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OLG München: Fristverlängerungs- oder Terminverlegungsantrag des ungesicherten Antragstellers im einstweiligen Verfügungsverfahren dringlichkeitsschädlich - auch im Berufungsverfahren

OLG München
Hinweisbeschluss vom 16.09.2021
29 U 3437/21 Kart


Das OLG München hat im Rahmen eines Hinweisbeschlusses ausgeführt, dass ein Fristverlängerungsantrag oder ein Terminverlegungsantrag des ungesicherten Antragstellers im einstweiligen Verfügungsverfahren regelmäßig dringlichkeitsschädlich ist. Dies gilt auch für Anträge im Berufungsverfahren.

Aus den Gründen:

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Antragstellerin durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen. Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung; weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern ein Urteil des Senats. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten.

a) Die Berufung hat nach derzeitiger Aktenlage keine Aussicht auf Erfolg. Die Zurückweisung des Verfügungsantrags durch das Landgericht ist jedenfalls deswegen zu Recht erfolgt, weil der für den Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung erforderliche Verfügungsgrund nicht zu bejahen sein dürfte.

aa) Die nahezu einhellige Meinung behandelt den Verfügungsgrund als Zulässigkeitsvoraussetzung zur Rechtfertigung des Vorgehens im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes. Als Prozessvoraussetzung ist sein Vorliegen von Amts wegen zu prüfen und ist der Disposition der Parteien entzogen. Fehlt dieses besondere Rechtsschutzbedürfnis für die Durchführung eines Eilverfahrens, ist der Antrag als unzulässig abzuweisen (Retzer, in: HarteBavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 4. Aufl., § 12 Rn. 299 m. w. N.; Senat, WRP 2020, 109 Rn. 3).

bb) Grundsätzlich hat der Antragsteller nach § 936, § 920 Abs. 2 ZPO darzulegen und glaubhaft zu machen, warum er einer Eilentscheidung über die behaupteten Ansprüche bedarf, soweit nicht im Anwendungsbereich des § 12 Abs. 1 UWG bzw. aufgrund vergleichbarer Vorschriften eine Dringlichkeitsvermutung besteht. Unabhängig davon aber, ob ein Verfügungsgrund glaubhaft zu machen ist oder vermutet wird, ist er zu verneinen, wenn sich der Antragsteller bzw. dessen Prozessbevollmächtigter dringlichkeitsschädlich verhält (s. auch OLG Dresden, Beschluss v. 25.07.2019, 4 U 1087/19, Rn. 2, juris).

cc) Dies ist hier der Fall, denn der mit Schriftsatz vom 05.07.2021 (Bl. 73 d.A.) gestellte Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat ist - worauf der Senat mit Verfügung vom 06.09.2021 (Bl. 93 d.A.) hingewiesen hat - als dringlichkeitsschädlich anzusehen.

(i) Als dringlichkeitsschädliches Verhalten ist ein solches anzusehen, das erkennen lässt, dass es dem Antragsteller mit der Durchsetzung seiner Ansprüche nicht eilig ist (st. Rspr., vgl. die Nachweise bei Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl., § 12 Rn. 2.15), so dass die Durchführung eines Eilverfahrens mit all den damit zu Lasten des Antragsgegners verbundenen Einschränkungen gegenüber einem Klageverfahren einerseits und die mit dem Eilverfahren verbundene Bevorzugung der Sachbehandlung gegenüber anderen beim angerufenen Gericht anhängigen Verfahren andererseits nicht mehr gerechtfertigt erscheint (Senat, WRP 2019, 1375 Rn. 15 - Dringlichkeitsschädliche Sachbehandlung).

(ii) Dringlichkeitsschädliche Auswirkungen auf den Verfügungsgrund entfalten dabei nicht nur Verhaltensweisen vor Antragstellung, sondern auch solche während des bereits anhängigen Verfahrens, denn die mangelnde Dringlichkeit kann sich auch aus dem prozessualen Verhalten eines Antragstellers ergeben (BVerfG, 03.04.1998, 2 BvR 415/96, Rn. 4, juris). So wirkt sich insbesondere das zögerliche Betreiben des Verfahrens nachteilig auf den Verfügungsgrund aus (vgl. Schmidt, in: Büscher, UWG, § 12 Rn. 168, 213 ff.; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl., § 12 Rn. 2.16; Retzer, in: HarteBavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 4. Aufl., § 12 Rn. 321), wobei sich der Antragsteller Verzögerungen, die durch seinen Prozessbevollmächtigten verursacht werden, gem. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss (Retzer, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 4. Aufl., § 12 Rn. 325; Berneke/Schüttpelz, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 4. Aufl., Rn. 203). Dieser hat die Verfügungssache vorrangig zu erledigen und kann sich grundsätzlich weder auf eine eigene starke berufliche Beanspruchung noch auf Urlaub berufen (Senat, WRP 2019, 1375 Rn. 15 - Dringlichkeitsschädliche Sachbehandlung; Berneke/Schüttpelz, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 4. Aufl., Rn. 203; einschränkend Singer, in: Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, 9. Aufl., Kap. 47 Rn. 52 a. E., 54).

(iii) Nach zutreffender Auffassung sind daher im Regelfall Fristverlängerungs- oder Terminverlegungsanträge als dringlichkeitsschädlich anzusehen (vgl. Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl., § 12 Rn. 2.16), wenn sie vom noch ungesicherten Antragsteller gestellt werden. Denn mit gerichtlichen Entscheidungen, die derartigen Anträgen stattgeben, geht in aller Regel zwangsläufig eine Verfahrensverlängerung einher, mit der sich der den Fristverlängerungs-/Terminsverlegungsantrag anbringende Antragsteller zumindest konkludent einverstanden erklärt und damit zum Ausdruck bringt, dass ihm die Sache nicht derart eilig ist, dass sie eine Eilentscheidung rechtfertigen würde. Weil sich ein solches dringlichkeitsschädliches Verhalten mithin aus dem Antrag selbst ergibt, ist ein Verfügungsgrund folglich selbst dann zu verneinen, wenn einem derartigen Antrag seitens des Gerichts nicht entsprochen wird oder sich eine etwaige Stattgabe des Antrags im Ergebnis ausnahmsweise nicht auf die Verfahrensdauer auswirkt.

(iv) Auch im Berufungsverfahren muss der noch ungesicherte Antragsteller den geltend gemachten Anspruch zügig weiterverfolgen (vgl. Singer, in: Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, 9. Aufl., Kap. 47 Rn. 54; Voß, in: Cepl/Voß, ZPO, 2. Aufl., § 940 Rn. 90). Ihm ist es daher jedenfalls zuzumuten, eine eingelegte Berufung innerhalb der Berufungsbegründungsfrist zu begründen (vgl. OLG München, GRUR-RR 2016, 499 Rn. 79 - Verkaufsaktion für Brillenfassungen) und nicht durch eigene Fristverlängerungsanträge das Verfahren zu verzögern (OLG Dresden, Beschluss v. 25.07.2019, 4 U 1087/19, Rn. 2, juris).

(v) Gemessen an diesen Maßstäben dürfte ein Verfügungsgrund vorliegend zu verneinen sein. Durch den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat im Schriftsatz vom 05.07.2021 hat die Antragstellerseite zum Ausdruck gebracht, dass sie eine mit der Bewilligung der beantragten Fristverlängerung einhergehende Verfahrensverlängerung in Kauf nimmt und ihr die Sache nicht derart eilig ist, dass sie eine Eilentscheidung rechtfertigen würde. Dass die Antragstellerin die verlängerte Frist nicht voll ausgeschöpft hat, ist ohne Belang, da sich das dringlichkeitsschädliche Verhalten nach oben Gesagtem bereits aus der Antragstellung selbst ergibt.
Angesichts dessen greift auch der Einwand der Antragstellerin nicht, dass es nicht nahvollziehbar sei, weshalb die Antragstellerin weder nach Beantragung der Verlängerung noch im Rahmen der Bewilligung einen entsprechenden Hinweis erhalten habe, nicht, da zu diesen Zeitpunkten das dringlichkeitsschädliche Verhalten bereits erfolgt war - ungeachtet dessen, dass es insoweit ohnehin keines Hinweises bedurfte (OLG München, GRUR-RR 2016, 499 Rn. 79 - Verkaufsaktion für Brillenfassungen).

dd) Soweit die Antragstellerin unter Verweis auf hiervon zum Teil abweichende Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte die Zulassung der Revision beantragt, hat auch dieser Antrag im Hinblick auf § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO von vornherein keinen Erfolg.

b) Da die Berufung bereits aus diesem Grund erfolglos bleiben dürfte, kann dahinstehen, ob der Verfügungsgrund auch aus anderen Gründen zu verneinen ist und ob ein Verfügungsanspruch gegeben ist.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



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