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LG Darmstadt: Kammer für Handelssachen nur dann funktionell zuständig wenn sämtliche Ansprüche und deren Anspruchsgrundlagen Handelssachen sind

LG Darmstadt
Beschluss vom 01.03.2024
18 O 34/23


Das LG Darmstadt hat entschieden, dass die Kammer für Handelssachen nur dann funktionell zuständig ist, wenn sämtliche Ansprüche und deren Anspruchsgrundlagen Handelssachen sind.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Rechtsstreit ist auf Antrag des Beklagten gemäß § 97 Abs. 1 GVG an die funktional zuständige Zivilkammer zu verweisen.

Eine Zuständigkeit der Kammer für Handelssache ist nur gegeben, wenn die gesamte Streitsache eine Handelssache ist, also insbesondere hinsichtlich aller Ansprüche und Anspruchsgrundlagen (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 6.5.1992 - 20 AR 92/92; Urteil vom 26.9.2018 - 6 U 49/18).

Mit dem Antrag nach § 97 Abs. 1 GVG kann der Beklagte die Verweisung des gesamten Rechtsstreits an eine Zivilkammer erreichen, auch wenn nur Teile des Rechtsstreits nicht in die Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen fallen (vgl. Pernice, in: BeckOK-GVG, 21. Edition, Stand: 15.11.2023, § 97 Rn. 4). Insbesondere ist die Kammer für Handelssachen nicht gehalten, lediglich den nicht die Voraussetzungen des § 95 GVG erfüllenden Teil nach § 145 ZPO abzutrennen und nur diesen Teil zu verweisen (vgl. Lückemann, in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 97 GVG Rn. 8). Eine Prozesstrennung ist sogar unzulässig, wenn ein einheitlicher prozessualer Anspruch auf verschiedene Anspruchsgrundlagen gestützt wird, von denen - für sich betrachtet - nur eine Handelssache ist (vgl. Wittschier, in: Musielak/Voit, ZPO, 20. Aufl. 2023, § 97 GVG Rn. 5; ferner LG Offenburg, Beschluss vom 13.5.2014 - 5 O 20/14 KfH und Hunke, in: Anders/Gehle, ZPO, 82. Aufl. 2024 § 97 GVG Rn. 5).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die Kammer für Handelssachen funktional nicht zuständig.

Die Klägerin macht sowohl Ansprüche nach § 43 Abs. 2 GmbHG und Ansprüche aus abgetretenem Recht geltend, die aus einem anlässlich einer Anteilsübertragung dem Erwerber gegenüber abgegebenem Garantieversprechen resultieren sollen. Beide Ansprüche würden sich - so der schlüssige Vortrag der Klägerin, auf den es hier ankommt - zeitlich und inhaltlich überschneiden.

Ohne Zweifel ist die Kammer für Handelssachen für Ansprüche, die gegen den Beklagten als ehemaligen Geschäftsführer geltend gemacht und auf § 43 Abs. 2 GmbHG gestützt werden, funktional zuständig gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 4a GVG.

Für die Ansprüche aus dem Garantieversprechen, das von dem Beklagten als Verkäufer von Anteilen an der Klägerin an das Unternehmen B GmbH abgegeben wurde, und die von dem Unternehmen B GmbH an die Klägerin abgetreten worden sein sollen, ist eine funktionale Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen jedoch nicht begründet. Diese Ansprüche werden von dem Zuständigkeitskatalog des § 95 GVG nicht erfasst. Insoweit räumt auch die Klägerin ein, „dass eine funktionale Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen nach vorherrschender Meinung nicht möglich ist“ (Bl. 63 d.A.).

Der Beklagte hat bereits im Schriftsatz vom 18.1.2024 konkludent die Verweisung des Gesamtrechtstreits an die Zivilkammer gemäß § 97 Abs. 1 GVG beantragt und diesen Antrag im Schriftsatz vom 23.2.2024 ausdrücklich wiederholt.

Die Klägerin hatte Gelegenheit, zu dem Verweisungsantrag gemäß § 97 Abs. 1 GVG im Schriftsatz der Beklagten vom 18.1.2024 Stellung zu nehmen (vgl. Bl. 53 d.A.).

Eine Prozesstrennung nach § 145 ZPO kam nicht in Betracht. Denn die geltend gemachten Ansprüche, für die eine funktionale Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen nicht begründet ist, und die geltend gemachten Ansprüche, für die eine solche anzunehmen ist, überschneiden sich zum Teil zeitlich und inhaltlich. Teilweise wird nämlich der gleiche Anspruch sowohl auf § 43 Abs. 2 GmbHG als auch auf abgetretenes Recht aus einem Garantieversprechen gestützt.

Nur vorsorglich sei darauf hingewiesen, dass die Kammer für Handelssachen ausdrücklich keine Entscheidung zu der örtlichen Zuständigkeit des Landgerichts Darmstadt getroffen hat; hierzu ist die Zivilkammer berufen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Celle: Bei Werken der Baukunst gehen die Interessen des Eigentümers an anderweitiger Nutzung oder Bebauung des Grundstücks den Interessen des Urhebers an der Erhaltung regelmäßig vor

OLG Celle
Urteil vom 27.02.2024
13 U 57/23


Das OLG Celle hat entschieden, dass bei Werken der Baukunst die Interessen des Eigentümers an einer anderweitigen Nutzung oder Bebauung des Grundstücks den Interessen des Urhebers an der Erhaltung des Werkes regelmäßig vorgehen.

Aus den Entscheidungsgründen:
Es besteht auch ein Verfügungsanspruch. Die Kläger haben derzeit einen Unterlassungsanspruch aus § 97 Abs. 1, § 14 UrhG.

1. Die in Rede stehende Brunnenanlage ("Wasserspiegel") ist als Teil der von Prof. Lange geschaffenen Platzgestaltung urheberrechtlich geschützt. Die Platzgestaltung ist ein Werk der bildenden Kunst i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG. Sie weist in der Gesamtschau - insbesondere im Hinblick auf die Brunnenanlage - die für urheberrechtlich geschützte Werke erforderliche Schöpfungshöhe (§ 2 Abs. 2 UrhG) auf. Dies ist nicht zweifelhaft und steht zwischen den Parteien auch nicht im Streit.

2. Die Kläger sind als Erben Gesamtrechtsnachfolger von Prof. Lange (§ 1922 BGB) und daher auch Inhaber von dessen urheberrechtlichen Ansprüchen geworden.

3. Der Schutzbereich von § 14 UrhG ist betroffen. Die Entfernung des Brunnens als ein wesentliches Element des Entwurfs von Prof. Lange stellt eine Beeinträchtigung seines Werkes "Platzgestaltung" dar.

Auch wenn man - wie das Landgericht - isoliert nur auf den Brunnen abstellte, wäre dies der Fall. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfasst § 14 UrhG auch die Vernichtung des Werks (BGH, Urteil vom 21. Februar 2019 - I ZR 98/17 - HHole (for Mannheim), BGHZ 221, 181-212, Rn. 31). Das Urheberpersönlichkeitsrecht kann durch die Vernichtung eines Werks in besonderer Weise betroffen sein, weil die Vernichtung das Fortwirken des Werks (als Ausdruck der Persönlichkeit seines Schöpfers) vereiteln oder erschweren kann. Durch die Vernichtung wird das geistige Band zwischen dem Urheber und seinem Werk durchschnitten (BGH, aaO Rn. 33).

4. Für das Interesse des Urhebers an dem Erhalt seines Werks streitet die in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verbürgte Kunstfreiheit. Demgegenüber ist das Grundstückseigentum der Beklagten an dem Platz Gegenstand und Grundlage kommunaler Betätigung und genießt somit den verfassungsrechtlichen Schutz der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2019 - I ZR 98/17 - HHole (for Mannheim), BGHZ 221, 181-212, Rn. 34 f.)

5. Es ist somit eine umfassende Abwägung zwischen dem Erhaltungsinteresse der Kläger als Rechtsnachfolger des Urhebers und dem Interesse der Beklagten an einer Umgestaltung ihres Platzes vorzunehmen.

Hierbei überwiegt zum derzeitigen Zeitpunkt das Interesse der Kläger an dem Erhalt des Brunnens.

a) Bei der Prüfung, ob die Beeinträchtigung geeignet ist, die berechtigten persönlichen und geistigen Interessen des Urhebers am Werk zu gefährden, ist eine umfassende Abwägung der Interessen des Urhebers und des Eigentümers des Werks nach den folgenden, durch den Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätzen vorzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2019 - I ZR 98/17 - HHole (for Mannheim), BGHZ 221, 181-212):

Bei der Interessenabwägung ist auf Seiten des Urhebers zu berücksichtigen, ob es sich bei dem vernichteten Werk um das einzige Vervielfältigungsstück des Werks handelte oder ob von dem Werk weitere Vervielfältigungsstücke existieren. Ferner ist zu berücksichtigen, welche Gestaltungshöhe das Werk aufweist und ob es ein Gegenstand der zweckfreien Kunst ist oder als angewandte Kunst einem Gebrauchszweck dient (aaO, Rn. 39).

Auf Seiten des Eigentümers können, wenn ein Bauwerk oder Kunst in oder an einem solchen betroffen ist, bautechnische Gründe oder das Interesse an einer Nutzungsänderung von Bedeutung sein. Bei Werken der Baukunst oder mit Bauwerken unlösbar verbundenen Kunstwerken werden die Interessen des Eigentümers an einer anderweitigen Nutzung oder Bebauung des Grundstücks oder Gebäudes den Interessen des Urhebers am Erhalt des Werks in der Regel vorgehen, sofern sich aus den Umständen des Einzelfalls nichts anderes ergibt (aaO, Rn. 40).

Im Rahmen der Interessenabwägung kann sich auswirken, ob der Eigentümer dem Urheber Gelegenheit gegeben hat, das Werk zurückzunehmen oder - wenn dies aufgrund der Beschaffenheit des Werks nicht möglich ist - Vervielfältigungsstücke hiervon anzufertigen (aaO, Rn. 41).

b) Nach dieser Maßgabe überwiegt derzeit im Ergebnis das Erhaltungsinteresse der Kläger.

aa) Auf Seiten der Kläger ist zu berücksichtigen, dass die in Rede stehende Platzgestaltung eine vergleichsweise hohe Gestaltungshöhe aufweist und durch die Entfernung des Brunnens ihr wesentliches Element verlieren würde.

(1) Die Platzgestaltung weist eine - bezogen auf die Aufgabenstellung - vergleichsweise hohe Gestaltungshöhe auf. Die Relativierung durch das Landgericht überzeugt nicht. Insbesondere die Brunnenanlage trägt zu der besonderen Gestaltungshöhe bei, sie weist eine hohe Originalität auf. Die strenge, monumentale Geometrie der kreisrunden Brunneneinfassung wird "gestört" durch einen asymmetrisch kreuzenden Steg und geheimnisvoll wirkende, teilweise bepflanzte "Ruinen-Elemente", die die Phantasie des Betrachters dazu anregt, sich über die mögliche Funktion und Bedeutung Gedanken zu machen. Die Spiegelungen der geometrischen Naturstein-Elemente und der Bepflanzung in der Wasserfläche verstärken diesen Eindruck. Es ist verfehlt und verkennt die künstlerische Gestaltung, wenn das Landgericht darauf abstellt, dass ein Wasserspiegel ein nicht selten anzutreffendes Grundelement sei. Es ist künstlerischem Schaffen immanent, dass regelmäßig bekannte Grundelemente in neuer Weise kombiniert werden. Die Besonderheit liegt hier gerade darin, wie der Entwurf verhältnismäßig einfache geometrische Formen und das Element Wasser nutzt, um bestimmte Eindrücke zu erzeugen.

Darüber hinaus verkennt das Landgericht das zu beurteilende Werk, wenn es darauf abstellt, dass bei einem Brunnen vor allem Gebrauchszwecke zentral seien. Auch wenn der Platz als solches als Verkehrs- und Aufenthaltsfläche bestimmten Gebrauchszwecken dient, betrifft dies nicht den Brunnen als wesentliches Gestaltungselement des Platzes. Gerade der Brunnen beeindruckt dadurch, dass er mit seinen ungewöhnlichen Ausmaßen und seinen besonderen, spielerischen Elementen (Stege und Inseln) - außer der Möglichkeit, auf der gestuften Einfassung zu sitzen - weitgehend zweckfrei ist. Auch wenn der Entwurf Bezüge zu der in den 1980er Jahren aktuellen Architekturrichtung der Postmoderne aufweist, ist er stark durch eigenständige Merkmale geprägt.

Es trifft auch nicht zu, dass der Brunnen keine Bezüge zu seiner Umgebung aufweist. Der Entwurfsplan (Anlage Ast 2) veranschaulicht, dass die Platzgestaltung durchaus in Beziehung zu dem damaligen Neubau des Bankgebäudes tritt. Dies geschieht zum einen durch den das Gebäude durchquerenden Weg und die - wie der Brunnen - mit runden, gestuften Steinelementen eingefasste Baumreihe an der Berliner Allee, die an der dem Platz abgewandten Gebäudeseite im Bereich des Durchlasses des vorgenannten Weges beginnt, wodurch das Gebäude in die Platzgestaltung einbezogen wird. Zum anderen finden sich das Kreissegment des Grundrisses des Hauptgebäudes der Bank sowie der runde Aufbau des Nebengebäudes auch in der Geometrie des Brunnens wieder.

Ein bedeutendes Indiz für die besondere Gestaltungshöhe der Platzgestaltung ist schließlich auch, dass der Entwurf aus einem Architektenwettbewerb, an dem im Übrigen auch der damalige Stadtbaurat der Beklagten als Fachpreisrichter beteiligt war, als Sieger hervorging (s. Anlagen Ast 24 und 25).

(2) Im Grundsatz zur Recht beanstanden die Kläger auch, dass das Landgericht bei seiner Interessenabwägung von der Beseitigung des Brunnens als einem isolierten Werk ausgegangen sei und nicht die Platzgestaltung als Gesamtwerk berücksichtigt habe, das durch die Beseitigung des Brunnens eine gravierende Änderung erfahre.

Wenn infolge einer teilweisen Vernichtung eines Werkes Fragmente des Werkes erhalten bleiben, kann dies unter Umständen das Urheberpersönlichkeitsrecht stärker beeinträchtigen, als die vollständige Vernichtung des Werkes. Die Existenz des Fragments, das noch auf den Urheber hindeutet, stört dessen persönliche geistige Beziehung zu dem ursprünglichen, vollständigen Werk (Wandtke/Bullinger/Bullinger, 6. Aufl. 2022, UrhG § 14 Rn. 26). Die Interessen des Urhebers sind besonders dann beeinträchtigt, wenn Betrachter die verbliebenen Fragmente dem ursprünglichen Urheber zuordnen und dabei nicht erkennen, dass der Urheber das Werk so, wie es sich jetzt darstellt, nicht geschaffen hat.

Im Streitfall ist allerdings eher fernliegend, dass die nach einer Entfernung des Brunnens verbleibenden Teilelemente für einen interessierten Betrachter noch auf eine einheitliche Platzgestaltung als Gesamtwerk hinweisen. Der ursprüngliche Entwurf ist bereits durch die Entfernung der "Wasserwand" erheblich verändert worden. Nach einer Beseitigung des Brunnens würden nur noch wenige Gestaltungselemente verbleiben. Am Markantesten sind noch die Natursteineinfassungen der Bäume und Anpflanzungen an der Berliner Allee; diese sind aber durch den Hotelneubau von dem Platz deutlich getrennt worden, sodass sie auch von interessierten Betrachtern - wenn sie nicht über besonderes Hintergrundwissen über den früheren Zustand des Platzes verfügen - nach einer Entfernung des Brunnens kaum noch als Bestandteil einer einheitlichen Platzgestaltung wahrgenommen werden dürften. Auch der etwas abseits des eigentlichen Platzes gelegene Abgang zu der Unterführung wird unter Berücksichtigung der abweichenden Materialien (Sichtbeton und rote Klinkerpflasterung) kaum als Bestandteil der sonstigen Platzgestaltung wahrgenommen werden.

Wer hingegen die ursprüngliche Platzgestaltung kennt, wird auch erkennen, dass das ursprüngliche Werk verändert wurde und der beeinträchtigte Zustand nicht dem Urheber zugerechnet werden kann.

Dem Aspekt, dass die nach der Brunnenentfernung verbleibende Platzgestaltung auf ein Werk hindeuten würde, dass der Entwurfsverfasser so nicht geschaffen hat, kommt daher bei der Abwägung keine maßgebliche Bedeutung zu. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die bereits entfernte Wasserwand im Hinblick auf eine absehbare Bebauung von Anfang an nur als Provisorium konzipiert war oder - wie die Beklagte nach dem Schluss der Verhandlung näher vortragen hat - als wichtiger Bestandteil des Gesamtkonzepts von Prof. Lange anzusehen war.

(3) Weil das Werk entscheidend durch das markante Brunnenbauwerk geprägt wird, reduziert es auf der anderen Seite das Erhaltungsinteresse der Kläger aber auch nicht wesentlich, dass die ursprünglich entworfene Platzgestaltung durch den Hotelneubau und die Entfernung der "Wasserwand" bereits eine Änderung erfahren hat, bei der das Hotel teilweise die Funktion der "Wasserwand" übernommen hat, den Platz gegenüber der Berliner Allee abzuschirmen.

(4) Der von der Beklagten angebotenen Überlassung von Brunnenbauteilen und einer Dokumentation ist bei der Abwägung kein entscheidendes Gewicht beizumessen. Die Aufbewahrung einzelner Bauteile könnte kaum dazu beitragen, eine Erinnerung an die Gestaltung des Brunnens zu bewahren. Dass die Kläger den Brunnen mit den Bauteilen andernorts wieder aufbauen könnten, erscheint schon angesichts der Dimensionen des Brunnens fernliegend und könnte auch die ursprüngliche Platzgestaltung nicht rekonstruieren. In dem gegenwärtigen sanierungsbedürftigen Zustand des Brunnens ist auch die Anfertigung einer Foto-Dokumentation - über bereits vorhandene Unterlagen hinaus - kaum geeignet, Urheberinteressen zu dienen.

bb) Auf Seiten der Beklagten ist entscheidend ihr Interesse an einer anderweitigen Nutzung der durch den Brunnen eingenommenen Fläche zu berücksichtigen.

(1) Allerdings existieren noch keine Planungen der Beklagten dazu, wie der Platz und insbesondere die bisherige Brunnenfläche nach der Entfernung des Brunnens dauerhaft gestaltet werden sollen. In der dem Stadtbezirksrat vorgelegten Beschlussdrucksache vom 21. August 2023 zum "Rückbau des Zierbrunnens Andreas-Hermes-Platz-Brunnen auf dem Andreas-Hermes-Platz" kündigte die Beklagte an, dass sie im Jahr 2024 mit den Planungen für ein neues dauerhaftes Gestaltungs- und Nutzungskonzept des Platzes beginnen und dieses den Ratsgremien vorschlagen werde (Bl. 141 LG-A). Es muss einem schutzwürdigen Interesse der Beklagten an einer Nutzungsänderung jedoch nicht entgegenstehen, dass noch keine Planung für die dauerhafte Gestaltung des Platzes vorliegt. Schutzwürdig kann auch das Interesse sein, während einer Zwischenphase neue Konzepte zu erproben und dafür auch bereits den Brunnen zu entfernen. Dem steht nicht grundsätzlich entgegen, dass die Beklagte dann im Verlauf dieser Zwischennutzung möglicherweise auch zu dem Ergebnis gelangen könnte, dass für die endgültige Platzgestaltung eine Entfernung des Brunnens, den Prof. Lange nach den im Architektenwettbewerb vom damaligen Stadtbaurat geäußerten Vorstellungen der Beklagten, insbesondere zur Unterstützung von mehr Sozialkontrolle, statt des ursprünglich vorgesehenen "Paradiesgartens" entworfen hatte (Anlage Ast 24, Bl. 78 f. OLG-A), gar nicht erforderlich gewesen wäre.

(2) Auch für die beabsichtigte Zwischennutzung liegt aber keine näher konkretisierte Planung vor.

Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bezirksrats war dazu nach der Beschlussvorlage angekündigt, dass die Projektgruppe der AG bahnhofsnahe Plätze zeitnah Ideen entwickeln werde. Die hierzu nunmehr in der Berufungsinstanz vorgelegte Planungsskizze hat erkennbar den Charakter einer ersten Ideensammlung. Sie wirft zahlreiche Fragen auf, die sich bei der konkreten Planung der Interimsnutzung stellen werden. Bei vielen der schlagwortartig aufgeführten Ideen ist noch nicht ersichtlich, wie die Umsetzung erfolgen soll. Es ist unklar, ob tatsächlich für eine nur dreijährige Interimsnutzung eine derart aufwändige Umgestaltung - mit Pflanzung zahlreicher Bäume ("Wald") und der Anlage großer Grünflächen ("Gärten") - erfolgen soll, wie es die Skizze nahelegt. Welchen Bezug die eingefügten Fotos zu der Planung haben, ob beispielsweise eine versiegelte Fläche zum Rollschuhfahren angelegt werden soll, ist nicht ersichtlich. Unklar ist auch der konkrete Stand der erforderlichen Abstimmungsprozesse mit den verschiedenen zu beteiligenden Fachbereichen der Beklagten und ihren politischen Gremien sowie mit den Anliegern und den für eine "soziale Kuratierung" vorgesehenen "vielen Partner*innen". Insbesondere ist nicht ersichtlich, inwieweit die Finanzierung für eine derart aufwändige Umgestaltung des Platzes zur Interimsnutzung gesichert ist. Der auf dem Plan unter "Die nächsten Schritte" aufgeführte Punkt "Konkretisierung der notwendigen Finanzmittel" verdeutlicht, dass mit hohen Kosten zu rechnen und die Finanzierung zu klären ist. Im Ergebnis bleibt unklar, welche Aussicht auf eine Umsetzung für die in der Planungsskizze dargestellte Zwischennutzung besteht.

(3) Auf den vorstehend dargestellten Planungsstand der Beklagten zu der endgültigen Platzgestaltung und der Zwischennutzung käme es nicht entscheidend an, wenn aus Sicht der Beklagten in jedem Fall - unabhängig von der konkreten Planung - schon mit der bloßen Entfernung des Brunnens eine Verbesserung der gegenwärtigen Situation eintreten würde, die bei einem Erhalt des Brunnens nicht erreicht werden könnte. Dies ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr geht auch die Beklagte davon aus, dass verschiedene Maßnahmen erforderlich sind, um nach einem Abriss des Brunnens die gewünschte Revitalisierung des Platzes zu erreichen. Auf der anderen Seite erscheint es auch nicht ganz fernliegend, dass auch bei dem Erhalt des Brunnens mit gewissen anderweitigen Änderungen, insbesondere bei Eröffnung einer Außengastronomie, die gewünschte Verbesserung der derzeitigen Situation zu erreichen wäre. Es kommt daher bei der Interessenabwägung entscheidend darauf an, inwieweit konkrete Planungen der Beklagten zur geänderten Nutzung und Umgestaltung des Platzes vorliegen und eine hinreichende Aussicht auf eine Realisierung besteht.

(4) Weiter ist bei dem Beseitigungsinteresse der Beklagten in den Blick zu nehmen, dass der Brunnen gegenwärtig sanierungsbedürftig ist und die Ertüchtigung mit - im Einzelnen zwar streitigen, jedenfalls aber erheblichen - Kosten verbunden wäre. Allerdings wären auch die Entfernung des Brunnens (geschätzte Kosten mit Herstellung einer Steinsandfläche: 368.000 €, Bl. 142 LG-A), die beabsichtigte Umgestaltung zur Zwischennutzung und die abschließende Neugestaltung des Platzes und sowie der laufende Unterhalt etwaiger Geräte, Bepflanzungen etc. mit hohen, möglicherweise deutlich höheren Kosten verbunden (vgl. auch Angaben auf der Planungsskizze der Beklagten). Um das Gewicht des Kosteninteresses der Beklagten abschätzen zu können, wären nachvollziehbare Kostenschätzungen für beide Szenarien erforderlich.

cc) Im Ergebnis überwiegt derzeit bei der umfassenden Interessenabwägung das von den Klägern wahrgenommene Interesse des Urhebers an der Erhaltung seines Werks gegenüber dem Interesse der Beklagten an einer Umgestaltung des Platzes. Zwar gehen die Interessen des Grundstückseigentümers in der Regel gegenüber dem Urheberinteresse vor. Vorliegend genügt jedoch der gegenwärtige Stand der Planung der Beklagten für eine - dauerhafte oder vorübergehende - Umgestaltung und Umnutzung des Platzes nicht, um das verfassungsrechtlich geschützte Interesse des Urhebers an dem Erhalt seines Werks zurücktreten zu lassen. Es ist der Beklagten zuzumuten, zunächst ihre Nutzungsabsichten näher zu konkretisieren.

6. Auf der Grundlage der vorstehenden Erwägungen war der Verbotstenor abweichend von dem Wortlaut des Verfügungsantrags zu fassen. Dass die Beklagte gegenwärtig - auf der Grundlage des vorliegenden Planungsstandes als konkrete Verletzungsform - den Brunnen nicht beseitigen darf, schließt es nicht aus, dass sie weitere Planungen für eine Änderung der Platzgestaltung vornimmt, die den Abriss des Brunnens beinhalten und bei einer erneuten Interessenabwägung zu berücksichtigen wären.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuG: Keine Verwechslungsgefahr zwischen Unionsmarken "Paris Bar" und "Bar Paris" u.a. auch wegen abweichender grafischer Gestaltung

EuG
Urteil vom 13.03.2024
T-117/23


Das EuG hat entschieden, dass zwischen den Unionsmarken "Paris Bar" und "Bar Paris" u.a. auch wegen abweichender grafischer Gestaltung keine Verwechslungsgefahr besteht.

Aus den Entscheidungsgründen:
Nach ständiger Rechtsprechung ist die Verwechslungsgefahr umfassend zu beurteilen, und zwar entsprechend der Wahrnehmung der betreffenden Zeichen und der betreffenden Waren oder Dienstleistungen durch die maßgeblichen Verkehrskreise sowie unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Wechselbeziehung zwischen der Ähnlichkeit der Zeichen und der Ähnlichkeit der betreffenden Waren oder Dienstleistungen (vgl. Urteil vom 9. Juli 2003, Laboratorios RTB/HABM – Giorgio Beverly Hills [GIORGIO BEVERLY HILLS], T‑162/01, EU:T:2003:199, Rn. 30 bis 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Im vorliegenden Fall ist die Beschwerdekammer zu dem Ergebnis gelangt, dass angesichts der bildlichen, klanglichen und begrifflichen Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den einander gegenüberstehenden Zeichen sowie der geringen Kennzeichnungskraft der älteren Marke keine Verwechslungsgefahr für die maßgeblichen Verkehrskreise bestehe, selbst wenn die ältere Marke für Dienstleistungen verwendet würde, die mit den von der angemeldeten Marke erfassten Waren und Dienstleistungen identisch oder ihnen ähnlich seien.

Im Rahmen des fünften und des sechsten Teils des einzigen Klagegrundes, die bei der umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr zusammen zu prüfen sind, rügt die Klägerin, dass die Beschwerdekammer diese Gefahr verneint habe, und macht im Wesentlichen zwei Fehler geltend, die der Beschwerdekammer insoweit unterlaufen seien. Erstens habe die Beschwerdekammer fälschlicherweise angenommen, dass die bildlichen Unterschiede zwischen den einander gegenüberstehenden Zeichen sowie die geringe Kennzeichnungskraft der älteren Marke die begriffliche Ähnlichkeit dieser Zeichen neutralisieren könnten (fünfter Teil). Zweitens habe die Beschwerdekammer bei der Gesamtanalyse der Verwechslungsgefahr die normale Kennzeichnungskraft der älteren Marke nicht berücksichtigt, obwohl sie festgestellt habe, dass unter Annahme einer aufgrund intensiver Benutzung erhöhten Kennzeichnungskraft die Kennzeichnungskraft der älteren Marke als normal einzustufen wäre (sechster Teil).

Das EUIPO und die Streithelferin treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

Als Erstes sind die von der Klägerin im Rahmen des sechsten Teils des einzigen Klagegrundes vorgebrachten Erwägungen zurückzuweisen. Wie das EUIPO vorträgt, beruht das Vorbringen der Klägerin nämlich auf einem fehlerhaften Verständnis der angefochtenen Entscheidung. Insbesondere hat die Beschwerdekammer nicht festgestellt, die ältere Marke habe eine normale Kennzeichnungskraft, so dass die Klägerin nicht mit Erfolg geltend machen kann, dass die umfassende Beurteilung der Verwechslungsgefahr im Licht eines solchen Umstands hätte vorgenommen werden müssen.

Als Zweites geht zunächst aus der Begründung der Beschwerdekammer und insbesondere aus der von ihr in Rn. 83 der angefochtenen Entscheidung angeführten Rechtsprechung hervor, dass ihr nicht vorgeworfen werden kann, im vorliegenden Fall die „Neutralisierungstheorie“ angewandt zu haben. Die Beschwerdekammer hat nämlich die umfassende Beurteilung der Verwechslungsgefahr im Licht des Grundsatzes der Wechselbeziehung der Kriterien vorgenommen, wie es von der oben in Rn. 91 angeführten Rechtsprechung verlangt wird.

Ferner ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung den bildlichen, klanglichen oder begrifflichen Aspekten der einander gegenüberstehenden Zeichen bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr nicht immer das gleiche Gewicht zukommt. Zu untersuchen sind die objektiven Umstände, unter denen die Marken auf dem Markt in Erscheinung treten können. Das Gewicht der ähnlichen oder unterschiedlichen Bestandteile von Zeichen kann u. a. von deren Eigenschaften oder von den Bedingungen der Vermarktung der mit den Marken gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen abhängen (vgl. Urteil vom 24. Oktober 2018, Grupo Orenes/EUIPO – Akamon Entertainment Millenium [Bingo VIVA! Slots], T‑63/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:716, Rn. 71 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Im vorliegenden Fall ist, wie von der Klägerin vorgetragen, davon auszugehen, dass in der Gastronomie mündliche Empfehlungen sowie Fernseh- und Radiowerbung von erheblicher Bedeutung sein können. Ebenso ist in Übereinstimmung mit der Klägerin der Umstand zu berücksichtigen, dass Marken in diesem Bereich in gastronomischen Verzeichnissen, Reiseführern, Zeitungsartikeln und Reiseportalen aufgeführt werden können, ohne dass ihre grafische Gestaltung dort übernommen wird. In einem solchen Kontext ist der klangliche Aspekt sicher nicht ohne Bedeutung.

Die maßgeblichen Verkehrskreise werden jedoch beim Erwerb der von der angemeldeten Marke erfassten Lebensmittel und Getränke sowie bei der Inanspruchnahme der fraglichen Dienstleistungen die sie kennzeichnenden Marken vor allem optisch wahrnehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Januar 2014, Goldsteig Käsereien Bayerwald/HABM – Vieweg [goldstück], T‑47/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:37, Rn. 42). Außerdem kann, wie das EUIPO und die Streithelferin hervorgehoben haben, in der Gastronomie die grafische Darstellung einer Marke sowohl an den Außenfassaden der Betriebe oder auf ihren Speisekarten als auch auf Webseiten, insbesondere auf ihren Homepages oder auf Bewertungs- oder Lieferanbieter-Webseiten, sowie in verschiedenen Veröffentlichungen verwendet werden. In einem solchen Kontext ist der bildliche Aspekt und damit auch die Wahrnehmung der grafischen Bestandteile neben Wortbestandteilen wichtiger als der klangliche Aspekt.

100 Außerdem beruhen die klanglichen und begrifflichen Ähnlichkeiten zwischen den einander gegenüberstehenden Zeichen, auch wenn sie als hoch eingestuft werden, ausschließlich auf den sehr kennzeichnungsschwachen Wortbestandteilen der Zeichen, so dass den deutlichen Unterschieden, die die einander gegenüberstehenden Zeichen in bildlicher Hinsicht aufweisen, im Rahmen der umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr eine größere Bedeutung zukommt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Januar 2023, YAplus DBA Yoga Alliance/EUIPO – Vidyanand [YOGA ALLIANCE INDIA INTERNATIONAL], T‑443/21, nicht veröffentlicht, EU:T:2023:7, Rn. 120).

Nach alledem ist das Vorbringen der Klägerin, mit dem sie die Bedeutung des Ergebnisses des bildlichen Vergleichs der einander gegenüberstehenden Zeichen im vorliegenden Fall in Frage stellt, zurückzuweisen.

Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Verwechslungsgefahr umso größer ist, je höher sich die Kennzeichnungskraft der älteren Marke darstellt. Somit genießen Marken, die von Haus aus oder wegen ihrer Bekanntheit bei den Verkehrskreisen eine hohe Kennzeichnungskraft besitzen, einen umfassenderen Schutz als Marken, deren Kennzeichnungskraft geringer ist (vgl. entsprechend Urteile vom 11. November 1997, SABEL, C‑251/95, EU:C:1997:528, Rn. 24, vom 29. September 1998, Canon, C‑39/97, EU:C:1998:442, Rn. 18, und vom 22. Juni 1999, Lloyd Schuhfabrik Meyer, C‑342/97, EU:C:1999:323, Rn. 20).

Vor dem Hintergrund der sehr schwachen Kennzeichnungskraft der älteren Marke ermöglichen es die bildlichen Unterschiede zwischen den einander gegenüberstehenden Zeichen dem Durchschnittsverbraucher, Letztere deutlich zu unterscheiden, auch wenn es sich um die maßgeblichen Verkehrskreise mit einem durchschnittlichen Aufmerksamkeitsgrad handelt, und zwar trotz der Identität oder Ähnlichkeit der in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen.

Die Beschwerdekammer hat daher in Rn. 90 der angefochtenen Entscheidung zu Recht festgestellt, dass die maßgeblichen Verkehrskreise nicht davon ausgehen würden, dass die unter den einander gegenüberstehenden Zeichen angebotenen Waren und Dienstleistungen denselben betrieblichen Ursprung hätten.

Nach alledem ist der einzige Klagegrund der Klägerin zurückzuweisen und die Klage demzufolge insgesamt abzuweisen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH: Europäische Arzneimittel-Agentur muss im Genehmigungsverfahren für Arzneimittel dafür sorgen dass bei Sachverständigen kein Interessenkonflikt vorliegt

EuGH
Urteil vom 14.03.2024
C-291/22 P
D & A Pharma ./. EU-Kommission und EMA


Der EuGH hat entschieden, dass die Europäische Arzneimittel-Agentur im Genehmigungsverfahren für Arzneimittel dafür sorgen muss, dass bei Sachverständigen kein Interessenkonflikt vorliegt.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln: Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) muss dafür sorgen, dass bei den von ihr konsultierten Sachverständigen kein Interessenkonflikt vorliegt

Die EMA kann sich dieser Pflicht zur objektiven Unparteilichkeit nicht dadurch entziehen, dass sie vom Anmelder verlangt, die Parteilichkeit des betreffenden Ausschussmitglieds nachzuweisen.

Das Laboratorium D & A Pharma beantragte bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) die Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen von Hopveus, eines Arzneimittels auf der Basis von Natriumoxybat. Die Indikation dieses Wirkstoffs ist die mittel- und langfristig Bekämpfung von Alkoholabhängigkeit.

Im Anschluss an ein ablehnendes Gutachten des Ausschusses für Humanarzneimittel (CHMP) (der Teil der EMA ist) beantragte D & A Pharma eine Überprüfung ihres Antrags, wobei sie u. a. eine Änderung der therapeutischen Indikationen des Arzneimittels vorschlug, sowie die Einberufung einer wissenschaftlichen Beratergruppe (der WBG Psychiatrie). Auch dieser Überprüfungsantrag führte zu einem ablehnenden Gutachten, woraufhin die Europäische Kommission im Juli 2020 die Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen von Hopveus verweigerte.

D & A Pharma erhob beim Gericht der Europäischen Union eine Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses der Kommission, wobei sie u. a. die mangelnde Unparteilichkeit der konsultierten Sachverständigen (die sich in einem Interessenkonflikt befänden) sowie eine Verletzung des Grundsatzes der kontradiktorischen Prüfung rügte. Nachdem ihre Klage abgewiesen wurde1 , wendet sie sich nunmehr an den Gerichtshof.

Der Gerichtshof hebt das Urteil des Gerichts sowie den Beschluss der Kommission, mit dem die Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen von Hopveus verweigert wurde, auf.

In seinem Urteil führt der Gerichtshof zunächst aus, dass bei einem Mitglied der vom CHMP konsultierten Sachverständigengruppe ein Interessenkonflikt vorlag, was zu einem wesentlichen Verfahrensfehler führt. Sodann stellt er fest, dass das Urteil des Gerichts mit einem Rechtsfehler behaftet ist, da die vom Gericht vorgenommene Auslegung der Politik in Bezug auf konkurrierende Interessen mit dem Grundsatz der objektiven Unparteilichkeit unvereinbar ist.

Schließlich stellt der Gerichtshof fest, dass der Rechtsstreit entscheidungsreif ist, und fügt hinzu, dass die Entscheidung, anstelle der WBG Psychiatrie eine Ad-hoc-Sachverständigengruppe einzuberufen, einen Fehler darstellt, mit dem das Verfahren zur Verabschiedung des Gutachtens der EMA behaftet ist. Infolgedessen ist auch das Verfahren zum Erlass des Beschlusses der Kommission fehlerhaft. Die EMA ist nämlich verpflichtet, dafür zu sorgen, dass der CHMP systematisch eine WBG konsultiert, wenn derjenige, der eine Überprüfung beantragt, rechtzeitig und mit hinreichender Begründung eine solche Konsultation verlangt.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EU-Kommission: Verfahren gegen AliExpress nach dem Digital Services Act (DSA) u.a. wegen der Moderation von Inhalten, Transparenz von Werbung und Rückverfolgbarkeit von Händlern

Die EU-Kommission hat ein förmliches Verfahren gegen AliExpress nach dem Digital Services Act (DSA) u.a. wegen der Moderation von Inhalten, Transparenz von Werbung und Rückverfolgbarkeit von Händlern eingeleitet.

Die Pressemitteilung der EU-Kommission:
Kommission leitet förmliches Verfahren gegen AliExpress nach dem Gesetz über digitale Dienste ein

Die Kommission hat ein förmliches Verfahren eingeleitet, um zu prüfen, ob AliExpress in Bereichen im Zusammenhang mit dem Management und der Minderung von Risiken, der Moderation von Inhalten und dem internen Beschwerdemanagementsystem, der Transparenz von Werbe- und Empfehlungssystemen, der Rückverfolgbarkeit von Händlern und dem Datenzugang für Forscher möglicherweise gegen das Gesetz über digitale Dienste verstoßen hat.

Auf der Grundlage der bisher durchgeführten vorläufigen Untersuchung, einschließlich der Analyse des von AliExpress im August 2023 übermittelten Risikobewertungsberichts, der in seinem Transparenzbericht veröffentlichten Informationen und ihrer Antworten auf die förmlichen Auskunftsersuchen der Kommission (vom 6. November 2023 und 18. Januar 2024), hat die Kommission beschlossen, ein förmliches Verfahren gegen AliExpress nach dem Gesetz über digitale Dienste einzuleiten.

Die Beratungen werden sich auf folgende Bereiche konzentrieren:

- Die Einhaltung der Verpflichtungen des Gesetzes über digitale Dienste in Bezug auf die Bewertung und Minderung der systemischen Risiken der Verbreitung illegaler Inhalte sowie tatsächliche oder vorhersehbare negative Auswirkungen auf den Verbraucherschutz, insbesondere im Zusammenhang mit
- Die mangelnde Durchsetzung von AliExpress-Dienstleistungsbedingungen, die bestimmte Produkte verbieten, die eine
Gefahr für die Gesundheit der Verbraucher darstellen (z. B. gefälschte Arzneimittel und Lebensmittel sowie
Nahrungsergänzungsmittel) und speziell für Minderjährige (Zugang zu pornografischem Material), die die Verbraucher noch
auf der Plattform finden können;
- Das Fehlen wirksamer Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung illegaler Inhalte;
- Das Fehlen wirksamer Maßnahmen, um vorsätzliche Manipulationen auf der Online-Plattform durch sogenannte „versteckte
Links“ zu verhindern;
- Das Fehlen wirksamer Maßnahmen zur Vermeidung von Risiken aufgrund von Merkmalen wie Influencern, die illegale oder
schädliche Produkte im Rahmen des „verbundenen Programms“ von AliExpress fördern.

- Die Einhaltung der Verpflichtung des Gesetzes über digitale Dienste, allen Nutzern, einschließlich derjenigen, die nicht registriert sind, zu ermöglichen, illegale Inhalte zu melden und eine Bestätigung des Eingangs der Meldung zu erhalten;

- Die Einhaltung der Verpflichtung des Gesetzes über digitale Dienste, ein wirksames internes Beschwerdemanagementsystem bereitzustellen;

- Die Einhaltung der Verpflichtung des Gesetzes über digitale Dienste, die Zuverlässigkeit und Vollständigkeit der von Wirtschaftsbeteiligten, die AliExpress verwenden, angeforderten Informationen zu sammeln und zu bewerten, auch in Bezug auf Händler im Rahmen des „AliExpress Affiliate Program“, im Einklang mit der Rückverfolgbarkeit der Bestimmungen der Händler;

- Die Einhaltung der Verpflichtung des Gesetzes über digitale Dienste, für Transparenz in Bezug auf die wichtigsten Parameter zu sorgen, die in den Empfehlungssystemen von AliExpress verwendet werden, und mindestens eine Option eines Empfehlungssystems anzubieten, das nicht auf Profiling beruht;

- Die Einhaltung der Verpflichtung des Gesetzes über digitale Dienste, ein durchsuchbares und zuverlässiges Archiv für Werbung auf AliExpress bereitzustellen;

- Die Einhaltung der Verpflichtung des Gesetzes über digitale Dienste, Forschern gemäß Artikel 40 des Gesetzes über digitale Dienste Zugang zu öffentlich zugänglichen Daten von AliExpress zu gewähren.

Sollten diese Verstöße nachgewiesen werden, würden diese Verstöße einen Verstoß gegen die Artikel 16, 20, 26, 27, 30, 34, 35, 38, 39 und 40 des Gesetzes über digitale Dienste darstellen. Die Kommission wird nun vorrangig eine eingehende Prüfung durchführen. Die Eröffnung eines förmlichen Verfahrens greift dem Ergebnis nicht vor.

Nächste Schritte
Nach der förmlichen Einleitung des Verfahrens wird die Kommission weiterhin Beweismittel sammeln, z. B. durch zusätzliche Auskunftsersuchen, Befragungen oder Inspektionen.

Mit der Einleitung eines förmlichen Verfahrens wird die Kommission ermächtigt, weitere Durchsetzungsmaßnahmen zu ergreifen, z. B. einstweilige Maßnahmen zur Beendigung oder Behebung eines Verstoßes gegen Artikel 28 Absatz 1 und Beschlüsse wegen Nichteinhaltung. Die Kommission ist ferner befugt, von AliExpress eingegangene Verpflichtungszusagen anzunehmen, um Abhilfe in dem von dem Verfahren betroffenen Sachverhalt zu schaffen.

Das Gesetz über digitale Dienste sieht keine gesetzliche Frist für die Beendigung eines förmlichen Verfahrens vor. Die Dauer einer eingehenden Untersuchung hängt von mehreren Faktoren ab, u. a. von der Komplexität des Falls, dem Umfang der Zusammenarbeit des betroffenen Unternehmens mit der Kommission und der Ausübung der Verteidigungsrechte.

Die Einleitung eines förmlichen Verfahrens entbindet die Koordinatoren für digitale Dienste von ihrer Befugnis, das Gesetz über digitale Dienste in Bezug auf mutmaßliche Verstöße gegen die Artikel 16, 20, 26, 27 und 30 zu überwachen und durchzusetzen.

Die Einleitung eines förmlichen Verfahrens greift weder dem Ergebnis noch anderen Verfahren vor, die die Kommission nach anderen Artikeln des Gesetzes über digitale Dienste einleiten kann. Dies gilt auch unbeschadet der Durchsetzungsmaßnahmen, die andere Behörden im Rahmen anderer Rechtsrahmen, z. B. des Netzwerks für die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz, ergreifen.

Hintergrund
AliExpress wurde am 25. April 2023 gemäß dem EU-Gesetz über digitale Dienste als sehr große Online-Plattform (VLOP) benannt, nachdem es erklärt hatte, dass es 104,3 Millionen monatlich aktive Nutzer in der EU gibt. Als VLOP musste AliExpress vier Monate nach seiner Benennung mit der Erfüllung einer Reihe von Verpflichtungen aus dem Gesetz über digitale Dienste beginnen.

Seit dem 17. Februar gilt das Gesetz über digitale Dienste für alle Online-Vermittler in der EU.


BVerfG: Verstoß gegen prozessuale Waffengleichheit wenn einstweilige Verfügung keine Ausführungen enthält weshalb Gericht von mündlicher Verhandlung abgesehen hat

BVerfG
Beschluss vom 12.03.2024
1 BvR 605/24


Das BVerfG hat in einem Eilverfahren entschieden, dass ein Verstoß gegen den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit naheliegt, wenn eine einstweilige Verfügung keine Ausführungen enthält, weshalb das Gericht von einer mündlichen Verhandlung abgesehen hat.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:
Erfolgreicher Eilantrag einer Zeitungsverlegerin gegen die gerichtliche Untersagung der Bebilderung zweier Presseartikel

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts dem Antrag der Verlegerin einer deutschlandweit erscheinenden Zeitung auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattgegeben. Sie wendet sich gegen eine ohne mündliche Verhandlung ergangene einstweilige Verfügung, mit der ihr die Bebilderung zweier Presseartikel teilweise untersagt wurde. Eine Entscheidung über die in der Hauptsache erhobene Verfassungsbeschwerde steht noch aus.

Im Dezember 2023 berichtete die Beschwerdeführerin auf ihrer Internetseite in zwei Artikeln über einen Unfall. Beide Artikel waren mit Fotoaufnahmen bebildert, auf denen der bei dem Unfall Verstorbene – bis auf die Augenpartie unverpixelt – zu sehen war. Auf Antrag der Witwe des Verstorbenen untersagte das Landgericht der Beschwerdeführerin im Wege der – ohne mündliche Verhandlung ergangenen – einstweiligen Verfügung, diese Bilder zu veröffentlichen. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde erhoben und hiermit verbunden beantragt, die Wirksamkeit des angegriffenen Beschlusses einstweilen außer Vollzug zu setzen. Der angegriffene Beschluss verletze sie insbesondere in ihrem Recht auf prozessuale Waffengleichheit.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet. Die vorzunehmende Folgenabwägung führt zu dem Ergebnis, dass die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe überwiegen. Denn die Verfassungsbeschwerde ist hinsichtlich der gerügten Verletzung der prozessualen Waffengleichheit im einstweiligen Verfügungsverfahren offensichtlich zulässig und begründet.

Weshalb das Landgericht von einer mündlichen Verhandlung abgesehen hat, obschon eine solche auch vor der Entscheidung über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung die Regel ist, lässt sich seiner Entscheidung nicht entnehmen. Ihre Begründung lässt mangels jeglicher Ausführungen zu § 937 Abs. 2 ZPO nicht einmal erkennen, dass sich das Landgericht von den einfachrechtlichen Anforderungen an seine Verfahrensweise überhaupt leiten ließ. Soweit es damit sogar hinter einer nur formelhaft begründeten Verfahrenshandhabung zurückbleibt, die das Bundesverfassungsgericht in einem ähnlich gelagerten Fall desselben Spruchkörpers erst unlängst beanstandet hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. Juni 2023 - 1 BvR 1011/23 -, Rn. 31 f.), ist deshalb ein bewusstes und systematisches Übergehen der prozessualen Rechte der Beschwerdeführerin nachvollziehbar dargetan.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH: Datenschutzrechtliche Aufsichtsbehörde darf auch ohne Antrag des Betroffenen die Löschung unrechtmäßig verarbeiteter personenbezogener Daten anweisen

EuGH
Urteil vom 14.03.2024
C‑46/23


Der EuGH hat entschieden, dass eine datenschutzrechtliche Aufsichtsbehörde auch ohne Antrag des Betroffenen die Löschung unrechtmäßig verarbeiteter personenbezogener Daten anweisen darf.

Tenor der Entscheidung:
1. Art. 58 Abs. 2 Buchst. d und g der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) ist dahin auszulegen, dass die Aufsichtsbehörde eines Mitgliedstaats den Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiter in Ausübung ihrer in diesen Bestimmungen vorgesehenen Abhilfebefugnisse selbst dann zur Löschung unrechtmäßig verarbeiteter personenbezogener Daten anweisen darf, wenn die betroffene Person keinen entsprechenden Antrag auf Ausübung ihrer Rechte nach Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung gestellt hat.

2. Art. 58 Abs. 2 der Verordnung 2016/679 ist dahin auszulegen, dass sich die Befugnis der Aufsichtsbehörde eines Mitgliedstaats, die Löschung unrechtmäßig verarbeiteter personenbezogener Daten anzuordnen, sowohl auf bei der betroffenen Person erhobene als auch auf aus einer anderen Quelle stammende Daten beziehen kann.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Schutz personenbezogener Daten: Die Aufsichtsbehörde eines Mitgliedstaats kann selbst dann die Löschung unrechtmäßig verarbeiteter Daten anordnen, wenn die betroffene Person zuvor keinen entsprechenden Antrag gestellt hat

Eine solche Löschung kann sich sowohl auf bei der betroffenen Person erhobene als auch auf aus einer anderen Quelle stammende Daten beziehen.

2020 beschloss die Kommunalverwaltung Újpest (Ungarn), Personen, die zu einer von der Covid-19-Pandemie gefährdeten Gruppe gehörten, finanziell zu unterstützen. Sie ersuchte deshalb die ungarische Staatskasse und die Regierungsbehörde des IV. Bezirks der Hauptstadt Budapest, ihr die zur Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen erforderlichen personenbezogenen Daten zu übermitteln.

Aufgrund eines Hinweises stellte die zuständige ungarische Datenschutzbehörde (im Folgenden: Aufsichtsbehörde) fest, dass sowohl die Verwaltung Újpest als auch die ungarische Staatskasse und die Regierungsbehörde gegen Regelungen der DSGVO1 verstoßen hatten. Entsprechende Geldbußen wurden verhängt.

Die Aufsichtsbehörde stellte fest, dass die Verwaltung Újpest die betroffenen Personen innerhalb der dafür geltenden Frist von einem Monat weder über die Verwendung ihrer Daten und den Zweck dieser Verarbeitung noch über ihre Datenschutzrechte informiert hatte. Zudem wies sie die Verwaltung Újpest an, die Daten anspruchsberechtigter Personen, die keine Unterstützung beantragt hatten, zu löschen.

Die Verwaltung Újpest hat diese Entscheidung beim Hauptstädtischen Stuhlgericht (Ungarn) angefochten und macht geltend, die Aufsichtsbehörde sei nicht befugt, die Löschung personenbezogener Daten anzuordnen, wenn die betroffene Person zuvor keinen entsprechenden Antrag gestellt habe.

Das ungarische Gericht ersucht den Gerichtshof um Auslegung der DSGVO.

Mit seinem heutigen Urteil antwortet der Gerichtshof, dass die Aufsichtsbehörde eines Mitgliedstaats von Amts wegen die Löschung unrechtmäßig verarbeiteter Daten anordnen darf, also selbst dann, wenn die betroffene Person zuvor keinen entsprechenden Antrag gestellt hat, falls eine solche Maßnahme zur Erfüllung ihrer Aufgabe erforderlich ist, die darin besteht, über die umfassende Einhaltung der DSGVO zu wachen. Erkennt die Aufsichtsbehörde, dass eine Datenverarbeitung nicht der DSGVO entspricht, so muss sie dem festgestellten Verstoß abhelfen, und zwar auch dann, wenn die betroffene Person zuvor keinen Antrag gestellt hat. Denn das Erfordernis einer solchen Antragstellung würde bedeuten, dass der Verantwortliche bei fehlendem Antrag die betreffenden personenbezogenen Daten weiterhin speichern und unrechtmäßig verarbeiten dürfte.

Außerdem kann die Aufsichtsbehörde eines Mitgliedstaats die Löschung unrechtmäßig verarbeiteter Daten unabhängig davon anordnen, ob sie unmittelbar bei der betroffenen Person erhoben wurden oder aus einer anderen Quelle stammen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

Volltext BGH liegt vor: Bank kann sich auf Gesetzlichkeitsfiktion gem. Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB berufen wenn abweichende Widerrufsbelehrung den Verbraucher begünstigt

BGH
Urteil vom 27.02.2024
XI ZR 258/22
BGB § 356b Abs. 2 Satz 1, § 357 Abs. 4 Satz 1, § 358 Abs. 4 Satz 1, § 492 Abs. 2 EGBGB Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 2, § 3 Abs. 1 Nr. 11, § 6 Abs. 1 Satz 1, EGBGB Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 2, § 3 Abs. 1 Nr. 11, § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, § 6 Abs. 2 Satz 3, § 7 Abs. 1 Nr. 3, § 7 Abs. 1 Nr. 4


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Bank kann sich auf Gesetzlichkeitsfiktion gem. Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB berufen wenn abweichende Widerrufsbelehrung den Verbraucher begünstigt über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH:
a) Eine richtlinienkonforme Auslegung der in Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB angeordneten Gesetzlichkeitsfiktion scheidet angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts auch bei einem Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag im Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. 2008, L 133, S. 66, berichtigt in ABl. 2009, L 207, S. 14, ABl. 2010, L 199, S. 40 und ABl. 2011, L 234, S. 46; im Folgenden: Verbraucherkreditrichtlinie) aus (Bestätigung von Senatsbeschluss vom 31. März 2020 - XI ZR 198/19, WM 2020, 838 Rn. 11).

b) Bei einem Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag im Anwendungsbereich der Verbraucherkreditrichtlinie muss nach § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB gegebenenfalls klar und verständlich angegeben werden, dass es sich um einen verbundenen Darlehensvertrag handelt und dass dieser Vertrag als befristeter Vertrag geschlossen worden ist

c) Bei einem Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag im Anwendungsbereich der Verbraucherkreditrichtlinie beginnt die Widerrufsfrist im Falle einer unvollständigen oder fehlerhaften Information nach § 356b Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 492 Abs. 2 BGB nur zu laufen, wenn die Unvollständigkeit oder Fehlerhaftigkeit dieser Information nicht geeignet ist, sich auf die Befähigung des Verbrauchers, den Umfang seiner aus dem Darlehensvertrag herrührenden Rechte und Pflichten einzuschätzen, oder auf seine Entscheidung, den Vertrag zu schließen, auszuwirken und ihm gegebenenfalls die Möglichkeit zu nehmen, seine Rechte unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie denen auszuüben, die vorgelegen hätten, sofern die Information vollständig und zutreffend erteilt worden wäre.

d) Das Fehlen der Angaben des zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden konkreten Verzugszinssatzes und der Art und Weise seiner Anpassung nach § 356b Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB hindert das Anlaufen der Widerrufsfrist nicht (Aufgabe von Senatsurteil vom 12. April 2022 - XI ZR 179/21, WM 2022, 979 Rn. 10).

e) Bei einem Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag im Anwendungsbereich der Verbraucherkreditrichtlinie ist die nach Art. 247 § 7 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB erforderliche Information über die Berechnungsmethode des Anspruchs auf Vorfälligkeitsentschädigung klar und verständlich, wenn der Darlehensnehmer die zu zahlende Vorfälligkeitsentschädigung oder zumindest deren Höchstbetrag leicht ermitteln kann. Falls eine solche Klausel einer Inhaltskontrolle nach nationalem Recht nicht standhält, hindert dies das Anlaufen der Widerrufsrist nach § 495 Abs. 1 BGB i.V.m. § 355 Abs. 2, § 356b BGB nicht (Bestätigung von Senatsurteil vom 28. Juli 2020 - XI ZR 288/19, BGHZ 226, 310 Rn. 24 ff.).

f) Zu den Angaben über das einzuhaltende Verfahren bei der Kündigung des Vertrags nach Art. 247 § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EGBGB gehört nicht die Information über das außerordentliche Kündigungsrecht des § 314 BGB, sondern nur - soweit einschlägig - die Information über das Kündigungsrecht gemäß § 500 Abs. 1 BGB (Bestätigung von Senatsurteil vom 5. November 2019 - XI ZR 650/18, BGHZ 224, 1 Rn. 29 ff.).

g) Bei Allgemein-Verbraucherdarlehensverträgen im Anwendungsbereich der Verbraucherkreditrichtlinie erfordert die Information über den Zugang des Verbrauchers zu einem außergerichtlichen Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren nach Art. 247 § 7 Abs. 1 Nr. 4 EGBGB, dass der Verbraucher über alle ihm seitens des Darlehensgebers zur Verfügung stehenden außergerichtlichen Beschwerde- oder Rechtsbehelfsverfahren und gegebenenfalls die mit ihnen jeweils verbundenen Kosten informiert wird; ferner muss er im Kreditvertrag darüber belehrt werden, ob die Beschwerde oder der Rechtsbehelf auf Papier oder elektronisch einzureichen ist, des Weiteren über die physische oder elektronische Adresse, an die die Beschwerde oder der Rechtsbehelf zu senden ist, und schließlich über die sonstigen formalen Voraussetzungen, denen die Beschwerde oder der Rechtsbehelf unterliegt (Aufgabe von Senatsbeschluss vom 11. Februar 2020 - XI ZR 648/18, juris Rn. 37 ff.).

h) Bei einem mit einem im stationären Handel geschlossenen Fahrzeugkaufvertrag verbundenen und vom Darlehensnehmer widerrufenen Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag entfällt das Leistungsverweigerungsrecht des Darlehensgebers nach § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB nicht dadurch, dass der Darlehensnehmer das Fahrzeug an einen - weder an dem Darlehensvertrag noch an dem damit verbundenen Kaufvertrag beteiligten - Dritten veräußert hat (Bestätigung von Senatsurteil vom 14. Februar 2023 - XI ZR 152/22, BGHZ 236, 148 Rn. 24 ff.).

BGH, Urteil vom 27. Februar 2024 - XI ZR 258/22 - OLG Saarbrücken LG Saarbrücken

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BGH: Seit 01.01.2024 muss nach § 2 Abs. 1 PartGG der Name einer Partnerschaft nur noch den Zusatz "und Partner" oder "Partnerschaft" nicht aber den Namen eines Partners enthalten

BGH
Beschluss vom 06.02.2024
II ZB 23/22
PartGG idF vom 10. August 2021 § 2 Abs. 1

Der BGH hat entschieden, dass seit 01.01.2024 nach § 2 Abs. 1 PartGG der Name einer Partnerschaft nur noch den Zusatz "und Partner" oder "Partnerschaft" nicht aber den Namen eines Partners enthalten muss.

Leitsatz des BGH:
Gemäß § 2 Abs. 1 PartGG idF vom 10. August 2021, in Kraft getreten am 1. Januar 2024, muss der Name der Partnerschaft nur noch den Zusatz "und Partner" oder "Partnerschaft" enthalten. Die Aufnahme des Namens mindestens eines Partners ist nicht mehr erforderlich.

BGH, Beschluss vom 6. Februar 2024 - II ZB 23/22 - OLG Frankfurt am Main - AG - Registergericht - Frankfurt am Main

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BGH: Elektronisch per beA abgegebenes Empfangsbekenntnis hat dieselbe Wirkung wie papiergebundenes Empfangsbekenntnis

BGH
Beschluss vom 17.01.2024
VII ZB 22/23
ZPO § 173 Abs. 2, 3


Der BGH hat entschieden, dass ein elektronisch per beA abgegebenes Empfangsbekenntnis dieselbe Wirkung wie ein papiergebundenes Empfangsbekenntnis

Leitsätze des BGH:
a) Für die Rücksendung des elektronischen Empfangsbekenntnisses in Form eines strukturierten Datensatzes per besonderem elektronischen Anwaltspostfach (beA) ist es erforderlich, dass aufseiten des die Zustellung empfangenden Rechtsanwalts die Nachricht geöffnet sowie mit einer entsprechenden Eingabe ein Empfangsbekenntnis erstellt, das Datum des Erhalts des Dokuments eingegeben und das so generierte Empfangsbekenntnis versendet wird. Die Abgabe des elektronischen Empfangsbekenntnisses setzt mithin die Willensentscheidung des Empfängers voraus, das elektronische Dokument an dem einzutragenden Zustellungsdatum als zugestellt entgegenzunehmen; darin liegt die erforderliche Mitwirkung des Rechtsanwalts, ohne dessen aktives Zutun ein elektronisches Empfangsbekenntnis nicht ausgelöst wird.

b) Das von einem Rechtsanwalt elektronisch abgegebene Empfangsbekenntnis erbringt - wie das herkömmliche papiergebundene (analoge) Empfangsbekenntnis - gegenüber dem Gericht den vollen Beweis nicht nur für die Entgegennahme des Dokuments als zugestellt, sondern auch für den angegebenen Zeitpunkt der Entgegennahme und damit der Zustellung. (Anschluss an BVerwG, Beschluss vom 19. September 2022 - 9 B 2/22, NJW 2023, 703)

BGH, Beschluss vom 17. Januar 2024 - VII ZB 22/23 - OLG Nürnberg - LG Nürnberg-Fürth

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Nürnberg: Kein Verstoß gegen Unterlassungserklärung und keine Vertragsstrafe wenn urheberrechtswidrige Inhalte noch im Internetarchiv Wayback Machine aufrufbar sind

OLG Nürnberg
Hinweisbeschluss vom 19.02.2024
3 U 2291/23


Das OLG Nürnberg führt in einem Hinweisbeschluss aus, dass kein Verstoß gegen eine Unterlassungserklärung vorliegt und somit keine Vertragsstrafe verwirkt ist, wenn urheberrechtswidrige Inhalte noch im Internetarchiv Wayback Machine aufrufbar sind.

Aus den Entscheidungsgründen:
II. Unter Berücksichtigung dieses rechtlichen Maßstabs hat die Klägerin keine Zuwiderhandlungen der Beklagten gegen den Unterlassungsvertrag vom 16.11.2021 dargetan.

1. Bei dem behaupteten Verstoß der weiterhin bestehenden Auffindbarkeit der streitgegenständlichen Kartenausschnitte über Eingabe der genauen URL fehlt es an der Öffentlichkeit der Zugänglichmachung (vgl. BGH GRUR 2021, 1286 Rn. 16 ff. – Lautsprecherfoto). Das Landgericht führte aus, dass bereits auf Grund der eigentümlichen Buchstaben-Zahlen-Kombination, die die Beklagte zur Bezeichnung ihrer Einsatzpläne verwendet hatte und die in dieser Form für den jeweiligen Einsatzplan auch in die längere URL hätte eingegeben werden müssen, nach der Lebenserfahrung davon ausgegangen werden könne, dass die URL-Adresse nur von Personen eingegeben werden könne, die diese Adresse zuvor – als die Kartenausschnitte noch im Rahmen des Internetauftritts der Beklagten über die Systemnavigation frei zugänglich gewesen seien – abgespeichert oder sie sonst in irgendeiner Weise kopiert oder notiert hätten. Gegen diese zutreffende Einschätzung durch das Erstgericht wendet sich die Berufung nicht. Vor diesem Hintergrund kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Wiedergabe gegenüber recht vielen Personen gegeben ist.

2. Eine Zuwiderhandlung nach § 339 S. 2 BGB kann auch nicht in dem Vortrag der Klägerin gesehen werden, dass die Kartenausschnitte auch nach Abschluss des Unterwerfungsvertrags über das Internetarchiv „w...“ abrufbar gewesen seien.

a) Es fehlt zum einen an den – auch für eine Zuwiderhandlung gegen den Unterlassungsvertrag – erforderlichen Tatbestandsvoraussetzungen der Verletzung des Rechts der öffentlichen Wiedergabe in seiner besonderen Erscheinungsform des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung.

aa) Im Streitfall kann bereits deshalb kein öffentliches Zugänglichmachen i.S.v. § 19a UrhG angenommen werden, weil die Beklagte auf dem Internetarchiv „w...“ nicht die Kontrolle über die Bereithaltung der Kartenausschnitte ausübt und sich diese daher nicht in ihrer Zugriffssphäre befinden (vgl. BGH GRUR 2019, 950 Rn. 44 – Testversion).

bb) Darüber hinaus fehlt es an den Voraussetzungen einer öffentlichen Wiedergabe i.S.v. § 15 Abs. 2 UrhG, da die Beklagte über die „w...“ nicht absichtlich und gezielt Dritten einen Zugang zu den Kartenausschnitten verschafft und auch Umstände, die im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung von Bedeutung sind, gegen eine Zuwiderhandlung gegen den Unterlassungsvertrag sprechen.

In diesem Zusammenhang ist der Zweck der „w...” – eine Internetbibliothek mit dem Ziel zu schaffen, Forschern, Historikern, Wissenschaftlern und allen weiteren Interessierten einen permanenten Zugang insbesondere zu nicht mehr vorhandenen Webseiten zu bieten (Hoeren, MMR 2006, V) – zu berücksichtigen. So wie die fortdauernde Auffindbarkeit einer früheren, mittlerweile zu unterlassenden Werbung in der „w...“ mangels Marktbezugs keine geschäftliche Handlung i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG darstellt, da die Auffindbarkeit darüber kein denkbarer Kanal zur Absatzförderung ist (LG Karlsruhe GRUR-RS 2023, 2296), liegt kein urheberrechtlich relevantes Verschaffen eines Zugangs zum geschützten Werk vor, da dem durchschnittlichen Internetnutzer bekannt ist, dass es sich bei den von der „w...“ vorgehaltenen Seiten um eine frühere Fassung des Internetauftritts handelt (vgl. zum Speichern im Cache der Suchmaschine Dreier/Schulze/Dreier, 7. Aufl. 2022, UrhG § 19a Rn. 6a). Die Beklagte verschafft somit nicht Dritten in voller Kenntnis der Folgen ihres Verhaltens Zugang zu den Kartenausschnitten.

Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die „w...“ nicht von üblichen Internet-Suchmaschinen durchsucht werden kann. Vielmehr muss der Internetnutzer gezielt das Internetarchiv aufrufen und dort – da das Archiv keine eigene Suchfunktion aufweist – gezielt nach Inhalten suchen.

Schließlich kann nicht außer Acht gelassen werden, dass der Tatbestand der öffentlichen Wiedergabe eine wertende Gesamtbetrachtung der maßgeblichen Umstände erforderlich macht. Daraus folgt für den Streitfall, dass in die Auslegung des Unterlassungsvertrags eingestellt werden kann, dass die Beklagte keine zentrale Rolle einnahm, um Nutzern über die „w...“ Zugang zu den Kartenausschnitten zu verschaffen, dass die (ursprüngliche) Veröffentlichung der Notfalltreffpunkte im Gemeindegebiet nicht Erwerbszwecken diente, sowie dass bei einer „Wiedergabe“ über die „w...“ nicht davon ausgegangen werden kann, dass eine aufnahmebereite Öffentlichkeit für die Kartenausschnitte selbst besteht.

b) Zum anderen fehlt es an der Darlegung der Verletzung von Handlungspflichten zur Beseitigung eines fortdauernden Störungszustands.

So ist weder dargetan noch ersichtlich, dass eine Abrufbarkeit über die „w...“ der Beklagten (wirtschaftlich) zugutekommt, was aber Voraussetzung für eine Einwirkungspflicht auf Dritte ist.

Außerdem trägt die Beklagte vor, dass sie gegenüber den Betreibern des Internetarchivs entsprechende Löschungsanträge gestellt habe. Damit hätte sie ihren – unterstellten – Handlungspflichten zur Beseitigung des Störungszustandes genügt. Einen Erfolg des Bemühens der Einwirkung auf Dritte schuldet der Unterlassungsschuldner nicht (vgl. BGH GRUR 2018, 292 Rn. 33 – Produkte zur Wundversorgung).

3. Soweit die Klägerin einen Verstoß gegen den Unterwerfungsvertrag schließlich darauf stützt, dass bei der Eingabe bestimmter Begriffe in Suchmaschinen ein Link zu der Datei mit dem streitgegenständlichen Kartenausschnitt auf der Homepage der Beklagten an erster Stelle der Ergebnisliste erschienen sei, kann dies aus den nachfolgenden beiden Gründen der Berufung nicht zum Erfolg verhelfen.

a) Zum einen fehlt es beim Vortrag im Zusammenhang mit den Suchmaschinen an der Darlegung des Zugänglichmachens der Kartenausschnitte, also der Wiedergabe, selbst.

Auf den vorgelegten Screenshots mit den Ergebnislisten der Suchmaschinen ist lediglich ein Link zu einem PDF-Dokument auf der von der Beklagten betriebenen Homepage ersichtlich. Die Werke sind in der Ergebnisliste weder als Vorschaubilder (vgl. BGH GRUR 2010, 628 Rn. 19 – Vorschaubilder) noch sonst erkennbar.

Dass beim Klicken auf den Link tatsächlich die Homepage der Beklagten geöffnet und Zugang zu den Kartenausschnitten geschaffen wird, ist weder dargetan noch vor dem Hintergrund des nicht bestrittenen Vortrags der Beklagten des vollständigen Löschens aus dem CMS der Beklagten, weshalb ein Aufruf über die Seitennavigation der URL www.s[…]-m[…].de nicht mehr möglich sei, ersichtlich. Soweit die Klägerin vorträgt, dass die Kartenausschnitte bei heute abrufbar seien, kann den im Zusammenhang mit diesem Vortrag vorgelegten Anlagen K 15, BK 1 und BK 2 entnommen werden, dass diese Seiten bei der sogenannten „w...“ (https://archive.org/web) aufgerufen wurden. Die Aufrufbarkeit über das Internetarchiv „w...“ kann – wie bereits ausgeführt – eine Zuwiderhandlung gegen den Unterlassungsvertrag jedoch nicht begründen.

b) Zum anderen fehlt es – wegen der Übertragbarkeit der im Zusammenhang mit der Eingabe der genauen URL gemachten Überlegungen zur Öffentlichkeit der Zugänglichmachung (vgl. dazu die obigen Ausführungen unter Ziffer 1.) auf die im vorliegenden Fall notwendige Eingabe bestimmter Begriffe in Suchmaschinen – an der Darlegung einer öffentlichen Wiedergabe. Aufgrund der vorliegend maßgeblichen Einzelfallumstände ist in der konkreten Situation nicht damit zu rechnen, dass eine entsprechend große Personengruppe die Kartenausschnitte suchen und auffinden könnte.

aa) Im vorliegenden Fall war es erforderlich, bestimmte Begriffe wie „Notfalltreffpunkt O. der S.“, „einsatzplan o. der st.“ oder „einsatzplan r. l.“ in die Suchmaschine einzugeben, um als Suchergebnis einen Link zur Webseite der Beklagten angezeigt zu bekommen. Eine – unterstellte – Zugänglichkeit zu den Kartenausschnitten war daher nur „umständlich“ durch Eingabe genau dieser Wörter möglich. Es fehlt vor diesem Hintergrund an der Öffentlichkeit der Wiedergabe, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass recht viele Personen über diese konkreten Suchbegriffe auf die streitgegenständlichen Notfallpläne Zugriff haben. Es ist auszuschließen, dass Dritte in nennenswerter Zahl von der Möglichkeit des Abrufs Gebrauch machen, weshalb jegliche Relevanz für den Urheber und dessen Möglichkeit, sein Werk wirtschaftlich zu verwerten, fehlt.

bb) Der Senat schließt sich der Einschätzung des Landgerichts an, dass die klägerseits verwendeten Suchmaschinenbegriffe für einen gewöhnlichen Internetnutzer zur Bezeichnung von Einsatzplänen schon deswegen völlig ungewöhnlich sind, weil nicht einmal der Gemeindename der Beklagten in das Suchfeld zusätzlich eingegeben wurde. Die Möglichkeit, dass ein gewöhnlicher Internetnutzer in der Zeit von 2015 bis November 2021 sich die entsprechenden Namen der Einsatzpläne der Beklagten notiert oder abgespeichert hat und sodann bei einer Suchmaschinen-Suche nach diesem Zeitraum direkt den Namen der Pläne ohne Angabe der Gemeinde suchen würde, entspricht nicht der Lebenserfahrung.

Die entsprechenden Namen sind überdies exklusiv auf das Gemeindegebiet der Beklagten – einer kleinen Gemeinde von reichlich 7.000 Einwohnern – zugeschnitten, so dass jedenfalls Nutzer, die nicht schon vor dem Jahr 2021 von der Existenz entsprechender Pläne samt Namen wussten, nunmehr nach Herunternahme der Einsatzpläne vom Internetauftritt der Beklagten von sich aus nicht darauf kommen würden, dass es solche Einsatzpläne womöglich geben könnte und deshalb danach mittels Suchmaschine suchen würden.

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass es vorliegend um die Bezeichnung von Notfallplänen geht, deren namentliche Existenz überhaupt nur einer ganz kleinen, speziellen Gruppe – nämlich wohl nur Feuerwehr- und Katastrophenschutzbehördenmitarbeitern in der Gemeinde bzw. dem zugehörigen Landkreis – bekannt sein dürfte. Andere Personen, insbesondere Gemeindebürger der Beklagten, würden nach entsprechenden Einsatz-/Notfalltreffpunktplänen wohl ausnahmslos nur im ganz konkreten Brand- und/oder Katastrophenfall suchen, jedoch kaum vorab sich diese insbesondere namentlich (analog oder digital) notieren.

c) Außerdem setzt eine öffentliche Wiedergabehandlung grundsätzlich voraus, dass der Nutzer in voller Kenntnis – also absichtlich und gezielt – der Folgen seines Verhaltens tätig werden muss, woran es im vorliegenden Fall ebenfalls fehlt. Es sind keine Anhaltspunkte gegeben, dass die Kartenausschnitte nach dem Löschen aus dem CMS der Beklagten, weshalb sie nicht (mehr) über die Homepage der Beklagten aufrufbar waren, nach dem Willen der Beklagten – einer Gemeinde – (weiter) für andere Personen verfügbar sein sollten. Der streitgegenständliche Unterlassungsvertrag kann vor dem Hintergrund des Wortlauts, der Art und Weise des Zustandekommens sowie der Anlassverstöße auch nicht dahingehend ausgelegt werden, dass die Parteien über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen und vom verletzten Verwertungsrecht nicht erfasste Handlungen einbeziehen wollten.

d) In Bezug auf die schließlich notwendige wertende Gesamtbetrachtung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls kann auf die obigen Ausführungen unter B.II.2.a) bb) a.E. verwiesen werden.


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BMJ: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zuständigkeitsstreitwerts der Amtsgerichte, zum Ausbau der Spezialisierung der Justiz in Zivilsachen sowie zur Änderung weiterer prozessualer Regelungen

Das BMJ hat den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zuständigkeitsstreitwerts der Amtsgerichte, zum Ausbau der Spezialisierung der Justiz in Zivilsachen sowie zur Änderung weiterer prozessualer Regelungen vorgelegt.

Aus der Begründung:
A. Problem und Ziel
In Verfahren wegen bürgerlich-rechtlicher Rechtsstreitigkeiten sind je nach Fallgestaltung die Amtsgerichte oder die Langerichte als Eingangsinstanz zuständig. Dabei leisten insbesondere die Amtsgerichte als Eingangsinstanz einen wichtigen Beitrag zur Bürgernähe der Justiz. Denn durch ihre Verteilung in der Fläche wird den Bürgerinnen und Bürgern ein ortsnaher Rechtsschutz und ein leichter Zugang zur Justiz gewährleistet. Eine stark ausgeprägte und gut in der Fläche verteilte amtsgerichtliche Struktur übernimmt damit eine wichtige rechtsstaatliche Aufgabe.

Die Zahl der erstinstanzlich bei den Amtsgerichten eingegangenen Zivilverfahren ist in den letzten Jahrzehnten jedoch immer weiter zurückgegangen. Diese Schwächung ist insbesondere für kleinere Amtsgerichtsstandorte problematisch, da diese den Rückgang der Eingangszahlen nicht durch einen Abbau der Stellen kompensieren können und daher die Gefahr besteht, dass sie ganz geschlossen werden müssen. Ziel des vorliegenden Entwurfs ist daher, die Amtsgerichte in Zivilsachen zu stärken. Außerdem soll durch den Entwurf in bestimmten Bereichen die Spezialisierung in der Justiz gefördert werden.

Daneben sollen zwei Probleme der gerichtlichen Praxis adressiert werden:

Zum einen ist es Gerichten bislang nicht möglich, eine in Folge einer nachträglichen Streitwertänderung oder in Folge einer erfolgreichen Beschwerde gegen die Wertfestsetzung unrichtig gewordene Kostenentscheidung zu ändern. Dies führt zu Wertungswidersprüchen und Ungerechtigkeiten.

Zum anderen werden aufgrund der unklaren Regelung im Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz derzeit keine Richterinnen und Richter an das Bayerische Oberste Landesgericht abgeordnet. Dies hat zur Folge, dass dort bei hohem Geschäftsanfall Engpässe im richterlichen Bereich entstehen können, welche durch Abordnungen verhindert werden könnten.

Dieser Entwurf steht im Kontext der gefährdeten rechtzeitigen Erreichung der Ziele der Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 25. September 2015 „Transformation unserer Welt: die UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ und erhöht die Leistungsfähigkeit der Justiz im Sinne von Nachhaltigkeitsziel 16.

B. Lösung
Für die Begründung der erstinstanzlichen Zuständigkeit der Amtsgerichte in Zivilsachen ist vor allem der Zuständigkeitsstreitwert entscheidend. Dieser wird derzeit in § 23 Nummer 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes auf Ansprüche festgelegt, deren Gegenstand an Geld oder Geldwert die Summe von 5 000 Euro nicht übersteigt. Diese Streitwertgrenze für die Zuständigkeit der Amtsgerichte wurde seit mehr als 30 Jahren nicht mehr angehoben. Sie wurde zuletzt im Jahr 1993 auf 10 000 DM festgesetzt; dies entspricht der noch heute geltenden Streitwertgrenze von 5 000 Euro. Daher soll unter Berücksichtigung der seitdem eingetretenen Geldwertentwicklung eine Anhebung auf 8 000 Euro erfolgen. Durch diese Anhebung werden die streitwertabhängigen Zuständigkeiten aus dem Jahr 1993 weitestgehend wiederhergestellt und die Anzahl der erstinstanzlich vor dem Amtsgericht zu verhandelnden zivilrechtlichen Verfahren wird sich wieder erhöhen.

Daneben sollen zur Förderung der Spezialisierung weitere streitwertunabhängige Zuständigkeiten der Amts- und Landgerichte geschaffen werden. Zivilrechtliche Streitigkeiten werden in einigen Rechtsgebieten zunehmend komplexer, bei anderen Rechtsgebieten spielt hingegen die Ortsnähe eine besondere Rolle. Durch die im Entwurf vorgesehene, streitwertunabhängige Zuweisung von Sachgebieten an das Amts- oder das Landgericht wird diesem Umstand Rechnung getragen, sodass Verfahren effizient und ressourcenschonend bearbeitet werden können. So sollen Streitigkeiten aus dem Bereich des Nachbarrechts den Amtsgerichten streitwertunabhängig zugewiesen werden. Bei nachbarrechtlichen Streitigkeiten spielt die Ortsnähe oft eine besondere Rolle. Streitigkeiten aus dem Bereich der Vergabesachen, der Heilbehandlungen sowie der Veröffentlichungsstreitigkeiten sollen hingegen den Landgerichten streitwertunabhängig zugewiesen werden, um so eine weitergehende Spezialisierung zu erreichen. Der Entwurf greift damit ein Anliegen der Justizministerinnen und Justizminister aller Länder auf (vergleiche Beschluss zu TOP I.3 der Frühjahrskonferenz 2023 der Justizministerinnen und Justizminister).

Außerdem soll eine Regelung in der Zivilprozessordnung geschaffen werden, die eine Änderung der vom Gericht im Urteil oder Beschluss getroffenen Kostenentscheidung nach einer nachträglichen Änderung der Festsetzung des Streit- oder des Verfahrenswertes ermöglicht. Damit wird ebenfalls ein Anliegen der Justizministerinnen und Justizminister der Länder aufgegriffen (vergleiche Beschluss zu TOP I.15 der Frühjahrskonferenz 2023 der Justizministerinnen und Justizminister). Für das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, sowie in den Verfahrensordnungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Finanzgerichtsbarkeit sind jeweils entsprechende Regelungen zu schaffen.

Des Weiteren soll im Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz eine gesetzliche Klarstellung erfolgen, dass Abordnungen von Richterinnen und Richtern auch an oberste Landesgerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit möglich sind.


Den Entwurf finden Sie hier:




BGH: Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO gewährt keinen Anspruch auf Abschriften der Begründungsschreiben samt Anlagen zu Prämienanpassungen einer privaten Krankenversicherung

BGH
Urteil vom 06.02.2024
VI ZR 15/23
DSGVO Art. 15 Abs. 1, 3


Der BGH hat abermals entschieden, dass Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO keinen Anspruch auf Abschriften der Begründungsschreiben samt Anlagen zu Prämienanpassungen einer privaten Krankenversicherung gewährt.

Leitsatz des BGH:
Aus Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO folgt grundsätzlich kein Anspruch auf Abschriften der Begründungsschreiben samt Anlagen zu Prämienanpassungen in der privaten Krankenversicherung (Anschluss an BGH, Urteil vom27. September 2023 - IV ZR 177/22, NJW 2023, 3490 Rn. 45 ff.).

BGH, Urteil vom 6. Februar 2024 - VI ZR 15/23 - OLG Celle - LG Verden

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EuGH: TC-Strings der IAB Europe sind personenbezogene Daten im Sinne der DSGVO - Zur Zulässigkeit von Werbung per Real Time Bidding

EuGH
Urteil vom 07.03.2024
C-604/22
IAB Europe gegen Gegevensbeschermingsautoriteit


Der EuGH hat entschieden, dass die TC-Strings der IAB Europe personenbezogene Daten im Sinne der DSGVO sind.

Tenor der Entscheidung:
1. Art. 4 Nr. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) ist dahin auszulegen, dass eine aus einer Kombination von Buchstaben und Zeichen bestehende Zeichenfolge wie der TC‑String (Transparency and Consent String), die die Präferenzen eines Internetnutzers oder Nutzers einer Anwendung in Bezug auf dessen Einwilligung in die Verarbeitung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten durch Anbieter von Websites oder Anwendungen sowie durch Datenbroker und Werbeplattformen enthält, ein personenbezogenes Datum im Sinne dieser Bestimmung darstellt, soweit sie, wenn sie mit vertretbarem Aufwand einer Kennung wie insbesondere der IP‑Adresse des Geräts dieses Nutzers zugeordnet werden kann, es erlaubt, die betreffende Person zu identifizieren. Unter diesen Umständen schließt der Umstand, dass eine Branchenorganisation, die im Besitz dieser Zeichenfolge ist, ohne einen Beitrag von außen weder Zugang zu den Daten hat, die von ihren Mitgliedern im Rahmen der von ihr aufgestellten Regeln verarbeitet werden, noch diese Zeichenfolge mit anderen Elementen kombinieren kann, nicht aus, dass diese Zeichenfolge ein personenbezogenes Datum im Sinne dieser Bestimmung darstellt.

2. Art. 4 Nr. 7 und Art. 26 Abs. 1 der Verordnung 2016/679 sind dahin auszulegen, dass

– zum einen eine Branchenorganisation, soweit sie ihren Mitgliedern einen von ihr aufgestellten Regelungsrahmen in Bezug auf die Einwilligung im Bereich der Verarbeitung personenbezogener Daten anbietet, der nicht nur verbindliche technische Vorschriften enthält, sondern auch Vorschriften, die detailliert festlegen, wie personenbezogene Daten, die diese Einwilligung betreffen, gespeichert und verbreitet werden müssen, als „gemeinsam Verantwortlicher“ im Sinne dieser Bestimmungen einzustufen ist, wenn sie unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des vorliegenden Falles aus Eigeninteresse auf die betreffende Verarbeitung personenbezogener Daten Einfluss nimmt und damit gemeinsam mit ihren Mitgliedern die Zwecke der und die Mittel zur betreffenden Verarbeitung festlegt. Der Umstand, dass eine solche Branchenorganisation selbst keinen unmittelbaren Zugang zu den von ihren Mitgliedern innerhalb dieses Regelungsrahmens verarbeiteten personenbezogenen Daten hat, schließt nicht aus, dass sie ein gemeinsam Verantwortlicher im Sinne dieser Bestimmungen sein kann;

– zum anderen sich die gemeinsame Verantwortlichkeit dieser Branchenorganisation nicht automatisch auf die Weiterverarbeitung personenbezogener Daten durch Dritte, wie beispielsweise Anbieter von Websites oder Anwendungen, erstreckt, was die Nutzerpräferenzen für gezielte Online-Werbung betrifft.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Versteigerung von personenbezogenen Daten für Werbezwecke: der Gerichtshof stellt die Regeln auf der Grundlage der DSGVO klar

Wenn ein Nutzer eine Website oder eine Anwendung mit einem Werbeplatz aufruft, können Werbeunternehmen, Datenbroker und Werbeplattformen, die Tausende von Werbetreibenden vertreten, anonym in Echtzeit Gebote abgeben, um diesen Werbeplatz zu erhalten und dort auf das Profil des Nutzers abgestimmte Werbung anzuzeigen (Real Time Bidding).

Bevor jedoch eine solche gezielte Werbung angezeigt wird, muss die vorherige Einwilligung des Nutzers zur Erhebung und Verarbeitung seiner Daten (insbesondere seinen Standort, sein Alter, den Verlauf seiner Suchanfragen und seine zuletzt getätigten Einkäufe betreffend) für bestimmte Zwecke, wie u. a. Marketing oder Werbung, oder zum Austausch dieser Daten mit bestimmten Anbietern eingeholt werden. Der Nutzer kann dem auch widersprechen.

IAB Europe ist ein Verband ohne Gewinnerzielungsabsicht mit Sitz in Belgien, der Unternehmen der digitalen Werbe- und Marketingindustrie auf europäischer Ebene vertritt. IAB Europe hat eine Lösung entwickelt, die dieses Versteigerungssystem mit der DSGVO in Einklang bringen können soll. Die Nutzerpräferenzen werden in einem aus einer Kombination von Buchstaben und Zeichen bestehenden String kodiert und gespeichert, der als „Transparency and Consent String“ (TC-String) bezeichnet wird und der mit Brokern für personenbezogene Daten und Werbeplattformen geteilt wird, damit diese wissen, worin der Nutzer eingewilligt oder wogegen er Widerspruch eingelegt hat. Auf dem Gerät des Nutzers wird auch ein Cookie gespeichert. Miteinander kombiniert, können der TC-String und das Cookie der IP-Adresse dieses Nutzers zugeordnet werden.

Im Jahr 2022 stellte die belgische Datenschutzbehörde fest, dass der TC-String ein personenbezogenes Datum im Sinne der DSGVO darstelle und dass IAB Europe als Verantwortlicher aufgetreten sei, ohne die Vorschriften der DSGVO vollständig einzuhalten. Die Behörde verhängte gegen IAB Europe mehrere Abhilfemaßnahmen sowie eine Geldbuße. IAB Europe focht diese Entscheidung an und wandte sich an den Appellationshof Brüssel, der dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt hat.

Mit seinem Urteil bestätigt der Gerichtshof, dass der TC-String Informationen über einen identifizierbaren Nutzer enthält und somit ein personenbezogenes Datum im Sinne der DSGVO darstellt. Anhand der in einem TC-String enthaltenen Informationen kann nämlich, wenn sie einer Kennung wie insbesondere der IP-Adresse des Geräts des Nutzers zugeordnet werden, ein Profil dieses Nutzers erstellt und die betreffende Person identifiziert werden.

Darüber hinaus ist IAB Europe als „gemeinsam Verantwortlicher“ im Sinne der DSGVO anzusehen. Vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen scheint diese Organisation nämlich bei der Speicherung der Einwilligungspräferenzen der Nutzer in einem TC-String auf die Verarbeitungen personenbezogener Daten Einfluss zu nehmen und gemeinsam mit ihren Mitgliedern sowohl die Zwecke dieser Verarbeitungen als auch die ihnen zugrunde liegenden Mittel festzulegen. Allerdings kann, unbeschadet einer etwaigen im nationalen Recht vorgesehenen zivilrechtlichen Haftung, IAB Europe für Datenverarbeitungen, die nach der Speicherung der Einwilligungspräferenzen der Nutzer in einem TC-String erfolgen, nur dann als im Sinne der DSGVO verantwortlich angesehen werden, wenn nachgewiesen werden kann, dass dieser Verband Einfluss auf die Festlegung der Zwecke und Modalitäten dieser Weiterverarbeitungen ausgeübt hat.


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LG Köln: Sparkasse muss Kunden nach Phishing-Angriff per Call-ID Spoofing gemäß § 675u BGB Schaden durch nicht autorisierte Zahlungsvorgänge ersetzen

LG Köln
Urteil vom 20.11.2023
22 O 43/23


Das LG Köln hat entschieden, dass eine Sparkasse seinem Kunden nach einem Phishing-Angriff per Call-ID Spoofing gemäß § 675u BGB den Schaden durch nicht autorisierte Zahlungsvorgänge ersetzen muss.

Aus den Entscheidungsgründen;
Der Klageantrag zu 1.) ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte, das bei ihr geführte Girokonto des Klägers Nr. N01 auf den Stand zu bringen, auf dem es sich ohne die Belastungen durch die nicht autorisierten Zahlungsvorgänge in Höhe von insgesamt EUR 9.933,38 am 23.09.2022 befunden hätte.

1. Nach § 675u S. 1 BGB hat der Zahlungsdienstleister (hier die Beklagte) des Zahlers (hier des Klägers) im Fall eines nicht autorisierten Zahlungsvorgangs gegen diesen keinen Anspruch auf Erstattung seiner Aufwendungen. Er ist nach § 675u S. 2 BGB verpflichtet, dem Zahler den Zahlungsbetrag unverzüglich zu erstatten und, sofern der Betrag einem Zahlungskonto belastet worden ist, dieses Zahlungskonto wieder auf den Stand zu bringen, auf dem es sich ohne die Belastung durch den nicht autorisierten Zahlungsvorgang befunden hätte.

2. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, da die streitgegenständlichen Zahlungsvorgänge nicht durch den Kläger autorisiert waren. Dies ist bereits deshalb der Fall, weil sie nicht durch den Berechtigten, nämlich den Kläger, ausgeführt worden sind; eine Stellvertretung für den Kläger ist ausgeschlossen (vgl. BGH, Urteil vom 26.01.2016 – XI ZR 91/14, BGHZ 208, 331 Rn. 58 m.w.N.). Dass der Kläger die Zahlungsvorgänge mittels ApplePay nicht selbst autorisiert hat, steht nach dem Vortrag der Parteien fest. Während die Beklagte zunächst die Autorisierung jedenfalls konkludent bestritten hat („sofern er die Freigabe einer digitalen Debitkarte nicht wissentlich veranlasst hat“, Bl. 73 d. A.), ging sie zuletzt von „durch den Betrüger vorgenommenen Zahlungen“ (Bl. 157 d. A.) aus. Jedenfalls wäre auch ein einfaches Bestreiten der Beklagten, die nach Maßgabe des § 675w BGB vorrangig im Hinblick auf den Nachweis der Authentifizierung darlegungs- und beweisbelastet ist, nicht geeignet gewesen, um den substantiierten Ausführungen des Klägers entgegenzutreten (vgl. § 138 Abs. 3 ZPO).

Die Beklagte kann dem klägerischen Anspruch auch keinen Schadensersatzanspruch gemäß § 675v BGB nach § 242 BGB entgegenhalten (sog. dolo-agit-Einwendung). Der Beklagten steht unter keinem erdenklichen rechtlichen Gesichtspunkt ein solcher Schadensersatzanspruch zu. Ein solcher Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus § 675v Abs. 3 Nr. 2 BGB.

Nach § 675v Abs. 3 BGB ist der Zahler seinem Zahlungsdienstleister zum Ersatz des gesamten Schadens verpflichtet, der infolge eines nicht autorisierten Zahlungsvorgangs entstanden ist, wenn der Zahler entweder in betrügerischer Absicht gehandelt hat (§ 675v Abs. 3 Nr. 1 BGB) oder er den Schaden durch vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung einer oder mehrerer Pflichten gemäß § 675l Abs. 1 BGB (§ 675v Abs. 3 Nr. 2 a) BGB) oder einer oder mehrerer vereinbarter Bedingungen für die Ausgabe und Nutzung des Zahlungsinstruments nach § 675l Abs. 2 BGB (§ 675v Abs. 3 Nr. 2 b) BGB) herbeigeführt hat.

Im Hinblick auf den allein in Betracht kommenden Anspruch gemäß § 675v Abs. 3 Nr. 2 BGB ist die Beklagte ihrer diesbezüglichen Darlegungs- und Beweislast nicht nachgekommen.

Grobe Fahrlässigkeit erfordert einen in objektiver Hinsicht schweren und in subjektiver Hinsicht schlechthin unentschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der konkret erforderlichen Sorgfalt. Selbst ein objektiv grober Pflichtenverstoß rechtfertigt für sich noch keinen zwingenden Schluss auf ein entsprechend gesteigertes personales Verschulden (vgl. BGH, Urteil vom 26.01.2016, XI ZR 91/44, Rn. 71 m.w.N.). Dabei kommt dem Zahlungsdienstleister auch kein Anscheinsbeweis zu Gute, dass bei einem Missbrauch des Online-Bankings, wenn die Nutzung eines Zahlungsauthentifizierungsinstruments korrekt aufgezeichnet worden und die Prüfung der Authentifizierung beanstandungsfrei geblieben ist, eine konkrete grob fahrlässige Pflichtverletzung des Zahlungsdienstnutzers nach § 675v Abs. 2 BGB vorliegt (BGH, a.a.O. Rn.68).

Schon nach dem Vortrag der Beklagten fehlt es hier allerdings beim Kläger an einer grob fahrlässigen Verletzung der Pflichten eines Zahlungsdienstnutzers. Das Verhalten des Klägers ist danach jedenfalls nicht als subjektiv schlechthin unentschuldbar zu werten.

Diese Einschätzung stützt das Gericht zum einen darauf, dass sich die Täter des sog. Call-ID Spoofings bedienten. Dem Kläger wurde infolgedessen die Nummer der Beklagten angezeigt, als die Täter ihn anriefen. Für einen verständigen, langjährigen Bankkunden ist die Nutzung einer ihm bekannten Nummer mit besonderem Vertrauen verbunden. Davon, dass die Möglichkeit besteht, eine fremde Nummer zu nutzen, dürfte der Durchschnittsbürger keine Kenntnis haben. Dass dem Kläger der angebliche Mitarbeiter der Beklagten nicht bekannt war, ist für sich genommen noch kein besonders verdächtiger Umstand. In einer großen Organisation wie der der Beklagten herrscht regelmäßig eine gewisse Fluktuation bzw. es findet eine Arbeitsteilung statt, sodass die Bankkunden nicht mehr zwingend nur mit einem Mitarbeiter in Kontakt stehen.

Etwas anderes gilt auch nicht aufgrund der Bezeichnung des Auftrags in der pushTAN App als „Registrierung Karte“. Zwar gab der Anrufer vor, er wolle die Karte des Klägers entsperren, nicht registrieren. Allerdings ist die Bezeichnung „Registrierung“ derart weit, dass für den Kläger – vor allem in der Überrumpelungssituation, in der er sich befand und auch bei der durch die Beklagte mit einem Sicherheitshinweis angemahnten sorgfältigen Prüfung – überhaupt nicht erkennbar war, dass es um die Einrichtung eines Zahlungssystems auf einem mobilen Endgerät der Herstellers Apple Inc. und damit die Freigabe einer Möglichkeit zu Kontoverfügungen geht, die nur von der Verfügungsgewalt über dieses mobile Endgerät abhängt. Dabei wäre es der Beklagten ohne weiteres möglich gewesen, durch einen eindeutigen Text, insbesondere durch Verwendung eines Hinweises gerade auf ApplePay dem Kunden deutlich vor Augen zu führen, welcher Zahlungsdienst hier freigegeben werden soll, um so ersichtlich zu machen, dass es um Endgeräte eines bestimmten Herstellers und die Nutzung als Wallet, nicht einer Karte geht (vgl. LG Köln, Urteil vom 09.03.2023 - 15 O 267/22). Bei der hier vorliegenden Gestaltung konnte der Kläger den Text in der pushTAN App dem eigentlichen Vorgang nicht zuordnen. Im Übrigen ergibt sich aus der Formulierung des Warntextes, es sei „kein Auftrag“ freizugeben, der nicht „explizit beauftragt“ wurde, nach seinem natürlichen Wortsinn nicht, dass der Auftrag zwingend über die Online-Banking App erfolgt sein muss. Der Kläger durfte davon ausgehen, dass sein – vermeintlich − telefonisch erteilter „Auftrag“ diese Voraussetzungen ebenso erfülle. Der Vorgang und auch der Pflichtenverstoß des Klägers ist daher bereits nicht allein dessen Verantwortungsbereich anzulasten.
Auf die Fragen, ob eine starke Kundenauthentifizierung verlangt wurde (§ 675v Abs. 4 BGB) oder der Beklagten ein Mitverschulden anzulasten ist, kommt es insofern nicht mehr an.

II. Der Klageantrag zu 2.) ist ebenfalls begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 973,66 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten seit dem 23.05.2023.

Der Anspruch auf Zahlung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ergibt sich aus §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB i.V.m. § 675u Satz 3 BGB. Die Beklagte befand sich mit der gemäß § 675u Sätze 2, 3 BGB „unverzüglich“ geschuldeten Erstattung in Verzug (vgl. OLG Celle Hinweisbeschluss v. 17.11.2020 – 3 U 122/20, BeckRS 2020, 33608 Rn. 44 ff.).

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB i.V.m. § 187 Abs. 1 BGB analog.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: