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OLG Hamburg: Tagesschau genießt Werktitelschutz mit starker Kennzeichnungskraft - Nachrichtenportal Tagesumschau unter Domain tagesumschau.de verletzt Kennzeichenrechte

OLG Hamburg
Urteil vom 01.03.2018
3 U 167/15


Das OLG Hamburg hat entschieden, dass die Tagesschau Werktitelschutz mit starker Kennzeichnungskraft genießt und das Nachrichtenportal Tagesumschau unter der Domain tagesumschau.de die Kennzeichenrechte verletzt.

Aus den Entscheidungsgründen:
2. Der aufgrund der Ermächtigungen der Intendanten der Rundfunkanstalten aktivlegitimierten Klägerin stehen gegen die Beklagten auch Unterlassungsansprüche aus § 15 Abs. 2, 4 MarkenG zu.

a. Die Bezeichnung einer Nachrichtensendung (sowie auch einer zugehörigen Internetseite) stellt einen schutzfähigen Werktitel im Sinne von § 5 Abs. 3 MarkenG dar.

Werktitel werden nach § 5 Abs. 1 und 3 MarkenG geschützt. Gemäß § 5 Abs. 3 MarkenG sind schutzfähige Werktitel die Namen oder besonderen Bezeichnungen von Druckschriften, Filmwerken, Tonwerken, Bühnenwerken oder sonstigen vergleichbaren Werken. Dabei gilt ein gegenüber dem Urheberrecht eigenständiger kennzeichenrechtlicher Werkbegriff. Werke im kennzeichenrechtlichen Sinne sind alle immateriellen Arbeitsergebnisse, die als Gegenstand des Rechts- und Geschäftsverkehrs nach der Verkehrsanschauung bezeichnungsfähig sind (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 1997, I ZR 44/95, BGHZ 135, 278, 280 - PowerPoint; Urteil vom 22. März 2012, I ZR 102/10, GRUR 2012, 1265Rn. 13 - Stimmt's?, mwN). Eine Nachrichtensendung fällt hierunter.

b. Die Bezeichnung „Tagesschau“ hat auch eine hinreichende originäre Unterscheidungskraft.

Unterscheidungskraft bezeichnet die Eignung eines Titels, ein Werk als solches zu individualisieren und von einem anderen zu unterscheiden (vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 2003, I ZR 171/00, GRUR 2003, 440, 441 - Winnetous Rückkehr; BGH, Urteil vom 22. März 2012, I ZR 102/10, GRUR 2012, 1265Rn. 19 - Stimmt's?). Sie fehlt, wenn sich der Titel nach Wortwahl, Gestaltung und vom Verkehr zugemessener Bedeutung in einer werkbezogenen Inhaltsbeschreibung erschöpft (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2012, I ZR 102/10, GRUR 2012, 1265Rn. 19 - Stimmt's?).

Hinsichtlich der Bezeichnung „Tagesschau“ für eine Nachrichtensendung ist eine hinreichende Unterscheidungskraft zu bejahen. Bei Titeln von Rundfunk- und Fernsehsendungen sind keine hohen Anforderungen an die Unterscheidungskraft zu stellen (vgl. BGH, Urt. v. 13.05.1993, I ZR 113/91, GRUR 1993, 769, 770 - Radio Stuttgart). Dies gilt in gesteigertem Maße für die Titel von Nachrichtensendungen. Sie werden im Allgemeinen so gewählt, dass dem Titel der Charakter der Sendung ohne weiteres entnommen werden kann. Insofern hat sich der Verkehr hier - ähnlich wie bei Zeitungs- und Zeitschriftentiteln (vgl. BGH, Urt. v. 16.07.1998, I ZR 6/96, GRUR 1999, 235, 237 - Wheels Magazine, m.w.N.; ferner BGH, GRUR 2000, 70, 72 - SZENE; Urt. v. 22.09.1999, I ZR 50/97, GRUR 2000, 504, 505 - FACTS) - an Titel gewöhnt, die sich an beschreibende Angaben anlehnen und nur eine geringe Unterscheidungskraft aufweisen.

Dem kann auch nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass an der Bezeichnung "Tagesschau" ein allgemeines Freihaltebedürfnis besteht. Denn es handelt sich bei dem Titel "Tagesschau" um eine im Verkehr durchgesetzte Bezeichnung. Das Schutzhindernis eines bestehenden Freihaltebedürfnisses kann mit Hilfe einer Durchsetzung des Kennzeichens innerhalb der angesprochenen Verkehrskreise überwunden werden (vgl. BGHZ 4, 167, 169 - DUZ; BGH, Urt. v. 15.06.1956, I ZR 105/54, GRUR 1957, 29, 31 - Der Spiegel; Urt. v. 11.07.1958, I ZR 187/56, GRUR 1959, 45, 47 - Deutsche Illustrierte; Urt. v. 15.11.1967, Ib ZR 119/66, GRUR 1968, 259 - NZ; Urt. v. 12.11.1987, I ZR 19/86, GRUR 1988, 638, 639 - Hauer's Auto-Zeitung; BGHZ 74, 1, 6 f. - RBB/RBT).

Schließlich kann die Schutzfähigkeit des Titels auch nicht mit dem Argument verneint werden, es bestehe wegen der Nähe zu beschreibenden Angaben die Gefahr, dass aus dem geschützten Werktitel "Tagesschau" gegen rein beschreibende oder aus anderen Gründen freizuhaltende Bezeichnungen vorgegangen werden könnte. Denn dieser Gefahr kann bei der Bemessung des Schutzumfangs Rechnung getragen werden (vgl. BGH, Urt. v. 17.01.1985, I ZR 172/82, GRUR 1985, 461, 462 - Gefa/Gewa; vgl. zum Markenrecht BGH, Urt. v. 18.06.1998 , I ZR 25/96, GRUR 1999, 238, 240 - Tour de Culture; Beschl. v. 18.03.1999, I ZB 27/96, GRUR 1999, 988, 990 - HOUSE OF BLUES).“

c. Titelschutz entsteht, wenn der Titel für ein bestehendes Werk im geschäftlichen Verkehr benutzt wird.

Dass der Titel „Tagesschau“ zur Bezeichnung der ARD-Nachrichtensendung verwendet wird, haben die Beklagten nicht substantiiert bestritten. Das Zeichen wird auch in Alleinstellung verwendet; insoweit ist auf die überzeugenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung zu verweisen.

Es handelt sich hierbei auch um eine Benutzung im geschäftlichen Verkehr. Ein Zeichen wird im geschäftlichen Verkehr benutzt, wenn die Benutzung im Zusammenhang mit einer auf einen wirtschaftlichen Vorteil gerichteten kommerziellen Tätigkeit erfolgt. Abgesehen von der Zeichenverwendung im privaten Bereich fehlt es an einer Verwendung im geschäftlichen Verkehr auch bei der Betätigung der öffentlichen Hand im hoheitlichen Bereich und der Kennzeichenverwendung im Rahmen einer politischen Auseinandersetzung (Hacker in Hacker/Ströbele/Thiering, MarkenG, 12. Aufl., § 14 Rn. 65f.). Der Begriff des geschäftlichen Verkehrs stimmt im Wesentlichen überein mit dem gleichlautenden Tatbestandsmerkmal im UWG a.F. (Hacker, a.a.O. Rn. 48).

Mit dem an die Allgemeinheit gerichteten Angebot der Nachrichtensendung „Tagesschau“ handeln die Klägerin bzw. die in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten nicht hoheitlich bzw. öffentlich-rechtlich. Hoheitlich handelt eine Behörde, wenn sie einseitig-diktierend im Über-/Unterordnungsverhältnis kraft hoheitlicher Gewalt auftritt; auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts handelt eine Behörde, wenn die angewandte Rechtsnorm dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist, das heißt, wenn sie einen Träger hoheitlicher Gewalt einseitig berechtigt oder verpflichtet (OLG Düsseldorf, Urteil vom 07. Februar 2017, I-20 U 139/15 -, juris). Beides ist vorliegend nicht der Fall. Vielmehr treten die Klägerin und die übrigen Landesrundfunkanstalten mit dem Angebot ihrer Fernsehnachrichtensendung in Wettbewerb mit privaten Anbietern von Nachrichten- und Informationsdienstleistungen.

d. Die Beklagte zu 1) verwendet die angegriffene Bezeichnung „Tagesumschau“ auch titelmäßig.

Ein Zeichen wird dann titelmäßig verwendet, wenn es nach Anschauung eines nicht unerheblichen Teils des Verkehrs der Bezeichnung eines Werks zur Unterscheidung von einem anderen Werk dient. Dies kann auch durch die Benutzung eines Domainnamens erfolgen, nämlich dann, wenn der Verkehr in dem Domainnamen bei einem Werktitel ein Zeichen zur Unterscheidung eines Werks von einem anderen und nicht nur eine Adressbezeichnung sieht (BGH, GRUR 2016, 939, Rn. 24ff, 38 - wetter.de; OLG München GRUR 2001, 522, 524; Hacker, a.a.O., § 5 Rn. 108).

So liegt der Fall hier. Die Beklagte zu 1) hat den Begriff „Tagesumschau“ zur Unterscheidung ihres Nachrichtenportals von anderen Werken in Benutzung genommen, indem sie ihre Nachrichten- und Informationsdienstleistungen unter der Domain www.tagesumschau.de angeboten und im Rahmen des Internetauftritts, wie aus der Anlage K 4 ersichtlich, ihre Inhalte unter der Überschrift „Tagesumschau“ präsentiert hat. Darauf, dass nicht sie, sondern die Internet Leasing GmbH Inhaberin der Domain www.tagesumschau.de ist, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an, weil dies, wie bereits dargelegt, nicht Gegenstand des Angriffs der Klägerin ist.

Entgegen der Ansicht der Beklagten wird von der Beklagten zu 1) insoweit auch nicht lediglich das Gesamtzeichen „Tagesumschau Einfach Schneller Informiert“ verwendet. Die Worte „Einfach Schneller Informiert“ werden vom angesprochenen Verkehr nicht als Bestandteil des Titels aufgefasst, sondern als eine auf die unter „Tagesumschau“ angebotenen Informations- und Nachrichtendienstleistungen bezogene beschreibende Sachangabe bzw. eine Anpreisung allgemeiner Art (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 2000, I ZB 34/98, GRUR 2001, 735, 736 - Test it.).

e. Zwischen den Werktiteln „Tagesschau“ und „Tagesumschau“ besteht auch Verwechslungsgefahr.

Werktitel im Sinne des § 5 Abs. 3 MarkenG dienen grundsätzlich nur der Unterscheidung eines Werkes von anderen, ohne einen Hinweis auf den Hersteller oder Inhaber des Werkes und damit auf eine bestimmte betriebliche Herkunft zu enthalten. Sie sind daher in der Regel nur gegen die Gefahr einer unmittelbaren Verwechslung im engeren Sinne geschützt (BGH, Urteil vom 13. Oktober 2004, I ZR 181/02, GRUR 2005, 264, 265 f. - Das Telefon-Sparbuch, mwN). Eine solche Gefahr einer unmittelbaren Verwechslung liegt dann vor, wenn aufgrund der Benutzung des angegriffenen Titels die Gefahr besteht, dass der Verkehr den einen Titel für den anderen hält (BGH, Urteil vom 1. März 2001, I ZR 211/98, BGHZ 147, 56, 64 f. - Tagesschau). In der Rechtsprechung ist aber anerkannt, dass der Verkehr mit bekannten Werktiteln häufig auch die Vorstellung einer bestimmten betrieblichen Herkunft verbindet (vgl. BGHZ 102, 88, 91 f. - Apropos Film; 120, 228, 230 - Guldenburg; BGH, Urt. v. 12.11.1998, I ZR 84/96, GRUR 1999, 581, 582 - Max).

Für die Frage der Verwechslungsgefahr ist auch beim Werktitelschutz auf drei Faktoren abzustellen, zwischen denen eine Wechselwirkung besteht: auf die Kennzeichnungskraft des Titels, für den Schutz begehrt wird, auf die Identität oder Ähnlichkeit der Werke sowie auf die Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Werktitel (vgl. zu Unternehmenskennzeichen BGH, Urt. v. 21.11.1996, I ZR 149/94, GRUR 1997, 468, 470 - NetCom; Urt. v. 28.1.1999, I ZR 178/96, GRUR 1999, 492, 494 - Altberliner).

(1) Dem Werktitel „Tagesschau“ ist überdurchschnittliche Kennzeichnungskraft beizumessen.

Der Begriff "Tagesschau“ ist als Titel einer Nachrichtensendung von Haus aus unterscheidungskräftig und daher auch ohne den Nachweis der Verkehrsgeltung bereits vom Zeitpunkt seiner Ingebrauchnahme an nach § 15 Abs. 1 und 2 sowie § 5 Abs. 3 MarkenG schutzfähig. An die Unterscheidungskraft von Zeitschriftentiteln werden nur geringe Anforderungen gestellt, weil auf dem Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt seit jeher Zeitungen und Zeitschriften unter mehr oder weniger farblosen Gattungsbezeichnungen angeboten werden (BGH, GRUR 02, 176 - Auto Magazin; BGH, GRUR 99, 235, 237 - Wheels Magazine). Diesen Anforderungen an die Unterscheidungskraft genügt der Titel "Tagesschau". Der Titel "Tagesschau“ bezeichnet von Haus aus nicht zwingend eine Nachrichtensendung. Er weist damit ein Mindestmaß an Individualität auf, welches dem Verkehr eine Unterscheidung von anderen Nachrichtensendungen ermöglicht.

Dem Werktitel "Tagesschau“ kommt ferner eine durch Benutzung erheblich gesteigerte Kennzeichnungskraft zu, und zwar bereits zum Zeitpunkt der Registrierung der Domain www.tagesumschau.de im Februar 2014. Es ist anerkannt, dass eine Kennzeichnungskraft durch Verkehrsbekanntheit gesteigert werden kann (Ingerl/Rohnke, Markengesetz, § 14 Rn. 181). Der für die gesteigerte Kennzeichnungskraft erforderliche Bekanntheitsgrad des Zeichens ist keine feste Größe, sondern von der jeweiligen Marktbedeutung für die tatsächlich benutzten Waren abhängig. Maßgebend sind die Einzelfallumstände (Ingerl/Rohnke, Markengesetz, § 14 Rn. 222), namentlich der Marktanteil, die Intensität, die geographische Ausdehnung und die Dauer der Benutzung des Zeichens sowie der Umfang der Investitionen, die das Unternehmen zur Förderung der Marke getätigt hat (vgl. zu Art. 5 Abs. 2 MarkenRL EuGH, Urt. vom 14.09.1999, Rs. C-375/97, EuZW 2000, 56, 57 f. - Chevy; zu § 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG BGH, GRUR 2002, 340, 341 - Fabergé; BGH, WRP 2003, 647, 653 - BIG BERTHA).

Die Sendung „Tagesschau“, welche sich als Nachrichtensendung an den allgemeinen Verkehr wendet, wird seit 1952 ausgestrahlt, u.a. von dem Sender „Das Erste“ (welcher umgangssprachlich nach wie vor ganz überwiegend als „ARD“ bezeichnet wird); dass sich dieses Format in der Folgezeit zu einer überaus bekannten Sendung mit hohen Einschaltquoten entwickelt hat, lässt sich den Ausführungen des Bundesgerichtshofs in den am 01.03.2011 ergangenen Entscheidungen Tagesschau“ (I ZR 211/98, juris) und „Tagesreport“ (I ZR 205/98, juris) entnehmen; insoweit wird auch auf die nachfolgenden Ausführungen unter Ziffer 2 f. (4) verwiesen. Auch die Tatsache, dass die Wortmarke der Klägerin „Tagesschau“ 1984 als verkehrsdurchgesetzte Marke beim DPMA eingetragen wurde, belegt die besondere Bekanntheit des Titels. Darüber hinaus ist auch zu sehen, dass die in der ARD zusammengeschlossenen Rundfunkanstalten seit dem Jahr 1996 das Online-Portal „tagesschau.de“ betreiben und darüber hinaus seit dem 21. Dezember 2010 die Applikation „Tagesschau-App“ für Smartphones und Tabletcomputer anbieten; dies lässt sich der Entscheidung „Tagesschau-App“ des Bundesgerichtshofes entnehmen. Auch wenn den Beklagten zuzugeben ist, dass sich die Medienkonsumgewohnheiten auch in Bezug auf den Bereich „Nachrichten“ seit 2001 deutlich verändert haben, bestehen keine Zweifel an einer ganz erheblichen Steigerung der Kennzeichenkraft des Werktitels „Tagesschau“ durch Verkehrsbekanntheit.

(2) Die Werkkategorien „Nachrichtensendung“ und „Internetnachrichtenportal“ sind sich ähnlich. Beide werden vom Verkehr genutzt, um sich über aktuelle Ereignisse zu informieren. Der Verkehr ist ferner auch daran gewöhnt, dass es flankierende Internetangebote zu Fernsehangeboten gibt. Dies gilt, wie beispielsweise das Beispiel des zur Sendung „Tagesschau“ zugehörigen Internetportals www.tagesschau.de belegt, gerade auch für den Nachrichtenbereich.

(3) Die sich gegenüberstehenden Bezeichnungen - "Tagesschau" und "Tagesumschau“ - weisen eine starke Ähnlichkeit auf. Der Anfangsbestandteil "Tages-" ist identisch. Die inhaltliche Bedeutung weist hier wie dort auf eine Zusammenfassung der Geschehnisse des Tages hin. Die Bezeichnungen unterscheiden sich ferner auch in ihrem zweiten, gleichermaßen prägenden Bestandteil ("-schau" und "-umschau“) nur geringfügig.

(4) Bei Berücksichtigung dieser den Schutzumfang der in Rede stehenden Werktitel näher bestimmenden Umstände ist eine Verwechslungsgefahr zu bejahen.

Insoweit kann dahinstehen, ob erhebliche Teile des Verkehrs den Titel "Tagesumschau" mit "Tagesschau" verwechseln. Hiergegen dürfte allerdings sprechen, dass - gerade weil die Titel von Nachrichtenangeboten (sowohl im Fernsehen als auch im Internet) im allgemeinen stark beschreibende Anklänge aufweisen - eine Übereinstimmung in der inhaltlichen Bedeutung eher die Regel als die Ausnahme und der Verkehr - ähnlich wie bei Zeitungs- und Zeitschriftentiteln (BGH, Urt. v. 06.12.1990, I ZR 27/89, GRUR 1991, 331, 332 - Ärztliche Allgemeine; Urt. v. 27.02.1992, I ZR 103/90, GRUR 1992, 547, 549 - Morgenpost; Urt. v. 10.04.1997, I ZR 178/94, GRUR 1997, 661, 663 - B.Z./Berliner Zeitung) - daran gewöhnt ist, die bestehenden Unterschiede zu beachten.

Jedoch besteht ein Werktitelschutz auch im Hinblick auf eine mittelbare Verwechslungsgefahr, wenn von einer über die normale Werktitelfunktion hinausgehenden Kennzeichnungskraft auszugehen ist, was grundsätzlich bei bekannten Titeln in Betracht kommt (BGH, WRP 1999, 186, 188 - Wheels Magazine) und vorliegend in Bezug auf den streitgegenständlichen Werktitel „Tagesschau“ zu bejahen ist. Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 16.07.1998 (Az.: 3 U 76/95, juris Rn. 60ff.) in Bezug auf die streitgegenständliche Fernsehnachrichtensendung „Tagesschau“ ausgeführt:

„1.) Es ist insbesondere durch das in dem Rechtsstreit 3 U 132/96 (der hiesigen Klägerin gegen die SAT.1 Satelliten Fernsehen GmbH wegen "Tagesreport") eingeholten Sachverständigengutachten vom Juni 1994 (betreffend "Tagesschau" und "Tagesthemen"), das die Klägerin unbeanstandet als Anlage K 17 vorliegend zur Akte gereicht hat, festzustellen, daß der Sendetitel "Tagesschau" berühmt ist und daher einen besonders weiten Schutzumfang genießt.

(a) Das Gutachten des B. B. (Anlage K 17) hat ergeben, daß die Sendung "Tagesschau" die für den Schutz einer berühmten Marke erforderliche Verkehrsbekanntheit erreicht und sogar den höchstmöglichen Schutzumfang beanspruchen kann.

Auf die offene Frage nach bekannten Nachrichtensendungen nennen spontan 87,9 % der Befragten die "Tagesschau", die ...-Sendung "heute" 69,0 % und "Tagesthemen" 36,2 % der Befragten (Anlage K 17, Seite 5). Andere Titel, insbesondere Nachrichtensendungen der privaten Sender, werden selten genannt. Die gestützte Bekanntheit der Sendung "Tagesschau" erreicht sogar 98,7 % (Anlage K 17, Seite 5); das ist ein Wert, den die berühmtesten Marken erreichen können. Dem entspricht die nahezu vollständig richtige Zuordnung des Titels zur Klägerin bzw. zur ... (eine falsche Zuordnung erfolgt nur bei 2,9 %; vgl. das Anlage K 17, Seite 6).

(b) Auch die Einschaltquoten belegen durchgängig, daß die "Tagesschau" die bei weitem meistgesehene Nachrichtensendung, oftmals die Sendung mit der höchsten Einschaltquote und mit dem höchsten Marktanteil überhaupt im Deutschen Fernsehen ist. So betrug die Zuschauerzahl der "Tagesschau" in 1987 9,36 (Millionen Zuschauer), 1988 8,82, 1989 8,42, 1990 8,25 (Anlage K 1, dort ASt 3, Seite 182; vgl. auch Anlage K 1 mit Schriftsatz vom 15. Juli 1991). Die Reichweite der "Tagesschau" betrug in 1987 27 %, 1988 26 %, 1989 25 %, 1990 24 % (Anlage K 1, dort ASt 3, Seite 182). Diese Reichweiten sind seit Jahren in ähnlicher Größenordnung erzielt worden, in den Jahren 1979 und 1980 erreichten die 20-Uhr-Ausgabe der "Tagesschau" und die Sendung "Tagesthemen" zusammen 40 % der Haushalte (Anlage K 1, dort ASt 4). Im Jahre 1997 betrug -- wie die Klägerin in der Berufungsverhandlung aus einer Mitteilung im Hamburger Abendblatt vom 3. Januar 1998 unwidersprochen vorgetragen hat -- der Marktanteil der "Tagesschau" 33 %.“

Der Bundesgerichtshof hat in der nachfolgend ergangenen Entscheidung „Tagesschau“ vom 01.03.2001 (I ZR 211/98, juris Rn. 27) sowie in seiner am selben Tag ergangenen Entscheidung „Tagesreport“ (I ZR 205/98 - juris Rn. 28) ausgeführt:

„Aufgrund der jahrzehntelangen Benutzung und aufgrund der durch hohe Einschaltquoten belegten Aufmerksamkeit des Verkehrs zeichnen sich die Titel "Tagesschau" und "Tagesthemen", die der Kläger für seine Nachrichtensendungen verwendet, durch eine starke Kennzeichnungskraft aus. Zwar dienen Werktitel nach § 5 Abs. 1 und 3 MarkenG im allgemeinen nur der Unterscheidung eines Werkes von einem anderen, ohne einen Hinweis auf den Hersteller oder Inhaber des Werkes und damit auf eine bestimmte betriebliche Herkunft zu geben (vgl. BGH, Urt. v. 26.5.1994 - I ZR 33/92, GRUR 1994, 908, 910 = WRP 1994, 743 - WIR IM SÜDWESTEN; GRUR 1999, 235, 237 - Wheels Magazine, m.w.N.). In der Rechtsprechung ist aber anerkannt, daß der Verkehr mit bekannten Werktiteln häufig auch die Vorstellung einer bestimmten betrieblichen Herkunft verbindet (vgl. BGHZ 102, 88, 91 f. - Apropos Film; 120, 228, 230 - Guldenburg; BGH, Urt. v. 12.11.1998 - I ZR 84/96, GRUR 1999, 581, 582 = WRP 1999, 519 - Max; GRUR 2000, 504, 505 - FACTS). So verhält es sich im Streitfall: Nach den getroffenen Feststellungen weisen die beiden Titel nicht nur einen überaus hohen Bekanntheitsgrad auf, sondern werden vom Verkehr auch weitgehend - im Falle der "Tagesschau" sogar fast durchweg - zutreffend der ARD zugeordnet.“

Da der mittlerweile als „Das Erste“ bezeichnete Fernsehsender, auf dem die Tagesschau u.a. ausgestrahlt wird, umgangssprachlich nach wie vor als „ARD“ bezeichnet wird und die Beklagten nicht konkret zu einer Schwächung der Herkunftshinweisfunktion des Titels im Nachgang zu den BGH-Entscheidungen „Tagesschau“ und „Tagesreport“ vorgetragen haben, ist nach wie vor nicht nur von einer gesteigerten Bekanntheit des Titels, sondern auch von einer über die normale Werktitelfunktion hinausgehenden Kennzeichnungskraft auszugehen, auch wenn die den zitierten Entscheidungen zu Grunde liegenden Gutachten aus dem Jahr 1994 stammen. Insoweit hat der Senat insbesondere auch berücksichtigt, dass der Zeitraum, in dem die Sendung „Tagesschau“ täglich ausgestrahlt worden ist, mittlerweile noch deutlich länger ist als zum Zeitpunkt der Entscheidungen des Bundesgerichtshofes. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die ARD der Veränderung der Medienkonsumgewohnheiten dadurch Rechnung getragen hat, dass es, wie bereits dargelegt, mittlerweile seit dem Jahr 1996 das Online-Portal „tagesschau.de“ gibt und seit Dezember 2010 die Applikation „Tagesschau-App“ für Smartphones. Auch richtet, wie dem Senat aufgrund der eigenen Sehgewohnheiten bekannt ist und die als Anlagenkonvolut K 20 eingereichten Fernsehzeitschriften belegen, der ganz überwiegende Teil der deutschsprachigen Fernsehsender das tägliche Abendprogramm zeitlich auf die Ausstrahlung der 20:00-Uhr-Ausgabe der „Tagesschau“ aus, indem der Beginn der Ausstrahlung von Filmen, Serien und Shows auf 20:15 Uhr gelegt wird. Dies belegt die nach wie vor ganz erhebliche Bekanntheit und Bedeutung der Nachrichtensendung „Tagesschau“.

Aufgrund der starken Ähnlichkeit bleibt es auch nicht dabei, dass der Verkehr lediglich eine gedankliche Verbindung zwischen "Tagesschau" und „Tagesumschau“ im Sinne einer bloßen Assoziation herstellt. Vielmehr geht das Publikum aufgrund der vorhandenen Übereinstimmungen von einer organisatorischen und/oder wirtschaftlichen Identität bzw. jedenfalls einer entsprechenden Verbindung zwischen den Herstellern der beiden Werke aus und nimmt an, es handele sich bei dem Informations- und Nachrichtenportal „Tagesumschau“ um eine noch über das Angebot www.tagesschau.de hinausgehende Erweiterung des Nachrichtenangebotes der in der ARD zusammengefassten Landesrundfunkanstalten im Internet. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Internetauftritt der Beklagten zu 1) Gestaltungsmerkmale aufweist, die nicht mit den die Nachrichtensendung „Tagesschau“ sowie der Internetseite www.tagesschau.de prägenden Elementen übereinstimmenden. Der Aufbau und das Farbschema des unter www.tagesumschau.de abrufbaren Nachrichtenangebotes (Anlage K 4) entspricht dem typischen Aufbau derartiger Seiten mit verschiedenen Rubriken wie „Politik“, „Sport“, „Unterhaltung“ etc. und Fotografien mit Bezug zu aktuellen Geschehnissen. Auch die verwendeten Farbtöne - vorrangig Rot, Schwarz, Blau und Weiß - fallen nicht aus dem Rahmen dessen heraus, an das der Verkehr bei derartigen Angeboten gewöhnt ist. Es besteht somit die Gefahr, dass ein Verbraucher, der mit dem streitgegenständlichen Portal konfrontiert wird, sich in erster Linie an dem Titel orientiert und das Angebot unter www.tagesumschau.de der ARD zuordnet, jedenfalls dergestalt, dass er von einer vertraglichen Verbindung zwischen ihr und dem für die Inhalte unter www.tagesumschau.de Verantwortlichen ausgeht. Auch dass die Nutzer eines Internetportals nach der Lebenserfahrung in aller Regel wissen, wessen Informationsangebot sie gerade in Anspruch nehmen (BGH, Urteil vom 22. März 2012, I ZR 102/10, juris - Stimmt`s?), ändert nichts daran, dass vorliegend insbesondere aufgrund der erheblich gesteigerten Bekanntheit des Werktitels „Tagesschau“ und der Ähnlichkeit der bezeichneten Inhalte der Verbraucher, dem bewusst ist, dass es Kooperationen im Nachrichtenbereich gibt, diese aber nicht im Einzelnen kennt, jedenfalls von einer organisatorischen und/oder wirtschaftlichen Verbindung zwischen der ARD und dem Ersteller des unter www.tagesumschau.de abrufbaren Inhalte ausgeht.

f. Die Beklagte zu 1) haftet der Klägerin auf Unterlassung, weil sie ihre Nachrichten- und Informationsdienstleistungen unter dem Werktitel „Tagesumschau“ sowie unter der Second-Level-Domain www.tagesumschau.de angeboten hat. Der Beklagte zu 2) haftet als alleiniger Vorstand der persönlich haftenden Gesellschafterin der Beklagten zu 1).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


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