwortlich.

Nach der Definition in Art. 4 Nr. 7 DSGVO ist Verantwortlicher die natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet. Legen zwei oder mehr Verantwortliche gemeinsam die Zwecke der und die Mittel zur Verarbeitung fest, so sind sie gemäß Art. 26 Abs. 1 Satz 1 DSGVO gemeinsam Verantwortliche.

aa) Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Anforderungen, die sich aus diesen Bestimmungen für eine gemeinsame Verantwortlichkeit ergeben, in seiner Rechtsprechung weiter konkretisiert. Danach muss jeder der im Sinne von Art. 26 Abs. 1 Satz 1 gemeinsam Verantwortlichen die Definition des „Verantwortlichen“ in Art. 4 Nr. 7 DSGVO erfüllen, wobei die Akteure in die Verarbeitung personenbezogener Daten in verschiedenen Phasen und in unterschiedlichem Ausmaß einbezogen sein können (EuGH, Urteil vom 5. Juni 2018 – C-210/16 – Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein, Rn. 43; Urteil vom 29. Juli 2019 – C-40/17 – Fashion ID, Rn. 70; Urteil vom 7. März 2024 – C-604/22 – IAB Europe, Rn. 58). Andererseits setzt die gemeinsame Verantwortlichkeit mehrerer Akteure für dieselbe Verarbeitung nach ständiger Rechtsprechung des EuGH nicht voraus, dass jeder von ihnen Zugang zu den betreffenden personenbezogenen Daten hat (EuGH, Urteil vom 5. Juni 2018 – C-210/16 – Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein, Rn. 38; Urteil vom 10. Juli 2018 – C-25/17 – Jehovan todistajat, Rn. 69; Urteil vom 29. Juli 2019 – C-40/17 – Fashion ID, Rn. 69, 82; Urteil vom 11. Januar 2024 – C-231/22 – Données traitées par un journal officiel, Rn. 48; Urteil vom 7. März 2024 – C-604/22 – IAB Europe, Rn. 58).

Nach einer in der Rechtsprechung wiederkehrenden Formulierung geht der EuGH zudem davon aus, dass eine Person, die „aus Eigeninteresse“ beziehungsweise „zu ihren eigenen Zwecken“ auf die Verarbeitung personenbezogener Daten „Einfluss nimmt“ und damit „an der Entscheidung über die Zwecke und Mittel“ der Verarbeitung „mitwirkt“ beziehungsweise „beteiligt ist“, als für die Verarbeitung Verantwortliche angesehen werden kann (EuGH, Urteil vom 10. Juli 2018 – C-25/17 – Jehovan todistajat, Rn. 68; Urteil vom 29. Juli 2019 – C-40/17 – Fashion ID, Rn. 68; Urteil vom 11. Januar 2024 – C-231/22 – Données traitées par un journal officiel, Rn. 48; Urteil vom 7. März 2024 – C-604/22 – IAB Europe, Rn. 57). Dieses Abstellen auf die „Einflussnahme“ aus „Eigeninteresse“, aus der eine Entscheidung über Zwecke und Mittel der Verarbeitung resultieren soll, scheint sehr weit zu reichen. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass dieses Kriterium nach der Formulierung des EuGH („kann“) noch keine hinreichende Bedingung für die gemeinsame Verantwortlichkeit darstellt und außerdem zunächst auf die Rechtslage vor Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung bezogen war, als der Begriff der gemeinsamen Verantwortlichkeit noch nicht gesetzlich fixiert war. In seiner jüngeren – unter der Geltung der Datenschutzgrundverordnung ergangenen – Rechtsprechung prüft der EuGH alle drei Voraussetzungen kumulativ, das heißt, für die gemeinsame Verantwortlichkeit muss eine Stelle „tatsächlich im Eigeninteresse auf die Entscheidung über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung“ Einfluss nehmen (EuGH, Urteil vom 5. Dezember 2023 – C-683/21 – Nacionalinis visuomenės sveikatos centras, Rn. 31; ähnlich auch Urteil vom 7. März 2024 – C-604/22 – IAB Europe, Rn. 61; siehe zur erforderlichen kumulativen Prüfung von Entscheidungen über Zwecke und Mittel auch: European Data Protection Board – EDPB, Leitlinien 07/2020 zu den Begriffen „Verantwortlicher“ und „Auftragsverarbeiter“ in der DSGVO, Version 2.0, 7. Juli 2021, Rn. 53; Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz, Gemeinsame Verantwortlichkeit – Orientierungshilfe, Stand: 1. Juni 2024, Rn. 44, 70).

bb) Nach diesen Maßstäben erfüllte die Klägerin in Bezug auf die von der Adresshändlerin vorgenommenen Datenverarbeitungsvorgänge nicht die Voraussetzungen einer gemeinsamen Verantwortlichkeit nach Art. 26 Abs. 1 Satz 1 DSGVO.

Zwar hat die Klägerin im Eigeninteresse Einfluss auf die Zwecke der Datenverarbeitung durch die Adresshändlerin genommen. Denn unabhängig davon, ob man den Zweck der Verarbeitung im Versand des Werbeschreibens oder – allgemeiner – in der Beförderung ihrer Geschäftstätigkeit durch die Anwerbung von Neukunden erblickt, hat sie diesen Zweck der Datenverarbeitung gegenüber der Adresshändlerin festgesetzt. Er entspricht auch ihrem Eigeninteresse, nämlich ihrem wirtschaftlichen Gewinnstreben. Dafür spricht auch der Empfängerhorizont, also die Perspektive eines objektiven Beobachters, der das Werbeschreiben erhält. Für diesen stellt es sich äußerlich als eine ausschließliche Maßnahme der Klägerin dar, weil es mit ihrem Briefkopf bzw. Corporate Design auftritt und allein für einen Besuch der von ihr angebotenen Show wirbt, ohne dass die Beteiligung der Adresshändlerin an der Datenverarbeitung jenseits der Datenschutzhinweise ersichtlich würde (vgl. zur Maßgeblichkeit des nach außen hin vermittelten Eindrucks: Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz, a. a. O., Rn. 36).

Die Klägerin hatte aber keinerlei Einfluss auf die Mittel der Datenverarbeitung. Die Adresshändlerin führte den gesamten Datenverarbeitungsprozess nach dem von ihr konzipierten „Lettershop“-Verfahren beziehungsweise Mikrozellen-Modell durch, ohne dass die Klägerin die Möglichkeit gehabt hätte, auf die strukturelle beziehungsweise organisatorische Ausgestaltung dieses Prozesses in irgendeiner Form einzuwirken. Auch insoweit kommt es nicht darauf an, ob man nur das Auslesen und Verwenden der Adressen im zweiten Schritt oder darüber hinaus auch die Selektion der Mikrozellen anhand bestimmter Merkmale im ersten Schritt als Verarbeitung personenbezogener Daten ansieht. Denn die bloße Vorgabe einer Zielgruppe (Haushalte in Berlin und Brandenburg mit zumindest überdurchschnittlicher Kaufkraft) führte auch dann nicht dazu, dass die Klägerin auf die „Mittel“ der Datenverarbeitung Einfluss genommen hätte, wenn man die Mikrozellenselektion als Verarbeitung personenbezogener Daten versteht. Die Festlegung der Zielgruppe ist vielmehr wegen ihrer eindeutigen wirtschaftlichen Motivation untrennbar mit der Zwecksetzung für die Datenverarbeitung verbunden und stellt sich demgegenüber nicht als Entscheidung über ihre Mittel dar.

Für eine Einflussnahme auf die Mittel der Datenverarbeitung müsste es irgendeine über die Auftragserteilung hinausgehende organisatorisch-konzeptionelle Mitwirkung der Klägerin an der Datenverarbeitung gegeben haben, die hier aber nicht ersichtlich ist. Sie hat lediglich eine Leistung eingekauft, deren prozedurale Ausgestaltung – von der grundlegenden Konzeption über die datenschutzrechtlich relevanten Organisationsmaßnahmen bis hin zur technischen Umsetzung – allein in den Händen der Adresshändlerin verblieb. Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin irgendwelche Entscheidungen in Bezug darauf hätte treffen können, wie die Mikrozellen gebildet, wie ihnen Merkmale zugeschrieben werden, wie der Selektionsprozess anhand ihrer Vorgaben ausgestaltet ist und wie letztlich die Adressauswahl technisch hin zum Versand des Werbeschreibens umgesetzt wird. Auch die bloße Entscheidung, ein Werbeschreiben an potenzielle Neukunden zu versenden, kann nicht als Einflussnahme auf die Mittel der Datenverarbeitung gewertet werden. Denn das Leistungsangebot der Adresshändlerin besteht gerade darin, ihren Kunden das Versenden von Werbeschreiben zu ermöglichen. Andere Modalitäten des Verwendens personenbezogener Daten ohne Zugriff des Kunden auf die Daten bietet sie in diesem Bereich ihrer Geschäftstätigkeit nicht an.

cc) Für das Ergebnis spricht schließlich auch ein Vergleich mit denjenigen Fällen, in denen der EuGH bisher eine gemeinsame Verantwortlichkeit im Sinne von Art. 26 Abs. 1 Satz 1 DSGVO angenommen beziehungsweise auf Grundlage der entsprechenden Vorlagebeschlüsse der nationalen Gerichte für möglich gehalten hat. Bei diesen Sachverhalten gab es anders als hier stets ein Ineinandergreifen der Entscheidungen beider Verantwortlicher gerade auch in Bezug auf die Mittel der Datenverarbeitung.

Am ehesten ist der vorliegende Fall mit den Konstellationen vergleichbar, über die der EuGH in der sogenannten Fanpage- sowie in der Fashion-ID-Entscheidung befunden hat. Hier ging es um die gemeinsame Verantwortlichkeit von Website-Betreiberinnen, die ihre Website auf einer sozialen Plattform einrichten beziehungsweise ein Plugin einer sozialen Plattform in ihre Website einbinden mit der Folge, dass beim Aufrufen der Website personenbezogene Daten der Nutzer automatisch an die soziale Plattform übermittelt und von dieser weiterverarbeitet werden. Der EuGH hat die Einbindung der sozialen Plattform jeweils für die gemeinsame Verantwortlichkeit der Website-Anbieterinnen genügen lassen (EuGH, Urteil vom 5. Juni 2018 – C-210/16 – Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein; Urteil vom 29. Juli 2019 – C-40/17 – Fashion ID). Das wäre ein starkes Argument für die gemeinsame Verantwortlichkeit auch der Klägerin im vorliegenden Fall, wenn für den EuGH die bloße Kausalität der Website-Anbieterinnen für die Datenverarbeitung durch die Plattform ausgereicht hätte.

Zu beachten ist jedoch, dass der EuGH in den genannten Entscheidungen zwischen dem Erheben und dem weiteren Verarbeiten der Nutzerdaten durch die Plattform unterscheidet (insbesondere EuGH, Urteil vom 29. Juli 2019 – C-40/17 – Fashion ID, Rn. 76). Ein zentrales Argument des EuGH für die Verantwortlichkeit der Website-Betreiberinnen in Bezug auf das Erheben der Daten lag in beiden Entscheidungen darin, dass es das Einrichten der Website beziehungsweise das Einbinden des Plugins der sozialen Plattform erst ermöglicht hatte, die personenbezogenen Daten zu erheben (EuGH, Urteil vom 5. Juni 2018 – C-210/16 – Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein, Rn. 35; Urteil vom 29. Juli 2019 – C-40/17 – Fashion ID, Rn. 75). Das Verhalten der Website-Anbieterinnen stellte sich für die soziale Plattform so gleichsam als „Schlüssel“ zu den Nutzerdaten dar. Einen solch beherrschenden Einfluss auf die Datenverarbeitung durch die Adresshändlerin hatte die Klägerin vorliegend nicht. Zwar wirkte sich auch ihre Entscheidung im Sinne einfacher Kausalität dahingehend aus, dass es ohne ihren Auftrag den konkreten Datenverarbeitungsvorgang durch die Adresshändlerin nicht gegeben hätte. Sie hat ihr die Datenverarbeitung aber nicht erst ermöglicht, ihr nicht erst die Tür zu den Daten geöffnet. Die Adresshändlerin verfügte unabhängig vom Verhalten der Klägerin über ihren Adressdatenbestand. Ihre tatsächlichen Zugriffsmöglichkeiten auf diese Daten bestanden vollkommen unabhängig davon, ob die Klägerin ihr einen Auftrag, der mit einer (weiteren) Datenverarbeitung einherging, erteilte.

Aus diesem Grund ist auch das Argument der Parametrierung, welches der EuGH in der Fanpage-Entscheidung für eine gemeinsame Verantwortlichkeit der Website-Betreiberin auch im Hinblick auf die Weiterverarbeitung der Nutzerdaten durch die soziale Plattform anführte (EuGH, Urteil vom 5. Juni 2018 – C-210/16 – Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein, Rn. 36), nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. Denn es macht einen Unterschied, ob sich solche (statistischen) Selektionskriterien nur auf die Auswahl unter schon bei einem Dritten vorhandenen Daten auswirken oder auf Daten bezogen sind, die nur erhoben werden können, weil der Verantwortliche diese Datenerhebung für einen Dritten ermöglicht.

Auch in den weiteren vom EuGH entschiedenen Konstellationen war die Einflussnahme des gemeinsam Verantwortlichen auf die Mittel der Datenverarbeitung anders als im Fall der Klägerin deutlich ausgeprägt. So stellte der EuGH in der Entscheidung zu den Zeugen Jehovas neben dem erheblichen Eigeninteresse der Gemeinschaft an der Datenverarbeitung auch darauf ab, dass die Dachorganisation die Verkündigungstätigkeit der einzelnen Mitglieder durch eine Zuteilung von Tätigkeitsbezirken „organisiert und koordiniert“ hat (EuGH, Urteil vom 10. Juli 2018 – C-25/​17 – Jehovan todistajat, Rn. 71, 73). In der Entscheidung zur litauischen Corona-Warn-App bezog sich der EuGH darauf, dass die Parameter der Anwendung, z. B. welche Fragen in der App gestellt wurden und wie diese formuliert waren, an den Bedarf der auftraggebenden Behörde angepasst waren und sie bei der Festlegung der Fragen eine aktive Rolle gespielt hatte (EuGH, Urteil vom 5. Dezember 2023 – C-683/21 – Nacionalinis visuomenės sveikatos centras, Rn. 32). In der Entscheidung zum belgischen Amtsblatt war ein tragendes Argument für die datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit der herausgebenden Behörde, dass für sie bereits auf gesetzlicher Ebene die Zwecke und Mittel der Datenverarbeitung festgelegt waren (EuGH, Urteil vom 11. Januar 2024 – C-231/22 – Données traitées par un journal officiel, Rn. 34; vgl. zur Maßgeblichkeit rechtlicher Bestimmungen beim Begriff des Verantwortlichen: Art. 4 Nr. 7 Halbsatz 2 DSGVO). Schließlich rekurrierte der EuGH in der Entscheidung zu einem europäischen Werbebranchenverband darauf, dass dieser seinen Mitgliedern für die Datenverarbeitung einen verbindlichen Regelungsrahmen vorgegeben hatte, in dem auch technische Spezifikationen für den Verarbeitungsvorgang enthalten waren (EuGH, Urteil vom 7. März 2024 – C-604/22 – IAB Europe, Rn. 65 f.). Auch eine solche Form der Einflussnahme gab es hier jedoch nicht.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Koblenz: Abhilfeklage nach dem Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz gegen den Geschäftsführer einer GmbH persönlich unzulässig

OLG Koblenz
Teilurteil vom 18.11.2025
9 VKl 1/24


Das OLG Koblenz hat entschieden, dass eine Abhilfeklage nach dem Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz gegen den Geschäftsführer einer GmbH persönlich unzulässig ist.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Abhilfeklage nach dem Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz gegen GmbH-Geschäftsführer unzulässig – 9 VKl 1/24

Das Oberlandesgericht Koblenz hatte zu entscheiden, ob eine Abhilfeklage nach dem Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG) nicht nur gegen eine GmbH, sondern auch gegen deren Geschäftsführer persönlich erhoben werden kann.

Der 9. Zivilsenat hat diese Frage verneint und eine vom Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. (vzbv) gegen einen Geschäftsführer persönlich gerichtete Klage durch Teilurteil als unzulässig abgewiesen.

Der Beklagte war alleiniger Geschäftsführer der ebenfalls verklagten S-GmbH. Diese bot im Internet verschiedene Formulare rund um den Rundfunkbeitrag an – etwa zur Anmeldung, Ummeldung oder Abmeldung einer Wohnung beim Beitragsservice des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Während diese Dienstleistungen auf der Website des Beitragsservice kostenlos erhältlich sind, verlangte die S-GmbH für die Weiterleitung der eingegebenen Daten ein Entgelt von 29,99 Euro. Der vzbv sah darin ein unlauteres geschäftliches Verhalten und erhob eine Abhilfeklage nach dem VDuG. Dieses Gesetz aus dem Jahr 2023 ermöglicht es qualifizierten Einrichtungen, Ansprüche von Verbrauchern gebündelt geltend zu machen. Hierzu können sich Verbraucher durch Eintragung in ein Klageregister am Verfahren beteiligen. Mit ihrer sowohl gegen die S-GmbH als auch gegen deren Geschäftsführer gerichteten Klage verfolgte die Verbraucherzentrale das Ziel, beide zur Zahlung von Schadensersatz an die teilnehmenden Verbraucher zu verpflichten.

Das Oberlandesgericht hatte daher darüber zu befinden, ob diese gebündelte Anspruchsdurchsetzung nach dem VDuG auch gegenüber einem Geschäftsführer persönlich zulässig ist.

In seinem am 18. November 2025 verkündeten Teilurteil hat der 9. Zivilsenat dies verneint. Das Gericht führt aus, dass das Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz eine persönliche Haftung eines GmbH-Geschäftsführers nicht vorsehe, sondern ausschließlich Klagen gegen „Unternehmer“ eröffne. Unternehmer im Sinne des VDuG seien jedoch nur diejenigen, die selbständig gewerblich oder beruflich tätig seien. Der Geschäftsführer handle hier aber nur für die Gesellschaft und sei daher nicht persönlich Unternehmer. Die sich wechselseitig ausschließenden Begriffe „Unternehmer“ und „Verbraucher“ seien wie im Bürgerlichen Gesetzbuch und nach Maßgabe des Verbraucherbegriffs der Zivilprozessordnung abzugrenzen. Diese Bewertung stehe auch nicht im Widerspruch zu der europäischen Verbandsklagerichtlinie.

Hinsichtlich der S-GmbH ist das Verfahren derzeit unterbrochen, da über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Der Senat entschied daher im Wege eines Teilurteils nur über den gegen den Geschäftsführer gerichteten Anspruch.

Das Teilurteil ist nicht rechtskräftig. Es kann noch Revision zum Bundesgerichtshof eingelegt werden.

Oberlandesgericht Koblenz, Teilurteil vom 18. November 2025, 9 VKl 1/24.




BGH: Schadensersatz aus Art. 82 Abs. 1 DGSVO wenn personenbezogene Daten nach Beendigung des Auftrags beim Auftragsverarbeiter verbleiben und dort abgegriffen werden

BGH
Urteil vom 11.11.2025
VI ZR 396/24
DSGVO Art. 82 Abs. 1; Art. 28 Abs. 3 Satz 2 Buchst. g, h; Art. 5 Abs. 1 Buchst. c, e, f; Art. 5 Abs. 2; Art. 32


Der BGH hat entschieden, dass eine Schadensersatzanspruch aus Art. 82 Abs. 1 DGSVO besteht, wenn personenbezogene Daten nach Beendigung des Auftrags beim Auftragsverarbeiter verbleiben und dort von Dritten abgegriffen werden.

Leitsätze des BGH:
a) Der Verantwortliche hat auch im Zusammenhang mit der Beendigung einer Auftragsverarbeitung den Schutz der Rechte der betroffenen Personen zu gewährleisten. Er hat sicherzustellen, dass - vorbehaltlich etwaiger gesetzlicher Speicherpflichten - keinerlei personenbezogene Daten mehr beim Auftragsverarbeiter verbleiben, die diesem vom Verantwortlichen zwecks Auftragserfüllung überlassen wurden. Er hat daher das seinerseits nach den Umständen des Einzelfalls Erforderliche dazu beizutragen, dass sichergestellt ist, dass es bei Auftragsende tatsächlich zur Rückgabe bzw. Löschung der personenbezogenen Daten beim Auftragsverarbeiter kommt.

b) Verbleiben personenbezogene Daten nach Beendigung des Auftrags beim Auftragsverarbeiter, werden sie dort abgegriffen und im Darknet zum Verkauf angeboten, stellt dies einen immateriellen Schaden im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO dar. Ein solcher ist nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil die Daten schon zuvor rechtswidrig abgegriffen worden sind.

BGH, Urteil vom 11. November 2025 - VI ZR 396/24 - OLG Dresden

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